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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
Erbprinzen von Oranien mit der Erbin der englischen Krone diesen Bund
noch fester zu begründen. Die Angst vor dem jacobinischen Geiste des
preußischen Heeres bestärkte das Tory-Cabinet in solchen Anschauungen:
diese "exaltirte" kriegerische Macht mußte um des Friedens willen durch
einen friedfertigen Handelsstaat von dem unruhigen Frankreich abgetrennt
werden.

So geschah es, daß die englischen Staatsmänner die Herstellung der
Vereinigten Niederlande rührig wie eine britische Angelegenheit betrieben;
sie zeigten noch mehr Eifer dafür als für die Vergrößerung des hanno-
verschen Welfenreichs. Schon seit dem Frühjahr 1813 stand das Lon-
doner Cabinet mit dem Prinzen von Oranien in Verbindung und suchte
die europäischen Höfe von der Nothwendigkeit des oranischen Gesammt-
staates zu überzeugen. In der diplomatischen Welt galt das neue König-
reich so gänzlich als eine britische Schöpfung, daß man von jedem Land-
striche, der an die Niederlande kam, kurzab zu sagen pflegte: "dies Gebiet
wird englisch." Ein gewandter Kaufmann pflegt, wenn er den Käufer
um die Hälfte des Preises übervortheilt, heilig zu betheuern, daß er nur
aus persönlicher Verehrung für den Kunden den Handel schließe. So
hat auch die englische Handelspolitik immer verstanden, ihre Absichten
hinter großen Worten von Freiheit und Gleichgewicht zu verbergen. Sie
wollte ihrem niederländischen Schützling die Hälfte seiner Colonien vor-
enthalten; Lord Castlereagh aber erklärte stolz, sein Staat sei hochherzig
bereit einen Theil seiner Eroberungen herauszugeben, er könne jedoch dies
Opfer nur bringen, wenn die Niederlande auf dem Festlande vergrößert
und also in den Stand gesetzt würden, den zurückgewonnenen Theil ihres
Colonialreiches gegen Frankreich zu vertheidigen. England beraubte die
Niederlande jenes überseeischen Besitzes, worauf ihre alte Machtstellung
beruht hatte, und beanspruchte dann noch den Dank Europas für seine
Großmuth. Das neue niederländische Reich war an arrangement for an
European object;
nur um die Rheinlande vor Frankreich zu sichern,
sollte Deutschland wieder einige seiner alten Reichslande verlieren. Zu-
gleich wurde mit begeisterten Worten der Heldenmuth der Holländer ge-
priesen; Europa war verpflichtet den noble elan dieses Volkes zu be-
lohnen. Das englische Märchen ward mit solcher ausdauernden Ernst-
haftigkeit wiederholt, daß man im Großen Hauptquartier schließlich daran
glaubte und die Phrase von "Hollands Verdiensten um Europa" in das
Wörterbuch der Diplomatie aufnahm.

Durch Bülows Siegeszug kam der preußische Hof zum ersten male
während dieses Krieges in die günstige Lage zu bieten, nicht blos zu
bitten; er konnte jetzt dem englischen Cabinet erklären, über diese durch
Preußen mit eroberten Lande dürfe erst verfügt werden, wenn England
eine bindende Zusage für die Einverleibung Sachsens gäbe. Aber dieser
Gedanke kam gar nicht zur Sprache, da das preußische Cabinet selber

I. 5. Ende der Kriegszeit.
Erbprinzen von Oranien mit der Erbin der engliſchen Krone dieſen Bund
noch feſter zu begründen. Die Angſt vor dem jacobiniſchen Geiſte des
preußiſchen Heeres beſtärkte das Tory-Cabinet in ſolchen Anſchauungen:
dieſe „exaltirte“ kriegeriſche Macht mußte um des Friedens willen durch
einen friedfertigen Handelsſtaat von dem unruhigen Frankreich abgetrennt
werden.

So geſchah es, daß die engliſchen Staatsmänner die Herſtellung der
Vereinigten Niederlande rührig wie eine britiſche Angelegenheit betrieben;
ſie zeigten noch mehr Eifer dafür als für die Vergrößerung des hanno-
verſchen Welfenreichs. Schon ſeit dem Frühjahr 1813 ſtand das Lon-
doner Cabinet mit dem Prinzen von Oranien in Verbindung und ſuchte
die europäiſchen Höfe von der Nothwendigkeit des oraniſchen Geſammt-
ſtaates zu überzeugen. In der diplomatiſchen Welt galt das neue König-
reich ſo gänzlich als eine britiſche Schöpfung, daß man von jedem Land-
ſtriche, der an die Niederlande kam, kurzab zu ſagen pflegte: „dies Gebiet
wird engliſch.“ Ein gewandter Kaufmann pflegt, wenn er den Käufer
um die Hälfte des Preiſes übervortheilt, heilig zu betheuern, daß er nur
aus perſönlicher Verehrung für den Kunden den Handel ſchließe. So
hat auch die engliſche Handelspolitik immer verſtanden, ihre Abſichten
hinter großen Worten von Freiheit und Gleichgewicht zu verbergen. Sie
wollte ihrem niederländiſchen Schützling die Hälfte ſeiner Colonien vor-
enthalten; Lord Caſtlereagh aber erklärte ſtolz, ſein Staat ſei hochherzig
bereit einen Theil ſeiner Eroberungen herauszugeben, er könne jedoch dies
Opfer nur bringen, wenn die Niederlande auf dem Feſtlande vergrößert
und alſo in den Stand geſetzt würden, den zurückgewonnenen Theil ihres
Colonialreiches gegen Frankreich zu vertheidigen. England beraubte die
Niederlande jenes überſeeiſchen Beſitzes, worauf ihre alte Machtſtellung
beruht hatte, und beanſpruchte dann noch den Dank Europas für ſeine
Großmuth. Das neue niederländiſche Reich war an arrangement for an
European object;
nur um die Rheinlande vor Frankreich zu ſichern,
ſollte Deutſchland wieder einige ſeiner alten Reichslande verlieren. Zu-
gleich wurde mit begeiſterten Worten der Heldenmuth der Holländer ge-
prieſen; Europa war verpflichtet den noble élan dieſes Volkes zu be-
lohnen. Das engliſche Märchen ward mit ſolcher ausdauernden Ernſt-
haftigkeit wiederholt, daß man im Großen Hauptquartier ſchließlich daran
glaubte und die Phraſe von „Hollands Verdienſten um Europa“ in das
Wörterbuch der Diplomatie aufnahm.

Durch Bülows Siegeszug kam der preußiſche Hof zum erſten male
während dieſes Krieges in die günſtige Lage zu bieten, nicht blos zu
bitten; er konnte jetzt dem engliſchen Cabinet erklären, über dieſe durch
Preußen mit eroberten Lande dürfe erſt verfügt werden, wenn England
eine bindende Zuſage für die Einverleibung Sachſens gäbe. Aber dieſer
Gedanke kam gar nicht zur Sprache, da das preußiſche Cabinet ſelber

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[526/0542] I. 5. Ende der Kriegszeit. Erbprinzen von Oranien mit der Erbin der engliſchen Krone dieſen Bund noch feſter zu begründen. Die Angſt vor dem jacobiniſchen Geiſte des preußiſchen Heeres beſtärkte das Tory-Cabinet in ſolchen Anſchauungen: dieſe „exaltirte“ kriegeriſche Macht mußte um des Friedens willen durch einen friedfertigen Handelsſtaat von dem unruhigen Frankreich abgetrennt werden. So geſchah es, daß die engliſchen Staatsmänner die Herſtellung der Vereinigten Niederlande rührig wie eine britiſche Angelegenheit betrieben; ſie zeigten noch mehr Eifer dafür als für die Vergrößerung des hanno- verſchen Welfenreichs. Schon ſeit dem Frühjahr 1813 ſtand das Lon- doner Cabinet mit dem Prinzen von Oranien in Verbindung und ſuchte die europäiſchen Höfe von der Nothwendigkeit des oraniſchen Geſammt- ſtaates zu überzeugen. In der diplomatiſchen Welt galt das neue König- reich ſo gänzlich als eine britiſche Schöpfung, daß man von jedem Land- ſtriche, der an die Niederlande kam, kurzab zu ſagen pflegte: „dies Gebiet wird engliſch.“ Ein gewandter Kaufmann pflegt, wenn er den Käufer um die Hälfte des Preiſes übervortheilt, heilig zu betheuern, daß er nur aus perſönlicher Verehrung für den Kunden den Handel ſchließe. So hat auch die engliſche Handelspolitik immer verſtanden, ihre Abſichten hinter großen Worten von Freiheit und Gleichgewicht zu verbergen. Sie wollte ihrem niederländiſchen Schützling die Hälfte ſeiner Colonien vor- enthalten; Lord Caſtlereagh aber erklärte ſtolz, ſein Staat ſei hochherzig bereit einen Theil ſeiner Eroberungen herauszugeben, er könne jedoch dies Opfer nur bringen, wenn die Niederlande auf dem Feſtlande vergrößert und alſo in den Stand geſetzt würden, den zurückgewonnenen Theil ihres Colonialreiches gegen Frankreich zu vertheidigen. England beraubte die Niederlande jenes überſeeiſchen Beſitzes, worauf ihre alte Machtſtellung beruht hatte, und beanſpruchte dann noch den Dank Europas für ſeine Großmuth. Das neue niederländiſche Reich war an arrangement for an European object; nur um die Rheinlande vor Frankreich zu ſichern, ſollte Deutſchland wieder einige ſeiner alten Reichslande verlieren. Zu- gleich wurde mit begeiſterten Worten der Heldenmuth der Holländer ge- prieſen; Europa war verpflichtet den noble élan dieſes Volkes zu be- lohnen. Das engliſche Märchen ward mit ſolcher ausdauernden Ernſt- haftigkeit wiederholt, daß man im Großen Hauptquartier ſchließlich daran glaubte und die Phraſe von „Hollands Verdienſten um Europa“ in das Wörterbuch der Diplomatie aufnahm. Durch Bülows Siegeszug kam der preußiſche Hof zum erſten male während dieſes Krieges in die günſtige Lage zu bieten, nicht blos zu bitten; er konnte jetzt dem engliſchen Cabinet erklären, über dieſe durch Preußen mit eroberten Lande dürfe erſt verfügt werden, wenn England eine bindende Zuſage für die Einverleibung Sachſens gäbe. Aber dieſer Gedanke kam gar nicht zur Sprache, da das preußiſche Cabinet ſelber

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/542>, abgerufen am 22.11.2024.