Selbst das mit Rußland bereits verbündete Schweden hatte mit Preu- ßen noch keinen Vertrag abgeschlossen. Als die Schweden einst den schlauen Karl Johann Bernadotte zu ihrem Thronfolger wählten, erwarteten sie bestimmt, der napoleonische Marschall würde, getreu den alten Traditionen schwedischer Politik, sich an Frankreich anschließen und mit Napoleons Hilfe das verlorene Finnland von den Russen zurückgewinnen. Der kluge Kronprinz ging jedoch andere Wege. Er sah, daß sein Ackerbauland die Continentalsperre nicht ertragen konnte, desgleichen daß die Wieder- eroberung von Finnland sehr unwahrscheinlich war. Darum beschloß er, durch die Erwerbung von Norwegen sein neues Vaterland zu entschädigen, seine junge Dynastie im Volke zu befestigen. Schon seit dem Beginne des russischen Krieges stand er mit dem Czaren im Bündniß. Seitdem wurde der Kopenhagener Hof von Rußland, England und Schweden dringend aufgefordert, Norwegen aufzugeben und der großen Allianz bei- zutreten; selbstverständlich sollten die Dänen sich schadlos halten an jener großen Entschädigungsmasse, die man Deutschland nannte. Der russische Gesandte in Stockholm versprach dem dänischen Geschäftsträger, dem jungen Grafen Wolf Baudissin, im Namen Englands: beide Mecklen- burg, das schwedische und vielleicht auch das preußische Pommern, "zwei Dörfer in Deutschland für eines in Norwegen." Bernadotte selbst ging noch weiter und verhieß: Mecklenburg, Oldenburg, Hamburg und Lübeck. Zum Heile für Deutschland vertraute Friedrich VI. von Dänemark auf Napoleons Glück und fand monatelang keinen festen Entschluß. Dem Grad- sinne König Friedrich Wilhelms waren diese häßlichen nordischen Händel von Haus aus widerwärtig. Er hoffte Dänemark durch ehrliche Mittel für die Coalition zu gewinnen, wollte seine Hand nicht bieten zu der Beraubung des kleinen Nachbarn und verweigerte die Genehmigung, als sein Gesandter in Stockholm einen Allianz-Vertrag abgeschlossen hatte, der den Schweden die Erwerbung von Norwegen verbürgte. So geschah das Sonderbare, daß Bernadotte im Frühjahr mit einem kleinen schwedischen Heer in Stralsund landete, um Norwegen in Deutschland zu erobern, und doch mit Preußen noch nicht verbündet war. England gewährte dem zweideutigen Bundesgenossen für seine schwache Schaar freigebig eine Mil- lion Pfund Sterling Subsidien.
Was ließ sich vollends von den Staaten des Rheinbundes erwarten! Mit Baiern verhandelte der Staatskanzler insgeheim schon seit dem Ja- nuar. Der Untergang der 30,000 Baiern, die in den Schneefeldern Rußlands ihren Tod gefunden, hatte den Münchener Hof doch tief er- schüttert; wie leidenschaftlich Montgelas die norddeutschen Patrioten haßte, so begann er doch der Opfer für den Protector müde zu werden seit sie nichts mehr einbrachten. Die Königin, Kronprinz Ludwig, Anselm Feuer- bach und mehrere andere einflußreiche Männer warben rührig für die gute Sache. Ein schweres Hinderniß der Verständigung räumte Hardenberg
I. 4. Der Befreiungskrieg.
Selbſt das mit Rußland bereits verbündete Schweden hatte mit Preu- ßen noch keinen Vertrag abgeſchloſſen. Als die Schweden einſt den ſchlauen Karl Johann Bernadotte zu ihrem Thronfolger wählten, erwarteten ſie beſtimmt, der napoleoniſche Marſchall würde, getreu den alten Traditionen ſchwediſcher Politik, ſich an Frankreich anſchließen und mit Napoleons Hilfe das verlorene Finnland von den Ruſſen zurückgewinnen. Der kluge Kronprinz ging jedoch andere Wege. Er ſah, daß ſein Ackerbauland die Continentalſperre nicht ertragen konnte, desgleichen daß die Wieder- eroberung von Finnland ſehr unwahrſcheinlich war. Darum beſchloß er, durch die Erwerbung von Norwegen ſein neues Vaterland zu entſchädigen, ſeine junge Dynaſtie im Volke zu befeſtigen. Schon ſeit dem Beginne des ruſſiſchen Krieges ſtand er mit dem Czaren im Bündniß. Seitdem wurde der Kopenhagener Hof von Rußland, England und Schweden dringend aufgefordert, Norwegen aufzugeben und der großen Allianz bei- zutreten; ſelbſtverſtändlich ſollten die Dänen ſich ſchadlos halten an jener großen Entſchädigungsmaſſe, die man Deutſchland nannte. Der ruſſiſche Geſandte in Stockholm verſprach dem däniſchen Geſchäftsträger, dem jungen Grafen Wolf Baudiſſin, im Namen Englands: beide Mecklen- burg, das ſchwediſche und vielleicht auch das preußiſche Pommern, „zwei Dörfer in Deutſchland für eines in Norwegen.“ Bernadotte ſelbſt ging noch weiter und verhieß: Mecklenburg, Oldenburg, Hamburg und Lübeck. Zum Heile für Deutſchland vertraute Friedrich VI. von Dänemark auf Napoleons Glück und fand monatelang keinen feſten Entſchluß. Dem Grad- ſinne König Friedrich Wilhelms waren dieſe häßlichen nordiſchen Händel von Haus aus widerwärtig. Er hoffte Dänemark durch ehrliche Mittel für die Coalition zu gewinnen, wollte ſeine Hand nicht bieten zu der Beraubung des kleinen Nachbarn und verweigerte die Genehmigung, als ſein Geſandter in Stockholm einen Allianz-Vertrag abgeſchloſſen hatte, der den Schweden die Erwerbung von Norwegen verbürgte. So geſchah das Sonderbare, daß Bernadotte im Frühjahr mit einem kleinen ſchwediſchen Heer in Stralſund landete, um Norwegen in Deutſchland zu erobern, und doch mit Preußen noch nicht verbündet war. England gewährte dem zweideutigen Bundesgenoſſen für ſeine ſchwache Schaar freigebig eine Mil- lion Pfund Sterling Subſidien.
Was ließ ſich vollends von den Staaten des Rheinbundes erwarten! Mit Baiern verhandelte der Staatskanzler insgeheim ſchon ſeit dem Ja- nuar. Der Untergang der 30,000 Baiern, die in den Schneefeldern Rußlands ihren Tod gefunden, hatte den Münchener Hof doch tief er- ſchüttert; wie leidenſchaftlich Montgelas die norddeutſchen Patrioten haßte, ſo begann er doch der Opfer für den Protector müde zu werden ſeit ſie nichts mehr einbrachten. Die Königin, Kronprinz Ludwig, Anſelm Feuer- bach und mehrere andere einflußreiche Männer warben rührig für die gute Sache. Ein ſchweres Hinderniß der Verſtändigung räumte Hardenberg
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I. 4. Der Befreiungskrieg.
Selbſt das mit Rußland bereits verbündete Schweden hatte mit Preu-
ßen noch keinen Vertrag abgeſchloſſen. Als die Schweden einſt den ſchlauen
Karl Johann Bernadotte zu ihrem Thronfolger wählten, erwarteten ſie
beſtimmt, der napoleoniſche Marſchall würde, getreu den alten Traditionen
ſchwediſcher Politik, ſich an Frankreich anſchließen und mit Napoleons
Hilfe das verlorene Finnland von den Ruſſen zurückgewinnen. Der
kluge Kronprinz ging jedoch andere Wege. Er ſah, daß ſein Ackerbauland
die Continentalſperre nicht ertragen konnte, desgleichen daß die Wieder-
eroberung von Finnland ſehr unwahrſcheinlich war. Darum beſchloß er,
durch die Erwerbung von Norwegen ſein neues Vaterland zu entſchädigen,
ſeine junge Dynaſtie im Volke zu befeſtigen. Schon ſeit dem Beginne
des ruſſiſchen Krieges ſtand er mit dem Czaren im Bündniß. Seitdem
wurde der Kopenhagener Hof von Rußland, England und Schweden
dringend aufgefordert, Norwegen aufzugeben und der großen Allianz bei-
zutreten; ſelbſtverſtändlich ſollten die Dänen ſich ſchadlos halten an jener
großen Entſchädigungsmaſſe, die man Deutſchland nannte. Der ruſſiſche
Geſandte in Stockholm verſprach dem däniſchen Geſchäftsträger, dem
jungen Grafen Wolf Baudiſſin, im Namen Englands: beide Mecklen-
burg, das ſchwediſche und vielleicht auch das preußiſche Pommern, „zwei
Dörfer in Deutſchland für eines in Norwegen.“ Bernadotte ſelbſt ging
noch weiter und verhieß: Mecklenburg, Oldenburg, Hamburg und Lübeck.
Zum Heile für Deutſchland vertraute Friedrich VI. von Dänemark auf
Napoleons Glück und fand monatelang keinen feſten Entſchluß. Dem Grad-
ſinne König Friedrich Wilhelms waren dieſe häßlichen nordiſchen Händel
von Haus aus widerwärtig. Er hoffte Dänemark durch ehrliche Mittel
für die Coalition zu gewinnen, wollte ſeine Hand nicht bieten zu der
Beraubung des kleinen Nachbarn und verweigerte die Genehmigung, als
ſein Geſandter in Stockholm einen Allianz-Vertrag abgeſchloſſen hatte,
der den Schweden die Erwerbung von Norwegen verbürgte. So geſchah
das Sonderbare, daß Bernadotte im Frühjahr mit einem kleinen ſchwediſchen
Heer in Stralſund landete, um Norwegen in Deutſchland zu erobern, und
doch mit Preußen noch nicht verbündet war. England gewährte dem
zweideutigen Bundesgenoſſen für ſeine ſchwache Schaar freigebig eine Mil-
lion Pfund Sterling Subſidien.
Was ließ ſich vollends von den Staaten des Rheinbundes erwarten!
Mit Baiern verhandelte der Staatskanzler insgeheim ſchon ſeit dem Ja-
nuar. Der Untergang der 30,000 Baiern, die in den Schneefeldern
Rußlands ihren Tod gefunden, hatte den Münchener Hof doch tief er-
ſchüttert; wie leidenſchaftlich Montgelas die norddeutſchen Patrioten haßte,
ſo begann er doch der Opfer für den Protector müde zu werden ſeit ſie
nichts mehr einbrachten. Die Königin, Kronprinz Ludwig, Anſelm Feuer-
bach und mehrere andere einflußreiche Männer warben rührig für die gute
Sache. Ein ſchweres Hinderniß der Verſtändigung räumte Hardenberg
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/460>, abgerufen am 25.11.2024.
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