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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 4. Der Befreiungskrieg.
Verhandlungen vertrauensvoll in Oesterreichs Hände, da Metternich drohte,
sein Kaiser werde sonst vielleicht in bewaffneter Neutralität verharren; aber
sie erklärten zugleich ihren festen Entschluß den Krieg im äußersten Falle
auch ohne Oesterreich fortzusetzen. Damit war Oesterreichs Eintritt in den
Kampf nahezu entschieden. Denn offenbar konnten Metternichs Pläne
nur gelingen, wenn er sich von den Verbündeten nicht gänzlich trennte;
wurden die Waffen wieder aufgenommen und der österreichische Hof blieb
neutral, so mußte er fürchten von den Früchten der Siege der Coalition
ausgeschlossen, doch in die Folgen ihrer Niederlagen mit verwickelt zu
werden. Eine politische Nothwendigkeit, die stärker war als eines Men-
schen Wille, drängte den Wiener Hof aus seiner zuwartenden Haltung
heraus. Gleichwohl kehrten noch im Juli, ja bis zur Stunde der letzten
Entscheidung bange Augenblicke des Zweifels wieder. Im preußischen
Hauptquartiere sprach Ancillon nach seiner kleinmüthigen Weise für den
Frieden, und Knesebeck führte in einer Denkschrift*) aus: auf die Auf-
lösung des Rheinbundes sei für jetzt nicht zu hoffen, der preußische Staat
könne aber zur Noth auch ohne Magdeburg bestehen, wenn er nur auf
dem rechten Elbufer durch Mecklenburg und Schwedisch-Pommern wohl
abgerundet würde und eine feste Position an der Weichsel erhielte! Der
König selbst dachte muthiger, hielt dem Kaiser Franz in einem eigen-
händigen Briefe vor: der preußische Staat müsse in Deutschland erheblich
vergrößert werden, wenn Oesterreich an ihm einen starken und zuver-
lässigen Nachbar haben wolle.

Währenddem ward man auch mit Schweden endlich handelseinig.
Da Dänemark wieder förmlich zu dem französischen Bündniß zurückkehrte,
so fielen Friedrich Wilhelms Bedenken hinweg, und er verbürgte durch
den Vertrag vom 22. Juli der Krone Schweden, die nunmehr dem Kali-
scher Bunde beitrat, die Erwerbung von Norwegen. Ein geheimer Artikel
verhieß den Dänen nöthigenfalls auf deutschem Boden eine Entschädigung
für Norwegen. Hardenbergs Leichtsinn fand daran kein Arg; er meinte,
diese Entschädigung könne höchstens in einem kleinen Fetzen Landes be-
stehen, da man ja Dänemark durch die Waffen bezwingen wollte, und
glaubte zu wissen, daß Schwedisch-Pommern auf keinen Fall den Kauf-
preis für Norwegen bilden werde. Hatte ihm doch Bernadotte mündlich
versichert, Schweden sei geneigt, den letzten Rest seiner deutschen Be-
sitzungen an Preußen abzutreten **). Aber was war auf solche unbe-
stimmte Zusagen des Treulosen zu geben?

Mit jedem neuen Tage wuchsen die Hoffnungen auf Oesterreichs
Beitritt; auch die Nachricht von Wellingtons strahlendem Siege bei Vit-

*) Die Abschrift, die mir vorlag, trägt kein Datum. Das Memoire kann aber,
nach Form und Inhalt, nur während des Waffenstillstandes geschrieben sein.
**) Hardenbergs Tagebuch 24. Januar 1814.

I. 4. Der Befreiungskrieg.
Verhandlungen vertrauensvoll in Oeſterreichs Hände, da Metternich drohte,
ſein Kaiſer werde ſonſt vielleicht in bewaffneter Neutralität verharren; aber
ſie erklärten zugleich ihren feſten Entſchluß den Krieg im äußerſten Falle
auch ohne Oeſterreich fortzuſetzen. Damit war Oeſterreichs Eintritt in den
Kampf nahezu entſchieden. Denn offenbar konnten Metternichs Pläne
nur gelingen, wenn er ſich von den Verbündeten nicht gänzlich trennte;
wurden die Waffen wieder aufgenommen und der öſterreichiſche Hof blieb
neutral, ſo mußte er fürchten von den Früchten der Siege der Coalition
ausgeſchloſſen, doch in die Folgen ihrer Niederlagen mit verwickelt zu
werden. Eine politiſche Nothwendigkeit, die ſtärker war als eines Men-
ſchen Wille, drängte den Wiener Hof aus ſeiner zuwartenden Haltung
heraus. Gleichwohl kehrten noch im Juli, ja bis zur Stunde der letzten
Entſcheidung bange Augenblicke des Zweifels wieder. Im preußiſchen
Hauptquartiere ſprach Ancillon nach ſeiner kleinmüthigen Weiſe für den
Frieden, und Kneſebeck führte in einer Denkſchrift*) aus: auf die Auf-
löſung des Rheinbundes ſei für jetzt nicht zu hoffen, der preußiſche Staat
könne aber zur Noth auch ohne Magdeburg beſtehen, wenn er nur auf
dem rechten Elbufer durch Mecklenburg und Schwediſch-Pommern wohl
abgerundet würde und eine feſte Poſition an der Weichſel erhielte! Der
König ſelbſt dachte muthiger, hielt dem Kaiſer Franz in einem eigen-
händigen Briefe vor: der preußiſche Staat müſſe in Deutſchland erheblich
vergrößert werden, wenn Oeſterreich an ihm einen ſtarken und zuver-
läſſigen Nachbar haben wolle.

Währenddem ward man auch mit Schweden endlich handelseinig.
Da Dänemark wieder förmlich zu dem franzöſiſchen Bündniß zurückkehrte,
ſo fielen Friedrich Wilhelms Bedenken hinweg, und er verbürgte durch
den Vertrag vom 22. Juli der Krone Schweden, die nunmehr dem Kali-
ſcher Bunde beitrat, die Erwerbung von Norwegen. Ein geheimer Artikel
verhieß den Dänen nöthigenfalls auf deutſchem Boden eine Entſchädigung
für Norwegen. Hardenbergs Leichtſinn fand daran kein Arg; er meinte,
dieſe Entſchädigung könne höchſtens in einem kleinen Fetzen Landes be-
ſtehen, da man ja Dänemark durch die Waffen bezwingen wollte, und
glaubte zu wiſſen, daß Schwediſch-Pommern auf keinen Fall den Kauf-
preis für Norwegen bilden werde. Hatte ihm doch Bernadotte mündlich
verſichert, Schweden ſei geneigt, den letzten Reſt ſeiner deutſchen Be-
ſitzungen an Preußen abzutreten **). Aber was war auf ſolche unbe-
ſtimmte Zuſagen des Treuloſen zu geben?

Mit jedem neuen Tage wuchſen die Hoffnungen auf Oeſterreichs
Beitritt; auch die Nachricht von Wellingtons ſtrahlendem Siege bei Vit-

*) Die Abſchrift, die mir vorlag, trägt kein Datum. Das Memoire kann aber,
nach Form und Inhalt, nur während des Waffenſtillſtandes geſchrieben ſein.
**) Hardenbergs Tagebuch 24. Januar 1814.
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[466/0482] I. 4. Der Befreiungskrieg. Verhandlungen vertrauensvoll in Oeſterreichs Hände, da Metternich drohte, ſein Kaiſer werde ſonſt vielleicht in bewaffneter Neutralität verharren; aber ſie erklärten zugleich ihren feſten Entſchluß den Krieg im äußerſten Falle auch ohne Oeſterreich fortzuſetzen. Damit war Oeſterreichs Eintritt in den Kampf nahezu entſchieden. Denn offenbar konnten Metternichs Pläne nur gelingen, wenn er ſich von den Verbündeten nicht gänzlich trennte; wurden die Waffen wieder aufgenommen und der öſterreichiſche Hof blieb neutral, ſo mußte er fürchten von den Früchten der Siege der Coalition ausgeſchloſſen, doch in die Folgen ihrer Niederlagen mit verwickelt zu werden. Eine politiſche Nothwendigkeit, die ſtärker war als eines Men- ſchen Wille, drängte den Wiener Hof aus ſeiner zuwartenden Haltung heraus. Gleichwohl kehrten noch im Juli, ja bis zur Stunde der letzten Entſcheidung bange Augenblicke des Zweifels wieder. Im preußiſchen Hauptquartiere ſprach Ancillon nach ſeiner kleinmüthigen Weiſe für den Frieden, und Kneſebeck führte in einer Denkſchrift *) aus: auf die Auf- löſung des Rheinbundes ſei für jetzt nicht zu hoffen, der preußiſche Staat könne aber zur Noth auch ohne Magdeburg beſtehen, wenn er nur auf dem rechten Elbufer durch Mecklenburg und Schwediſch-Pommern wohl abgerundet würde und eine feſte Poſition an der Weichſel erhielte! Der König ſelbſt dachte muthiger, hielt dem Kaiſer Franz in einem eigen- händigen Briefe vor: der preußiſche Staat müſſe in Deutſchland erheblich vergrößert werden, wenn Oeſterreich an ihm einen ſtarken und zuver- läſſigen Nachbar haben wolle. Währenddem ward man auch mit Schweden endlich handelseinig. Da Dänemark wieder förmlich zu dem franzöſiſchen Bündniß zurückkehrte, ſo fielen Friedrich Wilhelms Bedenken hinweg, und er verbürgte durch den Vertrag vom 22. Juli der Krone Schweden, die nunmehr dem Kali- ſcher Bunde beitrat, die Erwerbung von Norwegen. Ein geheimer Artikel verhieß den Dänen nöthigenfalls auf deutſchem Boden eine Entſchädigung für Norwegen. Hardenbergs Leichtſinn fand daran kein Arg; er meinte, dieſe Entſchädigung könne höchſtens in einem kleinen Fetzen Landes be- ſtehen, da man ja Dänemark durch die Waffen bezwingen wollte, und glaubte zu wiſſen, daß Schwediſch-Pommern auf keinen Fall den Kauf- preis für Norwegen bilden werde. Hatte ihm doch Bernadotte mündlich verſichert, Schweden ſei geneigt, den letzten Reſt ſeiner deutſchen Be- ſitzungen an Preußen abzutreten **). Aber was war auf ſolche unbe- ſtimmte Zuſagen des Treuloſen zu geben? Mit jedem neuen Tage wuchſen die Hoffnungen auf Oeſterreichs Beitritt; auch die Nachricht von Wellingtons ſtrahlendem Siege bei Vit- *) Die Abſchrift, die mir vorlag, trägt kein Datum. Das Memoire kann aber, nach Form und Inhalt, nur während des Waffenſtillſtandes geſchrieben ſein. **) Hardenbergs Tagebuch 24. Januar 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/482>, abgerufen am 22.11.2024.