Wollens. Seitdem blieb die Kraft des zweckbewußten königlichen Willens der werdenden deutschen Großmacht unverloren. Man kann sich die englische Geschichte vorstellen ohne Wilhelm III., die Geschichte Frankreichs ohne Richelieu; der preußische Staat ist das Werk seiner Fürsten. In wenigen andern Ländern bewährte das Königthum so stetig jene beiden Tugenden, die seine Größe bilden: den kühnen, weit vorausschauenden Idealismus, der das bequeme Heute dem größeren Morgen opfert, und die strenge Gerechtigkeit, die jede Selbstsucht in den Dienst des Ganzen zwingt. Nur der Weitblick der Monarchie vermochte in diesen armseligen Gebietstrümmern die Grundsteine einer neuen Großmacht zu erkennen. Nur in dem Pflichtgefühle der Krone, in dem monarchischen Staatsge- danken fanden die verfeindeten Stämme und Stände, Parteien und Kirchen, welche dieser Mikrokosmos des deutschen Lebens umfaßte, ihren Schutz und ihren Frieden.
Schon in den ersten Jahren des großen Kurfürsten tritt die Eigen- art der neuen deutschen Macht scharf und klar heraus. Der Neffe Gustav Adolfs, der sein junges Heer unter dem alten Protestantenrufe "Mit Gott" in die Schlachten führt, nimmt die Kirchenpolitik seines Oheims wieder auf. Er zuerst ruft in den Hader der Kirchen das erlösende Wort hinein, fordert die allgemeine unbedingte Amnestie für alle drei Bekenntnisse. Es war das Programm des Westphälischen Friedens. Und weit über die Vorschriften dieses Friedensschlusses hinaus ging die Duldung, welche die Hohenzollern im Innern ihres Landes walten ließen. Brandenburg galt vor dem Reichsrechte als ein evangelischer Stand und wurde doch der erste Staat Europas, der die volle Glaubensfreiheit gewährte. Das bunte Sektenwesen in den Niederlanden verdankte seine ungebundene Be- wegung nur der Anarchie, der Schwäche des Staates; hier aber ruhte die Gewissensfreiheit auf den Gesetzen einer kraftvollen Staatsgewalt, die sich das Recht der Oberaufsicht über die Kirchen nicht rauben ließ. In den anderen deutschen Territorien bestand überall noch eine herrschende Kirche, die den beiden anderen Confessionen nur den Gottesdienst nicht gänzlich untersagen durfte; in Brandenburg stand die Krone frei über allen Kirchen und schützte die Parität. Derweil Oesterreich seine besten Deutschen gewaltsam austreibt, öffnet eine Gastfreundschaft ohne Gleichen die Grenzen Brandenburgs den Duldern jeglichen Glaubens. Wie viel tausendmal ist in den Marken das Danklied der böhmischen Exulanten erklungen: "Dein Volk, das sonst im Finstern saß, von Irrthum ganz umgeben, das findet hier nun sein Gelaß und darf in Freiheit leben!" Als Ludwig XIV. das Edict von Nantes aufhebt, da tritt ihm der kleine brandenburgische Herr als der Wortführer der protestantischen Welt kühn entgegen und bietet durch sein Potsdamer Edict den Söhnen der Mär- tyrerkirche Schirm und Obdach. Ueberall wo noch die Flammen des alten Glaubenshasses aus dem deutschen Boden emporschlagen, schreiten die
Brandenburg das Land der Parität.
Wollens. Seitdem blieb die Kraft des zweckbewußten königlichen Willens der werdenden deutſchen Großmacht unverloren. Man kann ſich die engliſche Geſchichte vorſtellen ohne Wilhelm III., die Geſchichte Frankreichs ohne Richelieu; der preußiſche Staat iſt das Werk ſeiner Fürſten. In wenigen andern Ländern bewährte das Königthum ſo ſtetig jene beiden Tugenden, die ſeine Größe bilden: den kühnen, weit vorausſchauenden Idealismus, der das bequeme Heute dem größeren Morgen opfert, und die ſtrenge Gerechtigkeit, die jede Selbſtſucht in den Dienſt des Ganzen zwingt. Nur der Weitblick der Monarchie vermochte in dieſen armſeligen Gebietstrümmern die Grundſteine einer neuen Großmacht zu erkennen. Nur in dem Pflichtgefühle der Krone, in dem monarchiſchen Staatsge- danken fanden die verfeindeten Stämme und Stände, Parteien und Kirchen, welche dieſer Mikrokosmos des deutſchen Lebens umfaßte, ihren Schutz und ihren Frieden.
Schon in den erſten Jahren des großen Kurfürſten tritt die Eigen- art der neuen deutſchen Macht ſcharf und klar heraus. Der Neffe Guſtav Adolfs, der ſein junges Heer unter dem alten Proteſtantenrufe „Mit Gott“ in die Schlachten führt, nimmt die Kirchenpolitik ſeines Oheims wieder auf. Er zuerſt ruft in den Hader der Kirchen das erlöſende Wort hinein, fordert die allgemeine unbedingte Amneſtie für alle drei Bekenntniſſe. Es war das Programm des Weſtphäliſchen Friedens. Und weit über die Vorſchriften dieſes Friedensſchluſſes hinaus ging die Duldung, welche die Hohenzollern im Innern ihres Landes walten ließen. Brandenburg galt vor dem Reichsrechte als ein evangeliſcher Stand und wurde doch der erſte Staat Europas, der die volle Glaubensfreiheit gewährte. Das bunte Sektenweſen in den Niederlanden verdankte ſeine ungebundene Be- wegung nur der Anarchie, der Schwäche des Staates; hier aber ruhte die Gewiſſensfreiheit auf den Geſetzen einer kraftvollen Staatsgewalt, die ſich das Recht der Oberaufſicht über die Kirchen nicht rauben ließ. In den anderen deutſchen Territorien beſtand überall noch eine herrſchende Kirche, die den beiden anderen Confeſſionen nur den Gottesdienſt nicht gänzlich unterſagen durfte; in Brandenburg ſtand die Krone frei über allen Kirchen und ſchützte die Parität. Derweil Oeſterreich ſeine beſten Deutſchen gewaltſam austreibt, öffnet eine Gaſtfreundſchaft ohne Gleichen die Grenzen Brandenburgs den Duldern jeglichen Glaubens. Wie viel tauſendmal iſt in den Marken das Danklied der böhmiſchen Exulanten erklungen: „Dein Volk, das ſonſt im Finſtern ſaß, von Irrthum ganz umgeben, das findet hier nun ſein Gelaß und darf in Freiheit leben!“ Als Ludwig XIV. das Edict von Nantes aufhebt, da tritt ihm der kleine brandenburgiſche Herr als der Wortführer der proteſtantiſchen Welt kühn entgegen und bietet durch ſein Potsdamer Edict den Söhnen der Mär- tyrerkirche Schirm und Obdach. Ueberall wo noch die Flammen des alten Glaubenshaſſes aus dem deutſchen Boden emporſchlagen, ſchreiten die
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Brandenburg das Land der Parität.
Wollens. Seitdem blieb die Kraft des zweckbewußten königlichen Willens
der werdenden deutſchen Großmacht unverloren. Man kann ſich die
engliſche Geſchichte vorſtellen ohne Wilhelm III., die Geſchichte Frankreichs
ohne Richelieu; der preußiſche Staat iſt das Werk ſeiner Fürſten. In
wenigen andern Ländern bewährte das Königthum ſo ſtetig jene beiden
Tugenden, die ſeine Größe bilden: den kühnen, weit vorausſchauenden
Idealismus, der das bequeme Heute dem größeren Morgen opfert, und
die ſtrenge Gerechtigkeit, die jede Selbſtſucht in den Dienſt des Ganzen
zwingt. Nur der Weitblick der Monarchie vermochte in dieſen armſeligen
Gebietstrümmern die Grundſteine einer neuen Großmacht zu erkennen.
Nur in dem Pflichtgefühle der Krone, in dem monarchiſchen Staatsge-
danken fanden die verfeindeten Stämme und Stände, Parteien und Kirchen,
welche dieſer Mikrokosmos des deutſchen Lebens umfaßte, ihren Schutz
und ihren Frieden.
Schon in den erſten Jahren des großen Kurfürſten tritt die Eigen-
art der neuen deutſchen Macht ſcharf und klar heraus. Der Neffe
Guſtav Adolfs, der ſein junges Heer unter dem alten Proteſtantenrufe
„Mit Gott“ in die Schlachten führt, nimmt die Kirchenpolitik ſeines Oheims
wieder auf. Er zuerſt ruft in den Hader der Kirchen das erlöſende Wort
hinein, fordert die allgemeine unbedingte Amneſtie für alle drei Bekenntniſſe.
Es war das Programm des Weſtphäliſchen Friedens. Und weit über die
Vorſchriften dieſes Friedensſchluſſes hinaus ging die Duldung, welche die
Hohenzollern im Innern ihres Landes walten ließen. Brandenburg
galt vor dem Reichsrechte als ein evangeliſcher Stand und wurde doch
der erſte Staat Europas, der die volle Glaubensfreiheit gewährte. Das
bunte Sektenweſen in den Niederlanden verdankte ſeine ungebundene Be-
wegung nur der Anarchie, der Schwäche des Staates; hier aber ruhte
die Gewiſſensfreiheit auf den Geſetzen einer kraftvollen Staatsgewalt,
die ſich das Recht der Oberaufſicht über die Kirchen nicht rauben ließ.
In den anderen deutſchen Territorien beſtand überall noch eine herrſchende
Kirche, die den beiden anderen Confeſſionen nur den Gottesdienſt nicht
gänzlich unterſagen durfte; in Brandenburg ſtand die Krone frei über
allen Kirchen und ſchützte die Parität. Derweil Oeſterreich ſeine beſten
Deutſchen gewaltſam austreibt, öffnet eine Gaſtfreundſchaft ohne Gleichen
die Grenzen Brandenburgs den Duldern jeglichen Glaubens. Wie viel
tauſendmal iſt in den Marken das Danklied der böhmiſchen Exulanten
erklungen: „Dein Volk, das ſonſt im Finſtern ſaß, von Irrthum ganz
umgeben, das findet hier nun ſein Gelaß und darf in Freiheit leben!“
Als Ludwig XIV. das Edict von Nantes aufhebt, da tritt ihm der kleine
brandenburgiſche Herr als der Wortführer der proteſtantiſchen Welt kühn
entgegen und bietet durch ſein Potsdamer Edict den Söhnen der Mär-
tyrerkirche Schirm und Obdach. Ueberall wo noch die Flammen des alten
Glaubenshaſſes aus dem deutſchen Boden emporſchlagen, ſchreiten die
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/45>, abgerufen am 24.11.2024.
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