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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Napoleons Pläne.
in Paris mußte dringend mahnen an die Rückzahlung der von Preußen
für den Durchmarsch der großen Armee geleisteten Vorschüsse; die Regie-
rung berechnete die Summe, sehr niedrig, auf 94 Mill. Fr. Um die
Täuschung zu vollenden benutzte Hardenberg noch einen verbrauchten
Kunstgriff der alten Cabinetspolitik: er sendete den unfähigsten seiner
Diplomaten, den Fürsten Hatzfeld, einen erklärten Franzosenfreund, der
von den Absichten des Staatskanzlers nicht das Mindeste ahnte, nach
Paris um die That Yorks zu entschuldigen und nochmals an die Ab-
zahlung der Vorschüsse zu erinnern.

Bei einiger Kenntniß der preußischen Dinge konnte der Imperator
schon aus der Persönlichkeit des Unterhändlers errathen, daß diese Sen-
dung bestimmt war zu scheitern. Er aber hatte für das kleine Preußen
kein Auge, sondern lebte und webte in den Entwürfen für einen zweiten
russischen Feldzug. Während prunkende Feste in Fontainebleau die Welt
über die wachsende Verstimmung des französischen Volkes täuschen sollten,
wurde eine neue Aushebung von 350,000 Mann, im März nochmals
eine Conscription von 180,000 Mann angeordnet. Seit dem Jahre 1793
waren mehr denn drei Millionen Franzosen unter die Fahnen gerufen und
die Mehrzahl davon im Kriege umgekommen; der Minister Montalivet aber
betheuerte in einer schwungvollen parlamentarischen Prachtrede, die Con-
scription habe eine erfreuliche Vermehrung der Bevölkerung herbeigeführt.
Der Imperator rechnete, im Frühjahr von Magdeburg aus den zweiten
Krieg gegen Rußland zu eröffnen, die Sachsen auf dem rechten, die
Preußen auf dem linken Flügel; im Juni sollte Danzig deblokirt, im
August der Niemen abermals überschritten werden. Kein Gedanke an
Nachgiebigkeit. Ueberall, so versicherte er seinem Schwiegervater, seien
die Russen in offener Feldschlacht geschlagen worden; auch nicht ein Dorf
von Warschau dürfe der Czar erhalten; nun gar die constitutionellen
Grenzen des Kaiserreichs, das Rom, Amsterdam und Hamburg zu seinen
guten Städten zählte, blieben unantastbar für alle Zukunft! Seinen
deutschen Vasallen gab er nochmals zu wissen, daß er für die Herrlichkeit
des deutschen Particularismus streite: sie hätten nicht blos den auswärti-
gen Gegner zu bekämpfen, sondern einen gefährlicheren Feind -- jenen
Geist der Anarchie, welchen die Umsturzmänner Stein und Genossen heg-
ten; die Dynastien des Rheinbundes zu entthronen und ein sogenanntes
Deutschland zu schaffen (creer ce qu'ils appellent une Allemagne), das
sei das Ziel der deutschen Aufrührer.

Der preußischen Monarchie meinte er sicher zu sein, wo nicht ihrer
Treue so doch ihrer Ohnmacht; noch im März schrieb er geringschätzig an
Eugen Beauharnais, mehr als 40,000 Mann könnten die Preußen doch
nicht aufbringen, und davon nur 25,000 für das freie Feld. Er selber
hatte zu Anfang des letzten Feldzugs die treffliche militärische Haltung des
York'schen Corps bewundert; er war gewarnt, hundertmal gewarnt durch

Napoleons Pläne.
in Paris mußte dringend mahnen an die Rückzahlung der von Preußen
für den Durchmarſch der großen Armee geleiſteten Vorſchüſſe; die Regie-
rung berechnete die Summe, ſehr niedrig, auf 94 Mill. Fr. Um die
Täuſchung zu vollenden benutzte Hardenberg noch einen verbrauchten
Kunſtgriff der alten Cabinetspolitik: er ſendete den unfähigſten ſeiner
Diplomaten, den Fürſten Hatzfeld, einen erklärten Franzoſenfreund, der
von den Abſichten des Staatskanzlers nicht das Mindeſte ahnte, nach
Paris um die That Yorks zu entſchuldigen und nochmals an die Ab-
zahlung der Vorſchüſſe zu erinnern.

Bei einiger Kenntniß der preußiſchen Dinge konnte der Imperator
ſchon aus der Perſönlichkeit des Unterhändlers errathen, daß dieſe Sen-
dung beſtimmt war zu ſcheitern. Er aber hatte für das kleine Preußen
kein Auge, ſondern lebte und webte in den Entwürfen für einen zweiten
ruſſiſchen Feldzug. Während prunkende Feſte in Fontainebleau die Welt
über die wachſende Verſtimmung des franzöſiſchen Volkes täuſchen ſollten,
wurde eine neue Aushebung von 350,000 Mann, im März nochmals
eine Conſcription von 180,000 Mann angeordnet. Seit dem Jahre 1793
waren mehr denn drei Millionen Franzoſen unter die Fahnen gerufen und
die Mehrzahl davon im Kriege umgekommen; der Miniſter Montalivet aber
betheuerte in einer ſchwungvollen parlamentariſchen Prachtrede, die Con-
ſcription habe eine erfreuliche Vermehrung der Bevölkerung herbeigeführt.
Der Imperator rechnete, im Frühjahr von Magdeburg aus den zweiten
Krieg gegen Rußland zu eröffnen, die Sachſen auf dem rechten, die
Preußen auf dem linken Flügel; im Juni ſollte Danzig deblokirt, im
Auguſt der Niemen abermals überſchritten werden. Kein Gedanke an
Nachgiebigkeit. Ueberall, ſo verſicherte er ſeinem Schwiegervater, ſeien
die Ruſſen in offener Feldſchlacht geſchlagen worden; auch nicht ein Dorf
von Warſchau dürfe der Czar erhalten; nun gar die conſtitutionellen
Grenzen des Kaiſerreichs, das Rom, Amſterdam und Hamburg zu ſeinen
guten Städten zählte, blieben unantaſtbar für alle Zukunft! Seinen
deutſchen Vaſallen gab er nochmals zu wiſſen, daß er für die Herrlichkeit
des deutſchen Particularismus ſtreite: ſie hätten nicht blos den auswärti-
gen Gegner zu bekämpfen, ſondern einen gefährlicheren Feind — jenen
Geiſt der Anarchie, welchen die Umſturzmänner Stein und Genoſſen heg-
ten; die Dynaſtien des Rheinbundes zu entthronen und ein ſogenanntes
Deutſchland zu ſchaffen (créer ce qu’ils appellent une Allemagne), das
ſei das Ziel der deutſchen Aufrührer.

Der preußiſchen Monarchie meinte er ſicher zu ſein, wo nicht ihrer
Treue ſo doch ihrer Ohnmacht; noch im März ſchrieb er geringſchätzig an
Eugen Beauharnais, mehr als 40,000 Mann könnten die Preußen doch
nicht aufbringen, und davon nur 25,000 für das freie Feld. Er ſelber
hatte zu Anfang des letzten Feldzugs die treffliche militäriſche Haltung des
York’ſchen Corps bewundert; er war gewarnt, hundertmal gewarnt durch

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[409/0425] Napoleons Pläne. in Paris mußte dringend mahnen an die Rückzahlung der von Preußen für den Durchmarſch der großen Armee geleiſteten Vorſchüſſe; die Regie- rung berechnete die Summe, ſehr niedrig, auf 94 Mill. Fr. Um die Täuſchung zu vollenden benutzte Hardenberg noch einen verbrauchten Kunſtgriff der alten Cabinetspolitik: er ſendete den unfähigſten ſeiner Diplomaten, den Fürſten Hatzfeld, einen erklärten Franzoſenfreund, der von den Abſichten des Staatskanzlers nicht das Mindeſte ahnte, nach Paris um die That Yorks zu entſchuldigen und nochmals an die Ab- zahlung der Vorſchüſſe zu erinnern. Bei einiger Kenntniß der preußiſchen Dinge konnte der Imperator ſchon aus der Perſönlichkeit des Unterhändlers errathen, daß dieſe Sen- dung beſtimmt war zu ſcheitern. Er aber hatte für das kleine Preußen kein Auge, ſondern lebte und webte in den Entwürfen für einen zweiten ruſſiſchen Feldzug. Während prunkende Feſte in Fontainebleau die Welt über die wachſende Verſtimmung des franzöſiſchen Volkes täuſchen ſollten, wurde eine neue Aushebung von 350,000 Mann, im März nochmals eine Conſcription von 180,000 Mann angeordnet. Seit dem Jahre 1793 waren mehr denn drei Millionen Franzoſen unter die Fahnen gerufen und die Mehrzahl davon im Kriege umgekommen; der Miniſter Montalivet aber betheuerte in einer ſchwungvollen parlamentariſchen Prachtrede, die Con- ſcription habe eine erfreuliche Vermehrung der Bevölkerung herbeigeführt. Der Imperator rechnete, im Frühjahr von Magdeburg aus den zweiten Krieg gegen Rußland zu eröffnen, die Sachſen auf dem rechten, die Preußen auf dem linken Flügel; im Juni ſollte Danzig deblokirt, im Auguſt der Niemen abermals überſchritten werden. Kein Gedanke an Nachgiebigkeit. Ueberall, ſo verſicherte er ſeinem Schwiegervater, ſeien die Ruſſen in offener Feldſchlacht geſchlagen worden; auch nicht ein Dorf von Warſchau dürfe der Czar erhalten; nun gar die conſtitutionellen Grenzen des Kaiſerreichs, das Rom, Amſterdam und Hamburg zu ſeinen guten Städten zählte, blieben unantaſtbar für alle Zukunft! Seinen deutſchen Vaſallen gab er nochmals zu wiſſen, daß er für die Herrlichkeit des deutſchen Particularismus ſtreite: ſie hätten nicht blos den auswärti- gen Gegner zu bekämpfen, ſondern einen gefährlicheren Feind — jenen Geiſt der Anarchie, welchen die Umſturzmänner Stein und Genoſſen heg- ten; die Dynaſtien des Rheinbundes zu entthronen und ein ſogenanntes Deutſchland zu ſchaffen (créer ce qu’ils appellent une Allemagne), das ſei das Ziel der deutſchen Aufrührer. Der preußiſchen Monarchie meinte er ſicher zu ſein, wo nicht ihrer Treue ſo doch ihrer Ohnmacht; noch im März ſchrieb er geringſchätzig an Eugen Beauharnais, mehr als 40,000 Mann könnten die Preußen doch nicht aufbringen, und davon nur 25,000 für das freie Feld. Er ſelber hatte zu Anfang des letzten Feldzugs die treffliche militäriſche Haltung des York’ſchen Corps bewundert; er war gewarnt, hundertmal gewarnt durch

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/425>, abgerufen am 25.11.2024.