seinem preußischen Freunde beharrlich verschwieg. Diese Hinterhaltigkeit Alexanders erscheint nicht nur sehr häßlich neben der treuherzigen Offen- heit Friedrich Wilhelms; sie erwies sich auch bald als ein politischer Fehler, denn sie erschütterte, als das Geheimniß endlich an den Tag kam, das Vertrauen zwischen den beiden Mächten, brachte das preußisch-russische Bündniß eine Zeit lang ins Schwanken.
Die Lage Preußens blieb freilich nach wie vor dem Vertrage sehr unsicher. Der Czar eilte das Herzogthum Warschau ganz in Besitz zu nehmen. Preußische Ingenieure und Batterien wirkten mit bei der Be- lagerung von Thorn und Modlin; dieser polnische Festungskrieg schwächte die für die Feldarmee verfügbaren Streitkräfte und hat, wie die preußi- schen Offiziere zornig bemerkten, wesentlich dazu beigetragen, daß der Frühjahrsfeldzug in Sachsen verloren ging. Also brachte Preußen harte Opfer für die Eroberung Polens und sah dann ruhig mit an, wie eine von dem Czaren eingesetzte provisorische Regierung die Verwaltung des gesammten Herzogthums leitete. Die Russen waren ihrer Beute sicher, Preußen konnte nur auf die Zukunft hoffen. Ueber Deutschlands künftige Verfassung ging man vorläufig mit Stillschweigen hinweg, da Alexander bereits wußte, daß weder Oesterreich noch England noch Schweden mit Hardenbergs dualistischen Plänen einverstanden war. Auch die Bestim- mungen des Vertrags über die militärischen Leistungen der Verbündeten brachten dem preußischen Staate schweren Nachtheil. Die Regierung konnte im Februar selbst noch nicht übersehen, welche gewaltigen Streit- kräfte der unvergleichliche Opfermuth der Nation entfalten würde; sie war hochherzig entschlossen das Größte zu thun, wollte aber nicht mehr ver- sprechen als was sie sicher leisten könnte. Czar Alexander dagegen schätzte seine Feldarmee fast auf das Vierfache ihrer augenblicklichen Stärke, theils weil er als die führende Macht der Coalition erscheinen wollte, theils weil er im Rausche seines Caesarenstolzes sich selber täuschte; man weiß bei ihm niemals recht, wo der Selbstbetrug aufhört und der Betrug be- ginnt. Freund und Feind glaubte noch seinen Uebertreibungen; zu An- fang Februars, in einer Unterredung mit Knesebeck, rechnete Metternich, Preußen werde wohl die 150,000 Russen durch 50 oder 60,000 Mann ver- stärken können. Die Kalischer Vereinbarung verpflichtete Rußland 150,000 Mann, Preußen 80,000 Mann ins Feld zu stellen. Die wirklichen Streit- kräfte der beiden Verbündeten aber standen lange im umgekehrten Verhält- niß; Preußen leistete von vornherein weit mehr als der Vertrag bedang, Ruß- lands Feldarmee erreichte erst gegen den Herbst die vertragsmäßige Stärke. Hardenberg legte beim Abschluß der Verhandlung geringen Werth auf jene Ziffern, doch sie bildeten bei den späteren Verträgen mit England den Maßstab für die Subsidien; sie wurden also für die ohnedies zerrütteten Finanzen Preußens sehr schädlich und sie erregten in der diplomatischen Welt den Glauben, als ob Preußen nur die Hilfsmacht Rußlands sei.
Folgen des Kaliſcher Vertrags.
ſeinem preußiſchen Freunde beharrlich verſchwieg. Dieſe Hinterhaltigkeit Alexanders erſcheint nicht nur ſehr häßlich neben der treuherzigen Offen- heit Friedrich Wilhelms; ſie erwies ſich auch bald als ein politiſcher Fehler, denn ſie erſchütterte, als das Geheimniß endlich an den Tag kam, das Vertrauen zwiſchen den beiden Mächten, brachte das preußiſch-ruſſiſche Bündniß eine Zeit lang ins Schwanken.
Die Lage Preußens blieb freilich nach wie vor dem Vertrage ſehr unſicher. Der Czar eilte das Herzogthum Warſchau ganz in Beſitz zu nehmen. Preußiſche Ingenieure und Batterien wirkten mit bei der Be- lagerung von Thorn und Modlin; dieſer polniſche Feſtungskrieg ſchwächte die für die Feldarmee verfügbaren Streitkräfte und hat, wie die preußi- ſchen Offiziere zornig bemerkten, weſentlich dazu beigetragen, daß der Frühjahrsfeldzug in Sachſen verloren ging. Alſo brachte Preußen harte Opfer für die Eroberung Polens und ſah dann ruhig mit an, wie eine von dem Czaren eingeſetzte proviſoriſche Regierung die Verwaltung des geſammten Herzogthums leitete. Die Ruſſen waren ihrer Beute ſicher, Preußen konnte nur auf die Zukunft hoffen. Ueber Deutſchlands künftige Verfaſſung ging man vorläufig mit Stillſchweigen hinweg, da Alexander bereits wußte, daß weder Oeſterreich noch England noch Schweden mit Hardenbergs dualiſtiſchen Plänen einverſtanden war. Auch die Beſtim- mungen des Vertrags über die militäriſchen Leiſtungen der Verbündeten brachten dem preußiſchen Staate ſchweren Nachtheil. Die Regierung konnte im Februar ſelbſt noch nicht überſehen, welche gewaltigen Streit- kräfte der unvergleichliche Opfermuth der Nation entfalten würde; ſie war hochherzig entſchloſſen das Größte zu thun, wollte aber nicht mehr ver- ſprechen als was ſie ſicher leiſten könnte. Czar Alexander dagegen ſchätzte ſeine Feldarmee faſt auf das Vierfache ihrer augenblicklichen Stärke, theils weil er als die führende Macht der Coalition erſcheinen wollte, theils weil er im Rauſche ſeines Caeſarenſtolzes ſich ſelber täuſchte; man weiß bei ihm niemals recht, wo der Selbſtbetrug aufhört und der Betrug be- ginnt. Freund und Feind glaubte noch ſeinen Uebertreibungen; zu An- fang Februars, in einer Unterredung mit Kneſebeck, rechnete Metternich, Preußen werde wohl die 150,000 Ruſſen durch 50 oder 60,000 Mann ver- ſtärken können. Die Kaliſcher Vereinbarung verpflichtete Rußland 150,000 Mann, Preußen 80,000 Mann ins Feld zu ſtellen. Die wirklichen Streit- kräfte der beiden Verbündeten aber ſtanden lange im umgekehrten Verhält- niß; Preußen leiſtete von vornherein weit mehr als der Vertrag bedang, Ruß- lands Feldarmee erreichte erſt gegen den Herbſt die vertragsmäßige Stärke. Hardenberg legte beim Abſchluß der Verhandlung geringen Werth auf jene Ziffern, doch ſie bildeten bei den ſpäteren Verträgen mit England den Maßſtab für die Subſidien; ſie wurden alſo für die ohnedies zerrütteten Finanzen Preußens ſehr ſchädlich und ſie erregten in der diplomatiſchen Welt den Glauben, als ob Preußen nur die Hilfsmacht Rußlands ſei.
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Folgen des Kaliſcher Vertrags.
ſeinem preußiſchen Freunde beharrlich verſchwieg. Dieſe Hinterhaltigkeit
Alexanders erſcheint nicht nur ſehr häßlich neben der treuherzigen Offen-
heit Friedrich Wilhelms; ſie erwies ſich auch bald als ein politiſcher
Fehler, denn ſie erſchütterte, als das Geheimniß endlich an den Tag kam,
das Vertrauen zwiſchen den beiden Mächten, brachte das preußiſch-ruſſiſche
Bündniß eine Zeit lang ins Schwanken.
Die Lage Preußens blieb freilich nach wie vor dem Vertrage ſehr
unſicher. Der Czar eilte das Herzogthum Warſchau ganz in Beſitz zu
nehmen. Preußiſche Ingenieure und Batterien wirkten mit bei der Be-
lagerung von Thorn und Modlin; dieſer polniſche Feſtungskrieg ſchwächte
die für die Feldarmee verfügbaren Streitkräfte und hat, wie die preußi-
ſchen Offiziere zornig bemerkten, weſentlich dazu beigetragen, daß der
Frühjahrsfeldzug in Sachſen verloren ging. Alſo brachte Preußen harte
Opfer für die Eroberung Polens und ſah dann ruhig mit an, wie eine
von dem Czaren eingeſetzte proviſoriſche Regierung die Verwaltung des
geſammten Herzogthums leitete. Die Ruſſen waren ihrer Beute ſicher,
Preußen konnte nur auf die Zukunft hoffen. Ueber Deutſchlands künftige
Verfaſſung ging man vorläufig mit Stillſchweigen hinweg, da Alexander
bereits wußte, daß weder Oeſterreich noch England noch Schweden mit
Hardenbergs dualiſtiſchen Plänen einverſtanden war. Auch die Beſtim-
mungen des Vertrags über die militäriſchen Leiſtungen der Verbündeten
brachten dem preußiſchen Staate ſchweren Nachtheil. Die Regierung
konnte im Februar ſelbſt noch nicht überſehen, welche gewaltigen Streit-
kräfte der unvergleichliche Opfermuth der Nation entfalten würde; ſie war
hochherzig entſchloſſen das Größte zu thun, wollte aber nicht mehr ver-
ſprechen als was ſie ſicher leiſten könnte. Czar Alexander dagegen ſchätzte
ſeine Feldarmee faſt auf das Vierfache ihrer augenblicklichen Stärke, theils
weil er als die führende Macht der Coalition erſcheinen wollte, theils
weil er im Rauſche ſeines Caeſarenſtolzes ſich ſelber täuſchte; man weiß
bei ihm niemals recht, wo der Selbſtbetrug aufhört und der Betrug be-
ginnt. Freund und Feind glaubte noch ſeinen Uebertreibungen; zu An-
fang Februars, in einer Unterredung mit Kneſebeck, rechnete Metternich,
Preußen werde wohl die 150,000 Ruſſen durch 50 oder 60,000 Mann ver-
ſtärken können. Die Kaliſcher Vereinbarung verpflichtete Rußland 150,000
Mann, Preußen 80,000 Mann ins Feld zu ſtellen. Die wirklichen Streit-
kräfte der beiden Verbündeten aber ſtanden lange im umgekehrten Verhält-
niß; Preußen leiſtete von vornherein weit mehr als der Vertrag bedang, Ruß-
lands Feldarmee erreichte erſt gegen den Herbſt die vertragsmäßige Stärke.
Hardenberg legte beim Abſchluß der Verhandlung geringen Werth auf jene
Ziffern, doch ſie bildeten bei den ſpäteren Verträgen mit England den
Maßſtab für die Subſidien; ſie wurden alſo für die ohnedies zerrütteten
Finanzen Preußens ſehr ſchädlich und ſie erregten in der diplomatiſchen
Welt den Glauben, als ob Preußen nur die Hilfsmacht Rußlands ſei.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/441>, abgerufen am 25.11.2024.
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