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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
vereinigte sich Blücher bei Mery an der Seine wieder mit der großen
Armee. Seine Soldaten erwarteten mit Zuversicht einen Tag wie den
von Leipzig, eine Hauptschlacht, die mit einem Schlage den Krieg beenden
mußte: stand man doch mit fast dreifacher Uebermacht dicht am Feinde,
150,000 Mann gegen 60,000.

Mittlerweile hatte die Diplomatie in Chatillon ihre Friedensverhand-
lungen eröffnet. Nur die Großmächte waren dort vertreten, denn mit
dem Untergange des Weltreiches kehrte die aristokratische Verfassung, welche
König Friedrich der Staatengesellschaft gegeben, sofort zurück. Die Ueber-
macht der europäischen Pentarchie ward täglich fühlbarer, die Staaten
zweiten und dritten Ranges bedeuteten weniger denn je, und es war
Hardenbergs Stolz, daß er seinen Staat wieder in die Reihe jener
leitenden Mächte eingeführt hatte. Die Verbündeten verlangten die
Grenzen von 1792, einige Berichtigungen vorbehalten, und stellten zu-
gleich die Bedingung, daß die Mächte der Coalition allein, ohne Zu-
ziehung Frankreichs, über die Vertheilung der von Napoleon und seinen
Bundesgenossen abgetretenen Gebiete entscheiden sollten. Auf diesem Satze
bestanden Preußen und Rußland entschieden; hart und demüthigend wie
er für Frankreich war legte er dem Besiegten doch nur eine Beschämung
auf, die von der tief empörten öffentlichen Meinung in Deutschland und
England stürmisch gefordert wurde. Hardenberg wünschte sogar Frankreich
gänzlich auszuschließen von dem allgemeinen Congresse, der nach Abschluß
des Friedens zur endgiltigen Feststellung der neuen Verhältnisse Europas
berufen werden sollte. Er täuschte sich nicht über den tödlichen Haß, den
die Franzosen ihrem kühnsten Feinde bewahrten, und sah voraus, daß
Frankreich im Vereine mit seinen alten Bundesgenossen auf dem Con-
gresse ein hochgefährliches Ränkespiel anzetteln würde. Auf eine so tiefe
Demüthigung des Gegners wollte jedoch Metternich nicht eingehen, und
nur nach lebhaftem Widerstreben schloß er sich mindestens der Forderung
an, daß die Vertheilung der Eroberungen den Alliirten ausschließlich zu-
stehen solle. Caulaincourt trat anfangs sehr versöhnlich auf, so lange
der Schrecken von La Rothiere noch nachwirkte. Einige Tage lang schien
Alles im besten Gange.

Gleich beim Beginne des Congresses von Chatillon benutzte England
die Geldverlegenheit seiner Bundesgenossen um einen Meisterstreich seiner
Handelspolitik zu vollführen. War irgend einer von Napoleons Plänen
berechtigt gewesen, so doch sicherlich sein Kampf für die Freiheit der
Meere. Jenes Gleichgewicht der Mächte, wornach die ermüdete Welt ver-
langte, war nicht gesichert, so lange ein einziger Staat auf allen Meeren
nach Willkür und Laune schaltete und der Seekrieg, zur Schande der
Menschheit, noch den Charakter des privilegirten Raubes trug. Preußen
und Rußland hatten seit dem Bunde der bewaffneten Neutralität alle-
zeit die Grundsätze eines menschlichen, dem Handel der Neutralen unbe-

I. 5. Ende der Kriegszeit.
vereinigte ſich Blücher bei Mery an der Seine wieder mit der großen
Armee. Seine Soldaten erwarteten mit Zuverſicht einen Tag wie den
von Leipzig, eine Hauptſchlacht, die mit einem Schlage den Krieg beenden
mußte: ſtand man doch mit faſt dreifacher Uebermacht dicht am Feinde,
150,000 Mann gegen 60,000.

Mittlerweile hatte die Diplomatie in Chatillon ihre Friedensverhand-
lungen eröffnet. Nur die Großmächte waren dort vertreten, denn mit
dem Untergange des Weltreiches kehrte die ariſtokratiſche Verfaſſung, welche
König Friedrich der Staatengeſellſchaft gegeben, ſofort zurück. Die Ueber-
macht der europäiſchen Pentarchie ward täglich fühlbarer, die Staaten
zweiten und dritten Ranges bedeuteten weniger denn je, und es war
Hardenbergs Stolz, daß er ſeinen Staat wieder in die Reihe jener
leitenden Mächte eingeführt hatte. Die Verbündeten verlangten die
Grenzen von 1792, einige Berichtigungen vorbehalten, und ſtellten zu-
gleich die Bedingung, daß die Mächte der Coalition allein, ohne Zu-
ziehung Frankreichs, über die Vertheilung der von Napoleon und ſeinen
Bundesgenoſſen abgetretenen Gebiete entſcheiden ſollten. Auf dieſem Satze
beſtanden Preußen und Rußland entſchieden; hart und demüthigend wie
er für Frankreich war legte er dem Beſiegten doch nur eine Beſchämung
auf, die von der tief empörten öffentlichen Meinung in Deutſchland und
England ſtürmiſch gefordert wurde. Hardenberg wünſchte ſogar Frankreich
gänzlich auszuſchließen von dem allgemeinen Congreſſe, der nach Abſchluß
des Friedens zur endgiltigen Feſtſtellung der neuen Verhältniſſe Europas
berufen werden ſollte. Er täuſchte ſich nicht über den tödlichen Haß, den
die Franzoſen ihrem kühnſten Feinde bewahrten, und ſah voraus, daß
Frankreich im Vereine mit ſeinen alten Bundesgenoſſen auf dem Con-
greſſe ein hochgefährliches Ränkeſpiel anzetteln würde. Auf eine ſo tiefe
Demüthigung des Gegners wollte jedoch Metternich nicht eingehen, und
nur nach lebhaftem Widerſtreben ſchloß er ſich mindeſtens der Forderung
an, daß die Vertheilung der Eroberungen den Alliirten ausſchließlich zu-
ſtehen ſolle. Caulaincourt trat anfangs ſehr verſöhnlich auf, ſo lange
der Schrecken von La Rothiere noch nachwirkte. Einige Tage lang ſchien
Alles im beſten Gange.

Gleich beim Beginne des Congreſſes von Chatillon benutzte England
die Geldverlegenheit ſeiner Bundesgenoſſen um einen Meiſterſtreich ſeiner
Handelspolitik zu vollführen. War irgend einer von Napoleons Plänen
berechtigt geweſen, ſo doch ſicherlich ſein Kampf für die Freiheit der
Meere. Jenes Gleichgewicht der Mächte, wornach die ermüdete Welt ver-
langte, war nicht geſichert, ſo lange ein einziger Staat auf allen Meeren
nach Willkür und Laune ſchaltete und der Seekrieg, zur Schande der
Menſchheit, noch den Charakter des privilegirten Raubes trug. Preußen
und Rußland hatten ſeit dem Bunde der bewaffneten Neutralität alle-
zeit die Grundſätze eines menſchlichen, dem Handel der Neutralen unbe-

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[542/0558] I. 5. Ende der Kriegszeit. vereinigte ſich Blücher bei Mery an der Seine wieder mit der großen Armee. Seine Soldaten erwarteten mit Zuverſicht einen Tag wie den von Leipzig, eine Hauptſchlacht, die mit einem Schlage den Krieg beenden mußte: ſtand man doch mit faſt dreifacher Uebermacht dicht am Feinde, 150,000 Mann gegen 60,000. Mittlerweile hatte die Diplomatie in Chatillon ihre Friedensverhand- lungen eröffnet. Nur die Großmächte waren dort vertreten, denn mit dem Untergange des Weltreiches kehrte die ariſtokratiſche Verfaſſung, welche König Friedrich der Staatengeſellſchaft gegeben, ſofort zurück. Die Ueber- macht der europäiſchen Pentarchie ward täglich fühlbarer, die Staaten zweiten und dritten Ranges bedeuteten weniger denn je, und es war Hardenbergs Stolz, daß er ſeinen Staat wieder in die Reihe jener leitenden Mächte eingeführt hatte. Die Verbündeten verlangten die Grenzen von 1792, einige Berichtigungen vorbehalten, und ſtellten zu- gleich die Bedingung, daß die Mächte der Coalition allein, ohne Zu- ziehung Frankreichs, über die Vertheilung der von Napoleon und ſeinen Bundesgenoſſen abgetretenen Gebiete entſcheiden ſollten. Auf dieſem Satze beſtanden Preußen und Rußland entſchieden; hart und demüthigend wie er für Frankreich war legte er dem Beſiegten doch nur eine Beſchämung auf, die von der tief empörten öffentlichen Meinung in Deutſchland und England ſtürmiſch gefordert wurde. Hardenberg wünſchte ſogar Frankreich gänzlich auszuſchließen von dem allgemeinen Congreſſe, der nach Abſchluß des Friedens zur endgiltigen Feſtſtellung der neuen Verhältniſſe Europas berufen werden ſollte. Er täuſchte ſich nicht über den tödlichen Haß, den die Franzoſen ihrem kühnſten Feinde bewahrten, und ſah voraus, daß Frankreich im Vereine mit ſeinen alten Bundesgenoſſen auf dem Con- greſſe ein hochgefährliches Ränkeſpiel anzetteln würde. Auf eine ſo tiefe Demüthigung des Gegners wollte jedoch Metternich nicht eingehen, und nur nach lebhaftem Widerſtreben ſchloß er ſich mindeſtens der Forderung an, daß die Vertheilung der Eroberungen den Alliirten ausſchließlich zu- ſtehen ſolle. Caulaincourt trat anfangs ſehr verſöhnlich auf, ſo lange der Schrecken von La Rothiere noch nachwirkte. Einige Tage lang ſchien Alles im beſten Gange. Gleich beim Beginne des Congreſſes von Chatillon benutzte England die Geldverlegenheit ſeiner Bundesgenoſſen um einen Meiſterſtreich ſeiner Handelspolitik zu vollführen. War irgend einer von Napoleons Plänen berechtigt geweſen, ſo doch ſicherlich ſein Kampf für die Freiheit der Meere. Jenes Gleichgewicht der Mächte, wornach die ermüdete Welt ver- langte, war nicht geſichert, ſo lange ein einziger Staat auf allen Meeren nach Willkür und Laune ſchaltete und der Seekrieg, zur Schande der Menſchheit, noch den Charakter des privilegirten Raubes trug. Preußen und Rußland hatten ſeit dem Bunde der bewaffneten Neutralität alle- zeit die Grundſätze eines menſchlichen, dem Handel der Neutralen unbe-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/558>, abgerufen am 23.07.2024.