Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Stein in Petersburg.
bis zur Maas, ebenso Italien zu einer geschlossenen Masse verbunden --
ganz Mitteleuropa zurückgeführt in einen Zustand "der Kraft der Wider-
standsfähigkeit". Sei dies nicht möglich, so solle man Deutschland nach
dem Laufe des Mains zwischen Oesterreich und Preußen theilen, die
Rheinbundsfürsten als betitelte Sklaven und Untervögte des Eroberers
behandeln, auch die von Napoleon verjagten Fürsten nicht wieder einsetzen.
Könne man auch dies nicht erreichen, so bleibe als letzter Ausweg, daß
man jedem der beiden "verfassungsmäßigen Königreiche" Oesterreich und
Preußen einige Kleinstaaten als Vasallen unterordne, etwa Baiern, Würt-
temberg, Baden mit geschmälertem Gebiete der südlichen, Hannover, Hes-
sen, Oldenburg, Braunschweig der nördlichen Macht.

Wohl oder übel suchte er also seine unitarischen Wünsche mit den
Ideen des Bartensteiner Vertrags in Einklang zu bringen. Auf jeden Fall
sollte der Befreiungskrieg mit radicaler Kühnheit geführt, das eroberte
deutsche Land als herrenloses Gut vorläufig von einem Verwaltungsrathe
der Verbündeten regiert werden. Unter den Verbündeten dachte er sich zu-
nächst Rußland, Oesterreich und England; ihnen komme es zu das zaudernde
Preußen mit sich fortzureißen. So tief war sein Widerwille gegen die listen-
reiche Politik Hardenbergs. Die zwingenden Gründe, welche das Verhalten
des Königs in den Jahren 1809 und 1811 bestimmt hatten, wollte der Er-
zürnte niemals gelten lassen, und obwohl die feurigen Patrioten, die ihn
in Petersburg umgaben, allesammt Norddeutsche waren, so glaubte er
noch immer nicht recht an die kriegerische Leidenschaft dieser kalten und
langsamen Stämme.

Gleichviel welcher Theil des Vaterlandes sich zuerst erhöbe -- daß
der Krieg wie ein reißender Strom über die deutschen Grenzen hinein-
fluthen müsse, verstand sich dem Reichsritter von selber. Für diesen Ge-
danken suchte er den Czaren zu gewinnen, und er fand leichtes Spiel.
Alexander war in tiefster Seele erschüttert; in dem Rausche des Sieges
traten alle edlen und alle phantastischen Züge seiner Natur zu Tage.
Vor Kurzem noch hatte er die ungeheure Last der Sorge kaum zu tragen
vermocht, die Nachricht von dem Brande von Moskau hatte sein Haar
in einer Nacht gebleicht. Nun war Rußland befreit wie durch ein Wunder
des Himmels, nun fühlte er sich auserwählt durch Gottes Gnade, als
ein Heiland der Welt die geknechtete Erde von ihrem Joche zu erlösen;
nichts billiger darum als ein reicher Lohn für den Weltbefreier. Sofort
nahm er seine polnischen Pläne wieder auf, doch in aller Stille; sein
deutscher Rathgeber erfuhr kein Wort davon. Die Befreiung Deutsch-
lands sollte dem Czaren die Krone der Jagiellonen bringen; die Interessen
der Menschheit stimmten wieder einmal ganz wundersam mit den dynasti-
schen Wünschen des Hauses Gottorp überein! Schon im November war
Alexander so gut wie entschlossen seine Waffen nach Deutschland zu tragen.
Der Kanzler Rumänzow, der die Politik der freien Hand vertrat, verlor

Stein in Petersburg.
bis zur Maas, ebenſo Italien zu einer geſchloſſenen Maſſe verbunden —
ganz Mitteleuropa zurückgeführt in einen Zuſtand „der Kraft der Wider-
ſtandsfähigkeit“. Sei dies nicht möglich, ſo ſolle man Deutſchland nach
dem Laufe des Mains zwiſchen Oeſterreich und Preußen theilen, die
Rheinbundsfürſten als betitelte Sklaven und Untervögte des Eroberers
behandeln, auch die von Napoleon verjagten Fürſten nicht wieder einſetzen.
Könne man auch dies nicht erreichen, ſo bleibe als letzter Ausweg, daß
man jedem der beiden „verfaſſungsmäßigen Königreiche“ Oeſterreich und
Preußen einige Kleinſtaaten als Vaſallen unterordne, etwa Baiern, Würt-
temberg, Baden mit geſchmälertem Gebiete der ſüdlichen, Hannover, Heſ-
ſen, Oldenburg, Braunſchweig der nördlichen Macht.

Wohl oder übel ſuchte er alſo ſeine unitariſchen Wünſche mit den
Ideen des Bartenſteiner Vertrags in Einklang zu bringen. Auf jeden Fall
ſollte der Befreiungskrieg mit radicaler Kühnheit geführt, das eroberte
deutſche Land als herrenloſes Gut vorläufig von einem Verwaltungsrathe
der Verbündeten regiert werden. Unter den Verbündeten dachte er ſich zu-
nächſt Rußland, Oeſterreich und England; ihnen komme es zu das zaudernde
Preußen mit ſich fortzureißen. So tief war ſein Widerwille gegen die liſten-
reiche Politik Hardenbergs. Die zwingenden Gründe, welche das Verhalten
des Königs in den Jahren 1809 und 1811 beſtimmt hatten, wollte der Er-
zürnte niemals gelten laſſen, und obwohl die feurigen Patrioten, die ihn
in Petersburg umgaben, alleſammt Norddeutſche waren, ſo glaubte er
noch immer nicht recht an die kriegeriſche Leidenſchaft dieſer kalten und
langſamen Stämme.

Gleichviel welcher Theil des Vaterlandes ſich zuerſt erhöbe — daß
der Krieg wie ein reißender Strom über die deutſchen Grenzen hinein-
fluthen müſſe, verſtand ſich dem Reichsritter von ſelber. Für dieſen Ge-
danken ſuchte er den Czaren zu gewinnen, und er fand leichtes Spiel.
Alexander war in tiefſter Seele erſchüttert; in dem Rauſche des Sieges
traten alle edlen und alle phantaſtiſchen Züge ſeiner Natur zu Tage.
Vor Kurzem noch hatte er die ungeheure Laſt der Sorge kaum zu tragen
vermocht, die Nachricht von dem Brande von Moskau hatte ſein Haar
in einer Nacht gebleicht. Nun war Rußland befreit wie durch ein Wunder
des Himmels, nun fühlte er ſich auserwählt durch Gottes Gnade, als
ein Heiland der Welt die geknechtete Erde von ihrem Joche zu erlöſen;
nichts billiger darum als ein reicher Lohn für den Weltbefreier. Sofort
nahm er ſeine polniſchen Pläne wieder auf, doch in aller Stille; ſein
deutſcher Rathgeber erfuhr kein Wort davon. Die Befreiung Deutſch-
lands ſollte dem Czaren die Krone der Jagiellonen bringen; die Intereſſen
der Menſchheit ſtimmten wieder einmal ganz wunderſam mit den dynaſti-
ſchen Wünſchen des Hauſes Gottorp überein! Schon im November war
Alexander ſo gut wie entſchloſſen ſeine Waffen nach Deutſchland zu tragen.
Der Kanzler Rumänzow, der die Politik der freien Hand vertrat, verlor

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0415" n="399"/><fw place="top" type="header">Stein in Petersburg.</fw><lb/>
bis zur Maas, eben&#x017F;o Italien zu einer ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Ma&#x017F;&#x017F;e verbunden &#x2014;<lb/>
ganz Mitteleuropa zurückgeführt in einen Zu&#x017F;tand &#x201E;der Kraft der Wider-<lb/>
&#x017F;tandsfähigkeit&#x201C;. Sei dies nicht möglich, &#x017F;o &#x017F;olle man Deut&#x017F;chland nach<lb/>
dem Laufe des Mains zwi&#x017F;chen Oe&#x017F;terreich und Preußen theilen, die<lb/>
Rheinbundsfür&#x017F;ten als betitelte Sklaven und Untervögte des Eroberers<lb/>
behandeln, auch die von Napoleon verjagten Für&#x017F;ten nicht wieder ein&#x017F;etzen.<lb/>
Könne man auch dies nicht erreichen, &#x017F;o bleibe als letzter Ausweg, daß<lb/>
man jedem der beiden &#x201E;verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßigen Königreiche&#x201C; Oe&#x017F;terreich und<lb/>
Preußen einige Klein&#x017F;taaten als Va&#x017F;allen unterordne, etwa Baiern, Würt-<lb/>
temberg, Baden mit ge&#x017F;chmälertem Gebiete der &#x017F;üdlichen, Hannover, He&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, Oldenburg, Braun&#x017F;chweig der nördlichen Macht.</p><lb/>
            <p>Wohl oder übel &#x017F;uchte er al&#x017F;o &#x017F;eine unitari&#x017F;chen Wün&#x017F;che mit den<lb/>
Ideen des Barten&#x017F;teiner Vertrags in Einklang zu bringen. Auf jeden Fall<lb/>
&#x017F;ollte der Befreiungskrieg mit radicaler Kühnheit geführt, das eroberte<lb/>
deut&#x017F;che Land als herrenlo&#x017F;es Gut vorläufig von einem Verwaltungsrathe<lb/>
der Verbündeten regiert werden. Unter den Verbündeten dachte er &#x017F;ich zu-<lb/>
näch&#x017F;t Rußland, Oe&#x017F;terreich und England; ihnen komme es zu das zaudernde<lb/>
Preußen mit &#x017F;ich fortzureißen. So tief war &#x017F;ein Widerwille gegen die li&#x017F;ten-<lb/>
reiche Politik Hardenbergs. Die zwingenden Gründe, welche das Verhalten<lb/>
des Königs in den Jahren 1809 und 1811 be&#x017F;timmt hatten, wollte der Er-<lb/>
zürnte niemals gelten la&#x017F;&#x017F;en, und obwohl die feurigen Patrioten, die ihn<lb/>
in Petersburg umgaben, alle&#x017F;ammt Norddeut&#x017F;che waren, &#x017F;o glaubte er<lb/>
noch immer nicht recht an die kriegeri&#x017F;che Leiden&#x017F;chaft die&#x017F;er kalten und<lb/>
lang&#x017F;amen Stämme.</p><lb/>
            <p>Gleichviel welcher Theil des Vaterlandes &#x017F;ich zuer&#x017F;t erhöbe &#x2014; daß<lb/>
der Krieg wie ein reißender Strom über die deut&#x017F;chen Grenzen hinein-<lb/>
fluthen mü&#x017F;&#x017F;e, ver&#x017F;tand &#x017F;ich dem Reichsritter von &#x017F;elber. Für die&#x017F;en Ge-<lb/>
danken &#x017F;uchte er den Czaren zu gewinnen, und er fand leichtes Spiel.<lb/>
Alexander war in tief&#x017F;ter Seele er&#x017F;chüttert; in dem Rau&#x017F;che des Sieges<lb/>
traten alle edlen und alle phanta&#x017F;ti&#x017F;chen Züge &#x017F;einer Natur zu Tage.<lb/>
Vor Kurzem noch hatte er die ungeheure La&#x017F;t der Sorge kaum zu tragen<lb/>
vermocht, die Nachricht von dem Brande von Moskau hatte &#x017F;ein Haar<lb/>
in einer Nacht gebleicht. Nun war Rußland befreit wie durch ein Wunder<lb/>
des Himmels, nun fühlte er &#x017F;ich auserwählt durch Gottes Gnade, als<lb/>
ein Heiland der Welt die geknechtete Erde von ihrem Joche zu erlö&#x017F;en;<lb/>
nichts billiger darum als ein reicher Lohn für den Weltbefreier. Sofort<lb/>
nahm er &#x017F;eine polni&#x017F;chen Pläne wieder auf, doch in aller Stille; &#x017F;ein<lb/>
deut&#x017F;cher Rathgeber erfuhr kein Wort davon. Die Befreiung Deut&#x017F;ch-<lb/>
lands &#x017F;ollte dem Czaren die Krone der Jagiellonen bringen; die Intere&#x017F;&#x017F;en<lb/>
der Men&#x017F;chheit &#x017F;timmten wieder einmal ganz wunder&#x017F;am mit den dyna&#x017F;ti-<lb/>
&#x017F;chen Wün&#x017F;chen des Hau&#x017F;es Gottorp überein! Schon im November war<lb/>
Alexander &#x017F;o gut wie ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eine Waffen nach Deut&#x017F;chland zu tragen.<lb/>
Der Kanzler Rumänzow, der die Politik der freien Hand vertrat, verlor<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[399/0415] Stein in Petersburg. bis zur Maas, ebenſo Italien zu einer geſchloſſenen Maſſe verbunden — ganz Mitteleuropa zurückgeführt in einen Zuſtand „der Kraft der Wider- ſtandsfähigkeit“. Sei dies nicht möglich, ſo ſolle man Deutſchland nach dem Laufe des Mains zwiſchen Oeſterreich und Preußen theilen, die Rheinbundsfürſten als betitelte Sklaven und Untervögte des Eroberers behandeln, auch die von Napoleon verjagten Fürſten nicht wieder einſetzen. Könne man auch dies nicht erreichen, ſo bleibe als letzter Ausweg, daß man jedem der beiden „verfaſſungsmäßigen Königreiche“ Oeſterreich und Preußen einige Kleinſtaaten als Vaſallen unterordne, etwa Baiern, Würt- temberg, Baden mit geſchmälertem Gebiete der ſüdlichen, Hannover, Heſ- ſen, Oldenburg, Braunſchweig der nördlichen Macht. Wohl oder übel ſuchte er alſo ſeine unitariſchen Wünſche mit den Ideen des Bartenſteiner Vertrags in Einklang zu bringen. Auf jeden Fall ſollte der Befreiungskrieg mit radicaler Kühnheit geführt, das eroberte deutſche Land als herrenloſes Gut vorläufig von einem Verwaltungsrathe der Verbündeten regiert werden. Unter den Verbündeten dachte er ſich zu- nächſt Rußland, Oeſterreich und England; ihnen komme es zu das zaudernde Preußen mit ſich fortzureißen. So tief war ſein Widerwille gegen die liſten- reiche Politik Hardenbergs. Die zwingenden Gründe, welche das Verhalten des Königs in den Jahren 1809 und 1811 beſtimmt hatten, wollte der Er- zürnte niemals gelten laſſen, und obwohl die feurigen Patrioten, die ihn in Petersburg umgaben, alleſammt Norddeutſche waren, ſo glaubte er noch immer nicht recht an die kriegeriſche Leidenſchaft dieſer kalten und langſamen Stämme. Gleichviel welcher Theil des Vaterlandes ſich zuerſt erhöbe — daß der Krieg wie ein reißender Strom über die deutſchen Grenzen hinein- fluthen müſſe, verſtand ſich dem Reichsritter von ſelber. Für dieſen Ge- danken ſuchte er den Czaren zu gewinnen, und er fand leichtes Spiel. Alexander war in tiefſter Seele erſchüttert; in dem Rauſche des Sieges traten alle edlen und alle phantaſtiſchen Züge ſeiner Natur zu Tage. Vor Kurzem noch hatte er die ungeheure Laſt der Sorge kaum zu tragen vermocht, die Nachricht von dem Brande von Moskau hatte ſein Haar in einer Nacht gebleicht. Nun war Rußland befreit wie durch ein Wunder des Himmels, nun fühlte er ſich auserwählt durch Gottes Gnade, als ein Heiland der Welt die geknechtete Erde von ihrem Joche zu erlöſen; nichts billiger darum als ein reicher Lohn für den Weltbefreier. Sofort nahm er ſeine polniſchen Pläne wieder auf, doch in aller Stille; ſein deutſcher Rathgeber erfuhr kein Wort davon. Die Befreiung Deutſch- lands ſollte dem Czaren die Krone der Jagiellonen bringen; die Intereſſen der Menſchheit ſtimmten wieder einmal ganz wunderſam mit den dynaſti- ſchen Wünſchen des Hauſes Gottorp überein! Schon im November war Alexander ſo gut wie entſchloſſen ſeine Waffen nach Deutſchland zu tragen. Der Kanzler Rumänzow, der die Politik der freien Hand vertrat, verlor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/415
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/415>, abgerufen am 23.11.2024.