Gefangennahme Friedrich Augusts begrüßte Hardenberg triumphirend seinen königlichen Herrn als König von Sachsen und Großherzog von Posen.
Durch die Eroberung Sachsens war die naturgemäße Entschädigung für Preußen gefunden. Der preußische Staat erhielt durch diese Erwer- bung das Mittel sich mit Rußland über die polnische Frage ganz zu verständigen; er gewann eine wohlgesicherte Südgrenze, die um so unent- behrlicher schien, da sein Gebiet gegen Osten hin offen blieb, und eine deutsche Provinz, die durch Stammesart und Bildung, durch das kirch- liche Bekenntniß wie durch die Interessen des Verkehres mit den nordi- schen Nachbarlanden eng verbunden war. Für das Gedeihen des künf- tigen deutschen Bundes war die Entfernung eines Fürstenhauses, das fast in allen Krisen unserer neueren Geschichte schwer an dem großen Vater- lande gefrevelt hatte, ein unzweifelhafter Segen. Da man leider nicht alle Könige von Napoleons Gnaden nach Verdienst behandeln konnte, so blieb es doch nothwendig mindestens an einem Rheinbundsfürsten eine wohlthätige Züchtigung zu vollstrecken; wie heilsam ein solches Beispiel auf die Gemüther des deutschen hohen Adels wirken mußte, ist durch die Erfahrungen des Jahres 1866 überzeugend erwiesen. Aber alle die guten Gründe, welche der preußisch-deutschen Politik die Einverleibung Sachsens empfahlen, konnten dem Wiener Hofe nur als dringende Warnungen erscheinen.
Der Gegensatz der Interessen der beiden Großmächte trat gerade in der sächsischen Frage mit so schneidender Schärfe hervor, daß nur Har- denbergs Vertrauensseligkeit sich darüber zu täuschen vermochte. Gneisenaus Scharfsinn war über die einfache Wahrheit keinen Augenblick zweifelhaft. Die Hofburg mußte wünschen die norddeutsche Großmacht möglichst weit in den Osten zu schieben. Sie durfte nicht dem Staate, der schon durch die vorspringende Gebirgsfeste der Grafschaft Glatz das östliche Böhmen bedrohte, auch noch die Pässe des Erzgebirges ausliefern; sie konnte noch weniger ein katholisches, dem kaiserlichen Hofe nahe verwandtes Fürsten- haus preisgeben, das von jeher ein brauchbares Werkzeug gegen Preußen gewesen. Und wie sollte sie die Entthronung eines napoleonischen Sa- trapen billigen, da sie sich ja aus den Mittelstaaten eine ergebene öster- reichische Partei bilden wollte? Am 29. October schrieb Gentz schwer be- sorgt an Metternich: "die täglich mehr ans Licht tretenden ländersüchtigen Projecte der Preußen werden uns dereinst mehr zu schaffen machen als die Hauptverhandlung mit Napoleon selbst." Radetzky aber sagte zu Frankfurt in einer vertraulichen Denkschrift: es sei dringend zu wünschen, daß die Preußen, "wie sie sich jetzt zeigen," beim einstigen Frieden mög- lichst wenig Truppen übrig behielten.
Noch schien es nicht an der Zeit, solche Gesinnungen offen auszu- sprechen. Zu laut erklang noch selbst im sächsischen Volke der allgemeine Unwille wider die Sünden des albertinischen Hofes; sogar der Welfe
Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 34
Preußens Gebietsforderungen.
Gefangennahme Friedrich Auguſts begrüßte Hardenberg triumphirend ſeinen königlichen Herrn als König von Sachſen und Großherzog von Poſen.
Durch die Eroberung Sachſens war die naturgemäße Entſchädigung für Preußen gefunden. Der preußiſche Staat erhielt durch dieſe Erwer- bung das Mittel ſich mit Rußland über die polniſche Frage ganz zu verſtändigen; er gewann eine wohlgeſicherte Südgrenze, die um ſo unent- behrlicher ſchien, da ſein Gebiet gegen Oſten hin offen blieb, und eine deutſche Provinz, die durch Stammesart und Bildung, durch das kirch- liche Bekenntniß wie durch die Intereſſen des Verkehres mit den nordi- ſchen Nachbarlanden eng verbunden war. Für das Gedeihen des künf- tigen deutſchen Bundes war die Entfernung eines Fürſtenhauſes, das faſt in allen Kriſen unſerer neueren Geſchichte ſchwer an dem großen Vater- lande gefrevelt hatte, ein unzweifelhafter Segen. Da man leider nicht alle Könige von Napoleons Gnaden nach Verdienſt behandeln konnte, ſo blieb es doch nothwendig mindeſtens an einem Rheinbundsfürſten eine wohlthätige Züchtigung zu vollſtrecken; wie heilſam ein ſolches Beiſpiel auf die Gemüther des deutſchen hohen Adels wirken mußte, iſt durch die Erfahrungen des Jahres 1866 überzeugend erwieſen. Aber alle die guten Gründe, welche der preußiſch-deutſchen Politik die Einverleibung Sachſens empfahlen, konnten dem Wiener Hofe nur als dringende Warnungen erſcheinen.
Der Gegenſatz der Intereſſen der beiden Großmächte trat gerade in der ſächſiſchen Frage mit ſo ſchneidender Schärfe hervor, daß nur Har- denbergs Vertrauensſeligkeit ſich darüber zu täuſchen vermochte. Gneiſenaus Scharfſinn war über die einfache Wahrheit keinen Augenblick zweifelhaft. Die Hofburg mußte wünſchen die norddeutſche Großmacht möglichſt weit in den Oſten zu ſchieben. Sie durfte nicht dem Staate, der ſchon durch die vorſpringende Gebirgsfeſte der Grafſchaft Glatz das öſtliche Böhmen bedrohte, auch noch die Päſſe des Erzgebirges ausliefern; ſie konnte noch weniger ein katholiſches, dem kaiſerlichen Hofe nahe verwandtes Fürſten- haus preisgeben, das von jeher ein brauchbares Werkzeug gegen Preußen geweſen. Und wie ſollte ſie die Entthronung eines napoleoniſchen Sa- trapen billigen, da ſie ſich ja aus den Mittelſtaaten eine ergebene öſter- reichiſche Partei bilden wollte? Am 29. October ſchrieb Gentz ſchwer be- ſorgt an Metternich: „die täglich mehr ans Licht tretenden länderſüchtigen Projecte der Preußen werden uns dereinſt mehr zu ſchaffen machen als die Hauptverhandlung mit Napoleon ſelbſt.“ Radetzky aber ſagte zu Frankfurt in einer vertraulichen Denkſchrift: es ſei dringend zu wünſchen, daß die Preußen, „wie ſie ſich jetzt zeigen,“ beim einſtigen Frieden mög- lichſt wenig Truppen übrig behielten.
Noch ſchien es nicht an der Zeit, ſolche Geſinnungen offen auszu- ſprechen. Zu laut erklang noch ſelbſt im ſächſiſchen Volke der allgemeine Unwille wider die Sünden des albertiniſchen Hofes; ſogar der Welfe
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 34
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Preußens Gebietsforderungen.
Gefangennahme Friedrich Auguſts begrüßte Hardenberg triumphirend ſeinen
königlichen Herrn als König von Sachſen und Großherzog von Poſen.
Durch die Eroberung Sachſens war die naturgemäße Entſchädigung
für Preußen gefunden. Der preußiſche Staat erhielt durch dieſe Erwer-
bung das Mittel ſich mit Rußland über die polniſche Frage ganz zu
verſtändigen; er gewann eine wohlgeſicherte Südgrenze, die um ſo unent-
behrlicher ſchien, da ſein Gebiet gegen Oſten hin offen blieb, und eine
deutſche Provinz, die durch Stammesart und Bildung, durch das kirch-
liche Bekenntniß wie durch die Intereſſen des Verkehres mit den nordi-
ſchen Nachbarlanden eng verbunden war. Für das Gedeihen des künf-
tigen deutſchen Bundes war die Entfernung eines Fürſtenhauſes, das faſt
in allen Kriſen unſerer neueren Geſchichte ſchwer an dem großen Vater-
lande gefrevelt hatte, ein unzweifelhafter Segen. Da man leider nicht
alle Könige von Napoleons Gnaden nach Verdienſt behandeln konnte, ſo
blieb es doch nothwendig mindeſtens an einem Rheinbundsfürſten eine
wohlthätige Züchtigung zu vollſtrecken; wie heilſam ein ſolches Beiſpiel
auf die Gemüther des deutſchen hohen Adels wirken mußte, iſt durch die
Erfahrungen des Jahres 1866 überzeugend erwieſen. Aber alle die guten
Gründe, welche der preußiſch-deutſchen Politik die Einverleibung Sachſens
empfahlen, konnten dem Wiener Hofe nur als dringende Warnungen
erſcheinen.
Der Gegenſatz der Intereſſen der beiden Großmächte trat gerade in
der ſächſiſchen Frage mit ſo ſchneidender Schärfe hervor, daß nur Har-
denbergs Vertrauensſeligkeit ſich darüber zu täuſchen vermochte. Gneiſenaus
Scharfſinn war über die einfache Wahrheit keinen Augenblick zweifelhaft.
Die Hofburg mußte wünſchen die norddeutſche Großmacht möglichſt weit
in den Oſten zu ſchieben. Sie durfte nicht dem Staate, der ſchon durch
die vorſpringende Gebirgsfeſte der Grafſchaft Glatz das öſtliche Böhmen
bedrohte, auch noch die Päſſe des Erzgebirges ausliefern; ſie konnte noch
weniger ein katholiſches, dem kaiſerlichen Hofe nahe verwandtes Fürſten-
haus preisgeben, das von jeher ein brauchbares Werkzeug gegen Preußen
geweſen. Und wie ſollte ſie die Entthronung eines napoleoniſchen Sa-
trapen billigen, da ſie ſich ja aus den Mittelſtaaten eine ergebene öſter-
reichiſche Partei bilden wollte? Am 29. October ſchrieb Gentz ſchwer be-
ſorgt an Metternich: „die täglich mehr ans Licht tretenden länderſüchtigen
Projecte der Preußen werden uns dereinſt mehr zu ſchaffen machen als
die Hauptverhandlung mit Napoleon ſelbſt.“ Radetzky aber ſagte zu
Frankfurt in einer vertraulichen Denkſchrift: es ſei dringend zu wünſchen,
daß die Preußen, „wie ſie ſich jetzt zeigen,“ beim einſtigen Frieden mög-
lichſt wenig Truppen übrig behielten.
Noch ſchien es nicht an der Zeit, ſolche Geſinnungen offen auszu-
ſprechen. Zu laut erklang noch ſelbſt im ſächſiſchen Volke der allgemeine
Unwille wider die Sünden des albertiniſchen Hofes; ſogar der Welfe
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 34
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/545>, abgerufen am 25.11.2024.
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