abzuschließen und die Waffen erst niederzulegen wenn Preußen die Macht- stellung vom Jahre 1805 wieder erreicht habe. Hier also des Königs alter Freund und die Aussicht auf Wiederherstellung des alten Ruhmes, dort der arge Feind, von dem York wußte, daß er nur auf Preußens Vernichtung sann. Bewegt wie ein Mann nur sein kann kündete der General seinen Offizieren die gefaßte Entscheidung an: "so möge denn unter göttlichem Beistand das Werk unserer Befreiung beginnen und sich vollenden." Mit hellem Jubel stimmten ihm die Getreuen zu. Am 30. December traf York in der Poscheruner Mühle bei Tauroggen mit den russischen Unterhändlern zusammen -- es waren durchweg geborene Preußen, Diebitsch, Clausewitz, Friedrich Dohna -- und unterzeichnete eine Convention, kraft deren sein Corps in den Landstrich zwischen Memel und Tilsit zurückging, um dort die weiteren Befehle des Königs zu er- warten. Mehr wollte der pflichtgetreue Soldat nicht wagen. An dem Könige war es die Verbindung mit Rußland zu befehlen. Ihm legte York in einem Briefe, den er mit seinem Herzblute schrieb, seinen alten Kopf zu Füßen: "Jetzt oder nie ist der Moment, Freiheit, Unabhängig- keit und Größe wiederzuerlangen. In dem Ausspruche Eurer Majestät liegt das Schicksal der Welt!"
Die Convention von Tauroggen hat nicht, wie ihr kühner Urheber hoffte, den König fortgerissen zum Anschluß an Rußland; der Entschluß des Monarchen stand bereits fest. Sie kam sogar dem Staatskanzler sehr ungelegen, da sie ihn leicht nöthigen konnte sein fein berechnetes Spiel allzufrüh aufzudecken. Aber sie öffnete die deutschen Grenzen den Russen, sie ermöglichte den Ostpreußen sich für Deutschlands Befreiung zu erheben, sie gab den Massen zuerst die frohe Gewißheit, daß der Würfel gefallen sei. Als der Morgen des schlachtenreichsten Jahres dieser blutigen Zeit heraufgraute, erwachte überall wo Friedrichs Adler wehten die alte Waffenfreude der Germanen, und weithin über das preußische Land erklang der Weckruf des eisernen York: Jetzt oder niemals!
I. 3. Preußens Erhebung.
abzuſchließen und die Waffen erſt niederzulegen wenn Preußen die Macht- ſtellung vom Jahre 1805 wieder erreicht habe. Hier alſo des Königs alter Freund und die Ausſicht auf Wiederherſtellung des alten Ruhmes, dort der arge Feind, von dem York wußte, daß er nur auf Preußens Vernichtung ſann. Bewegt wie ein Mann nur ſein kann kündete der General ſeinen Offizieren die gefaßte Entſcheidung an: „ſo möge denn unter göttlichem Beiſtand das Werk unſerer Befreiung beginnen und ſich vollenden.“ Mit hellem Jubel ſtimmten ihm die Getreuen zu. Am 30. December traf York in der Poſcheruner Mühle bei Tauroggen mit den ruſſiſchen Unterhändlern zuſammen — es waren durchweg geborene Preußen, Diebitſch, Clauſewitz, Friedrich Dohna — und unterzeichnete eine Convention, kraft deren ſein Corps in den Landſtrich zwiſchen Memel und Tilſit zurückging, um dort die weiteren Befehle des Königs zu er- warten. Mehr wollte der pflichtgetreue Soldat nicht wagen. An dem Könige war es die Verbindung mit Rußland zu befehlen. Ihm legte York in einem Briefe, den er mit ſeinem Herzblute ſchrieb, ſeinen alten Kopf zu Füßen: „Jetzt oder nie iſt der Moment, Freiheit, Unabhängig- keit und Größe wiederzuerlangen. In dem Ausſpruche Eurer Majeſtät liegt das Schickſal der Welt!“
Die Convention von Tauroggen hat nicht, wie ihr kühner Urheber hoffte, den König fortgeriſſen zum Anſchluß an Rußland; der Entſchluß des Monarchen ſtand bereits feſt. Sie kam ſogar dem Staatskanzler ſehr ungelegen, da ſie ihn leicht nöthigen konnte ſein fein berechnetes Spiel allzufrüh aufzudecken. Aber ſie öffnete die deutſchen Grenzen den Ruſſen, ſie ermöglichte den Oſtpreußen ſich für Deutſchlands Befreiung zu erheben, ſie gab den Maſſen zuerſt die frohe Gewißheit, daß der Würfel gefallen ſei. Als der Morgen des ſchlachtenreichſten Jahres dieſer blutigen Zeit heraufgraute, erwachte überall wo Friedrichs Adler wehten die alte Waffenfreude der Germanen, und weithin über das preußiſche Land erklang der Weckruf des eiſernen York: Jetzt oder niemals!
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I. 3. Preußens Erhebung.
abzuſchließen und die Waffen erſt niederzulegen wenn Preußen die Macht-
ſtellung vom Jahre 1805 wieder erreicht habe. Hier alſo des Königs
alter Freund und die Ausſicht auf Wiederherſtellung des alten Ruhmes,
dort der arge Feind, von dem York wußte, daß er nur auf Preußens
Vernichtung ſann. Bewegt wie ein Mann nur ſein kann kündete der
General ſeinen Offizieren die gefaßte Entſcheidung an: „ſo möge denn
unter göttlichem Beiſtand das Werk unſerer Befreiung beginnen und ſich
vollenden.“ Mit hellem Jubel ſtimmten ihm die Getreuen zu. Am
30. December traf York in der Poſcheruner Mühle bei Tauroggen mit
den ruſſiſchen Unterhändlern zuſammen — es waren durchweg geborene
Preußen, Diebitſch, Clauſewitz, Friedrich Dohna — und unterzeichnete
eine Convention, kraft deren ſein Corps in den Landſtrich zwiſchen Memel
und Tilſit zurückging, um dort die weiteren Befehle des Königs zu er-
warten. Mehr wollte der pflichtgetreue Soldat nicht wagen. An dem
Könige war es die Verbindung mit Rußland zu befehlen. Ihm legte
York in einem Briefe, den er mit ſeinem Herzblute ſchrieb, ſeinen alten
Kopf zu Füßen: „Jetzt oder nie iſt der Moment, Freiheit, Unabhängig-
keit und Größe wiederzuerlangen. In dem Ausſpruche Eurer Majeſtät
liegt das Schickſal der Welt!“
Die Convention von Tauroggen hat nicht, wie ihr kühner Urheber
hoffte, den König fortgeriſſen zum Anſchluß an Rußland; der Entſchluß
des Monarchen ſtand bereits feſt. Sie kam ſogar dem Staatskanzler
ſehr ungelegen, da ſie ihn leicht nöthigen konnte ſein fein berechnetes
Spiel allzufrüh aufzudecken. Aber ſie öffnete die deutſchen Grenzen den
Ruſſen, ſie ermöglichte den Oſtpreußen ſich für Deutſchlands Befreiung
zu erheben, ſie gab den Maſſen zuerſt die frohe Gewißheit, daß der
Würfel gefallen ſei. Als der Morgen des ſchlachtenreichſten Jahres dieſer
blutigen Zeit heraufgraute, erwachte überall wo Friedrichs Adler wehten
die alte Waffenfreude der Germanen, und weithin über das preußiſche
Land erklang der Weckruf des eiſernen York: Jetzt oder niemals!
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/420>, abgerufen am 22.11.2024.
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