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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Eroberung von Holland.
ward auch Arnheim mit stürmender Hand genommen, der Uebergang über
den Rhein und die Maas erzwungen, Herzogenbusch mußte seine Thore
öffnen, und abermals, wie in den Tagen des großen Kurfürsten, war
Frankreichs Machtstellung in den Niederlanden durch Preußens Waffen
in Stücke geschlagen. Erst vor den Mauern von Antwerpen kam Bülows
reißender Siegeszug ins Stocken. Hier befehligte Carnot; der unbeug-
same Republikaner hatte seinen Parteihaß hochherzig bezwungen um des
Vaterlandes willen und behauptete sich in dem wichtigen Platze standhaft
bis zum Friedensschlusse.

Die klugen Holländer verstanden das Glück an der Locke zu fassen.
Die Mitglieder der alten Aristokratie, die Altregenten, hatten schon seit
Jahren die Wiederherstellung des Staates vorbereitet. Auf ihren Wink
erhob sich das Volk von Amsterdam, sobald die ersten Kosakenschwärme
sich an der Grenze zeigten, und hißte die Orangeflagge auf (15. Nov.).
Die französischen Beamten flohen, die Truppen zogen sich in die festen
Plätze. Die Altregenten bildeten eine provisorische Regierung und riefen
den Prinzen von Oranien zurück. Ueberall erklang das alte Oranje
boven! und das neue: Met Willem komt de vrede! So konnte denn das
unkriegerische Handelsvolk mit einigem Scheine behaupten, das Land habe
sich selbst befreit, obgleich die Blutarbeit der Eroberung allein den Preußen
und Russen überlassen wurde.

Da Jedermann wußte, daß Oesterreich sich Belgiens zu entledigen
wünschte, so war der Plan, die beiden Hälften der alten Niederlande zu
vereinigen, bereits mehrmals während der Coalitionskriege besprochen
worden; schon im Jahre 1794 hatte der Rathspensionär v. d. Spiegel
diesen Vorschlag vertheidigt. Der Gedanke lag in der Luft, er ergab sich
von selbst aus dem Ideengange jener alten diplomatischen Schule, die
ohne Verständniß für das historische Leben ihre Staatengebilde allein nach
den Rücksichten der geographischen Lage und Abrundung zurechtzuschneiden
pflegte. Mit Eifer nahm die englische Handelspolitik jetzt den alten Ge-
danken auf. Die Briten hatten das holländische Colonialreich erobert und
wollten aus der reichen Beute die für die indische Herrschaft wichtigsten
Plätze, Ceylon und das Cap, mitsammt der holländischen Flotte und einem
Theile von Guyana behalten. Nach den Anschauungen des achtzehnten
Jahrhunderts war das herrenlose Deutschland selbstverständlich verpflichtet
den Holländern diesen Verlust zu ersetzen; die Befestigung der englischen
Seeherrschaft sollte durch den burgundischen Kreis des deutschen Reichs
bezahlt werden. Und wie nun überall die gute alte Zeit zurückzukehren
schien, so lebten auch die wilhelminischen Ueberlieferungen, die Erinnerungen
an das langlebige Bündniß der beiden Seemächte wieder auf. England
gedachte in den verstärkten Niederlanden einen zuverlässigen Bundes-
genossen, in dem Antwerpener Hafen einen wohlgedeckten Brückenkopf für
seine Festlandskriege zu finden; man hoffte durch die Verheirathung des

Eroberung von Holland.
ward auch Arnheim mit ſtürmender Hand genommen, der Uebergang über
den Rhein und die Maas erzwungen, Herzogenbuſch mußte ſeine Thore
öffnen, und abermals, wie in den Tagen des großen Kurfürſten, war
Frankreichs Machtſtellung in den Niederlanden durch Preußens Waffen
in Stücke geſchlagen. Erſt vor den Mauern von Antwerpen kam Bülows
reißender Siegeszug ins Stocken. Hier befehligte Carnot; der unbeug-
ſame Republikaner hatte ſeinen Parteihaß hochherzig bezwungen um des
Vaterlandes willen und behauptete ſich in dem wichtigen Platze ſtandhaft
bis zum Friedensſchluſſe.

Die klugen Holländer verſtanden das Glück an der Locke zu faſſen.
Die Mitglieder der alten Ariſtokratie, die Altregenten, hatten ſchon ſeit
Jahren die Wiederherſtellung des Staates vorbereitet. Auf ihren Wink
erhob ſich das Volk von Amſterdam, ſobald die erſten Koſakenſchwärme
ſich an der Grenze zeigten, und hißte die Orangeflagge auf (15. Nov.).
Die franzöſiſchen Beamten flohen, die Truppen zogen ſich in die feſten
Plätze. Die Altregenten bildeten eine proviſoriſche Regierung und riefen
den Prinzen von Oranien zurück. Ueberall erklang das alte Oranje
boven! und das neue: Met Willem komt de vrede! So konnte denn das
unkriegeriſche Handelsvolk mit einigem Scheine behaupten, das Land habe
ſich ſelbſt befreit, obgleich die Blutarbeit der Eroberung allein den Preußen
und Ruſſen überlaſſen wurde.

Da Jedermann wußte, daß Oeſterreich ſich Belgiens zu entledigen
wünſchte, ſo war der Plan, die beiden Hälften der alten Niederlande zu
vereinigen, bereits mehrmals während der Coalitionskriege beſprochen
worden; ſchon im Jahre 1794 hatte der Rathspenſionär v. d. Spiegel
dieſen Vorſchlag vertheidigt. Der Gedanke lag in der Luft, er ergab ſich
von ſelbſt aus dem Ideengange jener alten diplomatiſchen Schule, die
ohne Verſtändniß für das hiſtoriſche Leben ihre Staatengebilde allein nach
den Rückſichten der geographiſchen Lage und Abrundung zurechtzuſchneiden
pflegte. Mit Eifer nahm die engliſche Handelspolitik jetzt den alten Ge-
danken auf. Die Briten hatten das holländiſche Colonialreich erobert und
wollten aus der reichen Beute die für die indiſche Herrſchaft wichtigſten
Plätze, Ceylon und das Cap, mitſammt der holländiſchen Flotte und einem
Theile von Guyana behalten. Nach den Anſchauungen des achtzehnten
Jahrhunderts war das herrenloſe Deutſchland ſelbſtverſtändlich verpflichtet
den Holländern dieſen Verluſt zu erſetzen; die Befeſtigung der engliſchen
Seeherrſchaft ſollte durch den burgundiſchen Kreis des deutſchen Reichs
bezahlt werden. Und wie nun überall die gute alte Zeit zurückzukehren
ſchien, ſo lebten auch die wilhelminiſchen Ueberlieferungen, die Erinnerungen
an das langlebige Bündniß der beiden Seemächte wieder auf. England
gedachte in den verſtärkten Niederlanden einen zuverläſſigen Bundes-
genoſſen, in dem Antwerpener Hafen einen wohlgedeckten Brückenkopf für
ſeine Feſtlandskriege zu finden; man hoffte durch die Verheirathung des

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[525/0541] Eroberung von Holland. ward auch Arnheim mit ſtürmender Hand genommen, der Uebergang über den Rhein und die Maas erzwungen, Herzogenbuſch mußte ſeine Thore öffnen, und abermals, wie in den Tagen des großen Kurfürſten, war Frankreichs Machtſtellung in den Niederlanden durch Preußens Waffen in Stücke geſchlagen. Erſt vor den Mauern von Antwerpen kam Bülows reißender Siegeszug ins Stocken. Hier befehligte Carnot; der unbeug- ſame Republikaner hatte ſeinen Parteihaß hochherzig bezwungen um des Vaterlandes willen und behauptete ſich in dem wichtigen Platze ſtandhaft bis zum Friedensſchluſſe. Die klugen Holländer verſtanden das Glück an der Locke zu faſſen. Die Mitglieder der alten Ariſtokratie, die Altregenten, hatten ſchon ſeit Jahren die Wiederherſtellung des Staates vorbereitet. Auf ihren Wink erhob ſich das Volk von Amſterdam, ſobald die erſten Koſakenſchwärme ſich an der Grenze zeigten, und hißte die Orangeflagge auf (15. Nov.). Die franzöſiſchen Beamten flohen, die Truppen zogen ſich in die feſten Plätze. Die Altregenten bildeten eine proviſoriſche Regierung und riefen den Prinzen von Oranien zurück. Ueberall erklang das alte Oranje boven! und das neue: Met Willem komt de vrede! So konnte denn das unkriegeriſche Handelsvolk mit einigem Scheine behaupten, das Land habe ſich ſelbſt befreit, obgleich die Blutarbeit der Eroberung allein den Preußen und Ruſſen überlaſſen wurde. Da Jedermann wußte, daß Oeſterreich ſich Belgiens zu entledigen wünſchte, ſo war der Plan, die beiden Hälften der alten Niederlande zu vereinigen, bereits mehrmals während der Coalitionskriege beſprochen worden; ſchon im Jahre 1794 hatte der Rathspenſionär v. d. Spiegel dieſen Vorſchlag vertheidigt. Der Gedanke lag in der Luft, er ergab ſich von ſelbſt aus dem Ideengange jener alten diplomatiſchen Schule, die ohne Verſtändniß für das hiſtoriſche Leben ihre Staatengebilde allein nach den Rückſichten der geographiſchen Lage und Abrundung zurechtzuſchneiden pflegte. Mit Eifer nahm die engliſche Handelspolitik jetzt den alten Ge- danken auf. Die Briten hatten das holländiſche Colonialreich erobert und wollten aus der reichen Beute die für die indiſche Herrſchaft wichtigſten Plätze, Ceylon und das Cap, mitſammt der holländiſchen Flotte und einem Theile von Guyana behalten. Nach den Anſchauungen des achtzehnten Jahrhunderts war das herrenloſe Deutſchland ſelbſtverſtändlich verpflichtet den Holländern dieſen Verluſt zu erſetzen; die Befeſtigung der engliſchen Seeherrſchaft ſollte durch den burgundiſchen Kreis des deutſchen Reichs bezahlt werden. Und wie nun überall die gute alte Zeit zurückzukehren ſchien, ſo lebten auch die wilhelminiſchen Ueberlieferungen, die Erinnerungen an das langlebige Bündniß der beiden Seemächte wieder auf. England gedachte in den verſtärkten Niederlanden einen zuverläſſigen Bundes- genoſſen, in dem Antwerpener Hafen einen wohlgedeckten Brückenkopf für ſeine Feſtlandskriege zu finden; man hoffte durch die Verheirathung des

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/541>, abgerufen am 22.11.2024.