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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Kriegskosten und Kunstschätze.
mächte seien einig durchaus keine Geldforderungen an Frankreich zu stellen
-- sie allerdings hatten von Frankreich keine Schulden einzutreiben -- und
überließen den Preußen was sie thun wollten. Also war Preußen von
seinen Alliirten völlig preisgegeben, in einer bizarren Situation, wie Hum-
boldt sagte; und, fügte er mit bitterem Vorwurf gegen den Staatskanzler
hinzu, mit etwas weniger Verschämtheit und etwas mehr Geschick hätten
wir unsere gerechten Ansprüche schon vor dem Einzuge in Paris durch-
setzen können. König Ludwig kannte den Haß seines Volkes gegen die
Preußen und gab daher, sobald er von den drei Mächten nichts mehr
zu befürchten hatte, die hochtrabende Antwort: "lieber dreihundert Millio-
nen aufwenden um Preußen zu bekämpfen, als hundert um es zu be-
friedigen!" Sollte die norddeutsche Macht, mittellos wie sie war, mit ihrem
gelichteten Heere den Krieg allein wieder aufnehmen? Es blieb kein Aus-
weg; man mußte die Folgen der Fehler Hardenbergs tragen. Durch die
Artikel 18 und 19 des Friedensvertrags verzichteten die europäischen
Mächte -- vorbehaltlich einiger Ansprüche von Privatleuten -- wechsel-
seitig auf alle ihre Schuldforderungen, ein Verzicht, der für Oesterreich
und Rußland nichts, für Preußen eine ungeheure Einbuße bedeutete.

Ueberall bei den Berathungen des Congresses erschienen die Preußen
als die Dränger und Treiber und überall zogen sie den Kürzeren.
Friedrich Wilhelm nahm, wie sein treues Volk, als selbstverständlich an,
daß die mit Verhöhnung alles Völkerrechts zusammengeraubten Kunstschätze
jetzt zu ihren rechtmäßigen Eigenthümern zurückkehren würden; er forderte
Alles zurück was seinem Staate an Büchern, Kunstwerken und Trophäen
abgenommen war und erreichte in der That eine mündliche Zusage. Als
aber Humboldt den französischen Minister ernstlich über das Wann und
Wie zur Rede stellte, wurde Talleyrand sichtlich verlegen und meinte: er
glaube wohl, daß sein Herr Alles wieder herausgeben wolle; König
Friedrich Wilhelm möge noch einmal mit dem Monarchen sprechen;
wahrscheinlich habe der premier gentilhomme du Roy diese Sache zu
besorgen.*) Auf erneutes Drängen kam endlich die Berliner Victoria
aus ihrem Schuppen hervor; wie jubelte Jacob Grimm, als er sich
eines Morgens auf die eherne Quadriga setzte und dort sein Frühstück
verzehrte. Auch der Degen Friedrichs des Großen fand sich wieder,
und Grimm entdeckte mit dem Spürsinne des Sammlers noch einige
Schätze der Casseler Bibliothek in ihrem Versteck. Das war Alles.
Freiherr von Oelssen, den der König im Spätsommer zur Abholung
der preußischen Kunstwerke nach Paris sendete, wurde monatelang mit
Ausflüchten und leeren Reden hingehalten.**) Da die anderen drei

*) Humboldt an Hardenberg, 27. Mai 1814.
**) Berichte des Gesandten Grafen von der Goltz aus Paris vom 31. Oktober
1814 u. s.
Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 36

Kriegskoſten und Kunſtſchätze.
mächte ſeien einig durchaus keine Geldforderungen an Frankreich zu ſtellen
— ſie allerdings hatten von Frankreich keine Schulden einzutreiben — und
überließen den Preußen was ſie thun wollten. Alſo war Preußen von
ſeinen Alliirten völlig preisgegeben, in einer bizarren Situation, wie Hum-
boldt ſagte; und, fügte er mit bitterem Vorwurf gegen den Staatskanzler
hinzu, mit etwas weniger Verſchämtheit und etwas mehr Geſchick hätten
wir unſere gerechten Anſprüche ſchon vor dem Einzuge in Paris durch-
ſetzen können. König Ludwig kannte den Haß ſeines Volkes gegen die
Preußen und gab daher, ſobald er von den drei Mächten nichts mehr
zu befürchten hatte, die hochtrabende Antwort: „lieber dreihundert Millio-
nen aufwenden um Preußen zu bekämpfen, als hundert um es zu be-
friedigen!“ Sollte die norddeutſche Macht, mittellos wie ſie war, mit ihrem
gelichteten Heere den Krieg allein wieder aufnehmen? Es blieb kein Aus-
weg; man mußte die Folgen der Fehler Hardenbergs tragen. Durch die
Artikel 18 und 19 des Friedensvertrags verzichteten die europäiſchen
Mächte — vorbehaltlich einiger Anſprüche von Privatleuten — wechſel-
ſeitig auf alle ihre Schuldforderungen, ein Verzicht, der für Oeſterreich
und Rußland nichts, für Preußen eine ungeheure Einbuße bedeutete.

Ueberall bei den Berathungen des Congreſſes erſchienen die Preußen
als die Dränger und Treiber und überall zogen ſie den Kürzeren.
Friedrich Wilhelm nahm, wie ſein treues Volk, als ſelbſtverſtändlich an,
daß die mit Verhöhnung alles Völkerrechts zuſammengeraubten Kunſtſchätze
jetzt zu ihren rechtmäßigen Eigenthümern zurückkehren würden; er forderte
Alles zurück was ſeinem Staate an Büchern, Kunſtwerken und Trophäen
abgenommen war und erreichte in der That eine mündliche Zuſage. Als
aber Humboldt den franzöſiſchen Miniſter ernſtlich über das Wann und
Wie zur Rede ſtellte, wurde Talleyrand ſichtlich verlegen und meinte: er
glaube wohl, daß ſein Herr Alles wieder herausgeben wolle; König
Friedrich Wilhelm möge noch einmal mit dem Monarchen ſprechen;
wahrſcheinlich habe der premier gentilhomme du Roy dieſe Sache zu
beſorgen.*) Auf erneutes Drängen kam endlich die Berliner Victoria
aus ihrem Schuppen hervor; wie jubelte Jacob Grimm, als er ſich
eines Morgens auf die eherne Quadriga ſetzte und dort ſein Frühſtück
verzehrte. Auch der Degen Friedrichs des Großen fand ſich wieder,
und Grimm entdeckte mit dem Spürſinne des Sammlers noch einige
Schätze der Caſſeler Bibliothek in ihrem Verſteck. Das war Alles.
Freiherr von Oelſſen, den der König im Spätſommer zur Abholung
der preußiſchen Kunſtwerke nach Paris ſendete, wurde monatelang mit
Ausflüchten und leeren Reden hingehalten.**) Da die anderen drei

*) Humboldt an Hardenberg, 27. Mai 1814.
**) Berichte des Geſandten Grafen von der Goltz aus Paris vom 31. Oktober
1814 u. ſ.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 36
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[561/0577] Kriegskoſten und Kunſtſchätze. mächte ſeien einig durchaus keine Geldforderungen an Frankreich zu ſtellen — ſie allerdings hatten von Frankreich keine Schulden einzutreiben — und überließen den Preußen was ſie thun wollten. Alſo war Preußen von ſeinen Alliirten völlig preisgegeben, in einer bizarren Situation, wie Hum- boldt ſagte; und, fügte er mit bitterem Vorwurf gegen den Staatskanzler hinzu, mit etwas weniger Verſchämtheit und etwas mehr Geſchick hätten wir unſere gerechten Anſprüche ſchon vor dem Einzuge in Paris durch- ſetzen können. König Ludwig kannte den Haß ſeines Volkes gegen die Preußen und gab daher, ſobald er von den drei Mächten nichts mehr zu befürchten hatte, die hochtrabende Antwort: „lieber dreihundert Millio- nen aufwenden um Preußen zu bekämpfen, als hundert um es zu be- friedigen!“ Sollte die norddeutſche Macht, mittellos wie ſie war, mit ihrem gelichteten Heere den Krieg allein wieder aufnehmen? Es blieb kein Aus- weg; man mußte die Folgen der Fehler Hardenbergs tragen. Durch die Artikel 18 und 19 des Friedensvertrags verzichteten die europäiſchen Mächte — vorbehaltlich einiger Anſprüche von Privatleuten — wechſel- ſeitig auf alle ihre Schuldforderungen, ein Verzicht, der für Oeſterreich und Rußland nichts, für Preußen eine ungeheure Einbuße bedeutete. Ueberall bei den Berathungen des Congreſſes erſchienen die Preußen als die Dränger und Treiber und überall zogen ſie den Kürzeren. Friedrich Wilhelm nahm, wie ſein treues Volk, als ſelbſtverſtändlich an, daß die mit Verhöhnung alles Völkerrechts zuſammengeraubten Kunſtſchätze jetzt zu ihren rechtmäßigen Eigenthümern zurückkehren würden; er forderte Alles zurück was ſeinem Staate an Büchern, Kunſtwerken und Trophäen abgenommen war und erreichte in der That eine mündliche Zuſage. Als aber Humboldt den franzöſiſchen Miniſter ernſtlich über das Wann und Wie zur Rede ſtellte, wurde Talleyrand ſichtlich verlegen und meinte: er glaube wohl, daß ſein Herr Alles wieder herausgeben wolle; König Friedrich Wilhelm möge noch einmal mit dem Monarchen ſprechen; wahrſcheinlich habe der premier gentilhomme du Roy dieſe Sache zu beſorgen. *) Auf erneutes Drängen kam endlich die Berliner Victoria aus ihrem Schuppen hervor; wie jubelte Jacob Grimm, als er ſich eines Morgens auf die eherne Quadriga ſetzte und dort ſein Frühſtück verzehrte. Auch der Degen Friedrichs des Großen fand ſich wieder, und Grimm entdeckte mit dem Spürſinne des Sammlers noch einige Schätze der Caſſeler Bibliothek in ihrem Verſteck. Das war Alles. Freiherr von Oelſſen, den der König im Spätſommer zur Abholung der preußiſchen Kunſtwerke nach Paris ſendete, wurde monatelang mit Ausflüchten und leeren Reden hingehalten. **) Da die anderen drei *) Humboldt an Hardenberg, 27. Mai 1814. **) Berichte des Geſandten Grafen von der Goltz aus Paris vom 31. Oktober 1814 u. ſ. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 36

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/577>, abgerufen am 25.11.2024.