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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
Maße wuchs Napoleons Starrsinn. Alsbald nach seinem ersten Erfolge
nahm er die an Caulaincourt ertheilte Vollmacht zurück und befahl dem
Gesandten, auf keine Forderung der Alliirten einzugehen. Mit meinen
Gefangenen, meinte er trotzig, pflege ich nicht zu unterhandeln. Die Coa-
lition schien der Auflösung nahe. Die hochmüthige Gönnermiene, welche
der Czar zur Schau trug, verletzte den österreichischen Stolz. Auch Har-
denberg gerieth in Unruhe, als er erfuhr, wie die Russen sich in Danzig
häuslich einrichteten und ihre preußischen Waffengefährten kaum in die
Stadt einlassen wollten. Nur ein großer Waffenerfolg konnte die ver-
stimmten Gemüther versöhnen. Schwarzenberg aber war auch jetzt, nach
der Wiedervereinigung mit Blücher, nicht gewillt seine offenbare Ueber-
macht zu brauchen; er gab den Gedanken einer Entscheidungsschlacht wieder
auf und befahl, sicherlich auf das Andringen der österreichischen Diplo-
maten, den Rückzug nach dem unglückseligen Plateau von Langres. Hefti-
ger denn je geriethen die beiden Parteien aneinander. Der König sagte
nach seiner ehrlichen Art dem Oberfeldherrn die härtesten Wahrheiten ins
Gesicht, der Czar stritt sich lebhaft mit den Lords Aberdeen und Cast-
lereagh.

Da kam Rettung durch die schlesischen Helden. Oberst Grolmann
stellte seinem Feldmarschall vor: angeschmiedet an den k. k. Kriegsrath
gelange man doch nimmermehr ans Ziel; wie nun, wenn die schlesische
Armee sich abermals von dem Hauptheere trennte, nochmals nordwärts
an die Marne marschirte, dort die Corps von Bülow und Wintzingerode,
die aus Belgien heranrückten, an sich zöge und also verstärkt gradeswegs
gegen Paris vorginge? Es war als ob Scharnhorst selber durch den
Mund seines feurigen Schülers redete; so einfach, groß und kühn erschien
der Plan. Blücher griff mit Freuden den glücklichen Gedanken auf,
schrieb sofort an den König und den Czaren, bat sie um Genehmigung
des Unternehmens. Am 25. Februar wurde zu Bar ein großer Kriegs-
rath gehalten und nach heftigem Streite der Antrag Blüchers angenom-
men. Jenes sonderbare Verhältniß, das im letzten Sommer nur that-
sächlich bestanden hatte, erhielt jetzt die amtliche Anerkennung: das kleine
schlesische Heer übernahm den Hauptstoß zu führen, die große Armee ver-
hielt sich abwartend! Der Ausgang des Feldzugs, schrieb Friedrich Wil-
helm seinem Feldmarschall, liegt von nun an zunächst in Ihrer Hand.

Während Blücher seelenfroh, ohne erst die Erlaubniß der Monarchen
abzuwarten seinen zweiten Marsch gegen Paris antrat, wiederholte sich
im großen Hauptquartiere tagaus tagein das alte Spiel. "Die Erbitte-
rung und das Mißtrauen Oesterreichs sind auf dem Gipfel" -- klagte
der Staatskanzler.*) Unaufhörlich ließ der Imperator die Oesterreicher
durch geheime Zuschriften bearbeiten, und Kaiser Franz ging auf diese

*) Hardenbergs Tagebuch, 27. Februar 1814.

I. 5. Ende der Kriegszeit.
Maße wuchs Napoleons Starrſinn. Alsbald nach ſeinem erſten Erfolge
nahm er die an Caulaincourt ertheilte Vollmacht zurück und befahl dem
Geſandten, auf keine Forderung der Alliirten einzugehen. Mit meinen
Gefangenen, meinte er trotzig, pflege ich nicht zu unterhandeln. Die Coa-
lition ſchien der Auflöſung nahe. Die hochmüthige Gönnermiene, welche
der Czar zur Schau trug, verletzte den öſterreichiſchen Stolz. Auch Har-
denberg gerieth in Unruhe, als er erfuhr, wie die Ruſſen ſich in Danzig
häuslich einrichteten und ihre preußiſchen Waffengefährten kaum in die
Stadt einlaſſen wollten. Nur ein großer Waffenerfolg konnte die ver-
ſtimmten Gemüther verſöhnen. Schwarzenberg aber war auch jetzt, nach
der Wiedervereinigung mit Blücher, nicht gewillt ſeine offenbare Ueber-
macht zu brauchen; er gab den Gedanken einer Entſcheidungsſchlacht wieder
auf und befahl, ſicherlich auf das Andringen der öſterreichiſchen Diplo-
maten, den Rückzug nach dem unglückſeligen Plateau von Langres. Hefti-
ger denn je geriethen die beiden Parteien aneinander. Der König ſagte
nach ſeiner ehrlichen Art dem Oberfeldherrn die härteſten Wahrheiten ins
Geſicht, der Czar ſtritt ſich lebhaft mit den Lords Aberdeen und Caſt-
lereagh.

Da kam Rettung durch die ſchleſiſchen Helden. Oberſt Grolmann
ſtellte ſeinem Feldmarſchall vor: angeſchmiedet an den k. k. Kriegsrath
gelange man doch nimmermehr ans Ziel; wie nun, wenn die ſchleſiſche
Armee ſich abermals von dem Hauptheere trennte, nochmals nordwärts
an die Marne marſchirte, dort die Corps von Bülow und Wintzingerode,
die aus Belgien heranrückten, an ſich zöge und alſo verſtärkt gradeswegs
gegen Paris vorginge? Es war als ob Scharnhorſt ſelber durch den
Mund ſeines feurigen Schülers redete; ſo einfach, groß und kühn erſchien
der Plan. Blücher griff mit Freuden den glücklichen Gedanken auf,
ſchrieb ſofort an den König und den Czaren, bat ſie um Genehmigung
des Unternehmens. Am 25. Februar wurde zu Bar ein großer Kriegs-
rath gehalten und nach heftigem Streite der Antrag Blüchers angenom-
men. Jenes ſonderbare Verhältniß, das im letzten Sommer nur that-
ſächlich beſtanden hatte, erhielt jetzt die amtliche Anerkennung: das kleine
ſchleſiſche Heer übernahm den Hauptſtoß zu führen, die große Armee ver-
hielt ſich abwartend! Der Ausgang des Feldzugs, ſchrieb Friedrich Wil-
helm ſeinem Feldmarſchall, liegt von nun an zunächſt in Ihrer Hand.

Während Blücher ſeelenfroh, ohne erſt die Erlaubniß der Monarchen
abzuwarten ſeinen zweiten Marſch gegen Paris antrat, wiederholte ſich
im großen Hauptquartiere tagaus tagein das alte Spiel. „Die Erbitte-
rung und das Mißtrauen Oeſterreichs ſind auf dem Gipfel“ — klagte
der Staatskanzler.*) Unaufhörlich ließ der Imperator die Oeſterreicher
durch geheime Zuſchriften bearbeiten, und Kaiſer Franz ging auf dieſe

*) Hardenbergs Tagebuch, 27. Februar 1814.
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[544/0560] I. 5. Ende der Kriegszeit. Maße wuchs Napoleons Starrſinn. Alsbald nach ſeinem erſten Erfolge nahm er die an Caulaincourt ertheilte Vollmacht zurück und befahl dem Geſandten, auf keine Forderung der Alliirten einzugehen. Mit meinen Gefangenen, meinte er trotzig, pflege ich nicht zu unterhandeln. Die Coa- lition ſchien der Auflöſung nahe. Die hochmüthige Gönnermiene, welche der Czar zur Schau trug, verletzte den öſterreichiſchen Stolz. Auch Har- denberg gerieth in Unruhe, als er erfuhr, wie die Ruſſen ſich in Danzig häuslich einrichteten und ihre preußiſchen Waffengefährten kaum in die Stadt einlaſſen wollten. Nur ein großer Waffenerfolg konnte die ver- ſtimmten Gemüther verſöhnen. Schwarzenberg aber war auch jetzt, nach der Wiedervereinigung mit Blücher, nicht gewillt ſeine offenbare Ueber- macht zu brauchen; er gab den Gedanken einer Entſcheidungsſchlacht wieder auf und befahl, ſicherlich auf das Andringen der öſterreichiſchen Diplo- maten, den Rückzug nach dem unglückſeligen Plateau von Langres. Hefti- ger denn je geriethen die beiden Parteien aneinander. Der König ſagte nach ſeiner ehrlichen Art dem Oberfeldherrn die härteſten Wahrheiten ins Geſicht, der Czar ſtritt ſich lebhaft mit den Lords Aberdeen und Caſt- lereagh. Da kam Rettung durch die ſchleſiſchen Helden. Oberſt Grolmann ſtellte ſeinem Feldmarſchall vor: angeſchmiedet an den k. k. Kriegsrath gelange man doch nimmermehr ans Ziel; wie nun, wenn die ſchleſiſche Armee ſich abermals von dem Hauptheere trennte, nochmals nordwärts an die Marne marſchirte, dort die Corps von Bülow und Wintzingerode, die aus Belgien heranrückten, an ſich zöge und alſo verſtärkt gradeswegs gegen Paris vorginge? Es war als ob Scharnhorſt ſelber durch den Mund ſeines feurigen Schülers redete; ſo einfach, groß und kühn erſchien der Plan. Blücher griff mit Freuden den glücklichen Gedanken auf, ſchrieb ſofort an den König und den Czaren, bat ſie um Genehmigung des Unternehmens. Am 25. Februar wurde zu Bar ein großer Kriegs- rath gehalten und nach heftigem Streite der Antrag Blüchers angenom- men. Jenes ſonderbare Verhältniß, das im letzten Sommer nur that- ſächlich beſtanden hatte, erhielt jetzt die amtliche Anerkennung: das kleine ſchleſiſche Heer übernahm den Hauptſtoß zu führen, die große Armee ver- hielt ſich abwartend! Der Ausgang des Feldzugs, ſchrieb Friedrich Wil- helm ſeinem Feldmarſchall, liegt von nun an zunächſt in Ihrer Hand. Während Blücher ſeelenfroh, ohne erſt die Erlaubniß der Monarchen abzuwarten ſeinen zweiten Marſch gegen Paris antrat, wiederholte ſich im großen Hauptquartiere tagaus tagein das alte Spiel. „Die Erbitte- rung und das Mißtrauen Oeſterreichs ſind auf dem Gipfel“ — klagte der Staatskanzler. *) Unaufhörlich ließ der Imperator die Oeſterreicher durch geheime Zuſchriften bearbeiten, und Kaiſer Franz ging auf dieſe *) Hardenbergs Tagebuch, 27. Februar 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/560>, abgerufen am 25.11.2024.