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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 4. Der Befreiungskrieg.
trauten englisch-hannoverschen Staatsmänner überraschte er sogar durch
die Frage: wozu überhaupt eine deutsche Bundesverfassung, die doch nur
böses Blut errege? wie viel einfacher doch, sich zu begnügen mit "einem
ausgedehnten Systeme von Verträgen und Allianzen", das die souveränen
deutschen Staaten für den Kriegsfall zu gegenseitigem Beistande verbände!
Darum wies er jede nähere Verabredung mit Hardenberg von der Hand
und erreichte wirklich, daß zu Teplitz gar nichts über die deutsche Ver-
fassung vereinbart wurde. Sein Vertrauter, Hofrath Binder, meinte
gemüthlich: wie einst das Verfassungswerk des Westphälischen Friedens
unmittelbar aus dem Chaos des großen Krieges emporgestiegen sei, so
werde auch die Verfassung des Deutschen Bundes zur rechten Zeit ganz
von selber durch die Umstände geschaffen werden. Nebenbei wurde Hum-
boldt, der alte Freund von Gentz, der tägliche Genosse von Metternichs
Abenteuern und Vergnügungen, bei dem Staatskanzler verleumdet. Die
Oesterreicher haßten ihn nächst Stein als den Haupturheber der preußi-
schen Bundespläne, und es hielt nicht schwer, dem ohnehin voreingenom-
menen Staatskanzler zu beweisen, daß der verdächtige Mann mit Hilfe
der "Exaltirten" sich des Staatsruders zu bemächtigen strebe.

Die Haltung Metternichs ergab sich nicht blos aus der natürlichen
Ruheseligkeit und Gedankenarmuth seines Geistes, der bei aller Schlau-
heit völlig unfruchtbar die Idee eines großen schöpferischen Verfassungs-
planes niemals hätte fassen können, sondern auch aus einer richtigen
Würdigung der Leistungsfähigkeit seines Staates. Wie Preußen an seiner
Schwäche, so krankte Oesterreich von jeher an seiner Stärke, an jener
Ueberfülle grundverschiedener politischer Ziele, die ihm durch die bunte
Mannichfaltigkeit seines Ländergewirrs gestellt wurden. Dieser alte Fluch
des Kaiserstaates wurde jetzt erneuert durch die blinde Gier einer sich
unendlich klug dünkenden Staatskunst. Das neue Oesterreich wollte zu-
gleich Italien beherrschen, die Führung in Deutschland behaupten und
das zwieträchtige Völkergewimmel an der Donau zusammenhalten -- drei
schwierige Aufgaben, denen kein Staat der Welt, und am Allerwenigsten
ein Staat von so geringen geistigen Kräften, auf die Dauer genügen
konnte. Die Zeit sollte kommen, da die kurzsichtige Thorheit dieser Politik
sich grausam bestrafte; damals hatte noch Niemand die tiefe Unsittlichkeit,
die innere Unmöglichkeit der Pläne Metternichs durchschaut. Die Cabinette
sahen vielmehr nicht ohne Neid, wie glücklich und sicher der gewandte
Mann sich seinen Zielen näherte. Er erkannte richtig, daß sein Oester-
reich eine Macht des Beharrens war und alle verwegenen Neuerungen
von sich weisen mußte; ein Staat in solcher Lage hatte keinen ärgeren
Feind als das Verlangen der Nationen nach Einheit und Freiheit, er
durfte diesseits wie jenseits der Alpen sich nur auf das dynastische Interesse
der Höfe stützen.

Der österreichische Staatsmann wollte sich also behutsam mit der

I. 4. Der Befreiungskrieg.
trauten engliſch-hannoverſchen Staatsmänner überraſchte er ſogar durch
die Frage: wozu überhaupt eine deutſche Bundesverfaſſung, die doch nur
böſes Blut errege? wie viel einfacher doch, ſich zu begnügen mit „einem
ausgedehnten Syſteme von Verträgen und Allianzen“, das die ſouveränen
deutſchen Staaten für den Kriegsfall zu gegenſeitigem Beiſtande verbände!
Darum wies er jede nähere Verabredung mit Hardenberg von der Hand
und erreichte wirklich, daß zu Teplitz gar nichts über die deutſche Ver-
faſſung vereinbart wurde. Sein Vertrauter, Hofrath Binder, meinte
gemüthlich: wie einſt das Verfaſſungswerk des Weſtphäliſchen Friedens
unmittelbar aus dem Chaos des großen Krieges emporgeſtiegen ſei, ſo
werde auch die Verfaſſung des Deutſchen Bundes zur rechten Zeit ganz
von ſelber durch die Umſtände geſchaffen werden. Nebenbei wurde Hum-
boldt, der alte Freund von Gentz, der tägliche Genoſſe von Metternichs
Abenteuern und Vergnügungen, bei dem Staatskanzler verleumdet. Die
Oeſterreicher haßten ihn nächſt Stein als den Haupturheber der preußi-
ſchen Bundespläne, und es hielt nicht ſchwer, dem ohnehin voreingenom-
menen Staatskanzler zu beweiſen, daß der verdächtige Mann mit Hilfe
der „Exaltirten“ ſich des Staatsruders zu bemächtigen ſtrebe.

Die Haltung Metternichs ergab ſich nicht blos aus der natürlichen
Ruheſeligkeit und Gedankenarmuth ſeines Geiſtes, der bei aller Schlau-
heit völlig unfruchtbar die Idee eines großen ſchöpferiſchen Verfaſſungs-
planes niemals hätte faſſen können, ſondern auch aus einer richtigen
Würdigung der Leiſtungsfähigkeit ſeines Staates. Wie Preußen an ſeiner
Schwäche, ſo krankte Oeſterreich von jeher an ſeiner Stärke, an jener
Ueberfülle grundverſchiedener politiſcher Ziele, die ihm durch die bunte
Mannichfaltigkeit ſeines Ländergewirrs geſtellt wurden. Dieſer alte Fluch
des Kaiſerſtaates wurde jetzt erneuert durch die blinde Gier einer ſich
unendlich klug dünkenden Staatskunſt. Das neue Oeſterreich wollte zu-
gleich Italien beherrſchen, die Führung in Deutſchland behaupten und
das zwieträchtige Völkergewimmel an der Donau zuſammenhalten — drei
ſchwierige Aufgaben, denen kein Staat der Welt, und am Allerwenigſten
ein Staat von ſo geringen geiſtigen Kräften, auf die Dauer genügen
konnte. Die Zeit ſollte kommen, da die kurzſichtige Thorheit dieſer Politik
ſich grauſam beſtrafte; damals hatte noch Niemand die tiefe Unſittlichkeit,
die innere Unmöglichkeit der Pläne Metternichs durchſchaut. Die Cabinette
ſahen vielmehr nicht ohne Neid, wie glücklich und ſicher der gewandte
Mann ſich ſeinen Zielen näherte. Er erkannte richtig, daß ſein Oeſter-
reich eine Macht des Beharrens war und alle verwegenen Neuerungen
von ſich weiſen mußte; ein Staat in ſolcher Lage hatte keinen ärgeren
Feind als das Verlangen der Nationen nach Einheit und Freiheit, er
durfte dieſſeits wie jenſeits der Alpen ſich nur auf das dynaſtiſche Intereſſe
der Höfe ſtützen.

Der öſterreichiſche Staatsmann wollte ſich alſo behutſam mit der

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[490/0506] I. 4. Der Befreiungskrieg. trauten engliſch-hannoverſchen Staatsmänner überraſchte er ſogar durch die Frage: wozu überhaupt eine deutſche Bundesverfaſſung, die doch nur böſes Blut errege? wie viel einfacher doch, ſich zu begnügen mit „einem ausgedehnten Syſteme von Verträgen und Allianzen“, das die ſouveränen deutſchen Staaten für den Kriegsfall zu gegenſeitigem Beiſtande verbände! Darum wies er jede nähere Verabredung mit Hardenberg von der Hand und erreichte wirklich, daß zu Teplitz gar nichts über die deutſche Ver- faſſung vereinbart wurde. Sein Vertrauter, Hofrath Binder, meinte gemüthlich: wie einſt das Verfaſſungswerk des Weſtphäliſchen Friedens unmittelbar aus dem Chaos des großen Krieges emporgeſtiegen ſei, ſo werde auch die Verfaſſung des Deutſchen Bundes zur rechten Zeit ganz von ſelber durch die Umſtände geſchaffen werden. Nebenbei wurde Hum- boldt, der alte Freund von Gentz, der tägliche Genoſſe von Metternichs Abenteuern und Vergnügungen, bei dem Staatskanzler verleumdet. Die Oeſterreicher haßten ihn nächſt Stein als den Haupturheber der preußi- ſchen Bundespläne, und es hielt nicht ſchwer, dem ohnehin voreingenom- menen Staatskanzler zu beweiſen, daß der verdächtige Mann mit Hilfe der „Exaltirten“ ſich des Staatsruders zu bemächtigen ſtrebe. Die Haltung Metternichs ergab ſich nicht blos aus der natürlichen Ruheſeligkeit und Gedankenarmuth ſeines Geiſtes, der bei aller Schlau- heit völlig unfruchtbar die Idee eines großen ſchöpferiſchen Verfaſſungs- planes niemals hätte faſſen können, ſondern auch aus einer richtigen Würdigung der Leiſtungsfähigkeit ſeines Staates. Wie Preußen an ſeiner Schwäche, ſo krankte Oeſterreich von jeher an ſeiner Stärke, an jener Ueberfülle grundverſchiedener politiſcher Ziele, die ihm durch die bunte Mannichfaltigkeit ſeines Ländergewirrs geſtellt wurden. Dieſer alte Fluch des Kaiſerſtaates wurde jetzt erneuert durch die blinde Gier einer ſich unendlich klug dünkenden Staatskunſt. Das neue Oeſterreich wollte zu- gleich Italien beherrſchen, die Führung in Deutſchland behaupten und das zwieträchtige Völkergewimmel an der Donau zuſammenhalten — drei ſchwierige Aufgaben, denen kein Staat der Welt, und am Allerwenigſten ein Staat von ſo geringen geiſtigen Kräften, auf die Dauer genügen konnte. Die Zeit ſollte kommen, da die kurzſichtige Thorheit dieſer Politik ſich grauſam beſtrafte; damals hatte noch Niemand die tiefe Unſittlichkeit, die innere Unmöglichkeit der Pläne Metternichs durchſchaut. Die Cabinette ſahen vielmehr nicht ohne Neid, wie glücklich und ſicher der gewandte Mann ſich ſeinen Zielen näherte. Er erkannte richtig, daß ſein Oeſter- reich eine Macht des Beharrens war und alle verwegenen Neuerungen von ſich weiſen mußte; ein Staat in ſolcher Lage hatte keinen ärgeren Feind als das Verlangen der Nationen nach Einheit und Freiheit, er durfte dieſſeits wie jenſeits der Alpen ſich nur auf das dynaſtiſche Intereſſe der Höfe ſtützen. Der öſterreichiſche Staatsmann wollte ſich alſo behutſam mit der

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/506>, abgerufen am 22.11.2024.