I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
aus jenen alten Zeiten, da der deutsche Norden noch in kleine Territorien zerfiel. Sie waren die Eierschale, die der junge Aar noch auf seinem Kopfe trug; sie vertraten die Vergangenheit des Staates, Krone, Beamten- thum und Heer seine Gegenwart. Sie vertraten den Particularismus und das ständische Privilegium gegen die Staatseinheit und das gemeine Recht; ihre Macht reichte noch aus um den großen Gang der monarchischen Gesetzgebung zuweilen zu erschweren, nicht mehr um ihn gänzlich aufzu- halten. Den Landtagsausschüssen blieb die Vertheilung einiger Steuern und die Verwaltung des landschaftlichen Schuldenwesens; auf diesem engen Gebiete bestanden der Nepotismus, der Schlendrian und das leere Formel- wesen des altständischen Staates noch ungebrochen, und der märkische Edelmann nannte sein Brandenburg noch gern einen selbständigen Staat unter der Krone Preußen. Auch das altständische Landrathsamt ward nicht aufgehoben, sondern behutsam in die Ordnung des monarchischen Beamten- thums eingefügt; der Landrath, auf Vorschlag der Stände durch die Krone ernannt, war zugleich Vertreter der Ritterschaft und königlicher Beamter, der Kriegs- und Domänenkammer untergeben. Der König hegte ein gut bürgerliches Mißtrauen gegen den gewaltthätigen Uebermuth seiner Junker, doch er bedurfte der Hingebung des Adels um die neue Heeres- verfassung aufrecht zu halten, suchte die Murrenden durch Ehren und Würden zu beschwichtigen, ließ den Grundherren einen Theil der alten Steuerprivilegien und die gutsherrliche Polizei, freilich unter der Aufsicht der königlichen Beamten.
Nur diese kluge Schonung hat dem Könige die Durchführung seiner großen wirthschaftlichen Reformen ermöglicht. Er begründete jenes eigen- thümliche System monarchischer Organisation der Arbeit, das während zweier Menschenalter die altüberlieferte Gliederung der Stände mit den neuen Aufgaben des Staates in Einklang gehalten hat. Jeder Provinz und jedem Stande wies die Krone gewisse Zweige volkswirthschaftlicher und politischer Arbeit zu. Außer dem Landbau, dem Hauptgewerbe der gesammten Monarchie, sollten in der Kurmark und den westphälischen Provinzen die Manufacturen, in den Küstenländern der Handel, im Magdeburgischen der Bergbau betrieben werden. Dem Adel gebührte allein der große Grundbesitz und ein nahezu ausschließlicher Anspruch auf die Offiziersstellen, dem Bauernstande die ländliche Kleinwirthschaft und der Soldatendienst, den Stadtbürgern Handel und Gewerbe und, dem entsprechend, hohe Steuerlast.
Diese Rechte der Stände und Landschaften vor jedem Eingriff zu sichern galt als die Pflicht königlicher Gerechtigkeit und sie war nirgends so schwer zu erfüllen, wie hier auf dem alten Colonistenboden, wo die Uebermacht der Grundherren zugleich der Krone und dem bürgerlichen Frieden bedrohlich wurde. Die menschlichste der Königspflichten, die Beschützung der Armen und Bedrängten, war für die Hohenzollern ein
I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
aus jenen alten Zeiten, da der deutſche Norden noch in kleine Territorien zerfiel. Sie waren die Eierſchale, die der junge Aar noch auf ſeinem Kopfe trug; ſie vertraten die Vergangenheit des Staates, Krone, Beamten- thum und Heer ſeine Gegenwart. Sie vertraten den Particularismus und das ſtändiſche Privilegium gegen die Staatseinheit und das gemeine Recht; ihre Macht reichte noch aus um den großen Gang der monarchiſchen Geſetzgebung zuweilen zu erſchweren, nicht mehr um ihn gänzlich aufzu- halten. Den Landtagsausſchüſſen blieb die Vertheilung einiger Steuern und die Verwaltung des landſchaftlichen Schuldenweſens; auf dieſem engen Gebiete beſtanden der Nepotismus, der Schlendrian und das leere Formel- weſen des altſtändiſchen Staates noch ungebrochen, und der märkiſche Edelmann nannte ſein Brandenburg noch gern einen ſelbſtändigen Staat unter der Krone Preußen. Auch das altſtändiſche Landrathsamt ward nicht aufgehoben, ſondern behutſam in die Ordnung des monarchiſchen Beamten- thums eingefügt; der Landrath, auf Vorſchlag der Stände durch die Krone ernannt, war zugleich Vertreter der Ritterſchaft und königlicher Beamter, der Kriegs- und Domänenkammer untergeben. Der König hegte ein gut bürgerliches Mißtrauen gegen den gewaltthätigen Uebermuth ſeiner Junker, doch er bedurfte der Hingebung des Adels um die neue Heeres- verfaſſung aufrecht zu halten, ſuchte die Murrenden durch Ehren und Würden zu beſchwichtigen, ließ den Grundherren einen Theil der alten Steuerprivilegien und die gutsherrliche Polizei, freilich unter der Aufſicht der königlichen Beamten.
Nur dieſe kluge Schonung hat dem Könige die Durchführung ſeiner großen wirthſchaftlichen Reformen ermöglicht. Er begründete jenes eigen- thümliche Syſtem monarchiſcher Organiſation der Arbeit, das während zweier Menſchenalter die altüberlieferte Gliederung der Stände mit den neuen Aufgaben des Staates in Einklang gehalten hat. Jeder Provinz und jedem Stande wies die Krone gewiſſe Zweige volkswirthſchaftlicher und politiſcher Arbeit zu. Außer dem Landbau, dem Hauptgewerbe der geſammten Monarchie, ſollten in der Kurmark und den weſtphäliſchen Provinzen die Manufacturen, in den Küſtenländern der Handel, im Magdeburgiſchen der Bergbau betrieben werden. Dem Adel gebührte allein der große Grundbeſitz und ein nahezu ausſchließlicher Anſpruch auf die Offiziersſtellen, dem Bauernſtande die ländliche Kleinwirthſchaft und der Soldatendienſt, den Stadtbürgern Handel und Gewerbe und, dem entſprechend, hohe Steuerlaſt.
Dieſe Rechte der Stände und Landſchaften vor jedem Eingriff zu ſichern galt als die Pflicht königlicher Gerechtigkeit und ſie war nirgends ſo ſchwer zu erfüllen, wie hier auf dem alten Coloniſtenboden, wo die Uebermacht der Grundherren zugleich der Krone und dem bürgerlichen Frieden bedrohlich wurde. Die menſchlichſte der Königspflichten, die Beſchützung der Armen und Bedrängten, war für die Hohenzollern ein
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I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
aus jenen alten Zeiten, da der deutſche Norden noch in kleine Territorien
zerfiel. Sie waren die Eierſchale, die der junge Aar noch auf ſeinem
Kopfe trug; ſie vertraten die Vergangenheit des Staates, Krone, Beamten-
thum und Heer ſeine Gegenwart. Sie vertraten den Particularismus
und das ſtändiſche Privilegium gegen die Staatseinheit und das gemeine
Recht; ihre Macht reichte noch aus um den großen Gang der monarchiſchen
Geſetzgebung zuweilen zu erſchweren, nicht mehr um ihn gänzlich aufzu-
halten. Den Landtagsausſchüſſen blieb die Vertheilung einiger Steuern
und die Verwaltung des landſchaftlichen Schuldenweſens; auf dieſem engen
Gebiete beſtanden der Nepotismus, der Schlendrian und das leere Formel-
weſen des altſtändiſchen Staates noch ungebrochen, und der märkiſche
Edelmann nannte ſein Brandenburg noch gern einen ſelbſtändigen Staat
unter der Krone Preußen. Auch das altſtändiſche Landrathsamt ward nicht
aufgehoben, ſondern behutſam in die Ordnung des monarchiſchen Beamten-
thums eingefügt; der Landrath, auf Vorſchlag der Stände durch die Krone
ernannt, war zugleich Vertreter der Ritterſchaft und königlicher Beamter,
der Kriegs- und Domänenkammer untergeben. Der König hegte ein
gut bürgerliches Mißtrauen gegen den gewaltthätigen Uebermuth ſeiner
Junker, doch er bedurfte der Hingebung des Adels um die neue Heeres-
verfaſſung aufrecht zu halten, ſuchte die Murrenden durch Ehren und
Würden zu beſchwichtigen, ließ den Grundherren einen Theil der alten
Steuerprivilegien und die gutsherrliche Polizei, freilich unter der Aufſicht
der königlichen Beamten.
Nur dieſe kluge Schonung hat dem Könige die Durchführung ſeiner
großen wirthſchaftlichen Reformen ermöglicht. Er begründete jenes eigen-
thümliche Syſtem monarchiſcher Organiſation der Arbeit, das während
zweier Menſchenalter die altüberlieferte Gliederung der Stände mit den
neuen Aufgaben des Staates in Einklang gehalten hat. Jeder Provinz
und jedem Stande wies die Krone gewiſſe Zweige volkswirthſchaftlicher
und politiſcher Arbeit zu. Außer dem Landbau, dem Hauptgewerbe der
geſammten Monarchie, ſollten in der Kurmark und den weſtphäliſchen
Provinzen die Manufacturen, in den Küſtenländern der Handel, im
Magdeburgiſchen der Bergbau betrieben werden. Dem Adel gebührte
allein der große Grundbeſitz und ein nahezu ausſchließlicher Anſpruch auf
die Offiziersſtellen, dem Bauernſtande die ländliche Kleinwirthſchaft und
der Soldatendienſt, den Stadtbürgern Handel und Gewerbe und, dem
entſprechend, hohe Steuerlaſt.
Dieſe Rechte der Stände und Landſchaften vor jedem Eingriff zu
ſichern galt als die Pflicht königlicher Gerechtigkeit und ſie war nirgends
ſo ſchwer zu erfüllen, wie hier auf dem alten Coloniſtenboden, wo die
Uebermacht der Grundherren zugleich der Krone und dem bürgerlichen
Frieden bedrohlich wurde. Die menſchlichſte der Königspflichten, die
Beſchützung der Armen und Bedrängten, war für die Hohenzollern ein
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/60>, abgerufen am 16.02.2025.
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