von fern an die Unthaten der Franzosen in Deutschland heran; und während die napoleonischen Marschälle ihrer Mannschaft mit schmählichem Beispiele vorangingen, thaten die preußischen Offiziere und Freiwilligen das Menschenmögliche um die Roheit der Masse zu bändigen. Kein ein- ziger deutscher General, der nicht mit reinen Händen aus dem reichen Frankreich zurückkehrte.
Genug, bei der ersten Gunst des Kriegsglücks flammte der alte Na- tionalhaß wieder auf und die Friedenswünsche verflogen. Mit vollem Rechte fühlte Napoleon sich seines Thrones sicher. Von innen heraus drohte ihm keine Gefahr. Der Name der Bourbonen war überall ver- schollen, bis auf einige royalistische Gegenden des Südens und Westens; was über die Tage des Bastillensturmes hinauslag lebte nicht mehr im Gedächtniß dieses durch und durch modernen Volkes. Kam ja einmal die Rede auf das alte Königshaus, so dachte der Bauer grollend an den Druck der Zehnten und Frohnden. Bernadotte galt allgemein als ein elender Landesverräther, und wer sonst sollte noch die Erbschaft des Im- perators antreten? Wenn Napoleon die geschlagene schlesische Armee un- aufhaltsam verfolgte, so stand außer Zweifel, daß die große Armee den Rückzug zum Rheine antrat, und dann war ein glorreicher Friedensschluß dem Kaiserreiche sicher. Aber wie Schwarzenberg aus Furchtsamkeit die Früchte des Sieges von La Rothiere zu pflücken versäumt hatte, so unter- ließ jetzt Napoleon aus Uebermuth die Ausbeutung seiner Erfolge. Die schlesische Armee besteht nicht mehr -- rief er frohlockend; er meinte wieder näher an München als an Paris zu sein und vermaß sich bald nochmals die Weichsel zu erreichen. Von der sittlichen Widerstandskraft, die in Blüchers Hauptquartiere lebte, ahnte er noch immer nichts. Statt diese gefährlichsten Feinde bis zur Vernichtung zu bedrängen, warf er sein Heer plötzlich südwärts an die Seine, schlug einige vereinzelte Corps der großen Armee, zwang den Kronprinzen von Württemberg die steilen Ab- hänge des Seinethals bei Montereau zu verlassen und bewirkte in der That, daß der erschreckte Schwarzenberg mit seinem ungeheuren Heere an der Seine aufwärts zurückwich und an Blücher dringende Bitten um Hilfe sendete.
Der Alte aber und sein genialer Freund zeigten sich nie größer als in diesen Tagen der Noth. Freimüthig gestanden sie die begangenen Fehler ein und versprachen Alles wieder gut zu machen; sie wollten ver- gessen, daß Schwarzenberg durch seinen Marsch über die Seine den An- griff Napoleons auf die Schlesier verschuldet und ihnen auch nachher, als zwei Tage lang der Kanonendonner von Champaubert und Mont- mirail zu der großen Armee hinüberklang, jeden Beistand verweigert hatte. Sie dachten nur an den Sieg. Vier Tage nach dem Gefechte von Etoges stand ihr Heer wieder in guter Ordnung, begierig die Scharte auszuwetzen. In Eilmärschen ging es nun gen Süden, und schon am 21. Februar
Blüchers Marſch an die Seine.
von fern an die Unthaten der Franzoſen in Deutſchland heran; und während die napoleoniſchen Marſchälle ihrer Mannſchaft mit ſchmählichem Beiſpiele vorangingen, thaten die preußiſchen Offiziere und Freiwilligen das Menſchenmögliche um die Roheit der Maſſe zu bändigen. Kein ein- ziger deutſcher General, der nicht mit reinen Händen aus dem reichen Frankreich zurückkehrte.
Genug, bei der erſten Gunſt des Kriegsglücks flammte der alte Na- tionalhaß wieder auf und die Friedenswünſche verflogen. Mit vollem Rechte fühlte Napoleon ſich ſeines Thrones ſicher. Von innen heraus drohte ihm keine Gefahr. Der Name der Bourbonen war überall ver- ſchollen, bis auf einige royaliſtiſche Gegenden des Südens und Weſtens; was über die Tage des Baſtillenſturmes hinauslag lebte nicht mehr im Gedächtniß dieſes durch und durch modernen Volkes. Kam ja einmal die Rede auf das alte Königshaus, ſo dachte der Bauer grollend an den Druck der Zehnten und Frohnden. Bernadotte galt allgemein als ein elender Landesverräther, und wer ſonſt ſollte noch die Erbſchaft des Im- perators antreten? Wenn Napoleon die geſchlagene ſchleſiſche Armee un- aufhaltſam verfolgte, ſo ſtand außer Zweifel, daß die große Armee den Rückzug zum Rheine antrat, und dann war ein glorreicher Friedensſchluß dem Kaiſerreiche ſicher. Aber wie Schwarzenberg aus Furchtſamkeit die Früchte des Sieges von La Rothiere zu pflücken verſäumt hatte, ſo unter- ließ jetzt Napoleon aus Uebermuth die Ausbeutung ſeiner Erfolge. Die ſchleſiſche Armee beſteht nicht mehr — rief er frohlockend; er meinte wieder näher an München als an Paris zu ſein und vermaß ſich bald nochmals die Weichſel zu erreichen. Von der ſittlichen Widerſtandskraft, die in Blüchers Hauptquartiere lebte, ahnte er noch immer nichts. Statt dieſe gefährlichſten Feinde bis zur Vernichtung zu bedrängen, warf er ſein Heer plötzlich ſüdwärts an die Seine, ſchlug einige vereinzelte Corps der großen Armee, zwang den Kronprinzen von Württemberg die ſteilen Ab- hänge des Seinethals bei Montereau zu verlaſſen und bewirkte in der That, daß der erſchreckte Schwarzenberg mit ſeinem ungeheuren Heere an der Seine aufwärts zurückwich und an Blücher dringende Bitten um Hilfe ſendete.
Der Alte aber und ſein genialer Freund zeigten ſich nie größer als in dieſen Tagen der Noth. Freimüthig geſtanden ſie die begangenen Fehler ein und verſprachen Alles wieder gut zu machen; ſie wollten ver- geſſen, daß Schwarzenberg durch ſeinen Marſch über die Seine den An- griff Napoleons auf die Schleſier verſchuldet und ihnen auch nachher, als zwei Tage lang der Kanonendonner von Champaubert und Mont- mirail zu der großen Armee hinüberklang, jeden Beiſtand verweigert hatte. Sie dachten nur an den Sieg. Vier Tage nach dem Gefechte von Etoges ſtand ihr Heer wieder in guter Ordnung, begierig die Scharte auszuwetzen. In Eilmärſchen ging es nun gen Süden, und ſchon am 21. Februar
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[541/0557]
Blüchers Marſch an die Seine.
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Beiſpiele vorangingen, thaten die preußiſchen Offiziere und Freiwilligen
das Menſchenmögliche um die Roheit der Maſſe zu bändigen. Kein ein-
ziger deutſcher General, der nicht mit reinen Händen aus dem reichen
Frankreich zurückkehrte.
Genug, bei der erſten Gunſt des Kriegsglücks flammte der alte Na-
tionalhaß wieder auf und die Friedenswünſche verflogen. Mit vollem
Rechte fühlte Napoleon ſich ſeines Thrones ſicher. Von innen heraus
drohte ihm keine Gefahr. Der Name der Bourbonen war überall ver-
ſchollen, bis auf einige royaliſtiſche Gegenden des Südens und Weſtens;
was über die Tage des Baſtillenſturmes hinauslag lebte nicht mehr im
Gedächtniß dieſes durch und durch modernen Volkes. Kam ja einmal die
Rede auf das alte Königshaus, ſo dachte der Bauer grollend an den
Druck der Zehnten und Frohnden. Bernadotte galt allgemein als ein
elender Landesverräther, und wer ſonſt ſollte noch die Erbſchaft des Im-
perators antreten? Wenn Napoleon die geſchlagene ſchleſiſche Armee un-
aufhaltſam verfolgte, ſo ſtand außer Zweifel, daß die große Armee den
Rückzug zum Rheine antrat, und dann war ein glorreicher Friedensſchluß
dem Kaiſerreiche ſicher. Aber wie Schwarzenberg aus Furchtſamkeit die
Früchte des Sieges von La Rothiere zu pflücken verſäumt hatte, ſo unter-
ließ jetzt Napoleon aus Uebermuth die Ausbeutung ſeiner Erfolge. Die
ſchleſiſche Armee beſteht nicht mehr — rief er frohlockend; er meinte wieder
näher an München als an Paris zu ſein und vermaß ſich bald nochmals
die Weichſel zu erreichen. Von der ſittlichen Widerſtandskraft, die in
Blüchers Hauptquartiere lebte, ahnte er noch immer nichts. Statt dieſe
gefährlichſten Feinde bis zur Vernichtung zu bedrängen, warf er ſein
Heer plötzlich ſüdwärts an die Seine, ſchlug einige vereinzelte Corps der
großen Armee, zwang den Kronprinzen von Württemberg die ſteilen Ab-
hänge des Seinethals bei Montereau zu verlaſſen und bewirkte in der
That, daß der erſchreckte Schwarzenberg mit ſeinem ungeheuren Heere
an der Seine aufwärts zurückwich und an Blücher dringende Bitten um
Hilfe ſendete.
Der Alte aber und ſein genialer Freund zeigten ſich nie größer als
in dieſen Tagen der Noth. Freimüthig geſtanden ſie die begangenen
Fehler ein und verſprachen Alles wieder gut zu machen; ſie wollten ver-
geſſen, daß Schwarzenberg durch ſeinen Marſch über die Seine den An-
griff Napoleons auf die Schleſier verſchuldet und ihnen auch nachher,
als zwei Tage lang der Kanonendonner von Champaubert und Mont-
mirail zu der großen Armee hinüberklang, jeden Beiſtand verweigert hatte.
Sie dachten nur an den Sieg. Vier Tage nach dem Gefechte von Etoges
ſtand ihr Heer wieder in guter Ordnung, begierig die Scharte auszuwetzen.
In Eilmärſchen ging es nun gen Süden, und ſchon am 21. Februar
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/557>, abgerufen am 22.11.2024.
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