lungen. Jetzt aber fühlten alle Mächte, auch Oesterreich, daß das un- würdige Schauspiel der zitternden Uebermacht ein Ende nehmen mußte. Es stand wirklich so wie Gneisenau nachher dem alten Rüchel schrieb: "So zogen wir endlich nach Paris, nicht aus Ueberlegenheit der dafür sprechenden Gründe, sondern weil nichts Anderes übrig blieb und das Verhängniß die große Armee dahin stieß." Als der Czar in Sommepuis am 24. März aus einem Briefe Napoleons, den die Kosaken Blüchers auf- gefangen, die Absichten des Feindes erfuhr, da forderte zuerst Toll das Selbstverständliche, das den Ueberklugen so lange unfaßbar gewesen: den Marsch auf Paris. Die Straße war nahezu offen. Vereinigt mit der nahen schlesischen Armee konnte man die schwachen Corps des Feindes, die noch im Wege standen, leicht überwältigen; ein starkes Reitercorps unter Wintzingerode sollte zurückbleiben, um den Imperator, dessen Name jetzt doch allmählich seinen alten Zauber verlor, über den Zug der großen Armee zu täuschen. Alexander stimmte zu, er schmachtete nach Vergeltung für den Einzug in Moskau. Am selben Tage erklärten auch der König und Schwarzenberg in einem Kriegsrathe zu Vitry ihre Zustimmung.
Aufathmend empfing Blücher die entscheidende Botschaft: "nun heißt es nicht mehr blos bei uns, sondern überall Vorwärts!" Dort in Vitry erließen die Verbündeten auch eine öffentliche Erklärung, worin sie die französische Nation gradezu aufforderten, durch ihren freien Willen dem verderblichen Systeme dieses Kaiserthums ein Ziel zu setzen; nur dann sei der Frieden Europas gesichert. Die letzte Brücke war abgebrochen. Selbst Kaiser Franz hatte seinen Schwiegersohn aufgegeben, er blieb in Burgund zurück um der Entthronung nicht persönlich beiwohnen zu müssen. So ging es denn endlich westwärts, quer über die unheimlichen Schlachtfelder des Februars, und noch einmal rasten über diese blut- gedüngten Gefilde alle Schrecken des Krieges, als die Division Pacthod am 25. März bei La Fere Champenoise gleichzeitig von der schlesischen und der Hauptarmee ereilt wurde. Rettungslos verloren verschmähte der tapfere französische General die Capitulation, die ihm Friedrich Wilhelm an- bot; so blieb nichts übrig als eine grausige Schlächterei. Schaudernd sahen der König und sein Sohn Wilhelm, wie die Kanonenkugeln durch den zusammengekeilten Menschenhaufen lange Furchen zogen und dann die Reiter mit der blanken Waffe hineinschmetterten. Ihrer viertausend ergaben sich endlich, fünftausend lagen todt am Boden. Es war ein Schauspiel der Vernichtung, wie es in prahlerischen Schlachtberichten oft geschildert, selten wirklich erlebt wird; alte wetterfeste Offiziere sah man erbleichen, wenn auf diesen Tag die Rede kam.
Wohl war es die höchste Zeit, daß den verstimmten Truppen endlich wieder die Zuversicht des Gelingens kam. Heuer fand sich kein Clausewitz, der, wie nach den verlorenen Schlachten des letzten Frühjahrsfeldzugs, dem Heere die unvermeidliche Nothwendigkeit des Geschehenen erwiesen hätte.
Schwarzenbergs Zug nach Paris.
lungen. Jetzt aber fühlten alle Mächte, auch Oeſterreich, daß das un- würdige Schauſpiel der zitternden Uebermacht ein Ende nehmen mußte. Es ſtand wirklich ſo wie Gneiſenau nachher dem alten Rüchel ſchrieb: „So zogen wir endlich nach Paris, nicht aus Ueberlegenheit der dafür ſprechenden Gründe, ſondern weil nichts Anderes übrig blieb und das Verhängniß die große Armee dahin ſtieß.“ Als der Czar in Sommepuis am 24. März aus einem Briefe Napoleons, den die Koſaken Blüchers auf- gefangen, die Abſichten des Feindes erfuhr, da forderte zuerſt Toll das Selbſtverſtändliche, das den Ueberklugen ſo lange unfaßbar geweſen: den Marſch auf Paris. Die Straße war nahezu offen. Vereinigt mit der nahen ſchleſiſchen Armee konnte man die ſchwachen Corps des Feindes, die noch im Wege ſtanden, leicht überwältigen; ein ſtarkes Reitercorps unter Wintzingerode ſollte zurückbleiben, um den Imperator, deſſen Name jetzt doch allmählich ſeinen alten Zauber verlor, über den Zug der großen Armee zu täuſchen. Alexander ſtimmte zu, er ſchmachtete nach Vergeltung für den Einzug in Moskau. Am ſelben Tage erklärten auch der König und Schwarzenberg in einem Kriegsrathe zu Vitry ihre Zuſtimmung.
Aufathmend empfing Blücher die entſcheidende Botſchaft: „nun heißt es nicht mehr blos bei uns, ſondern überall Vorwärts!“ Dort in Vitry erließen die Verbündeten auch eine öffentliche Erklärung, worin ſie die franzöſiſche Nation gradezu aufforderten, durch ihren freien Willen dem verderblichen Syſteme dieſes Kaiſerthums ein Ziel zu ſetzen; nur dann ſei der Frieden Europas geſichert. Die letzte Brücke war abgebrochen. Selbſt Kaiſer Franz hatte ſeinen Schwiegerſohn aufgegeben, er blieb in Burgund zurück um der Entthronung nicht perſönlich beiwohnen zu müſſen. So ging es denn endlich weſtwärts, quer über die unheimlichen Schlachtfelder des Februars, und noch einmal raſten über dieſe blut- gedüngten Gefilde alle Schrecken des Krieges, als die Diviſion Pacthod am 25. März bei La Fère Champenoiſe gleichzeitig von der ſchleſiſchen und der Hauptarmee ereilt wurde. Rettungslos verloren verſchmähte der tapfere franzöſiſche General die Capitulation, die ihm Friedrich Wilhelm an- bot; ſo blieb nichts übrig als eine grauſige Schlächterei. Schaudernd ſahen der König und ſein Sohn Wilhelm, wie die Kanonenkugeln durch den zuſammengekeilten Menſchenhaufen lange Furchen zogen und dann die Reiter mit der blanken Waffe hineinſchmetterten. Ihrer viertauſend ergaben ſich endlich, fünftauſend lagen todt am Boden. Es war ein Schauſpiel der Vernichtung, wie es in prahleriſchen Schlachtberichten oft geſchildert, ſelten wirklich erlebt wird; alte wetterfeſte Offiziere ſah man erbleichen, wenn auf dieſen Tag die Rede kam.
Wohl war es die höchſte Zeit, daß den verſtimmten Truppen endlich wieder die Zuverſicht des Gelingens kam. Heuer fand ſich kein Clauſewitz, der, wie nach den verlorenen Schlachten des letzten Frühjahrsfeldzugs, dem Heere die unvermeidliche Nothwendigkeit des Geſchehenen erwieſen hätte.
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Schwarzenbergs Zug nach Paris.
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würdige Schauſpiel der zitternden Uebermacht ein Ende nehmen mußte.
Es ſtand wirklich ſo wie Gneiſenau nachher dem alten Rüchel ſchrieb:
„So zogen wir endlich nach Paris, nicht aus Ueberlegenheit der dafür
ſprechenden Gründe, ſondern weil nichts Anderes übrig blieb und das
Verhängniß die große Armee dahin ſtieß.“ Als der Czar in Sommepuis
am 24. März aus einem Briefe Napoleons, den die Koſaken Blüchers auf-
gefangen, die Abſichten des Feindes erfuhr, da forderte zuerſt Toll das
Selbſtverſtändliche, das den Ueberklugen ſo lange unfaßbar geweſen: den
Marſch auf Paris. Die Straße war nahezu offen. Vereinigt mit der
nahen ſchleſiſchen Armee konnte man die ſchwachen Corps des Feindes,
die noch im Wege ſtanden, leicht überwältigen; ein ſtarkes Reitercorps
unter Wintzingerode ſollte zurückbleiben, um den Imperator, deſſen Name
jetzt doch allmählich ſeinen alten Zauber verlor, über den Zug der großen
Armee zu täuſchen. Alexander ſtimmte zu, er ſchmachtete nach Vergeltung
für den Einzug in Moskau. Am ſelben Tage erklärten auch der König
und Schwarzenberg in einem Kriegsrathe zu Vitry ihre Zuſtimmung.
Aufathmend empfing Blücher die entſcheidende Botſchaft: „nun heißt
es nicht mehr blos bei uns, ſondern überall Vorwärts!“ Dort in Vitry
erließen die Verbündeten auch eine öffentliche Erklärung, worin ſie die
franzöſiſche Nation gradezu aufforderten, durch ihren freien Willen dem
verderblichen Syſteme dieſes Kaiſerthums ein Ziel zu ſetzen; nur dann
ſei der Frieden Europas geſichert. Die letzte Brücke war abgebrochen.
Selbſt Kaiſer Franz hatte ſeinen Schwiegerſohn aufgegeben, er blieb in
Burgund zurück um der Entthronung nicht perſönlich beiwohnen zu
müſſen. So ging es denn endlich weſtwärts, quer über die unheimlichen
Schlachtfelder des Februars, und noch einmal raſten über dieſe blut-
gedüngten Gefilde alle Schrecken des Krieges, als die Diviſion Pacthod
am 25. März bei La Fère Champenoiſe gleichzeitig von der ſchleſiſchen
und der Hauptarmee ereilt wurde. Rettungslos verloren verſchmähte der
tapfere franzöſiſche General die Capitulation, die ihm Friedrich Wilhelm an-
bot; ſo blieb nichts übrig als eine grauſige Schlächterei. Schaudernd ſahen
der König und ſein Sohn Wilhelm, wie die Kanonenkugeln durch den
zuſammengekeilten Menſchenhaufen lange Furchen zogen und dann die
Reiter mit der blanken Waffe hineinſchmetterten. Ihrer viertauſend
ergaben ſich endlich, fünftauſend lagen todt am Boden. Es war ein
Schauſpiel der Vernichtung, wie es in prahleriſchen Schlachtberichten oft
geſchildert, ſelten wirklich erlebt wird; alte wetterfeſte Offiziere ſah man
erbleichen, wenn auf dieſen Tag die Rede kam.
Wohl war es die höchſte Zeit, daß den verſtimmten Truppen endlich
wieder die Zuverſicht des Gelingens kam. Heuer fand ſich kein Clauſewitz,
der, wie nach den verlorenen Schlachten des letzten Frühjahrsfeldzugs, dem
Heere die unvermeidliche Nothwendigkeit des Geſchehenen erwieſen hätte.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/565>, abgerufen am 25.11.2024.
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