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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 4. Der Befreiungskrieg.
handeln, dort galt es zunächst nur den König Jerome und die napoleonischen
Präfecten zu verjagen. Was die hoffenden Patrioten von der Hofburg zu er-
warten hatten, das lehrte im October ein cynischer Aufsatz von Gentz in der
Prager Zeitung: der Sieg sei der Uebergang aus dem Zustande der Ent-
sagung in den Zustand der Ruhe und des Genusses! Das lehrten noch
deutlicher die endlosen Verhandlungen über Steins Centralverwaltungsrath.

Ein Unstern schwebte von Haus aus über dieser Schöpfung des Frei-
herrn; monatelang fand sie keine rechte Thätigkeit, da man noch wenig erobert
hatte. Alle die fremden Mächte, die noch zu Deutschland gerechnet wurden,
England, Schweden, Oesterreich äußerten wiederholt ihr Mißtrauen. Die ent-
thronten Kleinfürsten dagegen drängten sich heran, und natürlich durfte der
unaufhaltsame Gagern nicht fehlen; der alterprobte Lebensretter der Klein-
staaterei zeigte Vollmachten vor von dem Kurfürsten von Hessen und dem
Fürsten von Oranien, forderte Sitz und Stimme für die beiden Herren
ohne Land. Sobald Oesterreich der Allianz beigetreten war, verlangte
Metternich sogleich gänzliche Umgestaltung der verdächtigen Behörde: sie
dürfe nichts sein als ein militärisches Verpflegungsamt. Der russische
Gesandte Alopeus, der bisher die provisorische Verwaltung in Mecklen-
burg geführt, ein vertrauter Freund der preußischen Patrioten, mußte auf
den Wunsch der Hofburg abberufen werden. In Teplitz legte Humboldt
einen veränderten Entwurf vor, der aber zu Metternichs Entsetzen die
Vorschrift enthielt, daß die Centralverwaltung in den eroberten Ländern
die Landstände einberufen solle. Neue Bedenken, neue Verschleppung.
Auch Nesselrode, Alexanders neuer Rathgeber, der sich immer gelehriger
in Metternichs Anschauungen einlebte, zeigte lauen Willen. Die Sache
blieb liegen, und erst nach der Leipziger Schlacht, am 21. October wurde
ein neuer Vertrag unterzeichnet, welcher die mit so stolzen Erwartungen
begründete Behörde jeder politischen Bedeutung beraubte. Stein und
sein treuer Mitarbeiter Eichhorn wünschten, daß den zur Coalition über-
tretenden Kleinfürsten nur die vorläufige Fortführung der Regierung unter
der Aufsicht der Centralverwaltung belassen würde; dann hätten sie jedes
Hoheitsrecht, das ihnen die künftige Bundesacte zurückgab, als ein Ge-
schenk von Seiten des Deutschen Bundes betrachten müssen. Metternich
wollte umgekehrt die kleinen Fürsten dadurch gewinnen, daß er ihnen den
Fortbestand ihrer durch die Beraubung des alten Reichs geschaffenen
Machtvollkommenheit verbürgte; die Centralverwaltung erschien ihm um
so gefährlicher weil er fürchtete, daß sie die Vereinigung Sachsens mit
dem preußischen Staate vorbereiten könnte. Seine Ansicht drang durch.
Die Wirksamkeit der Centralverwaltung wurde beschränkt auf die Leitung
der Rüstungen und der Heeresverpflegung in den eroberten Gebieten;
Stein mit einem Rathe von Agenten der verbündeten Regierungen er-
hielt die oberste Aufsicht; die von ihm angestellten Militärgouverneure
sollten immer nur durch die bestehenden Obrigkeiten ihre Befehle aus-

I. 4. Der Befreiungskrieg.
handeln, dort galt es zunächſt nur den König Jerome und die napoleoniſchen
Präfecten zu verjagen. Was die hoffenden Patrioten von der Hofburg zu er-
warten hatten, das lehrte im October ein cyniſcher Aufſatz von Gentz in der
Prager Zeitung: der Sieg ſei der Uebergang aus dem Zuſtande der Ent-
ſagung in den Zuſtand der Ruhe und des Genuſſes! Das lehrten noch
deutlicher die endloſen Verhandlungen über Steins Centralverwaltungsrath.

Ein Unſtern ſchwebte von Haus aus über dieſer Schöpfung des Frei-
herrn; monatelang fand ſie keine rechte Thätigkeit, da man noch wenig erobert
hatte. Alle die fremden Mächte, die noch zu Deutſchland gerechnet wurden,
England, Schweden, Oeſterreich äußerten wiederholt ihr Mißtrauen. Die ent-
thronten Kleinfürſten dagegen drängten ſich heran, und natürlich durfte der
unaufhaltſame Gagern nicht fehlen; der alterprobte Lebensretter der Klein-
ſtaaterei zeigte Vollmachten vor von dem Kurfürſten von Heſſen und dem
Fürſten von Oranien, forderte Sitz und Stimme für die beiden Herren
ohne Land. Sobald Oeſterreich der Allianz beigetreten war, verlangte
Metternich ſogleich gänzliche Umgeſtaltung der verdächtigen Behörde: ſie
dürfe nichts ſein als ein militäriſches Verpflegungsamt. Der ruſſiſche
Geſandte Alopeus, der bisher die proviſoriſche Verwaltung in Mecklen-
burg geführt, ein vertrauter Freund der preußiſchen Patrioten, mußte auf
den Wunſch der Hofburg abberufen werden. In Teplitz legte Humboldt
einen veränderten Entwurf vor, der aber zu Metternichs Entſetzen die
Vorſchrift enthielt, daß die Centralverwaltung in den eroberten Ländern
die Landſtände einberufen ſolle. Neue Bedenken, neue Verſchleppung.
Auch Neſſelrode, Alexanders neuer Rathgeber, der ſich immer gelehriger
in Metternichs Anſchauungen einlebte, zeigte lauen Willen. Die Sache
blieb liegen, und erſt nach der Leipziger Schlacht, am 21. October wurde
ein neuer Vertrag unterzeichnet, welcher die mit ſo ſtolzen Erwartungen
begründete Behörde jeder politiſchen Bedeutung beraubte. Stein und
ſein treuer Mitarbeiter Eichhorn wünſchten, daß den zur Coalition über-
tretenden Kleinfürſten nur die vorläufige Fortführung der Regierung unter
der Aufſicht der Centralverwaltung belaſſen würde; dann hätten ſie jedes
Hoheitsrecht, das ihnen die künftige Bundesacte zurückgab, als ein Ge-
ſchenk von Seiten des Deutſchen Bundes betrachten müſſen. Metternich
wollte umgekehrt die kleinen Fürſten dadurch gewinnen, daß er ihnen den
Fortbeſtand ihrer durch die Beraubung des alten Reichs geſchaffenen
Machtvollkommenheit verbürgte; die Centralverwaltung erſchien ihm um
ſo gefährlicher weil er fürchtete, daß ſie die Vereinigung Sachſens mit
dem preußiſchen Staate vorbereiten könnte. Seine Anſicht drang durch.
Die Wirkſamkeit der Centralverwaltung wurde beſchränkt auf die Leitung
der Rüſtungen und der Heeresverpflegung in den eroberten Gebieten;
Stein mit einem Rathe von Agenten der verbündeten Regierungen er-
hielt die oberſte Aufſicht; die von ihm angeſtellten Militärgouverneure
ſollten immer nur durch die beſtehenden Obrigkeiten ihre Befehle aus-

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[492/0508] I. 4. Der Befreiungskrieg. handeln, dort galt es zunächſt nur den König Jerome und die napoleoniſchen Präfecten zu verjagen. Was die hoffenden Patrioten von der Hofburg zu er- warten hatten, das lehrte im October ein cyniſcher Aufſatz von Gentz in der Prager Zeitung: der Sieg ſei der Uebergang aus dem Zuſtande der Ent- ſagung in den Zuſtand der Ruhe und des Genuſſes! Das lehrten noch deutlicher die endloſen Verhandlungen über Steins Centralverwaltungsrath. Ein Unſtern ſchwebte von Haus aus über dieſer Schöpfung des Frei- herrn; monatelang fand ſie keine rechte Thätigkeit, da man noch wenig erobert hatte. Alle die fremden Mächte, die noch zu Deutſchland gerechnet wurden, England, Schweden, Oeſterreich äußerten wiederholt ihr Mißtrauen. Die ent- thronten Kleinfürſten dagegen drängten ſich heran, und natürlich durfte der unaufhaltſame Gagern nicht fehlen; der alterprobte Lebensretter der Klein- ſtaaterei zeigte Vollmachten vor von dem Kurfürſten von Heſſen und dem Fürſten von Oranien, forderte Sitz und Stimme für die beiden Herren ohne Land. Sobald Oeſterreich der Allianz beigetreten war, verlangte Metternich ſogleich gänzliche Umgeſtaltung der verdächtigen Behörde: ſie dürfe nichts ſein als ein militäriſches Verpflegungsamt. Der ruſſiſche Geſandte Alopeus, der bisher die proviſoriſche Verwaltung in Mecklen- burg geführt, ein vertrauter Freund der preußiſchen Patrioten, mußte auf den Wunſch der Hofburg abberufen werden. In Teplitz legte Humboldt einen veränderten Entwurf vor, der aber zu Metternichs Entſetzen die Vorſchrift enthielt, daß die Centralverwaltung in den eroberten Ländern die Landſtände einberufen ſolle. Neue Bedenken, neue Verſchleppung. Auch Neſſelrode, Alexanders neuer Rathgeber, der ſich immer gelehriger in Metternichs Anſchauungen einlebte, zeigte lauen Willen. Die Sache blieb liegen, und erſt nach der Leipziger Schlacht, am 21. October wurde ein neuer Vertrag unterzeichnet, welcher die mit ſo ſtolzen Erwartungen begründete Behörde jeder politiſchen Bedeutung beraubte. Stein und ſein treuer Mitarbeiter Eichhorn wünſchten, daß den zur Coalition über- tretenden Kleinfürſten nur die vorläufige Fortführung der Regierung unter der Aufſicht der Centralverwaltung belaſſen würde; dann hätten ſie jedes Hoheitsrecht, das ihnen die künftige Bundesacte zurückgab, als ein Ge- ſchenk von Seiten des Deutſchen Bundes betrachten müſſen. Metternich wollte umgekehrt die kleinen Fürſten dadurch gewinnen, daß er ihnen den Fortbeſtand ihrer durch die Beraubung des alten Reichs geſchaffenen Machtvollkommenheit verbürgte; die Centralverwaltung erſchien ihm um ſo gefährlicher weil er fürchtete, daß ſie die Vereinigung Sachſens mit dem preußiſchen Staate vorbereiten könnte. Seine Anſicht drang durch. Die Wirkſamkeit der Centralverwaltung wurde beſchränkt auf die Leitung der Rüſtungen und der Heeresverpflegung in den eroberten Gebieten; Stein mit einem Rathe von Agenten der verbündeten Regierungen er- hielt die oberſte Aufſicht; die von ihm angeſtellten Militärgouverneure ſollten immer nur durch die beſtehenden Obrigkeiten ihre Befehle aus-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/508>, abgerufen am 22.11.2024.