Soldaten brannte der Boden unter den Füßen, das dumpfe Getöse dieser grollenden Volksbewegung schlug sie mit Schrecken; sie rechneten, bald werde Berlin mehr bewaffnete Preußen zählen als Franzosen. Am 4. März räumte der Feind die Hauptstadt, und die nachsetzenden Russen lieferten ihm noch am Thore ein Gefecht. Am 11. hielt Wittgenstein seinen Ein- zug, am 17. ritt der Mann von Tauroggen die Linden entlang, streng und finster schweifte sein Blick über die hoch aufjubelnden Massen. Am nämlichen Tage nahm Leutnant Bärsch mit seinen Kosaken die Schlüssel von Hamburg in Empfang; gleich darauf besetzte der lustige Husar Tet- tenborn, der unterwegs die mecklenburgischen Fürsten zum Anschluß an die Coalition bewogen hatte, die alte Hansestadt mit seinen leichten Trup- pen, und das freudetrunkene Volk riß die verfluchten französischen Aas- vögel von den Mauern herunter. Einige Wochen lang blieben die Deut- schen in dem frohen Glauben, die Lande bis zur Elbe seien ohne Schwert- streich befreit.
Den französischen Gesandten hielt der Staatskanzler immer noch mit freundlichen Worten hin; je länger der offene Bruch sich hinausschob, um so sicherer konnte die Ausrüstung der Linien-Armee vollendet werden. St. Marsan war dem Hoflager nach Breslau gefolgt und ließ sich nach einigen Verwahrungen sogar über den Aufruf vom 3. Februar beruhigen, da Hardenberg ihm nachwies, daß der mittellose Staat ohne die freiwilli- gen Opfer seiner Bürger nicht bestehen könne. Er sah noch mit an, wie die Schaaren der Freiwilligen aus allen Provinzen in der schlesischen Hauptstadt eintrafen, wie der König, "um der herzerhebenden allgemei- nen Aeußerung treuer Vaterlandsliebe ein äußeres Kennzeichen" zu geben, das Tragen der Nationalkokarde anordnete und dann an Luisens Todestage seinen alten Plan, die Stiftung des eisernen Kreuzes, aus- führte. Der Wohlmeinende wollte nicht glauben, daß dies kleine Preußen den lächerlich ungleichen Kampf wagen könne, und reiste erst ab als mit dem Einzuge des Czaren in Breslau (15. März) jede Täuschung unmög- lich wurde. Noch beim Abschied beschwor er den Staatskanzler, diesen Fürsten und dies Land, die er lieb gewonnen, nicht ins Verderben zu stürzen; alle diese Knaben und Jünglinge würden den König gegen die Uebermacht seines Kaisers nicht schützen. Am 16. März erfolgte die Kriegserklärung.
Am folgenden Tage unterzeichnete Friedrich Wilhelm das Landwehrge- setz und den "Aufruf an Mein Volk". Es war die Rückkehr zur Wahrheit und zum freien Handeln, wie Schleiermacher in einer freudevollen Predigt sagte. Das treue Volk athmete auf, da nun endlich jeder Zweifel schwand, die allzu harte Prüfung der Geduld und des Gehorsams vorüber war. So hatte noch nie ein unumschränkter Herrscher zu seinem Lande geredet. Ein Hauch der Freiheit, wie er einst die äschyleischen Kriegslieder der Hellenensöhne erfüllte, wehte durch die schlichten, eindringlichen Worte,
I. 4. Der Befreiungskrieg.
Soldaten brannte der Boden unter den Füßen, das dumpfe Getöſe dieſer grollenden Volksbewegung ſchlug ſie mit Schrecken; ſie rechneten, bald werde Berlin mehr bewaffnete Preußen zählen als Franzoſen. Am 4. März räumte der Feind die Hauptſtadt, und die nachſetzenden Ruſſen lieferten ihm noch am Thore ein Gefecht. Am 11. hielt Wittgenſtein ſeinen Ein- zug, am 17. ritt der Mann von Tauroggen die Linden entlang, ſtreng und finſter ſchweifte ſein Blick über die hoch aufjubelnden Maſſen. Am nämlichen Tage nahm Leutnant Bärſch mit ſeinen Koſaken die Schlüſſel von Hamburg in Empfang; gleich darauf beſetzte der luſtige Huſar Tet- tenborn, der unterwegs die mecklenburgiſchen Fürſten zum Anſchluß an die Coalition bewogen hatte, die alte Hanſeſtadt mit ſeinen leichten Trup- pen, und das freudetrunkene Volk riß die verfluchten franzöſiſchen Aas- vögel von den Mauern herunter. Einige Wochen lang blieben die Deut- ſchen in dem frohen Glauben, die Lande bis zur Elbe ſeien ohne Schwert- ſtreich befreit.
Den franzöſiſchen Geſandten hielt der Staatskanzler immer noch mit freundlichen Worten hin; je länger der offene Bruch ſich hinausſchob, um ſo ſicherer konnte die Ausrüſtung der Linien-Armee vollendet werden. St. Marſan war dem Hoflager nach Breslau gefolgt und ließ ſich nach einigen Verwahrungen ſogar über den Aufruf vom 3. Februar beruhigen, da Hardenberg ihm nachwies, daß der mittelloſe Staat ohne die freiwilli- gen Opfer ſeiner Bürger nicht beſtehen könne. Er ſah noch mit an, wie die Schaaren der Freiwilligen aus allen Provinzen in der ſchleſiſchen Hauptſtadt eintrafen, wie der König, „um der herzerhebenden allgemei- nen Aeußerung treuer Vaterlandsliebe ein äußeres Kennzeichen“ zu geben, das Tragen der Nationalkokarde anordnete und dann an Luiſens Todestage ſeinen alten Plan, die Stiftung des eiſernen Kreuzes, aus- führte. Der Wohlmeinende wollte nicht glauben, daß dies kleine Preußen den lächerlich ungleichen Kampf wagen könne, und reiſte erſt ab als mit dem Einzuge des Czaren in Breslau (15. März) jede Täuſchung unmög- lich wurde. Noch beim Abſchied beſchwor er den Staatskanzler, dieſen Fürſten und dies Land, die er lieb gewonnen, nicht ins Verderben zu ſtürzen; alle dieſe Knaben und Jünglinge würden den König gegen die Uebermacht ſeines Kaiſers nicht ſchützen. Am 16. März erfolgte die Kriegserklärung.
Am folgenden Tage unterzeichnete Friedrich Wilhelm das Landwehrge- ſetz und den „Aufruf an Mein Volk“. Es war die Rückkehr zur Wahrheit und zum freien Handeln, wie Schleiermacher in einer freudevollen Predigt ſagte. Das treue Volk athmete auf, da nun endlich jeder Zweifel ſchwand, die allzu harte Prüfung der Geduld und des Gehorſams vorüber war. So hatte noch nie ein unumſchränkter Herrſcher zu ſeinem Lande geredet. Ein Hauch der Freiheit, wie er einſt die äſchyleiſchen Kriegslieder der Hellenenſöhne erfüllte, wehte durch die ſchlichten, eindringlichen Worte,
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I. 4. Der Befreiungskrieg.
Soldaten brannte der Boden unter den Füßen, das dumpfe Getöſe dieſer
grollenden Volksbewegung ſchlug ſie mit Schrecken; ſie rechneten, bald
werde Berlin mehr bewaffnete Preußen zählen als Franzoſen. Am 4. März
räumte der Feind die Hauptſtadt, und die nachſetzenden Ruſſen lieferten
ihm noch am Thore ein Gefecht. Am 11. hielt Wittgenſtein ſeinen Ein-
zug, am 17. ritt der Mann von Tauroggen die Linden entlang, ſtreng
und finſter ſchweifte ſein Blick über die hoch aufjubelnden Maſſen. Am
nämlichen Tage nahm Leutnant Bärſch mit ſeinen Koſaken die Schlüſſel
von Hamburg in Empfang; gleich darauf beſetzte der luſtige Huſar Tet-
tenborn, der unterwegs die mecklenburgiſchen Fürſten zum Anſchluß an
die Coalition bewogen hatte, die alte Hanſeſtadt mit ſeinen leichten Trup-
pen, und das freudetrunkene Volk riß die verfluchten franzöſiſchen Aas-
vögel von den Mauern herunter. Einige Wochen lang blieben die Deut-
ſchen in dem frohen Glauben, die Lande bis zur Elbe ſeien ohne Schwert-
ſtreich befreit.
Den franzöſiſchen Geſandten hielt der Staatskanzler immer noch mit
freundlichen Worten hin; je länger der offene Bruch ſich hinausſchob,
um ſo ſicherer konnte die Ausrüſtung der Linien-Armee vollendet werden.
St. Marſan war dem Hoflager nach Breslau gefolgt und ließ ſich nach
einigen Verwahrungen ſogar über den Aufruf vom 3. Februar beruhigen,
da Hardenberg ihm nachwies, daß der mittelloſe Staat ohne die freiwilli-
gen Opfer ſeiner Bürger nicht beſtehen könne. Er ſah noch mit an, wie
die Schaaren der Freiwilligen aus allen Provinzen in der ſchleſiſchen
Hauptſtadt eintrafen, wie der König, „um der herzerhebenden allgemei-
nen Aeußerung treuer Vaterlandsliebe ein äußeres Kennzeichen“ zu
geben, das Tragen der Nationalkokarde anordnete und dann an Luiſens
Todestage ſeinen alten Plan, die Stiftung des eiſernen Kreuzes, aus-
führte. Der Wohlmeinende wollte nicht glauben, daß dies kleine Preußen
den lächerlich ungleichen Kampf wagen könne, und reiſte erſt ab als mit
dem Einzuge des Czaren in Breslau (15. März) jede Täuſchung unmög-
lich wurde. Noch beim Abſchied beſchwor er den Staatskanzler, dieſen
Fürſten und dies Land, die er lieb gewonnen, nicht ins Verderben zu
ſtürzen; alle dieſe Knaben und Jünglinge würden den König gegen die
Uebermacht ſeines Kaiſers nicht ſchützen. Am 16. März erfolgte die
Kriegserklärung.
Am folgenden Tage unterzeichnete Friedrich Wilhelm das Landwehrge-
ſetz und den „Aufruf an Mein Volk“. Es war die Rückkehr zur Wahrheit
und zum freien Handeln, wie Schleiermacher in einer freudevollen Predigt
ſagte. Das treue Volk athmete auf, da nun endlich jeder Zweifel ſchwand,
die allzu harte Prüfung der Geduld und des Gehorſams vorüber war.
So hatte noch nie ein unumſchränkter Herrſcher zu ſeinem Lande geredet.
Ein Hauch der Freiheit, wie er einſt die äſchyleiſchen Kriegslieder der
Hellenenſöhne erfüllte, wehte durch die ſchlichten, eindringlichen Worte,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/444>, abgerufen am 22.11.2024.
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