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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Restauration in den norddeutschen Kleinstaaten.
nachtragen, die Hofburg begünstigte grundsätzlich die dynastischen In-
teressen.

Alsbald nach der Wiedereinsetzung begann in Hessen das unsinnige
Regiment "der Siebenschläfer": die jüngsten sieben Jahre mit Allem was
"mein Verwalter Jerome" geschaffen sollten spurlos verschwinden. Auch
über die welfischen Lande brach eine gehässige Restauration herein, die
alle Schöpfungen der Fremdherrschaft unbesehen hinwegfegte, während
Preußen in seinen wiedergewonnenen Provinzen mit verständiger Scho-
nung verfuhr. Den militärischen Anforderungen der Coalition kamen
die wiederhergestellten Kleinfürsten des Nordwestens mit der höchsten Saum-
seligkeit nach. Aus Oldenburg und Hannover rückten gar keine Truppen
ins Feld; die Göttinger Studenten, die sich als Freiwillige stellten, wurden
von der welfischen Adelsregierung barsch abgewiesen. Der hessische Land-
verderber begann zwar sogleich wieder seine altgewohnte Soldatenspielerei
und beglückte die Hessen durch den Kriegsorden vom eisernen Helm, da
ja die Preußen ihr eisernes Kreuz hatten; jedoch die Ausrüstung der Land-
wehr ging sehr langsam von statten, unter fortwährendem gehässigem
Zanke mit der Centralverwaltung, also daß Stein zornig rief: geben Sie
mir Kanonen, mit Vernunftgründen ist bei dem nichts anzufangen! Der
hessische Landsturm ward erst im April 1814 einberufen, als Paris bereits
erobert war.

Warmen Eifer für die deutsche Sache zeigten unter allen Fürsten
des Nordwestens nur die kleinen mediatisirten Herren -- weil sie hofften
sich durch ihren Kriegsmuth ihre Kronen zurückzugewinnen. Im Schlosse
zu Anholt stickten die zarten Hände der Prinzessinnen bereits an der
Fahne, welche der Kriegsmacht der Sayn-saynischen Nation zu Kampf
und Sieg voranleuchten sollte; da drohte General Bülow, er werde alle
westphälischen Kleinfürsten verhaften wenn sie sich unterstünden wieder
als regierende Herren aufzutreten. Glücklicher als diese Mediatisirten
waren die Hansestädte. Schon am 5. November versammelte sich eigen-
mächtig der alte Bremische Senat, dann wurde die Wiederherstellung der
alten Republik feierlich ausgerufen und der kluge Smidt in das Haupt-
quartier nach Frankfurt gesendet. Der gewandte Diplomat bewog sofort
die Hamburger und Lübecker ebenfalls Abgeordnete an die Monarchen zu
senden und verstand die österreichischen Staatsmänner so geschickt zu be-
handeln, daß sie ihr Mißtrauen gegen alles republikanische Wesen über-
wanden. Preußen hatte schon bei den Friedensverhandlungen in Prag
die Unabhängigkeit der Hansestädte gefordert, und wie konnte man Ham-
burg als eine feindliche Stadt behandeln, da die Hamburgische Bürger-
garde, geführt von dem tapferen Mettlerkamp, schon seit Monaten in
den Reihen der Nordarmee kämpfte? Die drei Städte erhielten die Zusage
der Wiederherstellung, und durch Steins Schuld wurde noch eine vierte
Republik in das neue monarchische Deutschland eingeführt, die alte Krö-

33*

Reſtauration in den norddeutſchen Kleinſtaaten.
nachtragen, die Hofburg begünſtigte grundſätzlich die dynaſtiſchen In-
tereſſen.

Alsbald nach der Wiedereinſetzung begann in Heſſen das unſinnige
Regiment „der Siebenſchläfer“: die jüngſten ſieben Jahre mit Allem was
„mein Verwalter Jerome“ geſchaffen ſollten ſpurlos verſchwinden. Auch
über die welfiſchen Lande brach eine gehäſſige Reſtauration herein, die
alle Schöpfungen der Fremdherrſchaft unbeſehen hinwegfegte, während
Preußen in ſeinen wiedergewonnenen Provinzen mit verſtändiger Scho-
nung verfuhr. Den militäriſchen Anforderungen der Coalition kamen
die wiederhergeſtellten Kleinfürſten des Nordweſtens mit der höchſten Saum-
ſeligkeit nach. Aus Oldenburg und Hannover rückten gar keine Truppen
ins Feld; die Göttinger Studenten, die ſich als Freiwillige ſtellten, wurden
von der welfiſchen Adelsregierung barſch abgewieſen. Der heſſiſche Land-
verderber begann zwar ſogleich wieder ſeine altgewohnte Soldatenſpielerei
und beglückte die Heſſen durch den Kriegsorden vom eiſernen Helm, da
ja die Preußen ihr eiſernes Kreuz hatten; jedoch die Ausrüſtung der Land-
wehr ging ſehr langſam von ſtatten, unter fortwährendem gehäſſigem
Zanke mit der Centralverwaltung, alſo daß Stein zornig rief: geben Sie
mir Kanonen, mit Vernunftgründen iſt bei dem nichts anzufangen! Der
heſſiſche Landſturm ward erſt im April 1814 einberufen, als Paris bereits
erobert war.

Warmen Eifer für die deutſche Sache zeigten unter allen Fürſten
des Nordweſtens nur die kleinen mediatiſirten Herren — weil ſie hofften
ſich durch ihren Kriegsmuth ihre Kronen zurückzugewinnen. Im Schloſſe
zu Anholt ſtickten die zarten Hände der Prinzeſſinnen bereits an der
Fahne, welche der Kriegsmacht der Sayn-ſayniſchen Nation zu Kampf
und Sieg voranleuchten ſollte; da drohte General Bülow, er werde alle
weſtphäliſchen Kleinfürſten verhaften wenn ſie ſich unterſtünden wieder
als regierende Herren aufzutreten. Glücklicher als dieſe Mediatiſirten
waren die Hanſeſtädte. Schon am 5. November verſammelte ſich eigen-
mächtig der alte Bremiſche Senat, dann wurde die Wiederherſtellung der
alten Republik feierlich ausgerufen und der kluge Smidt in das Haupt-
quartier nach Frankfurt geſendet. Der gewandte Diplomat bewog ſofort
die Hamburger und Lübecker ebenfalls Abgeordnete an die Monarchen zu
ſenden und verſtand die öſterreichiſchen Staatsmänner ſo geſchickt zu be-
handeln, daß ſie ihr Mißtrauen gegen alles republikaniſche Weſen über-
wanden. Preußen hatte ſchon bei den Friedensverhandlungen in Prag
die Unabhängigkeit der Hanſeſtädte gefordert, und wie konnte man Ham-
burg als eine feindliche Stadt behandeln, da die Hamburgiſche Bürger-
garde, geführt von dem tapferen Mettlerkamp, ſchon ſeit Monaten in
den Reihen der Nordarmee kämpfte? Die drei Städte erhielten die Zuſage
der Wiederherſtellung, und durch Steins Schuld wurde noch eine vierte
Republik in das neue monarchiſche Deutſchland eingeführt, die alte Krö-

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[515/0531] Reſtauration in den norddeutſchen Kleinſtaaten. nachtragen, die Hofburg begünſtigte grundſätzlich die dynaſtiſchen In- tereſſen. Alsbald nach der Wiedereinſetzung begann in Heſſen das unſinnige Regiment „der Siebenſchläfer“: die jüngſten ſieben Jahre mit Allem was „mein Verwalter Jerome“ geſchaffen ſollten ſpurlos verſchwinden. Auch über die welfiſchen Lande brach eine gehäſſige Reſtauration herein, die alle Schöpfungen der Fremdherrſchaft unbeſehen hinwegfegte, während Preußen in ſeinen wiedergewonnenen Provinzen mit verſtändiger Scho- nung verfuhr. Den militäriſchen Anforderungen der Coalition kamen die wiederhergeſtellten Kleinfürſten des Nordweſtens mit der höchſten Saum- ſeligkeit nach. Aus Oldenburg und Hannover rückten gar keine Truppen ins Feld; die Göttinger Studenten, die ſich als Freiwillige ſtellten, wurden von der welfiſchen Adelsregierung barſch abgewieſen. Der heſſiſche Land- verderber begann zwar ſogleich wieder ſeine altgewohnte Soldatenſpielerei und beglückte die Heſſen durch den Kriegsorden vom eiſernen Helm, da ja die Preußen ihr eiſernes Kreuz hatten; jedoch die Ausrüſtung der Land- wehr ging ſehr langſam von ſtatten, unter fortwährendem gehäſſigem Zanke mit der Centralverwaltung, alſo daß Stein zornig rief: geben Sie mir Kanonen, mit Vernunftgründen iſt bei dem nichts anzufangen! Der heſſiſche Landſturm ward erſt im April 1814 einberufen, als Paris bereits erobert war. Warmen Eifer für die deutſche Sache zeigten unter allen Fürſten des Nordweſtens nur die kleinen mediatiſirten Herren — weil ſie hofften ſich durch ihren Kriegsmuth ihre Kronen zurückzugewinnen. Im Schloſſe zu Anholt ſtickten die zarten Hände der Prinzeſſinnen bereits an der Fahne, welche der Kriegsmacht der Sayn-ſayniſchen Nation zu Kampf und Sieg voranleuchten ſollte; da drohte General Bülow, er werde alle weſtphäliſchen Kleinfürſten verhaften wenn ſie ſich unterſtünden wieder als regierende Herren aufzutreten. Glücklicher als dieſe Mediatiſirten waren die Hanſeſtädte. Schon am 5. November verſammelte ſich eigen- mächtig der alte Bremiſche Senat, dann wurde die Wiederherſtellung der alten Republik feierlich ausgerufen und der kluge Smidt in das Haupt- quartier nach Frankfurt geſendet. Der gewandte Diplomat bewog ſofort die Hamburger und Lübecker ebenfalls Abgeordnete an die Monarchen zu ſenden und verſtand die öſterreichiſchen Staatsmänner ſo geſchickt zu be- handeln, daß ſie ihr Mißtrauen gegen alles republikaniſche Weſen über- wanden. Preußen hatte ſchon bei den Friedensverhandlungen in Prag die Unabhängigkeit der Hanſeſtädte gefordert, und wie konnte man Ham- burg als eine feindliche Stadt behandeln, da die Hamburgiſche Bürger- garde, geführt von dem tapferen Mettlerkamp, ſchon ſeit Monaten in den Reihen der Nordarmee kämpfte? Die drei Städte erhielten die Zuſage der Wiederherſtellung, und durch Steins Schuld wurde noch eine vierte Republik in das neue monarchiſche Deutſchland eingeführt, die alte Krö- 33*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/531>, abgerufen am 22.11.2024.