sittlichen Kräfte des Volkslebens lebendig, Muth, Gehorsam und Ehrge- fühl. Während das gesammte Ausland und selbst preußische Staats- männer, wie W. von Humboldt, das alte Märchen von dem künstlichen Staate Preußen noch immer wiederholten, sprach dieser tapfere Soldat zu- versichtlich aus: dies bewaffnete preußische Volk bewahre in der anstecken- den Umgebung zerfließender und vertrocknender Kleinstaaten allein das Gefühl des Vaterlandes und den stolzen Entschluß ein ganzes und leben- diges Volk bleiben zu wollen. -- So gingen Scharnhorsts Saaten auf. Die gereifte Gesittung führte die Deutschen wieder zurück zu einer mann- haften Auffassung des Lebens, zur richtigen Werthschätzung der rüstigen Willenskraft einfacher Menschheit.
Auch in den Massen des preußischen Volkes hatten sich die Meinun- gen über das Heerwesen von Grund aus verändert. Der einst so ge- fürchtete blaue Rock war jetzt ein Ehrenkleid, und den Meisten leuchtete ein, daß weder Geburt noch Reichthum von der schwersten der allgemeinen Bürgerpflichten befreien dürfe. In den Kreisen der Patrioten sprach man geringschätzig von der waffenscheuen alten Zeit. Rückert sang spöttisch:
Es galt die alte Regel: Soldat ins Feu'r hinein! Der Bauer mit dem Flegel Sieht zu und läßt es sein.
Das Bild freilich, das sich die öffentliche Meinung von der Kriegs- verfassung der Zukunft entwarf, hatte mit Scharnhorsts Ideen wenig gemein. Schon während des Krieges entstand in den Massen eine Fülle von Sagen über die Ereignisse des wunderbaren Jahres. Die Landwehr wurde, wie natürlich, der Liebling des Volkes; denn ganz war die alte Abneigung gegen die Berufsoffiziere doch nicht verflogen. Man wußte tausend Geschichten von der Angst der Franzosen vor dem peuple sauvage des Landweres, und bald schien es, als ob diese Kerntruppe eigentlich Alles gethan und die Linie nur ein werthloses Anhängsel gebildet hätte. Aus diesen volksthümlichen Vorstellungen und dem unendlichen Friedens- bedürfniß der Zeit entwickelte sich nun die Ansicht, die technische Ausbil- dung des Soldaten sei leere Spielerei, ein Milizheer von möglichst kurzer Dienstzeit genüge am Besten den Anforderungen des Krieges wie des Friedens. Bis in die höchsten Schichten des Beamtenthums hinauf fand diese Meinung Anklang; Präsident Schoen war ihr eifriger Anhänger.
Der neue Kriegsminister stand vor einer überaus schwierigen Auf- gabe. Er hatte schon vor dem Kriege von 1806 den Gedanken der all- gemeinen Wehrpflicht vertheidigt und wollte jetzt diese große Errungen- schaft bewahren ohne doch in die dilettantischen Träume vom Milizwesen zu verfallen, dem Staate ein starkes, den größeren Nachbarmächten ge- wachsenes Heer sichern ohne doch die erschöpften Finanzen völlig zu zer-
I. 5. Ende der Kriegszeit.
ſittlichen Kräfte des Volkslebens lebendig, Muth, Gehorſam und Ehrge- fühl. Während das geſammte Ausland und ſelbſt preußiſche Staats- männer, wie W. von Humboldt, das alte Märchen von dem künſtlichen Staate Preußen noch immer wiederholten, ſprach dieſer tapfere Soldat zu- verſichtlich aus: dies bewaffnete preußiſche Volk bewahre in der anſtecken- den Umgebung zerfließender und vertrocknender Kleinſtaaten allein das Gefühl des Vaterlandes und den ſtolzen Entſchluß ein ganzes und leben- diges Volk bleiben zu wollen. — So gingen Scharnhorſts Saaten auf. Die gereifte Geſittung führte die Deutſchen wieder zurück zu einer mann- haften Auffaſſung des Lebens, zur richtigen Werthſchätzung der rüſtigen Willenskraft einfacher Menſchheit.
Auch in den Maſſen des preußiſchen Volkes hatten ſich die Meinun- gen über das Heerweſen von Grund aus verändert. Der einſt ſo ge- fürchtete blaue Rock war jetzt ein Ehrenkleid, und den Meiſten leuchtete ein, daß weder Geburt noch Reichthum von der ſchwerſten der allgemeinen Bürgerpflichten befreien dürfe. In den Kreiſen der Patrioten ſprach man geringſchätzig von der waffenſcheuen alten Zeit. Rückert ſang ſpöttiſch:
Es galt die alte Regel: Soldat ins Feu’r hinein! Der Bauer mit dem Flegel Sieht zu und läßt es ſein.
Das Bild freilich, das ſich die öffentliche Meinung von der Kriegs- verfaſſung der Zukunft entwarf, hatte mit Scharnhorſts Ideen wenig gemein. Schon während des Krieges entſtand in den Maſſen eine Fülle von Sagen über die Ereigniſſe des wunderbaren Jahres. Die Landwehr wurde, wie natürlich, der Liebling des Volkes; denn ganz war die alte Abneigung gegen die Berufsoffiziere doch nicht verflogen. Man wußte tauſend Geſchichten von der Angſt der Franzoſen vor dem peuple sauvage des Landwères, und bald ſchien es, als ob dieſe Kerntruppe eigentlich Alles gethan und die Linie nur ein werthloſes Anhängſel gebildet hätte. Aus dieſen volksthümlichen Vorſtellungen und dem unendlichen Friedens- bedürfniß der Zeit entwickelte ſich nun die Anſicht, die techniſche Ausbil- dung des Soldaten ſei leere Spielerei, ein Milizheer von möglichſt kurzer Dienſtzeit genüge am Beſten den Anforderungen des Krieges wie des Friedens. Bis in die höchſten Schichten des Beamtenthums hinauf fand dieſe Meinung Anklang; Präſident Schoen war ihr eifriger Anhänger.
Der neue Kriegsminiſter ſtand vor einer überaus ſchwierigen Auf- gabe. Er hatte ſchon vor dem Kriege von 1806 den Gedanken der all- gemeinen Wehrpflicht vertheidigt und wollte jetzt dieſe große Errungen- ſchaft bewahren ohne doch in die dilettantiſchen Träume vom Milizweſen zu verfallen, dem Staate ein ſtarkes, den größeren Nachbarmächten ge- wachſenes Heer ſichern ohne doch die erſchöpften Finanzen völlig zu zer-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0602"n="586"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> 5. Ende der Kriegszeit.</fw><lb/>ſittlichen Kräfte des Volkslebens lebendig, Muth, Gehorſam und Ehrge-<lb/>
fühl. Während das geſammte Ausland und ſelbſt preußiſche Staats-<lb/>
männer, wie W. von Humboldt, das alte Märchen von dem künſtlichen<lb/>
Staate Preußen noch immer wiederholten, ſprach dieſer tapfere Soldat zu-<lb/>
verſichtlich aus: dies bewaffnete preußiſche Volk bewahre in der anſtecken-<lb/>
den Umgebung zerfließender und vertrocknender Kleinſtaaten allein das<lb/>
Gefühl des Vaterlandes und den ſtolzen Entſchluß ein ganzes und leben-<lb/>
diges Volk bleiben zu wollen. — So gingen Scharnhorſts Saaten auf.<lb/>
Die gereifte Geſittung führte die Deutſchen wieder zurück zu einer mann-<lb/>
haften Auffaſſung des Lebens, zur richtigen Werthſchätzung der rüſtigen<lb/>
Willenskraft einfacher Menſchheit.</p><lb/><p>Auch in den Maſſen des preußiſchen Volkes hatten ſich die Meinun-<lb/>
gen über das Heerweſen von Grund aus verändert. Der einſt ſo ge-<lb/>
fürchtete blaue Rock war jetzt ein Ehrenkleid, und den Meiſten leuchtete<lb/>
ein, daß weder Geburt noch Reichthum von der ſchwerſten der allgemeinen<lb/>
Bürgerpflichten befreien dürfe. In den Kreiſen der Patrioten ſprach man<lb/>
geringſchätzig von der waffenſcheuen alten Zeit. Rückert ſang ſpöttiſch:</p><lb/><lgtype="poem"><l>Es galt die alte Regel:</l><lb/><l>Soldat ins Feu’r hinein!</l><lb/><l>Der Bauer mit dem Flegel</l><lb/><l>Sieht zu und läßt es ſein.</l></lg><lb/><p>Das Bild freilich, das ſich die öffentliche Meinung von der Kriegs-<lb/>
verfaſſung der Zukunft entwarf, hatte mit Scharnhorſts Ideen wenig<lb/>
gemein. Schon während des Krieges entſtand in den Maſſen eine Fülle<lb/>
von Sagen über die Ereigniſſe des wunderbaren Jahres. Die Landwehr<lb/>
wurde, wie natürlich, der Liebling des Volkes; denn ganz war die alte<lb/>
Abneigung gegen die Berufsoffiziere doch nicht verflogen. Man wußte<lb/>
tauſend Geſchichten von der Angſt der Franzoſen vor dem <hirendition="#aq">peuple sauvage<lb/>
des Landwères,</hi> und bald ſchien es, als ob dieſe Kerntruppe eigentlich<lb/>
Alles gethan und die Linie nur ein werthloſes Anhängſel gebildet hätte.<lb/>
Aus dieſen volksthümlichen Vorſtellungen und dem unendlichen Friedens-<lb/>
bedürfniß der Zeit entwickelte ſich nun die Anſicht, die techniſche Ausbil-<lb/>
dung des Soldaten ſei leere Spielerei, ein Milizheer von möglichſt kurzer<lb/>
Dienſtzeit genüge am Beſten den Anforderungen des Krieges wie des<lb/>
Friedens. Bis in die höchſten Schichten des Beamtenthums hinauf fand<lb/>
dieſe Meinung Anklang; Präſident Schoen war ihr eifriger Anhänger.</p><lb/><p>Der neue Kriegsminiſter ſtand vor einer überaus ſchwierigen Auf-<lb/>
gabe. Er hatte ſchon vor dem Kriege von 1806 den Gedanken der all-<lb/>
gemeinen Wehrpflicht vertheidigt und wollte jetzt dieſe große Errungen-<lb/>ſchaft bewahren ohne doch in die dilettantiſchen Träume vom Milizweſen<lb/>
zu verfallen, dem Staate ein ſtarkes, den größeren Nachbarmächten ge-<lb/>
wachſenes Heer ſichern ohne doch die erſchöpften Finanzen völlig zu zer-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[586/0602]
I. 5. Ende der Kriegszeit.
ſittlichen Kräfte des Volkslebens lebendig, Muth, Gehorſam und Ehrge-
fühl. Während das geſammte Ausland und ſelbſt preußiſche Staats-
männer, wie W. von Humboldt, das alte Märchen von dem künſtlichen
Staate Preußen noch immer wiederholten, ſprach dieſer tapfere Soldat zu-
verſichtlich aus: dies bewaffnete preußiſche Volk bewahre in der anſtecken-
den Umgebung zerfließender und vertrocknender Kleinſtaaten allein das
Gefühl des Vaterlandes und den ſtolzen Entſchluß ein ganzes und leben-
diges Volk bleiben zu wollen. — So gingen Scharnhorſts Saaten auf.
Die gereifte Geſittung führte die Deutſchen wieder zurück zu einer mann-
haften Auffaſſung des Lebens, zur richtigen Werthſchätzung der rüſtigen
Willenskraft einfacher Menſchheit.
Auch in den Maſſen des preußiſchen Volkes hatten ſich die Meinun-
gen über das Heerweſen von Grund aus verändert. Der einſt ſo ge-
fürchtete blaue Rock war jetzt ein Ehrenkleid, und den Meiſten leuchtete
ein, daß weder Geburt noch Reichthum von der ſchwerſten der allgemeinen
Bürgerpflichten befreien dürfe. In den Kreiſen der Patrioten ſprach man
geringſchätzig von der waffenſcheuen alten Zeit. Rückert ſang ſpöttiſch:
Es galt die alte Regel:
Soldat ins Feu’r hinein!
Der Bauer mit dem Flegel
Sieht zu und läßt es ſein.
Das Bild freilich, das ſich die öffentliche Meinung von der Kriegs-
verfaſſung der Zukunft entwarf, hatte mit Scharnhorſts Ideen wenig
gemein. Schon während des Krieges entſtand in den Maſſen eine Fülle
von Sagen über die Ereigniſſe des wunderbaren Jahres. Die Landwehr
wurde, wie natürlich, der Liebling des Volkes; denn ganz war die alte
Abneigung gegen die Berufsoffiziere doch nicht verflogen. Man wußte
tauſend Geſchichten von der Angſt der Franzoſen vor dem peuple sauvage
des Landwères, und bald ſchien es, als ob dieſe Kerntruppe eigentlich
Alles gethan und die Linie nur ein werthloſes Anhängſel gebildet hätte.
Aus dieſen volksthümlichen Vorſtellungen und dem unendlichen Friedens-
bedürfniß der Zeit entwickelte ſich nun die Anſicht, die techniſche Ausbil-
dung des Soldaten ſei leere Spielerei, ein Milizheer von möglichſt kurzer
Dienſtzeit genüge am Beſten den Anforderungen des Krieges wie des
Friedens. Bis in die höchſten Schichten des Beamtenthums hinauf fand
dieſe Meinung Anklang; Präſident Schoen war ihr eifriger Anhänger.
Der neue Kriegsminiſter ſtand vor einer überaus ſchwierigen Auf-
gabe. Er hatte ſchon vor dem Kriege von 1806 den Gedanken der all-
gemeinen Wehrpflicht vertheidigt und wollte jetzt dieſe große Errungen-
ſchaft bewahren ohne doch in die dilettantiſchen Träume vom Milizweſen
zu verfallen, dem Staate ein ſtarkes, den größeren Nachbarmächten ge-
wachſenes Heer ſichern ohne doch die erſchöpften Finanzen völlig zu zer-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/602>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.