Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Königreich Preußen.
die ruchlose Unzucht der sächsischen Auguste nicht von fern heran. Den
schweren niederdeutschen Naturen fehlte die Anmuth der Sünde; immer
wieder, oft in hochkomischem Contraste, brach das ernsthaft nüchterne
nordische Wesen durch die erkünstelten Versailler Formen hindurch. Doch
die Verschwendung des Hofes drohte die Mittel des armen Landes zu
verzehren; für ein Gemeinwesen, das sich also durch die Macht des Willens
emporgehoben über das Maß seiner natürlichen Kräfte, war nichts
schwerer zu ertragen, als die schlaffe Mittelmäßigkeit. Ein Glück für
Deutschland, daß die derben Fäuste König Friedrich Wilhelms I. der Lust
und Herrlichkeit jener ersten königlichen Tage ein jähes Ende bereiteten.

Der unfertige Staat enthielt in sich die Keime vielseitigen Lebens
und vermochte doch mit seiner geringen Macht fast niemals, allen seinen
Aufgaben zugleich zu genügen; seine Fürsten haben das Werk ihrer Väter
selten in gerader Linie weitergeführt, sondern der Nachfolger trat immer
in die Bresche ein, welche der Vorgänger offen gelassen, wendete seine
beste Kraft den Zweigen des Staatslebens zu, welche Jener vernachlässigt
hatte. Der große Kurfürst hatte sein Lebtag zu ringen mit dem Andrang
feindlicher Nachbarn. Seine starke Natur verlor über den großen Ent-
würfen der europäischen Politik nicht jenen sorgsam haushälterischen Sinn,
der den Meisten seiner Vorfahren eigen war und schon in den Anfängen
des Hauses an dem häufig wiederkehrenden Beinamen Oeconomus sich
erkennen läßt; er that das Mögliche den zerstörten Wohlstand des Landes
zu heben, erzog den Stamm eines monarchischen Beamtenthums, begann
den Staatshaushalt nach den Bedürfnissen moderner Geldwirthschaft
umzugestalten. Doch eine durchgreifende Reform der Verwaltung kam
in den Stürmen dieser kampferfüllten Regierung nicht zu Stande; des
Fürsten persönliches Ansehen und die schwerfällige alte Centralbehörde,
der Geheime Rath, hielten das ungestalte Bündel ständischer Territorien
nothdürftig zusammen. Erst sein Enkel zerstörte den alten ständischen
Staat.

König Friedrich Wilhelm I. stellte die Grundgedanken der inneren
Ordnung des preußischen Staates so unverrückbar fest, daß selbst die
Gesetze Steins und Scharnhorsts und die Reformen unserer Tage das
Werk des harten Mannes nur fortbilden, nicht zerstören konnten. Er
ist der Schöpfer der neuen deutschen Verwaltung, unseres Beamtenthums
und Offizierstandes; sein glanzlos arbeitsames Wirken ward nicht minder
fruchtbar für das deutsche Leben als die Waffenthaten seines Großvaters,
denn er führte eine neue Staatsform, die geschlossene Staatseinheit der
modernen Monarchie, in unsere Geschichte ein. Er gab dem neuen
Namen der Preußen Sinn und Inhalt, vereinte sein Volk zur Gemein-
schaft politischer Pflichterfüllung, prägte den Gedanken der Pflicht für
alle Zukunft diesem Staate ein. Nur wer den knorrigen Wuchs, die
harten Ecken und Kanten des niederdeutschen Volkscharakters kennt, wird

Das Königreich Preußen.
die ruchloſe Unzucht der ſächſiſchen Auguſte nicht von fern heran. Den
ſchweren niederdeutſchen Naturen fehlte die Anmuth der Sünde; immer
wieder, oft in hochkomiſchem Contraſte, brach das ernſthaft nüchterne
nordiſche Weſen durch die erkünſtelten Verſailler Formen hindurch. Doch
die Verſchwendung des Hofes drohte die Mittel des armen Landes zu
verzehren; für ein Gemeinweſen, das ſich alſo durch die Macht des Willens
emporgehoben über das Maß ſeiner natürlichen Kräfte, war nichts
ſchwerer zu ertragen, als die ſchlaffe Mittelmäßigkeit. Ein Glück für
Deutſchland, daß die derben Fäuſte König Friedrich Wilhelms I. der Luſt
und Herrlichkeit jener erſten königlichen Tage ein jähes Ende bereiteten.

Der unfertige Staat enthielt in ſich die Keime vielſeitigen Lebens
und vermochte doch mit ſeiner geringen Macht faſt niemals, allen ſeinen
Aufgaben zugleich zu genügen; ſeine Fürſten haben das Werk ihrer Väter
ſelten in gerader Linie weitergeführt, ſondern der Nachfolger trat immer
in die Breſche ein, welche der Vorgänger offen gelaſſen, wendete ſeine
beſte Kraft den Zweigen des Staatslebens zu, welche Jener vernachläſſigt
hatte. Der große Kurfürſt hatte ſein Lebtag zu ringen mit dem Andrang
feindlicher Nachbarn. Seine ſtarke Natur verlor über den großen Ent-
würfen der europäiſchen Politik nicht jenen ſorgſam haushälteriſchen Sinn,
der den Meiſten ſeiner Vorfahren eigen war und ſchon in den Anfängen
des Hauſes an dem häufig wiederkehrenden Beinamen Oeconomus ſich
erkennen läßt; er that das Mögliche den zerſtörten Wohlſtand des Landes
zu heben, erzog den Stamm eines monarchiſchen Beamtenthums, begann
den Staatshaushalt nach den Bedürfniſſen moderner Geldwirthſchaft
umzugeſtalten. Doch eine durchgreifende Reform der Verwaltung kam
in den Stürmen dieſer kampferfüllten Regierung nicht zu Stande; des
Fürſten perſönliches Anſehen und die ſchwerfällige alte Centralbehörde,
der Geheime Rath, hielten das ungeſtalte Bündel ſtändiſcher Territorien
nothdürftig zuſammen. Erſt ſein Enkel zerſtörte den alten ſtändiſchen
Staat.

König Friedrich Wilhelm I. ſtellte die Grundgedanken der inneren
Ordnung des preußiſchen Staates ſo unverrückbar feſt, daß ſelbſt die
Geſetze Steins und Scharnhorſts und die Reformen unſerer Tage das
Werk des harten Mannes nur fortbilden, nicht zerſtören konnten. Er
iſt der Schöpfer der neuen deutſchen Verwaltung, unſeres Beamtenthums
und Offizierſtandes; ſein glanzlos arbeitſames Wirken ward nicht minder
fruchtbar für das deutſche Leben als die Waffenthaten ſeines Großvaters,
denn er führte eine neue Staatsform, die geſchloſſene Staatseinheit der
modernen Monarchie, in unſere Geſchichte ein. Er gab dem neuen
Namen der Preußen Sinn und Inhalt, vereinte ſein Volk zur Gemein-
ſchaft politiſcher Pflichterfüllung, prägte den Gedanken der Pflicht für
alle Zukunft dieſem Staate ein. Nur wer den knorrigen Wuchs, die
harten Ecken und Kanten des niederdeutſchen Volkscharakters kennt, wird

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0053" n="37"/><fw place="top" type="header">Das Königreich Preußen.</fw><lb/>
die ruchlo&#x017F;e Unzucht der &#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;chen Augu&#x017F;te nicht von fern heran. Den<lb/>
&#x017F;chweren niederdeut&#x017F;chen Naturen fehlte die Anmuth der Sünde; immer<lb/>
wieder, oft in hochkomi&#x017F;chem Contra&#x017F;te, brach das ern&#x017F;thaft nüchterne<lb/>
nordi&#x017F;che We&#x017F;en durch die erkün&#x017F;telten Ver&#x017F;ailler Formen hindurch. Doch<lb/>
die Ver&#x017F;chwendung des Hofes drohte die Mittel des armen Landes zu<lb/>
verzehren; für ein Gemeinwe&#x017F;en, das &#x017F;ich al&#x017F;o durch die Macht des Willens<lb/>
emporgehoben über das Maß &#x017F;einer natürlichen Kräfte, war nichts<lb/>
&#x017F;chwerer zu ertragen, als die &#x017F;chlaffe Mittelmäßigkeit. Ein Glück für<lb/>
Deut&#x017F;chland, daß die derben Fäu&#x017F;te König Friedrich Wilhelms <hi rendition="#aq">I.</hi> der Lu&#x017F;t<lb/>
und Herrlichkeit jener er&#x017F;ten königlichen Tage ein jähes Ende bereiteten.</p><lb/>
            <p>Der unfertige Staat enthielt in &#x017F;ich die Keime viel&#x017F;eitigen Lebens<lb/>
und vermochte doch mit &#x017F;einer geringen Macht fa&#x017F;t niemals, allen &#x017F;einen<lb/>
Aufgaben zugleich zu genügen; &#x017F;eine Für&#x017F;ten haben das Werk ihrer Väter<lb/>
&#x017F;elten in gerader Linie weitergeführt, &#x017F;ondern der Nachfolger trat immer<lb/>
in die Bre&#x017F;che ein, welche der Vorgänger offen gela&#x017F;&#x017F;en, wendete &#x017F;eine<lb/>
be&#x017F;te Kraft den Zweigen des Staatslebens zu, welche Jener vernachlä&#x017F;&#x017F;igt<lb/>
hatte. Der große Kurfür&#x017F;t hatte &#x017F;ein Lebtag zu ringen mit dem Andrang<lb/>
feindlicher Nachbarn. Seine &#x017F;tarke Natur verlor über den großen Ent-<lb/>
würfen der europäi&#x017F;chen Politik nicht jenen &#x017F;org&#x017F;am haushälteri&#x017F;chen Sinn,<lb/>
der den Mei&#x017F;ten &#x017F;einer Vorfahren eigen war und &#x017F;chon in den Anfängen<lb/>
des Hau&#x017F;es an dem häufig wiederkehrenden Beinamen <hi rendition="#aq">Oeconomus</hi> &#x017F;ich<lb/>
erkennen läßt; er that das Mögliche den zer&#x017F;törten Wohl&#x017F;tand des Landes<lb/>
zu heben, erzog den Stamm eines monarchi&#x017F;chen Beamtenthums, begann<lb/>
den Staatshaushalt nach den Bedürfni&#x017F;&#x017F;en moderner Geldwirth&#x017F;chaft<lb/>
umzuge&#x017F;talten. Doch eine durchgreifende Reform der Verwaltung kam<lb/>
in den Stürmen die&#x017F;er kampferfüllten Regierung nicht zu Stande; des<lb/>
Für&#x017F;ten per&#x017F;önliches An&#x017F;ehen und die &#x017F;chwerfällige alte Centralbehörde,<lb/>
der Geheime Rath, hielten das unge&#x017F;talte Bündel &#x017F;tändi&#x017F;cher Territorien<lb/>
nothdürftig zu&#x017F;ammen. Er&#x017F;t &#x017F;ein Enkel zer&#x017F;törte den alten &#x017F;tändi&#x017F;chen<lb/>
Staat.</p><lb/>
            <p>König Friedrich Wilhelm <hi rendition="#aq">I.</hi> &#x017F;tellte die Grundgedanken der inneren<lb/>
Ordnung des preußi&#x017F;chen Staates &#x017F;o unverrückbar fe&#x017F;t, daß &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Ge&#x017F;etze Steins und Scharnhor&#x017F;ts und die Reformen un&#x017F;erer Tage das<lb/>
Werk des harten Mannes nur fortbilden, nicht zer&#x017F;tören konnten. Er<lb/>
i&#x017F;t der Schöpfer der neuen deut&#x017F;chen Verwaltung, un&#x017F;eres Beamtenthums<lb/>
und Offizier&#x017F;tandes; &#x017F;ein glanzlos arbeit&#x017F;ames Wirken ward nicht minder<lb/>
fruchtbar für das deut&#x017F;che Leben als die Waffenthaten &#x017F;eines Großvaters,<lb/>
denn er führte eine neue Staatsform, die ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Staatseinheit der<lb/>
modernen Monarchie, in un&#x017F;ere Ge&#x017F;chichte ein. Er gab dem neuen<lb/>
Namen der Preußen Sinn und Inhalt, vereinte &#x017F;ein Volk zur Gemein-<lb/>
&#x017F;chaft politi&#x017F;cher Pflichterfüllung, prägte den Gedanken der Pflicht für<lb/>
alle Zukunft die&#x017F;em Staate ein. Nur wer den knorrigen Wuchs, die<lb/>
harten Ecken und Kanten des niederdeut&#x017F;chen Volkscharakters kennt, wird<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0053] Das Königreich Preußen. die ruchloſe Unzucht der ſächſiſchen Auguſte nicht von fern heran. Den ſchweren niederdeutſchen Naturen fehlte die Anmuth der Sünde; immer wieder, oft in hochkomiſchem Contraſte, brach das ernſthaft nüchterne nordiſche Weſen durch die erkünſtelten Verſailler Formen hindurch. Doch die Verſchwendung des Hofes drohte die Mittel des armen Landes zu verzehren; für ein Gemeinweſen, das ſich alſo durch die Macht des Willens emporgehoben über das Maß ſeiner natürlichen Kräfte, war nichts ſchwerer zu ertragen, als die ſchlaffe Mittelmäßigkeit. Ein Glück für Deutſchland, daß die derben Fäuſte König Friedrich Wilhelms I. der Luſt und Herrlichkeit jener erſten königlichen Tage ein jähes Ende bereiteten. Der unfertige Staat enthielt in ſich die Keime vielſeitigen Lebens und vermochte doch mit ſeiner geringen Macht faſt niemals, allen ſeinen Aufgaben zugleich zu genügen; ſeine Fürſten haben das Werk ihrer Väter ſelten in gerader Linie weitergeführt, ſondern der Nachfolger trat immer in die Breſche ein, welche der Vorgänger offen gelaſſen, wendete ſeine beſte Kraft den Zweigen des Staatslebens zu, welche Jener vernachläſſigt hatte. Der große Kurfürſt hatte ſein Lebtag zu ringen mit dem Andrang feindlicher Nachbarn. Seine ſtarke Natur verlor über den großen Ent- würfen der europäiſchen Politik nicht jenen ſorgſam haushälteriſchen Sinn, der den Meiſten ſeiner Vorfahren eigen war und ſchon in den Anfängen des Hauſes an dem häufig wiederkehrenden Beinamen Oeconomus ſich erkennen läßt; er that das Mögliche den zerſtörten Wohlſtand des Landes zu heben, erzog den Stamm eines monarchiſchen Beamtenthums, begann den Staatshaushalt nach den Bedürfniſſen moderner Geldwirthſchaft umzugeſtalten. Doch eine durchgreifende Reform der Verwaltung kam in den Stürmen dieſer kampferfüllten Regierung nicht zu Stande; des Fürſten perſönliches Anſehen und die ſchwerfällige alte Centralbehörde, der Geheime Rath, hielten das ungeſtalte Bündel ſtändiſcher Territorien nothdürftig zuſammen. Erſt ſein Enkel zerſtörte den alten ſtändiſchen Staat. König Friedrich Wilhelm I. ſtellte die Grundgedanken der inneren Ordnung des preußiſchen Staates ſo unverrückbar feſt, daß ſelbſt die Geſetze Steins und Scharnhorſts und die Reformen unſerer Tage das Werk des harten Mannes nur fortbilden, nicht zerſtören konnten. Er iſt der Schöpfer der neuen deutſchen Verwaltung, unſeres Beamtenthums und Offizierſtandes; ſein glanzlos arbeitſames Wirken ward nicht minder fruchtbar für das deutſche Leben als die Waffenthaten ſeines Großvaters, denn er führte eine neue Staatsform, die geſchloſſene Staatseinheit der modernen Monarchie, in unſere Geſchichte ein. Er gab dem neuen Namen der Preußen Sinn und Inhalt, vereinte ſein Volk zur Gemein- ſchaft politiſcher Pflichterfüllung, prägte den Gedanken der Pflicht für alle Zukunft dieſem Staate ein. Nur wer den knorrigen Wuchs, die harten Ecken und Kanten des niederdeutſchen Volkscharakters kennt, wird

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/53
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/53>, abgerufen am 22.11.2024.