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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
nungsstadt Frankfurt. So verschroben und hoffnungslos lagen bereits
die deutschen Dinge, daß der tapfere Vorkämpfer der nationalen Einheit
sich mit Eifer und Erfolg für die Wiederaufrichtung eines lebensunfähigen
Stadtstaates verwendete. Der Reichsritter hegte von jeher eine Vorliebe
für das reichsstädtische Leben und wollte um jeden Preis die schöne Main-
stadt erretten vor den benachbarten Rheinbundsfürsten, die schon allesammt
ihre gierigen Hände nach der reichen Beute ausstreckten. --

Diese Rheinbündner drängten sich jetzt nach der Entscheidung ge-
schäftig an die Verbündeten heran. Wieder wie einst in Rastatt, Paris,
Posen bettelte Deutschlands hoher Adel um die Gnade der Sieger und
diesmal brauchte er kein Gold zur Handsalbe zu geben. Als Kaiser Franz
in Frankfurt einzog, begrüßte ihn das jauchzende Volk als den Herrscher
Deutschlands; der Name "unser Kaiser" übte wieder seinen mächtigen
Zauber auf die deutschen Herzen. Er aber wollte von "diesem unbedeu-
tenden Titel" nichts hören: "auf solche Weise -- gestand Metternich einem
französischen Unterhändler -- gehört uns Deutschland noch mehr als früher."
Die Beherrschung des deutschen Bundes durch eine dem Hause Oester-
reich ergebene Fürstenmehrheit war das nächste Ziel der deutschen Politik
der Hofburg. Darum blieb Metternich unerbittlich gegen die Mediatisir-
ten; er erkannte richtig, daß die Freundschaft dieser alten Parteigenossen
Oesterreichs wenig mehr bedeutete seit die geistlichen Fürstenthümer ver-
schwunden waren, und wendete sein Wohlwollen ihren glücklichen Erben,
den rheinbündischen Fürsten zu. Ebenso dachten alle fremden Höfe, denn
sie alle wünschten Deutschlands Schwäche und waren zudem mit den
Kleinkönigen verschwiegert und vervettert. Ueber diese durchlauchtigen
Familienverbindungen, die bis zum heutigen Tage die stärkste Stütze der
deutschen Kleinstaaterei bilden, sprach sich der Czar in Frankfurt offenherzig
aus, als er einmal in einem unbewachten Augenblicke zu Stein sagte:
"woher sollte ich Gemahlinnen für meine Großfürsten bekommen, wenn
alle diese kleinen Fürsten entthront würden?" Zornig fuhr der Freiherr
heraus: "das habe ich freilich nicht gewußt, daß Ew. Majestät Deutsch-
land als eine russische Stuterei betrachten." Gleich ihm erwarteten alle
preußischen Generale eine kräftige Abstrafung des Rheinbundsgesindels,
wie Blücher sich ausdrückte. York ließ nach dem Einmarsch in Wiesbaden
sogleich die nassauischen Wachposten abziehen und gab einem Kammerherrn,
der ihn fragte, ob er denn Seine Hoheit entthronen wolle -- die barsche
Antwort: "noch habe ich keinen Befehl dazu."

Im Frankfurter Hauptquartiere aber trug man die reumüthigen
Rheinbundsfürsten auf den Händen und feierte den Baiern Wrede, von
wegen der Hanauer Niederlage, wie einen ruhmgekrönten Feldherrn.
Unter den größeren Fürsten des Rheinbundes wurde, außer den beiden
Napoleoniden, allein der Fürstprimas Dalberg entthront, keineswegs wegen
seines unwürdigen Verhaltens, sondern weil er nicht fürstlichen Blutes

I. 5. Ende der Kriegszeit.
nungsſtadt Frankfurt. So verſchroben und hoffnungslos lagen bereits
die deutſchen Dinge, daß der tapfere Vorkämpfer der nationalen Einheit
ſich mit Eifer und Erfolg für die Wiederaufrichtung eines lebensunfähigen
Stadtſtaates verwendete. Der Reichsritter hegte von jeher eine Vorliebe
für das reichsſtädtiſche Leben und wollte um jeden Preis die ſchöne Main-
ſtadt erretten vor den benachbarten Rheinbundsfürſten, die ſchon alleſammt
ihre gierigen Hände nach der reichen Beute ausſtreckten. —

Dieſe Rheinbündner drängten ſich jetzt nach der Entſcheidung ge-
ſchäftig an die Verbündeten heran. Wieder wie einſt in Raſtatt, Paris,
Poſen bettelte Deutſchlands hoher Adel um die Gnade der Sieger und
diesmal brauchte er kein Gold zur Handſalbe zu geben. Als Kaiſer Franz
in Frankfurt einzog, begrüßte ihn das jauchzende Volk als den Herrſcher
Deutſchlands; der Name „unſer Kaiſer“ übte wieder ſeinen mächtigen
Zauber auf die deutſchen Herzen. Er aber wollte von „dieſem unbedeu-
tenden Titel“ nichts hören: „auf ſolche Weiſe — geſtand Metternich einem
franzöſiſchen Unterhändler — gehört uns Deutſchland noch mehr als früher.“
Die Beherrſchung des deutſchen Bundes durch eine dem Hauſe Oeſter-
reich ergebene Fürſtenmehrheit war das nächſte Ziel der deutſchen Politik
der Hofburg. Darum blieb Metternich unerbittlich gegen die Mediatiſir-
ten; er erkannte richtig, daß die Freundſchaft dieſer alten Parteigenoſſen
Oeſterreichs wenig mehr bedeutete ſeit die geiſtlichen Fürſtenthümer ver-
ſchwunden waren, und wendete ſein Wohlwollen ihren glücklichen Erben,
den rheinbündiſchen Fürſten zu. Ebenſo dachten alle fremden Höfe, denn
ſie alle wünſchten Deutſchlands Schwäche und waren zudem mit den
Kleinkönigen verſchwiegert und vervettert. Ueber dieſe durchlauchtigen
Familienverbindungen, die bis zum heutigen Tage die ſtärkſte Stütze der
deutſchen Kleinſtaaterei bilden, ſprach ſich der Czar in Frankfurt offenherzig
aus, als er einmal in einem unbewachten Augenblicke zu Stein ſagte:
„woher ſollte ich Gemahlinnen für meine Großfürſten bekommen, wenn
alle dieſe kleinen Fürſten entthront würden?“ Zornig fuhr der Freiherr
heraus: „das habe ich freilich nicht gewußt, daß Ew. Majeſtät Deutſch-
land als eine ruſſiſche Stuterei betrachten.“ Gleich ihm erwarteten alle
preußiſchen Generale eine kräftige Abſtrafung des Rheinbundsgeſindels,
wie Blücher ſich ausdrückte. York ließ nach dem Einmarſch in Wiesbaden
ſogleich die naſſauiſchen Wachpoſten abziehen und gab einem Kammerherrn,
der ihn fragte, ob er denn Seine Hoheit entthronen wolle — die barſche
Antwort: „noch habe ich keinen Befehl dazu.“

Im Frankfurter Hauptquartiere aber trug man die reumüthigen
Rheinbundsfürſten auf den Händen und feierte den Baiern Wrede, von
wegen der Hanauer Niederlage, wie einen ruhmgekrönten Feldherrn.
Unter den größeren Fürſten des Rheinbundes wurde, außer den beiden
Napoleoniden, allein der Fürſtprimas Dalberg entthront, keineswegs wegen
ſeines unwürdigen Verhaltens, ſondern weil er nicht fürſtlichen Blutes

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[516/0532] I. 5. Ende der Kriegszeit. nungsſtadt Frankfurt. So verſchroben und hoffnungslos lagen bereits die deutſchen Dinge, daß der tapfere Vorkämpfer der nationalen Einheit ſich mit Eifer und Erfolg für die Wiederaufrichtung eines lebensunfähigen Stadtſtaates verwendete. Der Reichsritter hegte von jeher eine Vorliebe für das reichsſtädtiſche Leben und wollte um jeden Preis die ſchöne Main- ſtadt erretten vor den benachbarten Rheinbundsfürſten, die ſchon alleſammt ihre gierigen Hände nach der reichen Beute ausſtreckten. — Dieſe Rheinbündner drängten ſich jetzt nach der Entſcheidung ge- ſchäftig an die Verbündeten heran. Wieder wie einſt in Raſtatt, Paris, Poſen bettelte Deutſchlands hoher Adel um die Gnade der Sieger und diesmal brauchte er kein Gold zur Handſalbe zu geben. Als Kaiſer Franz in Frankfurt einzog, begrüßte ihn das jauchzende Volk als den Herrſcher Deutſchlands; der Name „unſer Kaiſer“ übte wieder ſeinen mächtigen Zauber auf die deutſchen Herzen. Er aber wollte von „dieſem unbedeu- tenden Titel“ nichts hören: „auf ſolche Weiſe — geſtand Metternich einem franzöſiſchen Unterhändler — gehört uns Deutſchland noch mehr als früher.“ Die Beherrſchung des deutſchen Bundes durch eine dem Hauſe Oeſter- reich ergebene Fürſtenmehrheit war das nächſte Ziel der deutſchen Politik der Hofburg. Darum blieb Metternich unerbittlich gegen die Mediatiſir- ten; er erkannte richtig, daß die Freundſchaft dieſer alten Parteigenoſſen Oeſterreichs wenig mehr bedeutete ſeit die geiſtlichen Fürſtenthümer ver- ſchwunden waren, und wendete ſein Wohlwollen ihren glücklichen Erben, den rheinbündiſchen Fürſten zu. Ebenſo dachten alle fremden Höfe, denn ſie alle wünſchten Deutſchlands Schwäche und waren zudem mit den Kleinkönigen verſchwiegert und vervettert. Ueber dieſe durchlauchtigen Familienverbindungen, die bis zum heutigen Tage die ſtärkſte Stütze der deutſchen Kleinſtaaterei bilden, ſprach ſich der Czar in Frankfurt offenherzig aus, als er einmal in einem unbewachten Augenblicke zu Stein ſagte: „woher ſollte ich Gemahlinnen für meine Großfürſten bekommen, wenn alle dieſe kleinen Fürſten entthront würden?“ Zornig fuhr der Freiherr heraus: „das habe ich freilich nicht gewußt, daß Ew. Majeſtät Deutſch- land als eine ruſſiſche Stuterei betrachten.“ Gleich ihm erwarteten alle preußiſchen Generale eine kräftige Abſtrafung des Rheinbundsgeſindels, wie Blücher ſich ausdrückte. York ließ nach dem Einmarſch in Wiesbaden ſogleich die naſſauiſchen Wachpoſten abziehen und gab einem Kammerherrn, der ihn fragte, ob er denn Seine Hoheit entthronen wolle — die barſche Antwort: „noch habe ich keinen Befehl dazu.“ Im Frankfurter Hauptquartiere aber trug man die reumüthigen Rheinbundsfürſten auf den Händen und feierte den Baiern Wrede, von wegen der Hanauer Niederlage, wie einen ruhmgekrönten Feldherrn. Unter den größeren Fürſten des Rheinbundes wurde, außer den beiden Napoleoniden, allein der Fürſtprimas Dalberg entthront, keineswegs wegen ſeines unwürdigen Verhaltens, ſondern weil er nicht fürſtlichen Blutes

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/532>, abgerufen am 25.11.2024.