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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 1. Der Wiener Congreß.
Sachsen und verpflichtete sich schon am 28. September durch einen förm-
lichen Vertrag, die Verwaltung des Landes sofort an Preußen zu über-
geben. Auch in der deutschen Verfassungssache befürwortete er nachdrück-
lich die preußischen Pläne; er verhehlte nicht, wie tief er die Selbstsucht
der rheinbündischen Höfe verachtete, und vermied doch klug jede zudring-
liche Einmischung. Auch Capodistrias wünschte lebhaft die Befestigung
des Deutschen Bundes, und der jüngere Alopeus, Alexanders Gesandter
in Berlin, war ein feuriger Bewunderer des preußischen Waffenruhms.
Kurz, Rußlands Halkung gegen Preußen blieb durchaus freundschaftlich,
obgleich Preußen sich noch in keiner Weise verpflichtet hatte die polnischen
Absichten des Czaren zu unterstützen. Unabweisbar drängt sich die Ver-
muthung auf, daß Hardenberg durch offenes Entgegenkommen auch eine
Verständigung über Thorn und das Kulmerland, ein unbedingtes Zu-
sammenhalten der beiden Mächte erwirken konnte. Er aber blieb auf
Metternichs Seite und hoffte zunächst, daß auch England und Oesterreich,
wie Rußland bereits gethan, in die vorläufige Occupation von Sachsen
willigen würden.

Der König sah der Politik seines Kanzlers nicht ohne Sorge zu und
hielt die sofortige Besitznahme von Sachsen für einen voreiligen Schritt,
da er, minder hoffnungsvoll als Hardenberg, aus dem Verhalten des
Kaisers Franz den richtigen Schluß zog, daß Oesterreich die Vertreibung
der Albertiner schwerlich billigen würde. Hätte man die Occupation ein
Jahr vorher, gleich nach der Leipziger Schlacht durchsetzen können, so
wäre sie ein wirksames Mittel gewesen um die gänzliche Einverleibung
vorzubereiten. Wie jetzt die Dinge standen, unmittelbar vor der Ent-
scheidung des Congresses, brachte die Besitznahme keinen Vortheil mehr,
sie setzte den Staat nur der Gefahr einer Demüthigung aus, falls er
nicht im Stande war das occupirte Land ganz zu behaupten. Deshalb
widersprach der König. Er traute jedoch seinem eigenen Verstande zu
wenig, am wenigsten in diplomatischen Fragen, ließ widerwillig den Kanzler
schalten und meinte nachher, als Hardenbergs Pläne scheiterten, ärgerlich
nach seiner Weise: "Hab's immer gesagt, haben aber Alle klüger sein
wollen." Nur die von Hardenberg vorgeschlagene Ernennung des Prinzen
Wilhelm zum Statthalter von Sachsen gab er schlechterdings nicht zu;
er wollte mindestens die Personen des königlichen Hauses vor einer be-
schämenden Niederlage bewahren.

Mit unbeirrtem Selbstgefühle blickte der Staatskanzler über die
verständigen Bedenken seines königlichen Herrn hinweg, schrieb verächtlich
in sein Tagebuch: "jurat in verba des Kaisers von Rußland"*) und er-
öffnete, im Bunde mit Metternich, seinen diplomatischen Kampf gegen
den Czaren. Auf die Einladung der drei Theilungsmächte übernahm

*) Hardenbergs Tagebuch 1. October 1814.

II. 1. Der Wiener Congreß.
Sachſen und verpflichtete ſich ſchon am 28. September durch einen förm-
lichen Vertrag, die Verwaltung des Landes ſofort an Preußen zu über-
geben. Auch in der deutſchen Verfaſſungsſache befürwortete er nachdrück-
lich die preußiſchen Pläne; er verhehlte nicht, wie tief er die Selbſtſucht
der rheinbündiſchen Höfe verachtete, und vermied doch klug jede zudring-
liche Einmiſchung. Auch Capodiſtrias wünſchte lebhaft die Befeſtigung
des Deutſchen Bundes, und der jüngere Alopeus, Alexanders Geſandter
in Berlin, war ein feuriger Bewunderer des preußiſchen Waffenruhms.
Kurz, Rußlands Halkung gegen Preußen blieb durchaus freundſchaftlich,
obgleich Preußen ſich noch in keiner Weiſe verpflichtet hatte die polniſchen
Abſichten des Czaren zu unterſtützen. Unabweisbar drängt ſich die Ver-
muthung auf, daß Hardenberg durch offenes Entgegenkommen auch eine
Verſtändigung über Thorn und das Kulmerland, ein unbedingtes Zu-
ſammenhalten der beiden Mächte erwirken konnte. Er aber blieb auf
Metternichs Seite und hoffte zunächſt, daß auch England und Oeſterreich,
wie Rußland bereits gethan, in die vorläufige Occupation von Sachſen
willigen würden.

Der König ſah der Politik ſeines Kanzlers nicht ohne Sorge zu und
hielt die ſofortige Beſitznahme von Sachſen für einen voreiligen Schritt,
da er, minder hoffnungsvoll als Hardenberg, aus dem Verhalten des
Kaiſers Franz den richtigen Schluß zog, daß Oeſterreich die Vertreibung
der Albertiner ſchwerlich billigen würde. Hätte man die Occupation ein
Jahr vorher, gleich nach der Leipziger Schlacht durchſetzen können, ſo
wäre ſie ein wirkſames Mittel geweſen um die gänzliche Einverleibung
vorzubereiten. Wie jetzt die Dinge ſtanden, unmittelbar vor der Ent-
ſcheidung des Congreſſes, brachte die Beſitznahme keinen Vortheil mehr,
ſie ſetzte den Staat nur der Gefahr einer Demüthigung aus, falls er
nicht im Stande war das occupirte Land ganz zu behaupten. Deshalb
widerſprach der König. Er traute jedoch ſeinem eigenen Verſtande zu
wenig, am wenigſten in diplomatiſchen Fragen, ließ widerwillig den Kanzler
ſchalten und meinte nachher, als Hardenbergs Pläne ſcheiterten, ärgerlich
nach ſeiner Weiſe: „Hab’s immer geſagt, haben aber Alle klüger ſein
wollen.“ Nur die von Hardenberg vorgeſchlagene Ernennung des Prinzen
Wilhelm zum Statthalter von Sachſen gab er ſchlechterdings nicht zu;
er wollte mindeſtens die Perſonen des königlichen Hauſes vor einer be-
ſchämenden Niederlage bewahren.

Mit unbeirrtem Selbſtgefühle blickte der Staatskanzler über die
verſtändigen Bedenken ſeines königlichen Herrn hinweg, ſchrieb verächtlich
in ſein Tagebuch: „jurat in verba des Kaiſers von Rußland“*) und er-
öffnete, im Bunde mit Metternich, ſeinen diplomatiſchen Kampf gegen
den Czaren. Auf die Einladung der drei Theilungsmächte übernahm

*) Hardenbergs Tagebuch 1. October 1814.
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[624/0640] II. 1. Der Wiener Congreß. Sachſen und verpflichtete ſich ſchon am 28. September durch einen förm- lichen Vertrag, die Verwaltung des Landes ſofort an Preußen zu über- geben. Auch in der deutſchen Verfaſſungsſache befürwortete er nachdrück- lich die preußiſchen Pläne; er verhehlte nicht, wie tief er die Selbſtſucht der rheinbündiſchen Höfe verachtete, und vermied doch klug jede zudring- liche Einmiſchung. Auch Capodiſtrias wünſchte lebhaft die Befeſtigung des Deutſchen Bundes, und der jüngere Alopeus, Alexanders Geſandter in Berlin, war ein feuriger Bewunderer des preußiſchen Waffenruhms. Kurz, Rußlands Halkung gegen Preußen blieb durchaus freundſchaftlich, obgleich Preußen ſich noch in keiner Weiſe verpflichtet hatte die polniſchen Abſichten des Czaren zu unterſtützen. Unabweisbar drängt ſich die Ver- muthung auf, daß Hardenberg durch offenes Entgegenkommen auch eine Verſtändigung über Thorn und das Kulmerland, ein unbedingtes Zu- ſammenhalten der beiden Mächte erwirken konnte. Er aber blieb auf Metternichs Seite und hoffte zunächſt, daß auch England und Oeſterreich, wie Rußland bereits gethan, in die vorläufige Occupation von Sachſen willigen würden. Der König ſah der Politik ſeines Kanzlers nicht ohne Sorge zu und hielt die ſofortige Beſitznahme von Sachſen für einen voreiligen Schritt, da er, minder hoffnungsvoll als Hardenberg, aus dem Verhalten des Kaiſers Franz den richtigen Schluß zog, daß Oeſterreich die Vertreibung der Albertiner ſchwerlich billigen würde. Hätte man die Occupation ein Jahr vorher, gleich nach der Leipziger Schlacht durchſetzen können, ſo wäre ſie ein wirkſames Mittel geweſen um die gänzliche Einverleibung vorzubereiten. Wie jetzt die Dinge ſtanden, unmittelbar vor der Ent- ſcheidung des Congreſſes, brachte die Beſitznahme keinen Vortheil mehr, ſie ſetzte den Staat nur der Gefahr einer Demüthigung aus, falls er nicht im Stande war das occupirte Land ganz zu behaupten. Deshalb widerſprach der König. Er traute jedoch ſeinem eigenen Verſtande zu wenig, am wenigſten in diplomatiſchen Fragen, ließ widerwillig den Kanzler ſchalten und meinte nachher, als Hardenbergs Pläne ſcheiterten, ärgerlich nach ſeiner Weiſe: „Hab’s immer geſagt, haben aber Alle klüger ſein wollen.“ Nur die von Hardenberg vorgeſchlagene Ernennung des Prinzen Wilhelm zum Statthalter von Sachſen gab er ſchlechterdings nicht zu; er wollte mindeſtens die Perſonen des königlichen Hauſes vor einer be- ſchämenden Niederlage bewahren. Mit unbeirrtem Selbſtgefühle blickte der Staatskanzler über die verſtändigen Bedenken ſeines königlichen Herrn hinweg, ſchrieb verächtlich in ſein Tagebuch: „jurat in verba des Kaiſers von Rußland“ *) und er- öffnete, im Bunde mit Metternich, ſeinen diplomatiſchen Kampf gegen den Czaren. Auf die Einladung der drei Theilungsmächte übernahm *) Hardenbergs Tagebuch 1. October 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/640>, abgerufen am 25.11.2024.