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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 4. Der Befreiungskrieg.
befahl er bei Spandau ein verschanztes Lager anzulegen, damit Preußen
im Nothfalle, nach den Plänen der Kriegspartei von 1811, den Ver-
zweiflungskampf allein fortsetzen könne. Auf Gneisenaus Wunsch ver-
faßte Clausewitz seine köstliche Schrift über den Frühjahrsfeldzug und
führte darin den Nachweis, daß die Streitkräfte der Alliirten während
der Waffenruhe unverhältnißmäßig wachsen müßten. Ebenso faßte Har-
denberg die Lage auf; sein Tagebuch enthält hinter der Nachricht vom
Waffenstillstande die lakonische Bemerkung: "war doch gut." Wie er
Napoleons Stolz kannte, hielt er für ganz undenkbar, daß der noch un-
besiegte Imperator auf Oesterreichs Friedensvorschläge eingehen würde;
seine Zuversicht war um so fester, da er die freundlichen Absichten der
Hofburg weit überschätzte.

Während Oesterreich sich anschickte den Weltfrieden zu vermitteln,
führte der Staatskanzler die Verhandlungen mit England weiter und
schloß am 14. Juni den Vertrag von Reichenbach, kraft dessen die beiden
Mächte sich verpflichteten die Unabhängigkeit der von Frankreich unter-
drückten Staaten wieder herzustellen. Schritt für Schritt hatte er mit
der welfischen Habgier ringen müssen, und wenn er schließlich zur Hälfte
nachgab, so befand er sich in der Lage des Bedrängten, der in höchster Geld-
noth einem Wucherer Wucherzinsen zahlt. Ohne die englischen Subsidien
war Preußen völlig außer Stande den Krieg fortzuführen, das hatte Har-
denberg schon im Februar dem britischen Cabinet erklärt. Als er ein-
mal dem General Stewart vorhielt, das Parlament und die englische
Nation würden ein so kleinliches Verfahren in großer Sache sicherlich
nicht billigen, da erwiderte Jener mit unfreiwilligem Humor: "ich bin
weder von der Nation noch von dem Parlament hierhergeschickt worden,
sondern von S. K. Hoheit dem Prinzregenten!" Stewart und sein Amts-
genosse, der hölzerne, steif pedantische Lord Clancarty trugen die Ueber-
legenheit des Bezahlenden mit der ganzen ihrem Volke eigenthümlichen
Rücksichtslosigkeit zur Schau; nach einer glaubwürdigen Ueberlieferung
ist dem preußischen Staate sogar die zollfreie Einfuhr aller englischen
Waaren zugemuthet worden. Dazu die bodenlose Unwissenheit dieser
Torys; aus Clancartys Briefen mußte Hardenberg ersehen, daß der Lord
den Kalischer Vertrag entweder nie gelesen oder gröblich mißverstanden
hatte. Von selbst verstand sich, daß Preußen nur halb so viel Subsidien
erhalten sollte als Rußland, das überdies, Dank seiner geographischen
Lage, vor welfischen Landforderungen bewahrt blieb; die unglücklichen Zif-
fern des Kalischer Vertrags zeigten jetzt ihre praktische Bedeutung. Endlich
einigte man sich über 666,666 Pfd. St., wofür Preußen 80,000 Mann
ins Feld stellen sollte; und diese für einen solchen Krieg armselige Summe,
um ein Drittel niedriger als die an Schweden bewilligten Subsidien,
ward nachher zum Theil in unbrauchbaren Uniformen bezahlt.

Gegen die Abtretung altpreußischer Gebiete sträubte sich das Pflicht-

I. 4. Der Befreiungskrieg.
befahl er bei Spandau ein verſchanztes Lager anzulegen, damit Preußen
im Nothfalle, nach den Plänen der Kriegspartei von 1811, den Ver-
zweiflungskampf allein fortſetzen könne. Auf Gneiſenaus Wunſch ver-
faßte Clauſewitz ſeine köſtliche Schrift über den Frühjahrsfeldzug und
führte darin den Nachweis, daß die Streitkräfte der Alliirten während
der Waffenruhe unverhältnißmäßig wachſen müßten. Ebenſo faßte Har-
denberg die Lage auf; ſein Tagebuch enthält hinter der Nachricht vom
Waffenſtillſtande die lakoniſche Bemerkung: „war doch gut.“ Wie er
Napoleons Stolz kannte, hielt er für ganz undenkbar, daß der noch un-
beſiegte Imperator auf Oeſterreichs Friedensvorſchläge eingehen würde;
ſeine Zuverſicht war um ſo feſter, da er die freundlichen Abſichten der
Hofburg weit überſchätzte.

Während Oeſterreich ſich anſchickte den Weltfrieden zu vermitteln,
führte der Staatskanzler die Verhandlungen mit England weiter und
ſchloß am 14. Juni den Vertrag von Reichenbach, kraft deſſen die beiden
Mächte ſich verpflichteten die Unabhängigkeit der von Frankreich unter-
drückten Staaten wieder herzuſtellen. Schritt für Schritt hatte er mit
der welfiſchen Habgier ringen müſſen, und wenn er ſchließlich zur Hälfte
nachgab, ſo befand er ſich in der Lage des Bedrängten, der in höchſter Geld-
noth einem Wucherer Wucherzinſen zahlt. Ohne die engliſchen Subſidien
war Preußen völlig außer Stande den Krieg fortzuführen, das hatte Har-
denberg ſchon im Februar dem britiſchen Cabinet erklärt. Als er ein-
mal dem General Stewart vorhielt, das Parlament und die engliſche
Nation würden ein ſo kleinliches Verfahren in großer Sache ſicherlich
nicht billigen, da erwiderte Jener mit unfreiwilligem Humor: „ich bin
weder von der Nation noch von dem Parlament hierhergeſchickt worden,
ſondern von S. K. Hoheit dem Prinzregenten!“ Stewart und ſein Amts-
genoſſe, der hölzerne, ſteif pedantiſche Lord Clancarty trugen die Ueber-
legenheit des Bezahlenden mit der ganzen ihrem Volke eigenthümlichen
Rückſichtsloſigkeit zur Schau; nach einer glaubwürdigen Ueberlieferung
iſt dem preußiſchen Staate ſogar die zollfreie Einfuhr aller engliſchen
Waaren zugemuthet worden. Dazu die bodenloſe Unwiſſenheit dieſer
Torys; aus Clancartys Briefen mußte Hardenberg erſehen, daß der Lord
den Kaliſcher Vertrag entweder nie geleſen oder gröblich mißverſtanden
hatte. Von ſelbſt verſtand ſich, daß Preußen nur halb ſo viel Subſidien
erhalten ſollte als Rußland, das überdies, Dank ſeiner geographiſchen
Lage, vor welfiſchen Landforderungen bewahrt blieb; die unglücklichen Zif-
fern des Kaliſcher Vertrags zeigten jetzt ihre praktiſche Bedeutung. Endlich
einigte man ſich über 666,666 Pfd. St., wofür Preußen 80,000 Mann
ins Feld ſtellen ſollte; und dieſe für einen ſolchen Krieg armſelige Summe,
um ein Drittel niedriger als die an Schweden bewilligten Subſidien,
ward nachher zum Theil in unbrauchbaren Uniformen bezahlt.

Gegen die Abtretung altpreußiſcher Gebiete ſträubte ſich das Pflicht-

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[462/0478] I. 4. Der Befreiungskrieg. befahl er bei Spandau ein verſchanztes Lager anzulegen, damit Preußen im Nothfalle, nach den Plänen der Kriegspartei von 1811, den Ver- zweiflungskampf allein fortſetzen könne. Auf Gneiſenaus Wunſch ver- faßte Clauſewitz ſeine köſtliche Schrift über den Frühjahrsfeldzug und führte darin den Nachweis, daß die Streitkräfte der Alliirten während der Waffenruhe unverhältnißmäßig wachſen müßten. Ebenſo faßte Har- denberg die Lage auf; ſein Tagebuch enthält hinter der Nachricht vom Waffenſtillſtande die lakoniſche Bemerkung: „war doch gut.“ Wie er Napoleons Stolz kannte, hielt er für ganz undenkbar, daß der noch un- beſiegte Imperator auf Oeſterreichs Friedensvorſchläge eingehen würde; ſeine Zuverſicht war um ſo feſter, da er die freundlichen Abſichten der Hofburg weit überſchätzte. Während Oeſterreich ſich anſchickte den Weltfrieden zu vermitteln, führte der Staatskanzler die Verhandlungen mit England weiter und ſchloß am 14. Juni den Vertrag von Reichenbach, kraft deſſen die beiden Mächte ſich verpflichteten die Unabhängigkeit der von Frankreich unter- drückten Staaten wieder herzuſtellen. Schritt für Schritt hatte er mit der welfiſchen Habgier ringen müſſen, und wenn er ſchließlich zur Hälfte nachgab, ſo befand er ſich in der Lage des Bedrängten, der in höchſter Geld- noth einem Wucherer Wucherzinſen zahlt. Ohne die engliſchen Subſidien war Preußen völlig außer Stande den Krieg fortzuführen, das hatte Har- denberg ſchon im Februar dem britiſchen Cabinet erklärt. Als er ein- mal dem General Stewart vorhielt, das Parlament und die engliſche Nation würden ein ſo kleinliches Verfahren in großer Sache ſicherlich nicht billigen, da erwiderte Jener mit unfreiwilligem Humor: „ich bin weder von der Nation noch von dem Parlament hierhergeſchickt worden, ſondern von S. K. Hoheit dem Prinzregenten!“ Stewart und ſein Amts- genoſſe, der hölzerne, ſteif pedantiſche Lord Clancarty trugen die Ueber- legenheit des Bezahlenden mit der ganzen ihrem Volke eigenthümlichen Rückſichtsloſigkeit zur Schau; nach einer glaubwürdigen Ueberlieferung iſt dem preußiſchen Staate ſogar die zollfreie Einfuhr aller engliſchen Waaren zugemuthet worden. Dazu die bodenloſe Unwiſſenheit dieſer Torys; aus Clancartys Briefen mußte Hardenberg erſehen, daß der Lord den Kaliſcher Vertrag entweder nie geleſen oder gröblich mißverſtanden hatte. Von ſelbſt verſtand ſich, daß Preußen nur halb ſo viel Subſidien erhalten ſollte als Rußland, das überdies, Dank ſeiner geographiſchen Lage, vor welfiſchen Landforderungen bewahrt blieb; die unglücklichen Zif- fern des Kaliſcher Vertrags zeigten jetzt ihre praktiſche Bedeutung. Endlich einigte man ſich über 666,666 Pfd. St., wofür Preußen 80,000 Mann ins Feld ſtellen ſollte; und dieſe für einen ſolchen Krieg armſelige Summe, um ein Drittel niedriger als die an Schweden bewilligten Subſidien, ward nachher zum Theil in unbrauchbaren Uniformen bezahlt. Gegen die Abtretung altpreußiſcher Gebiete ſträubte ſich das Pflicht-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/478>, abgerufen am 22.11.2024.