einer Macht dritten Ranges darniederhalten sollte; er fühlte jedoch, daß man des Schutzes bedurfte und versuchte daher sich an die zuwartende Neutralitätspolitik Oesterreichs anzuschließen. Dies Beginnen war nicht nur unausführbar, da Sachsen unvermeidlich den Kriegsschauplatz bilden mußte, sondern auch eine Verletzung des Völkerrechts. Sachsen befand sich noch im Zustande des Krieges gegen Rußland, also auch gegen Preußen; soeben noch kämpften sächsische Truppen in den Gassen von Lüneburg mit Dörnbergs tapferen Schaaren. Nach einer selbstverständlichen Regel des Völkerrechts darf aber eine kriegführende Macht nicht ohne die Ge- nehmigung des Feindes sich für neutral erklären, weil sonst jeder Be- siegte sich den Folgen seiner Niederlage entziehen könnte. Dem öster- reichischen Hofe wurde diese Erlaubniß ertheilt, da Napoleon sowohl wie die Alliirten ihn schonen wollten und auf seinen Beitritt hofften; von dem sächsischen Könige verlangten beide Theile sofortigen Anschluß.
Fast die gesammte sächsische Armee stand in Torgau unter den Be- fehlen Thielmanns, der beauftragt war den wichtigen Elbepaß keinem der beiden kämpfenden Theile zu öffnen. Der General war ein tapferer Soldat, aber eitel, großsprecherisch, maßlos ehrgeizig; ein eifriger Diener Napoleons hatte er sich neuerdings urplötzlich der deutschen Sache zuge- wendet. Es stand in seiner Gewalt, durch einen eigenmächtigen verwegenen Entschluß, nach dem Vorbilde Yorks, seinem Könige Thron und Heer zu retten, den Verbündeten den Beginn der Operationen wesentlich zu erleich- tern. Er aber that zu viel für einen sächsischen General, zu wenig für einen deutschen Patrioten. Insgeheim verhandelte er mit den Preußen und spielte ihnen sogar einige Fähren in die Hände, welche den Uebergang der Alliirten über die Elbe ermöglichten; doch seine Truppen mit dem deutschen Heer zu vereinigen wagte er nicht. In solcher Lage waren die Verbündeten unzweifelhaft berechtigt Sachsen als Feindesland zu behan- deln; sie traten jedoch mit übel angebrachter Milde auf, nahmen das Land nur im Namen des landesflüchtigen Fürsten in Verwahrung. Scharnhorst vornehmlich hat diesen Fehler verschuldet; er beurtheilte die Gesinnung des sächsischen Hofes unrichtig, nach den Schilderungen seines Jugend- freundes, des Generals Zeschau, der zu den nächsten Vertrauten Friedrich Augusts zählte. Auch Stein hoffte noch auf die freiwillige Bekehrung der Albertiner. Wohl schalt er grimmig auf die Mattherzigkeit "dieser weichen sächsischen Wortkrämer", die von der Begeisterung des preußischen Volkes kaum angeweht wurden, auf den Stumpfsinn der Dresdener Phi- lister, denen unter allen Schickungen einer ungeheuren Zeit nichts so wichtig war wie die Zerstörung ihrer Elbbrücke. Aber statt das besetzte Land, dem Breslauer Vertrage gemäß, sofort der Dictatur des Central- verwaltungsrathes zu unterwerfen, ließ Stein die von dem flüchtigen Könige eingesetzte Regierungscommission ruhig gewähren und verschmähte sogar die Staatskassen mit Beschlag zu belegen.
Sachſens Haltung.
einer Macht dritten Ranges darniederhalten ſollte; er fühlte jedoch, daß man des Schutzes bedurfte und verſuchte daher ſich an die zuwartende Neutralitätspolitik Oeſterreichs anzuſchließen. Dies Beginnen war nicht nur unausführbar, da Sachſen unvermeidlich den Kriegsſchauplatz bilden mußte, ſondern auch eine Verletzung des Völkerrechts. Sachſen befand ſich noch im Zuſtande des Krieges gegen Rußland, alſo auch gegen Preußen; ſoeben noch kämpften ſächſiſche Truppen in den Gaſſen von Lüneburg mit Dörnbergs tapferen Schaaren. Nach einer ſelbſtverſtändlichen Regel des Völkerrechts darf aber eine kriegführende Macht nicht ohne die Ge- nehmigung des Feindes ſich für neutral erklären, weil ſonſt jeder Be- ſiegte ſich den Folgen ſeiner Niederlage entziehen könnte. Dem öſter- reichiſchen Hofe wurde dieſe Erlaubniß ertheilt, da Napoleon ſowohl wie die Alliirten ihn ſchonen wollten und auf ſeinen Beitritt hofften; von dem ſächſiſchen Könige verlangten beide Theile ſofortigen Anſchluß.
Faſt die geſammte ſächſiſche Armee ſtand in Torgau unter den Be- fehlen Thielmanns, der beauftragt war den wichtigen Elbepaß keinem der beiden kämpfenden Theile zu öffnen. Der General war ein tapferer Soldat, aber eitel, großſprecheriſch, maßlos ehrgeizig; ein eifriger Diener Napoleons hatte er ſich neuerdings urplötzlich der deutſchen Sache zuge- wendet. Es ſtand in ſeiner Gewalt, durch einen eigenmächtigen verwegenen Entſchluß, nach dem Vorbilde Yorks, ſeinem Könige Thron und Heer zu retten, den Verbündeten den Beginn der Operationen weſentlich zu erleich- tern. Er aber that zu viel für einen ſächſiſchen General, zu wenig für einen deutſchen Patrioten. Insgeheim verhandelte er mit den Preußen und ſpielte ihnen ſogar einige Fähren in die Hände, welche den Uebergang der Alliirten über die Elbe ermöglichten; doch ſeine Truppen mit dem deutſchen Heer zu vereinigen wagte er nicht. In ſolcher Lage waren die Verbündeten unzweifelhaft berechtigt Sachſen als Feindesland zu behan- deln; ſie traten jedoch mit übel angebrachter Milde auf, nahmen das Land nur im Namen des landesflüchtigen Fürſten in Verwahrung. Scharnhorſt vornehmlich hat dieſen Fehler verſchuldet; er beurtheilte die Geſinnung des ſächſiſchen Hofes unrichtig, nach den Schilderungen ſeines Jugend- freundes, des Generals Zeſchau, der zu den nächſten Vertrauten Friedrich Auguſts zählte. Auch Stein hoffte noch auf die freiwillige Bekehrung der Albertiner. Wohl ſchalt er grimmig auf die Mattherzigkeit „dieſer weichen ſächſiſchen Wortkrämer“, die von der Begeiſterung des preußiſchen Volkes kaum angeweht wurden, auf den Stumpfſinn der Dresdener Phi- liſter, denen unter allen Schickungen einer ungeheuren Zeit nichts ſo wichtig war wie die Zerſtörung ihrer Elbbrücke. Aber ſtatt das beſetzte Land, dem Breslauer Vertrage gemäß, ſofort der Dictatur des Central- verwaltungsrathes zu unterwerfen, ließ Stein die von dem flüchtigen Könige eingeſetzte Regierungscommiſſion ruhig gewähren und verſchmähte ſogar die Staatskaſſen mit Beſchlag zu belegen.
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Sachſens Haltung.
einer Macht dritten Ranges darniederhalten ſollte; er fühlte jedoch, daß
man des Schutzes bedurfte und verſuchte daher ſich an die zuwartende
Neutralitätspolitik Oeſterreichs anzuſchließen. Dies Beginnen war nicht
nur unausführbar, da Sachſen unvermeidlich den Kriegsſchauplatz bilden
mußte, ſondern auch eine Verletzung des Völkerrechts. Sachſen befand ſich
noch im Zuſtande des Krieges gegen Rußland, alſo auch gegen Preußen;
ſoeben noch kämpften ſächſiſche Truppen in den Gaſſen von Lüneburg
mit Dörnbergs tapferen Schaaren. Nach einer ſelbſtverſtändlichen Regel
des Völkerrechts darf aber eine kriegführende Macht nicht ohne die Ge-
nehmigung des Feindes ſich für neutral erklären, weil ſonſt jeder Be-
ſiegte ſich den Folgen ſeiner Niederlage entziehen könnte. Dem öſter-
reichiſchen Hofe wurde dieſe Erlaubniß ertheilt, da Napoleon ſowohl wie
die Alliirten ihn ſchonen wollten und auf ſeinen Beitritt hofften; von
dem ſächſiſchen Könige verlangten beide Theile ſofortigen Anſchluß.
Faſt die geſammte ſächſiſche Armee ſtand in Torgau unter den Be-
fehlen Thielmanns, der beauftragt war den wichtigen Elbepaß keinem
der beiden kämpfenden Theile zu öffnen. Der General war ein tapferer
Soldat, aber eitel, großſprecheriſch, maßlos ehrgeizig; ein eifriger Diener
Napoleons hatte er ſich neuerdings urplötzlich der deutſchen Sache zuge-
wendet. Es ſtand in ſeiner Gewalt, durch einen eigenmächtigen verwegenen
Entſchluß, nach dem Vorbilde Yorks, ſeinem Könige Thron und Heer zu
retten, den Verbündeten den Beginn der Operationen weſentlich zu erleich-
tern. Er aber that zu viel für einen ſächſiſchen General, zu wenig für einen
deutſchen Patrioten. Insgeheim verhandelte er mit den Preußen und
ſpielte ihnen ſogar einige Fähren in die Hände, welche den Uebergang
der Alliirten über die Elbe ermöglichten; doch ſeine Truppen mit dem
deutſchen Heer zu vereinigen wagte er nicht. In ſolcher Lage waren die
Verbündeten unzweifelhaft berechtigt Sachſen als Feindesland zu behan-
deln; ſie traten jedoch mit übel angebrachter Milde auf, nahmen das Land
nur im Namen des landesflüchtigen Fürſten in Verwahrung. Scharnhorſt
vornehmlich hat dieſen Fehler verſchuldet; er beurtheilte die Geſinnung
des ſächſiſchen Hofes unrichtig, nach den Schilderungen ſeines Jugend-
freundes, des Generals Zeſchau, der zu den nächſten Vertrauten Friedrich
Auguſts zählte. Auch Stein hoffte noch auf die freiwillige Bekehrung
der Albertiner. Wohl ſchalt er grimmig auf die Mattherzigkeit „dieſer
weichen ſächſiſchen Wortkrämer“, die von der Begeiſterung des preußiſchen
Volkes kaum angeweht wurden, auf den Stumpfſinn der Dresdener Phi-
liſter, denen unter allen Schickungen einer ungeheuren Zeit nichts ſo
wichtig war wie die Zerſtörung ihrer Elbbrücke. Aber ſtatt das beſetzte
Land, dem Breslauer Vertrage gemäß, ſofort der Dictatur des Central-
verwaltungsrathes zu unterwerfen, ließ Stein die von dem flüchtigen
Könige eingeſetzte Regierungscommiſſion ruhig gewähren und verſchmähte
ſogar die Staatskaſſen mit Beſchlag zu belegen.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/463>, abgerufen am 25.11.2024.
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