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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Alexander und Friedrich Wilhelm.
mentrafen. Unterwegs hatte er einige Tage in Pulawy, dem prächtigen
Schlosse Czartoryskis verweilt und in vollen Zügen die berauschenden
Huldigungen der schönen polnischen Damen genossen; nun brachte er
seinen sarmatischen Freund mit nach Wien und trat offen auf als con-
stitutioneller König des neuen Polenreichs.

Nesselrode, der Freund Metternichs, fiel fast in Ungnade; sein Wort
galt wenig neben den Ansichten Czartoryskis und Capodistrias. Dieser
geistreiche Corfiot verhehlte kaum, daß er den russischen Dienst nur als
eine Staffel ansah um dereinst der Held und Befreier seines griechischen
Vaterlandes zu werden; allen geknechteten Völkern brachte er seine be-
geisterte Theilnahme entgegen, zu allermeist dem unglücklichen Italien,
das ihm als die Schicksalsschwester seiner Hellas theuer war. Die neu-
gegründete Hetärie von Odessa und der Philomusenbund der Athener
fanden an ihm einen Beschützer. Bald sah man einige der russischen Herren
mit dem goldenen und dem ehernen Ringe der beiden hellenischen Bünde
geschmückt, der junge Fürst Ypsilanti warb rührig für die griechische Sache.
Auch deutsche Prinzen, Gelehrte und Staatsmänner schlossen sich bereits
den Philhellenen an; Haxthausens schöne Sammlung neugriechischer Bal-
laden ging von Hand zu Hand, erweckte zugleich altclassische Erinnerungen
und christlich-romantische Schwärmerei. Wie conservativ die Zeit auch
dachte, diesen Großtürken, der soeben die Serben schaarenweise schinden,
pfählen und rösten ließ, wollten die deutschen Idealisten doch nicht als
einen legitimen Fürsten gelten lassen. Metternich sah mit Sorge, daß
die gehoffte europäische Gesammtbürgschaft für seinen türkischen Schützling
doch noch im weiten Felde lag, und beobachtete mit wachsendem Mißtrauen
die revolutionäre Gesinnung des Czaren, der auch mit Stein wieder in
ein freundliches Verhältniß trat und den Deutschen eine lebensfähige
Bundesverfassung wünschte. Ein Unglück nur, daß der Freiherr kein
Amt bekleidete; so konnte er wohl Allen freimüthig ins Gewissen reden,
doch in den kritischen Augenblicken der Verhandlungen niemals den Aus-
schlag geben.

Der Anspruchslosigkeit König Friedrich Wilhelms ward das ewige
Gepränge bald unausstehlich, er sehnte sich heim zur geordneten Arbeit
in seinem ruhigen Schlosse und langweilte sich gründlich auf den rauschen-
den Festen, kaum daß er schüchtern der schönen Gräfin Julie Zichy ein
ganz klein wenig den Hof machte. Seine Meinung über die Unentbehr-
lichkeit der russischen Allianz stand fest, jedoch wagte er noch nicht den
abweichenden Ansichten Hardenbergs und Humboldts ein entschiedenes
Nein entgegenzustellen und ließ sich sogar zum täglichen Umgang den er-
klärten Gegner Rußlands Knesebeck gefallen, der, allezeit eifrig österreichisch,
sich wie Metternich für den Sultan begeisterte. Dem leichtlebigen Staats-
kanzler behagte das bunte Treiben wohl; er hörte es gern, wenn man ihm
unter den älteren, wie dem Fürsten Metternich unter den jüngeren Männern

Alexander und Friedrich Wilhelm.
mentrafen. Unterwegs hatte er einige Tage in Pulawy, dem prächtigen
Schloſſe Czartoryskis verweilt und in vollen Zügen die berauſchenden
Huldigungen der ſchönen polniſchen Damen genoſſen; nun brachte er
ſeinen ſarmatiſchen Freund mit nach Wien und trat offen auf als con-
ſtitutioneller König des neuen Polenreichs.

Neſſelrode, der Freund Metternichs, fiel faſt in Ungnade; ſein Wort
galt wenig neben den Anſichten Czartoryskis und Capodiſtrias. Dieſer
geiſtreiche Corfiot verhehlte kaum, daß er den ruſſiſchen Dienſt nur als
eine Staffel anſah um dereinſt der Held und Befreier ſeines griechiſchen
Vaterlandes zu werden; allen geknechteten Völkern brachte er ſeine be-
geiſterte Theilnahme entgegen, zu allermeiſt dem unglücklichen Italien,
das ihm als die Schickſalsſchweſter ſeiner Hellas theuer war. Die neu-
gegründete Hetärie von Odeſſa und der Philomuſenbund der Athener
fanden an ihm einen Beſchützer. Bald ſah man einige der ruſſiſchen Herren
mit dem goldenen und dem ehernen Ringe der beiden helleniſchen Bünde
geſchmückt, der junge Fürſt Ypſilanti warb rührig für die griechiſche Sache.
Auch deutſche Prinzen, Gelehrte und Staatsmänner ſchloſſen ſich bereits
den Philhellenen an; Haxthauſens ſchöne Sammlung neugriechiſcher Bal-
laden ging von Hand zu Hand, erweckte zugleich altclaſſiſche Erinnerungen
und chriſtlich-romantiſche Schwärmerei. Wie conſervativ die Zeit auch
dachte, dieſen Großtürken, der ſoeben die Serben ſchaarenweiſe ſchinden,
pfählen und röſten ließ, wollten die deutſchen Idealiſten doch nicht als
einen legitimen Fürſten gelten laſſen. Metternich ſah mit Sorge, daß
die gehoffte europäiſche Geſammtbürgſchaft für ſeinen türkiſchen Schützling
doch noch im weiten Felde lag, und beobachtete mit wachſendem Mißtrauen
die revolutionäre Geſinnung des Czaren, der auch mit Stein wieder in
ein freundliches Verhältniß trat und den Deutſchen eine lebensfähige
Bundesverfaſſung wünſchte. Ein Unglück nur, daß der Freiherr kein
Amt bekleidete; ſo konnte er wohl Allen freimüthig ins Gewiſſen reden,
doch in den kritiſchen Augenblicken der Verhandlungen niemals den Aus-
ſchlag geben.

Der Anſpruchsloſigkeit König Friedrich Wilhelms ward das ewige
Gepränge bald unausſtehlich, er ſehnte ſich heim zur geordneten Arbeit
in ſeinem ruhigen Schloſſe und langweilte ſich gründlich auf den rauſchen-
den Feſten, kaum daß er ſchüchtern der ſchönen Gräfin Julie Zichy ein
ganz klein wenig den Hof machte. Seine Meinung über die Unentbehr-
lichkeit der ruſſiſchen Allianz ſtand feſt, jedoch wagte er noch nicht den
abweichenden Anſichten Hardenbergs und Humboldts ein entſchiedenes
Nein entgegenzuſtellen und ließ ſich ſogar zum täglichen Umgang den er-
klärten Gegner Rußlands Kneſebeck gefallen, der, allezeit eifrig öſterreichiſch,
ſich wie Metternich für den Sultan begeiſterte. Dem leichtlebigen Staats-
kanzler behagte das bunte Treiben wohl; er hörte es gern, wenn man ihm
unter den älteren, wie dem Fürſten Metternich unter den jüngeren Männern

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[605/0621] Alexander und Friedrich Wilhelm. mentrafen. Unterwegs hatte er einige Tage in Pulawy, dem prächtigen Schloſſe Czartoryskis verweilt und in vollen Zügen die berauſchenden Huldigungen der ſchönen polniſchen Damen genoſſen; nun brachte er ſeinen ſarmatiſchen Freund mit nach Wien und trat offen auf als con- ſtitutioneller König des neuen Polenreichs. Neſſelrode, der Freund Metternichs, fiel faſt in Ungnade; ſein Wort galt wenig neben den Anſichten Czartoryskis und Capodiſtrias. Dieſer geiſtreiche Corfiot verhehlte kaum, daß er den ruſſiſchen Dienſt nur als eine Staffel anſah um dereinſt der Held und Befreier ſeines griechiſchen Vaterlandes zu werden; allen geknechteten Völkern brachte er ſeine be- geiſterte Theilnahme entgegen, zu allermeiſt dem unglücklichen Italien, das ihm als die Schickſalsſchweſter ſeiner Hellas theuer war. Die neu- gegründete Hetärie von Odeſſa und der Philomuſenbund der Athener fanden an ihm einen Beſchützer. Bald ſah man einige der ruſſiſchen Herren mit dem goldenen und dem ehernen Ringe der beiden helleniſchen Bünde geſchmückt, der junge Fürſt Ypſilanti warb rührig für die griechiſche Sache. Auch deutſche Prinzen, Gelehrte und Staatsmänner ſchloſſen ſich bereits den Philhellenen an; Haxthauſens ſchöne Sammlung neugriechiſcher Bal- laden ging von Hand zu Hand, erweckte zugleich altclaſſiſche Erinnerungen und chriſtlich-romantiſche Schwärmerei. Wie conſervativ die Zeit auch dachte, dieſen Großtürken, der ſoeben die Serben ſchaarenweiſe ſchinden, pfählen und röſten ließ, wollten die deutſchen Idealiſten doch nicht als einen legitimen Fürſten gelten laſſen. Metternich ſah mit Sorge, daß die gehoffte europäiſche Geſammtbürgſchaft für ſeinen türkiſchen Schützling doch noch im weiten Felde lag, und beobachtete mit wachſendem Mißtrauen die revolutionäre Geſinnung des Czaren, der auch mit Stein wieder in ein freundliches Verhältniß trat und den Deutſchen eine lebensfähige Bundesverfaſſung wünſchte. Ein Unglück nur, daß der Freiherr kein Amt bekleidete; ſo konnte er wohl Allen freimüthig ins Gewiſſen reden, doch in den kritiſchen Augenblicken der Verhandlungen niemals den Aus- ſchlag geben. Der Anſpruchsloſigkeit König Friedrich Wilhelms ward das ewige Gepränge bald unausſtehlich, er ſehnte ſich heim zur geordneten Arbeit in ſeinem ruhigen Schloſſe und langweilte ſich gründlich auf den rauſchen- den Feſten, kaum daß er ſchüchtern der ſchönen Gräfin Julie Zichy ein ganz klein wenig den Hof machte. Seine Meinung über die Unentbehr- lichkeit der ruſſiſchen Allianz ſtand feſt, jedoch wagte er noch nicht den abweichenden Anſichten Hardenbergs und Humboldts ein entſchiedenes Nein entgegenzuſtellen und ließ ſich ſogar zum täglichen Umgang den er- klärten Gegner Rußlands Kneſebeck gefallen, der, allezeit eifrig öſterreichiſch, ſich wie Metternich für den Sultan begeiſterte. Dem leichtlebigen Staats- kanzler behagte das bunte Treiben wohl; er hörte es gern, wenn man ihm unter den älteren, wie dem Fürſten Metternich unter den jüngeren Männern

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 605. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/621>, abgerufen am 25.11.2024.