einem Schlage führte Friedrich Wilhelm seinen mißachteten kleinen Staat in die Reihe der europäischen Mächte ein; seit der Schlacht von Warschau stand Brandenburg den alten Militärstaaten ebenbürtig zur Seite. Wie eine Insel schien diese festgeeinte kriegerische Macht urplötzlich emporzu- steigen aus der tobenden See deutscher Vielherrschaft, vor den verwun- derten Blicken eines Volkes, das längst verlernt an raschen Entschluß und großes Gelingen zu glauben. So scharf wehte der frische Luftzug des bewußten politischen Willens durch die Geschichte des neuen preußischen Staates, so straff und gewaltsam ward jeder Muskel seines Volks zur Arbeit angespannt, so grell erschien das Mißverhältniß zwischen seinem Ehrgeiz und seinen Mitteln, daß er bei Freund und Feind durch an- derthalb Jahrhunderte nur als eine künstliche Schöpfung galt. Die Welt hielt für das willkürliche Wagniß einiger Lieblinge des Glücks, was der nothwendige Neubau des uralten nationalen Staates der Deutschen war.
Preußen behauptete wie in den deutschen Glaubenshändeln, so auch in den großen Machtkämpfen des Welttheils eine schwierige Mittelstellung. So lange das protestantische Deutschland willenlos darniederlag, zerfiel Europa in zwei getrennte Staatensysteme, die einander selten berührten. Die Staatenwelt des Südens und Westens kämpfte um die Beherrschung Italiens und der rheinisch-burgundischen Lande, während die Mächte des Nordens und Ostens sich um die Trümmerstücke des deutschen Ordens- staates und um den Nachlaß der Hansa, die Ostseeherrschaft stritten. Der Osten und der Westen begegneten sich nur in dem einen Verlangen, die ungeheure Lücke, die in der Mitte des Welttheils klaffte, immerdar offen zu halten. Nun erhob sich die jugendliche deutsche Macht, das vielverspottete "Reich der langen Grenzen". Sie gehörte dem Welttheil an, ihr versprengtes Gebiet berührte die Marken aller Großmächte des Festlands. Sobald sie anfing mit selbständigem Willen sich zu bewegen, griffen die Mächte des Westens in die Händel des Ostens ein, immer häufiger verschlangen und durchkreuzten sich die Interessen der beiden Staatensysteme.
Der geborene Gegner der alten, auf Deutschlands Ohnmacht ruhenden Ordnung Europas, stand Preußen in einer Welt von Feinden, deren Eifersucht seine einzige Rettung blieb, ohne irgend einen natürlichen Bundesgenossen, denn noch war der deutschen Nation das Verständniß dieser jungen Kraft nicht aufgegangen. Und dies in jener Zeit der harten Staatsraison, da der Staat nur Macht war und die Vernichtung des Nachbarn als seine natürliche Pflicht betrachtete. Wie das Haus Savoyen sich hindurchwand durch die Uebermacht der Habsburger und der Bour- bonen, ebenso, doch ungleich schwerer bedrängt mußte Preußen sich seinen Weg bahnen zwischen Oesterreich und Frankreich hindurch, zwischen Schweden und Polen, zwischen den Seemächten und der trägen Masse
Weltſtellung des preußiſchen Staates.
einem Schlage führte Friedrich Wilhelm ſeinen mißachteten kleinen Staat in die Reihe der europäiſchen Mächte ein; ſeit der Schlacht von Warſchau ſtand Brandenburg den alten Militärſtaaten ebenbürtig zur Seite. Wie eine Inſel ſchien dieſe feſtgeeinte kriegeriſche Macht urplötzlich emporzu- ſteigen aus der tobenden See deutſcher Vielherrſchaft, vor den verwun- derten Blicken eines Volkes, das längſt verlernt an raſchen Entſchluß und großes Gelingen zu glauben. So ſcharf wehte der friſche Luftzug des bewußten politiſchen Willens durch die Geſchichte des neuen preußiſchen Staates, ſo ſtraff und gewaltſam ward jeder Muskel ſeines Volks zur Arbeit angeſpannt, ſo grell erſchien das Mißverhältniß zwiſchen ſeinem Ehrgeiz und ſeinen Mitteln, daß er bei Freund und Feind durch an- derthalb Jahrhunderte nur als eine künſtliche Schöpfung galt. Die Welt hielt für das willkürliche Wagniß einiger Lieblinge des Glücks, was der nothwendige Neubau des uralten nationalen Staates der Deutſchen war.
Preußen behauptete wie in den deutſchen Glaubenshändeln, ſo auch in den großen Machtkämpfen des Welttheils eine ſchwierige Mittelſtellung. So lange das proteſtantiſche Deutſchland willenlos darniederlag, zerfiel Europa in zwei getrennte Staatenſyſteme, die einander ſelten berührten. Die Staatenwelt des Südens und Weſtens kämpfte um die Beherrſchung Italiens und der rheiniſch-burgundiſchen Lande, während die Mächte des Nordens und Oſtens ſich um die Trümmerſtücke des deutſchen Ordens- ſtaates und um den Nachlaß der Hanſa, die Oſtſeeherrſchaft ſtritten. Der Oſten und der Weſten begegneten ſich nur in dem einen Verlangen, die ungeheure Lücke, die in der Mitte des Welttheils klaffte, immerdar offen zu halten. Nun erhob ſich die jugendliche deutſche Macht, das vielverſpottete „Reich der langen Grenzen“. Sie gehörte dem Welttheil an, ihr verſprengtes Gebiet berührte die Marken aller Großmächte des Feſtlands. Sobald ſie anfing mit ſelbſtändigem Willen ſich zu bewegen, griffen die Mächte des Weſtens in die Händel des Oſtens ein, immer häufiger verſchlangen und durchkreuzten ſich die Intereſſen der beiden Staatenſyſteme.
Der geborene Gegner der alten, auf Deutſchlands Ohnmacht ruhenden Ordnung Europas, ſtand Preußen in einer Welt von Feinden, deren Eiferſucht ſeine einzige Rettung blieb, ohne irgend einen natürlichen Bundesgenoſſen, denn noch war der deutſchen Nation das Verſtändniß dieſer jungen Kraft nicht aufgegangen. Und dies in jener Zeit der harten Staatsraiſon, da der Staat nur Macht war und die Vernichtung des Nachbarn als ſeine natürliche Pflicht betrachtete. Wie das Haus Savoyen ſich hindurchwand durch die Uebermacht der Habsburger und der Bour- bonen, ebenſo, doch ungleich ſchwerer bedrängt mußte Preußen ſich ſeinen Weg bahnen zwiſchen Oeſterreich und Frankreich hindurch, zwiſchen Schweden und Polen, zwiſchen den Seemächten und der trägen Maſſe
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Weltſtellung des preußiſchen Staates.
einem Schlage führte Friedrich Wilhelm ſeinen mißachteten kleinen Staat
in die Reihe der europäiſchen Mächte ein; ſeit der Schlacht von Warſchau
ſtand Brandenburg den alten Militärſtaaten ebenbürtig zur Seite. Wie
eine Inſel ſchien dieſe feſtgeeinte kriegeriſche Macht urplötzlich emporzu-
ſteigen aus der tobenden See deutſcher Vielherrſchaft, vor den verwun-
derten Blicken eines Volkes, das längſt verlernt an raſchen Entſchluß
und großes Gelingen zu glauben. So ſcharf wehte der friſche Luftzug
des bewußten politiſchen Willens durch die Geſchichte des neuen preußiſchen
Staates, ſo ſtraff und gewaltſam ward jeder Muskel ſeines Volks zur
Arbeit angeſpannt, ſo grell erſchien das Mißverhältniß zwiſchen ſeinem
Ehrgeiz und ſeinen Mitteln, daß er bei Freund und Feind durch an-
derthalb Jahrhunderte nur als eine künſtliche Schöpfung galt. Die
Welt hielt für das willkürliche Wagniß einiger Lieblinge des Glücks,
was der nothwendige Neubau des uralten nationalen Staates der
Deutſchen war.
Preußen behauptete wie in den deutſchen Glaubenshändeln, ſo auch
in den großen Machtkämpfen des Welttheils eine ſchwierige Mittelſtellung.
So lange das proteſtantiſche Deutſchland willenlos darniederlag, zerfiel
Europa in zwei getrennte Staatenſyſteme, die einander ſelten berührten.
Die Staatenwelt des Südens und Weſtens kämpfte um die Beherrſchung
Italiens und der rheiniſch-burgundiſchen Lande, während die Mächte des
Nordens und Oſtens ſich um die Trümmerſtücke des deutſchen Ordens-
ſtaates und um den Nachlaß der Hanſa, die Oſtſeeherrſchaft ſtritten.
Der Oſten und der Weſten begegneten ſich nur in dem einen Verlangen,
die ungeheure Lücke, die in der Mitte des Welttheils klaffte, immerdar
offen zu halten. Nun erhob ſich die jugendliche deutſche Macht, das
vielverſpottete „Reich der langen Grenzen“. Sie gehörte dem Welttheil
an, ihr verſprengtes Gebiet berührte die Marken aller Großmächte des
Feſtlands. Sobald ſie anfing mit ſelbſtändigem Willen ſich zu bewegen,
griffen die Mächte des Weſtens in die Händel des Oſtens ein, immer
häufiger verſchlangen und durchkreuzten ſich die Intereſſen der beiden
Staatenſyſteme.
Der geborene Gegner der alten, auf Deutſchlands Ohnmacht ruhenden
Ordnung Europas, ſtand Preußen in einer Welt von Feinden, deren
Eiferſucht ſeine einzige Rettung blieb, ohne irgend einen natürlichen
Bundesgenoſſen, denn noch war der deutſchen Nation das Verſtändniß
dieſer jungen Kraft nicht aufgegangen. Und dies in jener Zeit der harten
Staatsraiſon, da der Staat nur Macht war und die Vernichtung des
Nachbarn als ſeine natürliche Pflicht betrachtete. Wie das Haus Savoyen
ſich hindurchwand durch die Uebermacht der Habsburger und der Bour-
bonen, ebenſo, doch ungleich ſchwerer bedrängt mußte Preußen ſich ſeinen
Weg bahnen zwiſchen Oeſterreich und Frankreich hindurch, zwiſchen
Schweden und Polen, zwiſchen den Seemächten und der trägen Maſſe
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/47>, abgerufen am 23.11.2024.
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