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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Welfischer Länderhandel.
des Freiherrn vom Stein verdient hatte; seit Preußen sich erhob, traten
nur noch die kleinlichen Züge seines politischen Charakters hervor: der
Welfenneid gegen den stärkeren Nachbarn und die gehässigen alten Vor-
urtheile wider "den preußischen Prügel und Ladestock". Hardenbergs duali-
stische Pläne erschienen ihm fast noch schrecklicher als Steins unitarische
Träume; nun und nimmer durfte die Welfenkrone sich einer höheren
Macht beugen. Da sein alter Lieblingsplan, Preußen als eine Macht
dritten Ranges auf die Lande zwischen Elbe und Weichsel zu beschränken,
durch die Macht der Ereignisse vereitelt und damit das Welfenkönigreich
Austrasien leider unmöglich geworden war, so sollte der preußische Staat zum
Mindesten die englischen Subsidien theuer bezahlen, er sollte nicht nur
mit seinem guten Schwerte Hannover für die Welfen zurück erobern,
sondern dies Land, das selbst nach seiner Befreiung nicht das Mindeste
für den deutschen Krieg geleistet hat, auch noch durch altpreußische Pro-
vinzen vergrößern. Ohne solche Verstärkung, erklärte der welfische Staats-
mann vertraulich, könne Hannover neben Preußen nicht in Sicherheit
und Ruhe leben. Der Prinzregent ging auf diese Gedanken um so
eifriger ein, da seiner Tochter Charlotte das Thronfolgerecht in England
zustand und mithin der welfische Mannsstamm erwarten mußte bald
wieder auf seine deutschen Erblande beschränkt zu werden; in seinen Brie-
fen freilich versicherte er salbungsvoll, daß er nicht aus persönlichem In-
teresse handele, sondern sich lediglich verpflichtet fühle sein Kurland für
die Leiden der Franzosenherrschaft zu belohnen. Sir Charles Stewart,
der zu Anfang April nach Deutschland hinüberkam, war beauftragt, das
Hildesheimer Land, das die Welfen schon im Jahre 1802 nur ungern
den Hohenzollern gegönnt hatten, sowie die altpreußischen Gebiete Minden
und Ravensberg für das Welfenreich zu verlangen.

Der alternde Staatskanzler war, trotz seiner raschen Feder, der er-
drückenden Arbeitslast seines Amtes nicht mehr gewachsen und doch nicht
gewillt, seine Herrscherstellung über den Ministern aufzugeben. In dem
Strudel von Arbeiten und frivolen Zerstreuungen sah er seinen könig-
lichen Herrn allzu selten, der Geschäftsgang in der Staatskanzlei begann
schleppend und nachlässig zu werden. Leichtfertige Freigebigkeit den welfi-
schen Ansprüchen gegenüber ließ sich ihm gleichwohl nicht vorwerfen. Fast
ein Vierteljahr lang hat er diese widerwärtigen Verhandlungen geführt,
erst durch Niebuhr, nachher persönlich. Welch ein Anblick! Dies reiche
England, das sich stolz den Vorkämpfer der Freiheit Europas nennt, läßt
seinen tapfersten Bundesgenossen, der zum Verzweiflungskampfe stürmt,
monatelang in unerträglicher Bedrängniß, feilscht mit ihm um Seelen
und Schillinge -- und dies wegen der dynastischen Laune eines unfähigen
Fürsten, die das Wohl des englischen Staates nicht im Entferntesten be-
rührt! Genug, als der Feldzug begann war man noch immer nicht im
Reinen und der preußische Staat in erdrückender Geldnoth.

Welfiſcher Länderhandel.
des Freiherrn vom Stein verdient hatte; ſeit Preußen ſich erhob, traten
nur noch die kleinlichen Züge ſeines politiſchen Charakters hervor: der
Welfenneid gegen den ſtärkeren Nachbarn und die gehäſſigen alten Vor-
urtheile wider „den preußiſchen Prügel und Ladeſtock“. Hardenbergs duali-
ſtiſche Pläne erſchienen ihm faſt noch ſchrecklicher als Steins unitariſche
Träume; nun und nimmer durfte die Welfenkrone ſich einer höheren
Macht beugen. Da ſein alter Lieblingsplan, Preußen als eine Macht
dritten Ranges auf die Lande zwiſchen Elbe und Weichſel zu beſchränken,
durch die Macht der Ereigniſſe vereitelt und damit das Welfenkönigreich
Auſtraſien leider unmöglich geworden war, ſo ſollte der preußiſche Staat zum
Mindeſten die engliſchen Subſidien theuer bezahlen, er ſollte nicht nur
mit ſeinem guten Schwerte Hannover für die Welfen zurück erobern,
ſondern dies Land, das ſelbſt nach ſeiner Befreiung nicht das Mindeſte
für den deutſchen Krieg geleiſtet hat, auch noch durch altpreußiſche Pro-
vinzen vergrößern. Ohne ſolche Verſtärkung, erklärte der welfiſche Staats-
mann vertraulich, könne Hannover neben Preußen nicht in Sicherheit
und Ruhe leben. Der Prinzregent ging auf dieſe Gedanken um ſo
eifriger ein, da ſeiner Tochter Charlotte das Thronfolgerecht in England
zuſtand und mithin der welfiſche Mannsſtamm erwarten mußte bald
wieder auf ſeine deutſchen Erblande beſchränkt zu werden; in ſeinen Brie-
fen freilich verſicherte er ſalbungsvoll, daß er nicht aus perſönlichem In-
tereſſe handele, ſondern ſich lediglich verpflichtet fühle ſein Kurland für
die Leiden der Franzoſenherrſchaft zu belohnen. Sir Charles Stewart,
der zu Anfang April nach Deutſchland hinüberkam, war beauftragt, das
Hildesheimer Land, das die Welfen ſchon im Jahre 1802 nur ungern
den Hohenzollern gegönnt hatten, ſowie die altpreußiſchen Gebiete Minden
und Ravensberg für das Welfenreich zu verlangen.

Der alternde Staatskanzler war, trotz ſeiner raſchen Feder, der er-
drückenden Arbeitslaſt ſeines Amtes nicht mehr gewachſen und doch nicht
gewillt, ſeine Herrſcherſtellung über den Miniſtern aufzugeben. In dem
Strudel von Arbeiten und frivolen Zerſtreuungen ſah er ſeinen könig-
lichen Herrn allzu ſelten, der Geſchäftsgang in der Staatskanzlei begann
ſchleppend und nachläſſig zu werden. Leichtfertige Freigebigkeit den welfi-
ſchen Anſprüchen gegenüber ließ ſich ihm gleichwohl nicht vorwerfen. Faſt
ein Vierteljahr lang hat er dieſe widerwärtigen Verhandlungen geführt,
erſt durch Niebuhr, nachher perſönlich. Welch ein Anblick! Dies reiche
England, das ſich ſtolz den Vorkämpfer der Freiheit Europas nennt, läßt
ſeinen tapferſten Bundesgenoſſen, der zum Verzweiflungskampfe ſtürmt,
monatelang in unerträglicher Bedrängniß, feilſcht mit ihm um Seelen
und Schillinge — und dies wegen der dynaſtiſchen Laune eines unfähigen
Fürſten, die das Wohl des engliſchen Staates nicht im Entfernteſten be-
rührt! Genug, als der Feldzug begann war man noch immer nicht im
Reinen und der preußiſche Staat in erdrückender Geldnoth.

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[443/0459] Welfiſcher Länderhandel. des Freiherrn vom Stein verdient hatte; ſeit Preußen ſich erhob, traten nur noch die kleinlichen Züge ſeines politiſchen Charakters hervor: der Welfenneid gegen den ſtärkeren Nachbarn und die gehäſſigen alten Vor- urtheile wider „den preußiſchen Prügel und Ladeſtock“. Hardenbergs duali- ſtiſche Pläne erſchienen ihm faſt noch ſchrecklicher als Steins unitariſche Träume; nun und nimmer durfte die Welfenkrone ſich einer höheren Macht beugen. Da ſein alter Lieblingsplan, Preußen als eine Macht dritten Ranges auf die Lande zwiſchen Elbe und Weichſel zu beſchränken, durch die Macht der Ereigniſſe vereitelt und damit das Welfenkönigreich Auſtraſien leider unmöglich geworden war, ſo ſollte der preußiſche Staat zum Mindeſten die engliſchen Subſidien theuer bezahlen, er ſollte nicht nur mit ſeinem guten Schwerte Hannover für die Welfen zurück erobern, ſondern dies Land, das ſelbſt nach ſeiner Befreiung nicht das Mindeſte für den deutſchen Krieg geleiſtet hat, auch noch durch altpreußiſche Pro- vinzen vergrößern. Ohne ſolche Verſtärkung, erklärte der welfiſche Staats- mann vertraulich, könne Hannover neben Preußen nicht in Sicherheit und Ruhe leben. Der Prinzregent ging auf dieſe Gedanken um ſo eifriger ein, da ſeiner Tochter Charlotte das Thronfolgerecht in England zuſtand und mithin der welfiſche Mannsſtamm erwarten mußte bald wieder auf ſeine deutſchen Erblande beſchränkt zu werden; in ſeinen Brie- fen freilich verſicherte er ſalbungsvoll, daß er nicht aus perſönlichem In- tereſſe handele, ſondern ſich lediglich verpflichtet fühle ſein Kurland für die Leiden der Franzoſenherrſchaft zu belohnen. Sir Charles Stewart, der zu Anfang April nach Deutſchland hinüberkam, war beauftragt, das Hildesheimer Land, das die Welfen ſchon im Jahre 1802 nur ungern den Hohenzollern gegönnt hatten, ſowie die altpreußiſchen Gebiete Minden und Ravensberg für das Welfenreich zu verlangen. Der alternde Staatskanzler war, trotz ſeiner raſchen Feder, der er- drückenden Arbeitslaſt ſeines Amtes nicht mehr gewachſen und doch nicht gewillt, ſeine Herrſcherſtellung über den Miniſtern aufzugeben. In dem Strudel von Arbeiten und frivolen Zerſtreuungen ſah er ſeinen könig- lichen Herrn allzu ſelten, der Geſchäftsgang in der Staatskanzlei begann ſchleppend und nachläſſig zu werden. Leichtfertige Freigebigkeit den welfi- ſchen Anſprüchen gegenüber ließ ſich ihm gleichwohl nicht vorwerfen. Faſt ein Vierteljahr lang hat er dieſe widerwärtigen Verhandlungen geführt, erſt durch Niebuhr, nachher perſönlich. Welch ein Anblick! Dies reiche England, das ſich ſtolz den Vorkämpfer der Freiheit Europas nennt, läßt ſeinen tapferſten Bundesgenoſſen, der zum Verzweiflungskampfe ſtürmt, monatelang in unerträglicher Bedrängniß, feilſcht mit ihm um Seelen und Schillinge — und dies wegen der dynaſtiſchen Laune eines unfähigen Fürſten, die das Wohl des engliſchen Staates nicht im Entfernteſten be- rührt! Genug, als der Feldzug begann war man noch immer nicht im Reinen und der preußiſche Staat in erdrückender Geldnoth.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/459>, abgerufen am 25.11.2024.