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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
Meisten ihre Schuldigkeit, doch ein starker kriegerischer Thatendrang, der
die böswilligen Regierungen mit fortgerissen hätte, zeigte sich nirgends.
Nichts bezeichnender als Rückerts Lied für die Coburger Landwehr: "Man
hat uns eh' gerufen nicht, sobald uns aber rief die Pflicht war'n wir
bereit zu gehn!" Ruh' und Frieden war nach dem Jammer dieser end-
losen Kriegszeit der allgemeine Wunsch. Im Mannheimer Theater wurde,
bei einer festlichen Aufführung zum Besten der Volksbewaffnung, das
Schiller'sche Reiterlied gesungen mit der von A. von Dusch verübten zeit-
gemäßen Verschönerung:

Und setzet Ihr nicht die Ruhe ein,
Nie wird Euch die Ruhe gewonnen sein.

Leider führte auch der weitere Verlauf des Krieges Nord- und Süd-
deutsche einander nicht näher. Das einzige süddeutsche Generalgouverne-
ment der Centralverwaltung, das Frankfurter, wurde, den dualistischen
Plänen Hardenbergs entsprechend, österreichischen Beamten und Offizieren
übergeben; im Elsaß rissen die Baiern eigenmächtig die provisorische Ver-
waltung an sich ohne nach Stein zu fragen. Treue Waffenbrüderschaft
verband die Russen und die Preußen nach so vielen gemeinsamen Siegen.
Die russischen Truppen vergötterten den König Friedrich Wilhelm, der sie
in ihrer Muttersprache anzureden wußte, und ihren Marschall Vorwärts;
der preußische Soldat blickte zwar nur mit gemäßigter Hochachtung auf
den russischen Leutnant, der von seinem Major vor der Front geohrfeigt
wurde, doch die Tapferkeit der Mannschaften schätzte er hoch. Von den
bairischen und württembergischen Regimentern dagegen hörte er wenig,
da sie, den Verträgen gemäß, der österreichischen Armee zugetheilt wurden;
nur die badische Garde focht mit der preußischen vereinigt. So konnte,
zum Unheil für Deutschland, ein lebendiges Gefühl der Kameradschaft
zwischen den Preußen und den Truppen der Kleinstaaten sich nicht bilden,
die gehässigen Erinnerungen aus den blutigen Schlachten des Sommer-
feldzugs blieben unvergessen. Ein eigener Unstern wollte, daß die kleinen
Contingente an dem Kriegsruhme der Verbündeten geringen Antheil ge-
wannen. Ein großer Theil von ihnen wurde zur Einschließung von Mainz
und in dem thatenarmen flandrischen Festungskriege verwendet; die Frei-
willigen des sächsischen Banners bekamen den Feind nie zu sehen. Die
Baiern und Württemberger zogen zwar mit gen Paris und schlugen sich
mit ihrer gewohnten Tapferkeit, jedoch einen glänzenden Sieg, der die
Triumphe von Regensburg, Wagram und Borodino verdunkelt hätte,
errangen sie nicht. Darum behauptete der Stern der Ehrenlegion nach wie
vor sein Ansehen unter den Veteranen der Mittelstaaten. Die Bauern in
Franken und im Schwarzwalde, die noch immer viel vom Erzherzog Karl
und den Feldzügen der neunziger Jahre erzählten, wußten von diesem
Kriege wenig. Der rückhaltlose Einmuth einer allgemeinen Erhebung

I. 5. Ende der Kriegszeit.
Meiſten ihre Schuldigkeit, doch ein ſtarker kriegeriſcher Thatendrang, der
die böswilligen Regierungen mit fortgeriſſen hätte, zeigte ſich nirgends.
Nichts bezeichnender als Rückerts Lied für die Coburger Landwehr: „Man
hat uns eh’ gerufen nicht, ſobald uns aber rief die Pflicht war’n wir
bereit zu gehn!“ Ruh’ und Frieden war nach dem Jammer dieſer end-
loſen Kriegszeit der allgemeine Wunſch. Im Mannheimer Theater wurde,
bei einer feſtlichen Aufführung zum Beſten der Volksbewaffnung, das
Schiller’ſche Reiterlied geſungen mit der von A. von Duſch verübten zeit-
gemäßen Verſchönerung:

Und ſetzet Ihr nicht die Ruhe ein,
Nie wird Euch die Ruhe gewonnen ſein.

Leider führte auch der weitere Verlauf des Krieges Nord- und Süd-
deutſche einander nicht näher. Das einzige ſüddeutſche Generalgouverne-
ment der Centralverwaltung, das Frankfurter, wurde, den dualiſtiſchen
Plänen Hardenbergs entſprechend, öſterreichiſchen Beamten und Offizieren
übergeben; im Elſaß riſſen die Baiern eigenmächtig die proviſoriſche Ver-
waltung an ſich ohne nach Stein zu fragen. Treue Waffenbrüderſchaft
verband die Ruſſen und die Preußen nach ſo vielen gemeinſamen Siegen.
Die ruſſiſchen Truppen vergötterten den König Friedrich Wilhelm, der ſie
in ihrer Mutterſprache anzureden wußte, und ihren Marſchall Vorwärts;
der preußiſche Soldat blickte zwar nur mit gemäßigter Hochachtung auf
den ruſſiſchen Leutnant, der von ſeinem Major vor der Front geohrfeigt
wurde, doch die Tapferkeit der Mannſchaften ſchätzte er hoch. Von den
bairiſchen und württembergiſchen Regimentern dagegen hörte er wenig,
da ſie, den Verträgen gemäß, der öſterreichiſchen Armee zugetheilt wurden;
nur die badiſche Garde focht mit der preußiſchen vereinigt. So konnte,
zum Unheil für Deutſchland, ein lebendiges Gefühl der Kameradſchaft
zwiſchen den Preußen und den Truppen der Kleinſtaaten ſich nicht bilden,
die gehäſſigen Erinnerungen aus den blutigen Schlachten des Sommer-
feldzugs blieben unvergeſſen. Ein eigener Unſtern wollte, daß die kleinen
Contingente an dem Kriegsruhme der Verbündeten geringen Antheil ge-
wannen. Ein großer Theil von ihnen wurde zur Einſchließung von Mainz
und in dem thatenarmen flandriſchen Feſtungskriege verwendet; die Frei-
willigen des ſächſiſchen Banners bekamen den Feind nie zu ſehen. Die
Baiern und Württemberger zogen zwar mit gen Paris und ſchlugen ſich
mit ihrer gewohnten Tapferkeit, jedoch einen glänzenden Sieg, der die
Triumphe von Regensburg, Wagram und Borodino verdunkelt hätte,
errangen ſie nicht. Darum behauptete der Stern der Ehrenlegion nach wie
vor ſein Anſehen unter den Veteranen der Mittelſtaaten. Die Bauern in
Franken und im Schwarzwalde, die noch immer viel vom Erzherzog Karl
und den Feldzügen der neunziger Jahre erzählten, wußten von dieſem
Kriege wenig. Der rückhaltloſe Einmuth einer allgemeinen Erhebung

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[520/0536] I. 5. Ende der Kriegszeit. Meiſten ihre Schuldigkeit, doch ein ſtarker kriegeriſcher Thatendrang, der die böswilligen Regierungen mit fortgeriſſen hätte, zeigte ſich nirgends. Nichts bezeichnender als Rückerts Lied für die Coburger Landwehr: „Man hat uns eh’ gerufen nicht, ſobald uns aber rief die Pflicht war’n wir bereit zu gehn!“ Ruh’ und Frieden war nach dem Jammer dieſer end- loſen Kriegszeit der allgemeine Wunſch. Im Mannheimer Theater wurde, bei einer feſtlichen Aufführung zum Beſten der Volksbewaffnung, das Schiller’ſche Reiterlied geſungen mit der von A. von Duſch verübten zeit- gemäßen Verſchönerung: Und ſetzet Ihr nicht die Ruhe ein, Nie wird Euch die Ruhe gewonnen ſein. Leider führte auch der weitere Verlauf des Krieges Nord- und Süd- deutſche einander nicht näher. Das einzige ſüddeutſche Generalgouverne- ment der Centralverwaltung, das Frankfurter, wurde, den dualiſtiſchen Plänen Hardenbergs entſprechend, öſterreichiſchen Beamten und Offizieren übergeben; im Elſaß riſſen die Baiern eigenmächtig die proviſoriſche Ver- waltung an ſich ohne nach Stein zu fragen. Treue Waffenbrüderſchaft verband die Ruſſen und die Preußen nach ſo vielen gemeinſamen Siegen. Die ruſſiſchen Truppen vergötterten den König Friedrich Wilhelm, der ſie in ihrer Mutterſprache anzureden wußte, und ihren Marſchall Vorwärts; der preußiſche Soldat blickte zwar nur mit gemäßigter Hochachtung auf den ruſſiſchen Leutnant, der von ſeinem Major vor der Front geohrfeigt wurde, doch die Tapferkeit der Mannſchaften ſchätzte er hoch. Von den bairiſchen und württembergiſchen Regimentern dagegen hörte er wenig, da ſie, den Verträgen gemäß, der öſterreichiſchen Armee zugetheilt wurden; nur die badiſche Garde focht mit der preußiſchen vereinigt. So konnte, zum Unheil für Deutſchland, ein lebendiges Gefühl der Kameradſchaft zwiſchen den Preußen und den Truppen der Kleinſtaaten ſich nicht bilden, die gehäſſigen Erinnerungen aus den blutigen Schlachten des Sommer- feldzugs blieben unvergeſſen. Ein eigener Unſtern wollte, daß die kleinen Contingente an dem Kriegsruhme der Verbündeten geringen Antheil ge- wannen. Ein großer Theil von ihnen wurde zur Einſchließung von Mainz und in dem thatenarmen flandriſchen Feſtungskriege verwendet; die Frei- willigen des ſächſiſchen Banners bekamen den Feind nie zu ſehen. Die Baiern und Württemberger zogen zwar mit gen Paris und ſchlugen ſich mit ihrer gewohnten Tapferkeit, jedoch einen glänzenden Sieg, der die Triumphe von Regensburg, Wagram und Borodino verdunkelt hätte, errangen ſie nicht. Darum behauptete der Stern der Ehrenlegion nach wie vor ſein Anſehen unter den Veteranen der Mittelſtaaten. Die Bauern in Franken und im Schwarzwalde, die noch immer viel vom Erzherzog Karl und den Feldzügen der neunziger Jahre erzählten, wußten von dieſem Kriege wenig. Der rückhaltloſe Einmuth einer allgemeinen Erhebung

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/536>, abgerufen am 22.11.2024.