Die österreichischen Staatsmänner hatten sich in die Schande jener Jahre so gemächlich eingelebt, daß ihnen der Todfeind des alten Europas bereits als die Stütze der öffentlichen Ordnung, seine Besei- tigung als eine gefährliche revolutionäre Gewaltthat erschien. Derselbe Gentz, der vor neun Jahren vor der Anerkennung des napoleonischen Kaiserthums gewarnt hatte, schrieb nun in schlotternder Angst: gestatte man den Franzosen die Berufung eines anderen Herrschers, so werde "der Grundsatz anerkannt, den man in unseren Zeiten ohne Zittern kaum aussprechen kann, daß es von der Nation abhänge, ob sie den wirklich regierenden Souverän toleriren will oder nicht. Dies Princip der Volkssouveränität ist ganz eigentlich der Angel, um welchen alle re- volutionären Systeme sich drehen." Der Leidenschaftliche fand jetzt kaum Worte genug, um seine Verehrung für die stabile Friedenspolitik des Hauses Oesterreich, seinen Renegatenhaß gegen das unruhige Preußen, seine Angst vor Rußland auszusprechen. Als die "Exaltirten" des schle- sischen Hauptquartiers nachher den Zug gegen Paris durchsetzten, meinte er ingrimmig: dieser Marsch sei "im Grunde wohl nicht weniger gegen uns als gegen den Kaiser Napoleon gerichtet". Nur eine Hoffnung blieb seinem bekümmerten Herzen bei dem Vorwärtsstürmen der schlesischen Jacobiner: -- daß der Imperator baldigst Frieden schlösse. "Jeden an- deren Ausweg wird die mächtige Partei, die uns halb schon zum Weichen gebracht hat, nicht blos als einen Sieg über Napoleon, sondern als einen Sieg über uns feiern. Daß die Coalition, die nun ausgedient und mehr als ausgedient hat, zerfalle, macht mir wenig Kummer. Aber wie sie endigen wird, kann uns nicht gleichgiltig sein."
Einer solchen Gesinnung mußte freilich die französische Hauptstadt, die so dicht vor den Füßen des Eroberers lag, ganz uneinnehmbar erscheinen. Metternichs Gewandtheit brachte bald fast die sämmtlichen Diplomaten des Hauptquartiers auf seine Seite. Alle englischen Staats- männer, Castlereagh, Stewart, Cathcart, Aberdeen bewunderten die weise Mäßigung des österreichischen Staatsmannes, wenn er, der bald nachher das Banner des Interventionsprincips erheben sollte, jetzt dem Czaren beweglich vorhielt: die Ehrfurcht, die man allen rein nationalen Ange- legenheiten schulde, verbiete die Entthronung Napoleons. Aberdeen fand es gradezu unwürdig hinauszugehen über die Frankfurter Bedingungen, welche Napoleon doch selbst verworfen hatte. Mehr und mehr befestigte sich das englische Cabinet in dem Glauben, die Demüthigung Rußlands sei die nächste Aufgabe der britischen Politik. Metternich aber verstand, den Verzicht auf Belgien, der in der Hofburg von Haus aus beschlossene Sache war, geschickt so darzustellen, als ob Oesterreich dem theueren eng- lischen Freunde ein schweres Opfer brächte, und gewann sich dadurch das volle Vertrauen der Briten. Wie hätten solche Köpfe vollends die Biedermannsmaske des guten Kaisers Franz durchschauen sollen? Ganz
Das Hauptquartier in Langres.
Die öſterreichiſchen Staatsmänner hatten ſich in die Schande jener Jahre ſo gemächlich eingelebt, daß ihnen der Todfeind des alten Europas bereits als die Stütze der öffentlichen Ordnung, ſeine Beſei- tigung als eine gefährliche revolutionäre Gewaltthat erſchien. Derſelbe Gentz, der vor neun Jahren vor der Anerkennung des napoleoniſchen Kaiſerthums gewarnt hatte, ſchrieb nun in ſchlotternder Angſt: geſtatte man den Franzoſen die Berufung eines anderen Herrſchers, ſo werde „der Grundſatz anerkannt, den man in unſeren Zeiten ohne Zittern kaum ausſprechen kann, daß es von der Nation abhänge, ob ſie den wirklich regierenden Souverän toleriren will oder nicht. Dies Princip der Volksſouveränität iſt ganz eigentlich der Angel, um welchen alle re- volutionären Syſteme ſich drehen.“ Der Leidenſchaftliche fand jetzt kaum Worte genug, um ſeine Verehrung für die ſtabile Friedenspolitik des Hauſes Oeſterreich, ſeinen Renegatenhaß gegen das unruhige Preußen, ſeine Angſt vor Rußland auszuſprechen. Als die „Exaltirten“ des ſchle- ſiſchen Hauptquartiers nachher den Zug gegen Paris durchſetzten, meinte er ingrimmig: dieſer Marſch ſei „im Grunde wohl nicht weniger gegen uns als gegen den Kaiſer Napoleon gerichtet“. Nur eine Hoffnung blieb ſeinem bekümmerten Herzen bei dem Vorwärtsſtürmen der ſchleſiſchen Jacobiner: — daß der Imperator baldigſt Frieden ſchlöſſe. „Jeden an- deren Ausweg wird die mächtige Partei, die uns halb ſchon zum Weichen gebracht hat, nicht blos als einen Sieg über Napoleon, ſondern als einen Sieg über uns feiern. Daß die Coalition, die nun ausgedient und mehr als ausgedient hat, zerfalle, macht mir wenig Kummer. Aber wie ſie endigen wird, kann uns nicht gleichgiltig ſein.“
Einer ſolchen Geſinnung mußte freilich die franzöſiſche Hauptſtadt, die ſo dicht vor den Füßen des Eroberers lag, ganz uneinnehmbar erſcheinen. Metternichs Gewandtheit brachte bald faſt die ſämmtlichen Diplomaten des Hauptquartiers auf ſeine Seite. Alle engliſchen Staats- männer, Caſtlereagh, Stewart, Cathcart, Aberdeen bewunderten die weiſe Mäßigung des öſterreichiſchen Staatsmannes, wenn er, der bald nachher das Banner des Interventionsprincips erheben ſollte, jetzt dem Czaren beweglich vorhielt: die Ehrfurcht, die man allen rein nationalen Ange- legenheiten ſchulde, verbiete die Entthronung Napoleons. Aberdeen fand es gradezu unwürdig hinauszugehen über die Frankfurter Bedingungen, welche Napoleon doch ſelbſt verworfen hatte. Mehr und mehr befeſtigte ſich das engliſche Cabinet in dem Glauben, die Demüthigung Rußlands ſei die nächſte Aufgabe der britiſchen Politik. Metternich aber verſtand, den Verzicht auf Belgien, der in der Hofburg von Haus aus beſchloſſene Sache war, geſchickt ſo darzuſtellen, als ob Oeſterreich dem theueren eng- liſchen Freunde ein ſchweres Opfer brächte, und gewann ſich dadurch das volle Vertrauen der Briten. Wie hätten ſolche Köpfe vollends die Biedermannsmaske des guten Kaiſers Franz durchſchauen ſollen? Ganz
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Das Hauptquartier in Langres.
Die öſterreichiſchen Staatsmänner hatten ſich in die Schande jener
Jahre ſo gemächlich eingelebt, daß ihnen der Todfeind des alten
Europas bereits als die Stütze der öffentlichen Ordnung, ſeine Beſei-
tigung als eine gefährliche revolutionäre Gewaltthat erſchien. Derſelbe
Gentz, der vor neun Jahren vor der Anerkennung des napoleoniſchen
Kaiſerthums gewarnt hatte, ſchrieb nun in ſchlotternder Angſt: geſtatte
man den Franzoſen die Berufung eines anderen Herrſchers, ſo werde
„der Grundſatz anerkannt, den man in unſeren Zeiten ohne Zittern
kaum ausſprechen kann, daß es von der Nation abhänge, ob ſie den
wirklich regierenden Souverän toleriren will oder nicht. Dies Princip
der Volksſouveränität iſt ganz eigentlich der Angel, um welchen alle re-
volutionären Syſteme ſich drehen.“ Der Leidenſchaftliche fand jetzt kaum
Worte genug, um ſeine Verehrung für die ſtabile Friedenspolitik des
Hauſes Oeſterreich, ſeinen Renegatenhaß gegen das unruhige Preußen,
ſeine Angſt vor Rußland auszuſprechen. Als die „Exaltirten“ des ſchle-
ſiſchen Hauptquartiers nachher den Zug gegen Paris durchſetzten, meinte
er ingrimmig: dieſer Marſch ſei „im Grunde wohl nicht weniger gegen
uns als gegen den Kaiſer Napoleon gerichtet“. Nur eine Hoffnung blieb
ſeinem bekümmerten Herzen bei dem Vorwärtsſtürmen der ſchleſiſchen
Jacobiner: — daß der Imperator baldigſt Frieden ſchlöſſe. „Jeden an-
deren Ausweg wird die mächtige Partei, die uns halb ſchon zum Weichen
gebracht hat, nicht blos als einen Sieg über Napoleon, ſondern als einen
Sieg über uns feiern. Daß die Coalition, die nun ausgedient und mehr
als ausgedient hat, zerfalle, macht mir wenig Kummer. Aber wie ſie
endigen wird, kann uns nicht gleichgiltig ſein.“
Einer ſolchen Geſinnung mußte freilich die franzöſiſche Hauptſtadt,
die ſo dicht vor den Füßen des Eroberers lag, ganz uneinnehmbar
erſcheinen. Metternichs Gewandtheit brachte bald faſt die ſämmtlichen
Diplomaten des Hauptquartiers auf ſeine Seite. Alle engliſchen Staats-
männer, Caſtlereagh, Stewart, Cathcart, Aberdeen bewunderten die weiſe
Mäßigung des öſterreichiſchen Staatsmannes, wenn er, der bald nachher
das Banner des Interventionsprincips erheben ſollte, jetzt dem Czaren
beweglich vorhielt: die Ehrfurcht, die man allen rein nationalen Ange-
legenheiten ſchulde, verbiete die Entthronung Napoleons. Aberdeen fand
es gradezu unwürdig hinauszugehen über die Frankfurter Bedingungen,
welche Napoleon doch ſelbſt verworfen hatte. Mehr und mehr befeſtigte
ſich das engliſche Cabinet in dem Glauben, die Demüthigung Rußlands ſei
die nächſte Aufgabe der britiſchen Politik. Metternich aber verſtand, den
Verzicht auf Belgien, der in der Hofburg von Haus aus beſchloſſene
Sache war, geſchickt ſo darzuſtellen, als ob Oeſterreich dem theueren eng-
liſchen Freunde ein ſchweres Opfer brächte, und gewann ſich dadurch
das volle Vertrauen der Briten. Wie hätten ſolche Köpfe vollends die
Biedermannsmaske des guten Kaiſers Franz durchſchauen ſollen? Ganz
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/551>, abgerufen am 22.11.2024.
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