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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Waffenstillstand von Poischwitz.
der Ostmächte konnte wohl auch diesmal noch seine Dienste thun. Von
den Vermittlungsversuchen seines Schwiegervaters versprach sich der Im-
perator nichts Gutes; er vergaß es nicht, daß Schwarzenberg ihm vor
Kurzem ins Gesicht gesagt: die Politik hat diesen Ehebund geschlossen, die
Politik kann ihn auch lösen! Dieser heimtückischen Hofburg, die ohne den
Muth zu schlagen nach Ländergewinn trachte, gönnte er keinen Vortheil.
Vielmehr hoffte er eine Zeit lang auf den Wankelmuth Alexanders, den
er schon vor der Bautzener Schlacht vergeblich durch lockende Friedens-
vorschläge zu gewinnen versucht hatte. Der bewährte Caulaincourt sollte
die Unterhandlungen mit Rußland führen: vielleicht wiederholten sich die
Tilsiter Vorgänge, wenn man dem Czaren "eine goldene Brücke baute",
wenn Warschau zwischen Rußland und Preußen aufgetheilt, der preußische
Staat über die Oder zurückgeschoben und also dem Czaren völlig unter-
worfen würde! Trog diese Hoffnung, so mußten freilich -- Napoleon und
seine Marschälle fühlten es wohl -- die Verbündeten aus dem Waffen-
stillstande größeren Gewinn ziehen als der Imperator selber. Aber auch für
den Fall der Fortsetzung des Krieges schien ihm die Waffenruhe unentbehr-
lich. Er brauchte Zeit um sein Heer, namentlich die Reiterei zu verstärken
und er wollte durch starke Rüstungen in Illyrien sich gegen den Abfall
Oesterreichs sicherstellen. Diese beiden Beweggründe gab er seinen Ge-
neralen als die entscheidenden an. Am 4. Juni schloß er den Waffen-
stillstand von Poischwitz. Wie scharf er auch rechnete, er täuschte sich
über die Kräfte des preußischen Staates und über das Wesen dieses
Krieges, das jede halbe Lösung ausschloß.

Graf Metternich stand am Ziele seiner Wünsche. Eine seltene Gunst
des Glücks fügte Alles nach seinen Hoffnungen, warf dem Staate, der
für die Befreiung der Welt noch nichts gethan, die Entscheidung in den
Schooß. Die kämpfenden Theile hielten einander durchaus das Gleich-
gewicht, wie man in Wien immer vorausgesagt; sie mußten, trotz Napo-
leons Widerwillen, die Mediation der Hofburg annehmen. Nun konnte
Oesterreich ihnen nach seinem Ermessen den Frieden auferlegen oder, falls
wider Verhoffen die Waffen nochmals aufgenommen wurden, mit seiner
wohlgeschonten Kraft als führende Macht in die Coalition eintreten. Stein
und Arndt, Blücher und die gesammte preußische Armee empfingen die
Nachricht von der Einstellung der Feindseligkeiten mit tiefem Unmuth:
nichts entsetzlicher als ein fauler Friede nach solchen Opfern! Der In-
grimm wuchs noch als man erfuhr, daß die Lützower Freischaar in den
ersten Tagen der Waffenruhe von Rheinbündnern verrätherisch überfallen
und fast vernichtet worden war. Der König hielt für nöthig sein treues
Volk durch eine Proclamation zu beruhigen: der Waffenstillstand, sagte
er stolz, sei angenommen, damit die Nationalkraft sich völlig entwickeln
könne; wir haben den alten Waffenruhm wieder gewonnen, bald werden
wir stark genug sein auch unsere Unabhängigkeit zu erkämpfen. Zugleich

Waffenſtillſtand von Poiſchwitz.
der Oſtmächte konnte wohl auch diesmal noch ſeine Dienſte thun. Von
den Vermittlungsverſuchen ſeines Schwiegervaters verſprach ſich der Im-
perator nichts Gutes; er vergaß es nicht, daß Schwarzenberg ihm vor
Kurzem ins Geſicht geſagt: die Politik hat dieſen Ehebund geſchloſſen, die
Politik kann ihn auch löſen! Dieſer heimtückiſchen Hofburg, die ohne den
Muth zu ſchlagen nach Ländergewinn trachte, gönnte er keinen Vortheil.
Vielmehr hoffte er eine Zeit lang auf den Wankelmuth Alexanders, den
er ſchon vor der Bautzener Schlacht vergeblich durch lockende Friedens-
vorſchläge zu gewinnen verſucht hatte. Der bewährte Caulaincourt ſollte
die Unterhandlungen mit Rußland führen: vielleicht wiederholten ſich die
Tilſiter Vorgänge, wenn man dem Czaren „eine goldene Brücke baute“,
wenn Warſchau zwiſchen Rußland und Preußen aufgetheilt, der preußiſche
Staat über die Oder zurückgeſchoben und alſo dem Czaren völlig unter-
worfen würde! Trog dieſe Hoffnung, ſo mußten freilich — Napoleon und
ſeine Marſchälle fühlten es wohl — die Verbündeten aus dem Waffen-
ſtillſtande größeren Gewinn ziehen als der Imperator ſelber. Aber auch für
den Fall der Fortſetzung des Krieges ſchien ihm die Waffenruhe unentbehr-
lich. Er brauchte Zeit um ſein Heer, namentlich die Reiterei zu verſtärken
und er wollte durch ſtarke Rüſtungen in Illyrien ſich gegen den Abfall
Oeſterreichs ſicherſtellen. Dieſe beiden Beweggründe gab er ſeinen Ge-
neralen als die entſcheidenden an. Am 4. Juni ſchloß er den Waffen-
ſtillſtand von Poiſchwitz. Wie ſcharf er auch rechnete, er täuſchte ſich
über die Kräfte des preußiſchen Staates und über das Weſen dieſes
Krieges, das jede halbe Löſung ausſchloß.

Graf Metternich ſtand am Ziele ſeiner Wünſche. Eine ſeltene Gunſt
des Glücks fügte Alles nach ſeinen Hoffnungen, warf dem Staate, der
für die Befreiung der Welt noch nichts gethan, die Entſcheidung in den
Schooß. Die kämpfenden Theile hielten einander durchaus das Gleich-
gewicht, wie man in Wien immer vorausgeſagt; ſie mußten, trotz Napo-
leons Widerwillen, die Mediation der Hofburg annehmen. Nun konnte
Oeſterreich ihnen nach ſeinem Ermeſſen den Frieden auferlegen oder, falls
wider Verhoffen die Waffen nochmals aufgenommen wurden, mit ſeiner
wohlgeſchonten Kraft als führende Macht in die Coalition eintreten. Stein
und Arndt, Blücher und die geſammte preußiſche Armee empfingen die
Nachricht von der Einſtellung der Feindſeligkeiten mit tiefem Unmuth:
nichts entſetzlicher als ein fauler Friede nach ſolchen Opfern! Der In-
grimm wuchs noch als man erfuhr, daß die Lützower Freiſchaar in den
erſten Tagen der Waffenruhe von Rheinbündnern verrätheriſch überfallen
und faſt vernichtet worden war. Der König hielt für nöthig ſein treues
Volk durch eine Proclamation zu beruhigen: der Waffenſtillſtand, ſagte
er ſtolz, ſei angenommen, damit die Nationalkraft ſich völlig entwickeln
könne; wir haben den alten Waffenruhm wieder gewonnen, bald werden
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[461/0477] Waffenſtillſtand von Poiſchwitz. der Oſtmächte konnte wohl auch diesmal noch ſeine Dienſte thun. Von den Vermittlungsverſuchen ſeines Schwiegervaters verſprach ſich der Im- perator nichts Gutes; er vergaß es nicht, daß Schwarzenberg ihm vor Kurzem ins Geſicht geſagt: die Politik hat dieſen Ehebund geſchloſſen, die Politik kann ihn auch löſen! Dieſer heimtückiſchen Hofburg, die ohne den Muth zu ſchlagen nach Ländergewinn trachte, gönnte er keinen Vortheil. Vielmehr hoffte er eine Zeit lang auf den Wankelmuth Alexanders, den er ſchon vor der Bautzener Schlacht vergeblich durch lockende Friedens- vorſchläge zu gewinnen verſucht hatte. Der bewährte Caulaincourt ſollte die Unterhandlungen mit Rußland führen: vielleicht wiederholten ſich die Tilſiter Vorgänge, wenn man dem Czaren „eine goldene Brücke baute“, wenn Warſchau zwiſchen Rußland und Preußen aufgetheilt, der preußiſche Staat über die Oder zurückgeſchoben und alſo dem Czaren völlig unter- worfen würde! Trog dieſe Hoffnung, ſo mußten freilich — Napoleon und ſeine Marſchälle fühlten es wohl — die Verbündeten aus dem Waffen- ſtillſtande größeren Gewinn ziehen als der Imperator ſelber. Aber auch für den Fall der Fortſetzung des Krieges ſchien ihm die Waffenruhe unentbehr- lich. Er brauchte Zeit um ſein Heer, namentlich die Reiterei zu verſtärken und er wollte durch ſtarke Rüſtungen in Illyrien ſich gegen den Abfall Oeſterreichs ſicherſtellen. Dieſe beiden Beweggründe gab er ſeinen Ge- neralen als die entſcheidenden an. Am 4. Juni ſchloß er den Waffen- ſtillſtand von Poiſchwitz. Wie ſcharf er auch rechnete, er täuſchte ſich über die Kräfte des preußiſchen Staates und über das Weſen dieſes Krieges, das jede halbe Löſung ausſchloß. Graf Metternich ſtand am Ziele ſeiner Wünſche. Eine ſeltene Gunſt des Glücks fügte Alles nach ſeinen Hoffnungen, warf dem Staate, der für die Befreiung der Welt noch nichts gethan, die Entſcheidung in den Schooß. Die kämpfenden Theile hielten einander durchaus das Gleich- gewicht, wie man in Wien immer vorausgeſagt; ſie mußten, trotz Napo- leons Widerwillen, die Mediation der Hofburg annehmen. Nun konnte Oeſterreich ihnen nach ſeinem Ermeſſen den Frieden auferlegen oder, falls wider Verhoffen die Waffen nochmals aufgenommen wurden, mit ſeiner wohlgeſchonten Kraft als führende Macht in die Coalition eintreten. Stein und Arndt, Blücher und die geſammte preußiſche Armee empfingen die Nachricht von der Einſtellung der Feindſeligkeiten mit tiefem Unmuth: nichts entſetzlicher als ein fauler Friede nach ſolchen Opfern! Der In- grimm wuchs noch als man erfuhr, daß die Lützower Freiſchaar in den erſten Tagen der Waffenruhe von Rheinbündnern verrätheriſch überfallen und faſt vernichtet worden war. Der König hielt für nöthig ſein treues Volk durch eine Proclamation zu beruhigen: der Waffenſtillſtand, ſagte er ſtolz, ſei angenommen, damit die Nationalkraft ſich völlig entwickeln könne; wir haben den alten Waffenruhm wieder gewonnen, bald werden wir ſtark genug ſein auch unſere Unabhängigkeit zu erkämpfen. Zugleich

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/477>, abgerufen am 25.11.2024.