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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Zusammenkunft in Dresden.
Februar-Vertrage ungestört. Alexander versagte sichs freilich nicht in einem
salbungsvollen Briefe das Betragen des preußischen Hofes, das doch von
ihm selber verschuldet war, zu beklagen; indeß ließ er dem Staatskanzler
durch Graf Lieven vertraulich eröffnen, daß seine Freundschaft unwandel-
bar dauere.*) Beide Theile hofften auf die Zeit, da ihr natürliches
Bündniß sich wieder schließen würde. Auch die Hofburg gab dem Peters-
burger Hofe beruhigende Erklärungen, sie stand jetzt im Kriege sogar
freundlicher mit dem Czaren als vorher im Frieden, weil Alexander seine
polnischen Pläne vorläufig aufgegeben hatte; die diplomatische Verbindung
zwischen Wien und Petersburg wurde niemals gänzlich abgebrochen. Die
beiden deutschen Höfe aber traten unter sich und mit England in lebhaf-
ten geheimen Verkehr.

Im Mai hielt der Nachfolger der Karolinger seinen dritten großen
Hoftag auf deutschem Boden, glänzender noch als einst in Mainz und
Erfurt. Während die Regimenter der großen Armee in unendlicher Reihe
über die Elbbrücke zogen, versammelten sich Deutschlands Fürsten im
Dresdener Schlosse um ihren Beherrscher: unter ihnen der vormals
deutsche Kaiser und der Nachfolger des großen Friedrich. Wie that es
dem Plebejer wohl, die Nacken seiner hochgeborenen Diener recht wund
zu reiben unter seinem Joche! Er spielte selber den Wirth im Hause
seines sächsischen Vasallen, lud seinen kaiserlichen Schwiegervater täglich,
den Hausherrn und den König von Preußen als Personen niederen
Ranges nur einen Tag um den anderen zu Tisch; derweil der Herrscher
tafelte, mußten die Herzöge von Weimar und Coburg mit einem Schwarme
deutscher Fürsten nebenan im Vorzimmer stehen. Ehrenhafte Franzosen
nannten es selber eine muthwillige Beschimpfung, daß man dem Könige
diese Reise zugemuthet habe; der Imperator aber versagte seinem Gaste
den üblichen Kanonensalut und redete den Eintretenden mit der Frage
an: Sie sind Wittwer?**) Friedrich Wilhelm war empört, er wußte nur
allzu wohl, wer seiner Gemahlin das Herz gebrochen hatte; seinem
Kronprinzen, der mit zugegen gewesen, blieb für das ganze Leben ein
tiefer Abscheu gegen die Familie Bonaparte. Sogar die bedientenhafte
Bevölkerung der schönen Elbestadt fühlte sich entrüstet über die grausame
Roheit des Corsen und ehrte die stille Größe des Unglücks wo immer
der König von Preußen sich zeigte. Indessen saßen Hardenberg und
Metternich in tiefem Vertrauen beisammen und schlossen gute Freund-
schaft, wenngleich die Absichten der beiden Mächte noch weit auseinander
gingen. Die Vernichtung Napoleons wünschte Kaiser Franz seit der Ver-
mählung seiner Tochter nicht mehr; nur zu einer Beschränkung der un-
erträglichen französischen Uebermacht war Metternich bereit. So viel

*) Hardenbergs Tagebuch 11. März 1812.
**) Hardenbergs Tagebuch 26. Mai 1812.

Zuſammenkunft in Dresden.
Februar-Vertrage ungeſtört. Alexander verſagte ſichs freilich nicht in einem
ſalbungsvollen Briefe das Betragen des preußiſchen Hofes, das doch von
ihm ſelber verſchuldet war, zu beklagen; indeß ließ er dem Staatskanzler
durch Graf Lieven vertraulich eröffnen, daß ſeine Freundſchaft unwandel-
bar dauere.*) Beide Theile hofften auf die Zeit, da ihr natürliches
Bündniß ſich wieder ſchließen würde. Auch die Hofburg gab dem Peters-
burger Hofe beruhigende Erklärungen, ſie ſtand jetzt im Kriege ſogar
freundlicher mit dem Czaren als vorher im Frieden, weil Alexander ſeine
polniſchen Pläne vorläufig aufgegeben hatte; die diplomatiſche Verbindung
zwiſchen Wien und Petersburg wurde niemals gänzlich abgebrochen. Die
beiden deutſchen Höfe aber traten unter ſich und mit England in lebhaf-
ten geheimen Verkehr.

Im Mai hielt der Nachfolger der Karolinger ſeinen dritten großen
Hoftag auf deutſchem Boden, glänzender noch als einſt in Mainz und
Erfurt. Während die Regimenter der großen Armee in unendlicher Reihe
über die Elbbrücke zogen, verſammelten ſich Deutſchlands Fürſten im
Dresdener Schloſſe um ihren Beherrſcher: unter ihnen der vormals
deutſche Kaiſer und der Nachfolger des großen Friedrich. Wie that es
dem Plebejer wohl, die Nacken ſeiner hochgeborenen Diener recht wund
zu reiben unter ſeinem Joche! Er ſpielte ſelber den Wirth im Hauſe
ſeines ſächſiſchen Vaſallen, lud ſeinen kaiſerlichen Schwiegervater täglich,
den Hausherrn und den König von Preußen als Perſonen niederen
Ranges nur einen Tag um den anderen zu Tiſch; derweil der Herrſcher
tafelte, mußten die Herzöge von Weimar und Coburg mit einem Schwarme
deutſcher Fürſten nebenan im Vorzimmer ſtehen. Ehrenhafte Franzoſen
nannten es ſelber eine muthwillige Beſchimpfung, daß man dem Könige
dieſe Reiſe zugemuthet habe; der Imperator aber verſagte ſeinem Gaſte
den üblichen Kanonenſalut und redete den Eintretenden mit der Frage
an: Sie ſind Wittwer?**) Friedrich Wilhelm war empört, er wußte nur
allzu wohl, wer ſeiner Gemahlin das Herz gebrochen hatte; ſeinem
Kronprinzen, der mit zugegen geweſen, blieb für das ganze Leben ein
tiefer Abſcheu gegen die Familie Bonaparte. Sogar die bedientenhafte
Bevölkerung der ſchönen Elbeſtadt fühlte ſich entrüſtet über die grauſame
Roheit des Corſen und ehrte die ſtille Größe des Unglücks wo immer
der König von Preußen ſich zeigte. Indeſſen ſaßen Hardenberg und
Metternich in tiefem Vertrauen beiſammen und ſchloſſen gute Freund-
ſchaft, wenngleich die Abſichten der beiden Mächte noch weit auseinander
gingen. Die Vernichtung Napoleons wünſchte Kaiſer Franz ſeit der Ver-
mählung ſeiner Tochter nicht mehr; nur zu einer Beſchränkung der un-
erträglichen franzöſiſchen Uebermacht war Metternich bereit. So viel

*) Hardenbergs Tagebuch 11. März 1812.
**) Hardenbergs Tagebuch 26. Mai 1812.
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[393/0409] Zuſammenkunft in Dresden. Februar-Vertrage ungeſtört. Alexander verſagte ſichs freilich nicht in einem ſalbungsvollen Briefe das Betragen des preußiſchen Hofes, das doch von ihm ſelber verſchuldet war, zu beklagen; indeß ließ er dem Staatskanzler durch Graf Lieven vertraulich eröffnen, daß ſeine Freundſchaft unwandel- bar dauere. *) Beide Theile hofften auf die Zeit, da ihr natürliches Bündniß ſich wieder ſchließen würde. Auch die Hofburg gab dem Peters- burger Hofe beruhigende Erklärungen, ſie ſtand jetzt im Kriege ſogar freundlicher mit dem Czaren als vorher im Frieden, weil Alexander ſeine polniſchen Pläne vorläufig aufgegeben hatte; die diplomatiſche Verbindung zwiſchen Wien und Petersburg wurde niemals gänzlich abgebrochen. Die beiden deutſchen Höfe aber traten unter ſich und mit England in lebhaf- ten geheimen Verkehr. Im Mai hielt der Nachfolger der Karolinger ſeinen dritten großen Hoftag auf deutſchem Boden, glänzender noch als einſt in Mainz und Erfurt. Während die Regimenter der großen Armee in unendlicher Reihe über die Elbbrücke zogen, verſammelten ſich Deutſchlands Fürſten im Dresdener Schloſſe um ihren Beherrſcher: unter ihnen der vormals deutſche Kaiſer und der Nachfolger des großen Friedrich. Wie that es dem Plebejer wohl, die Nacken ſeiner hochgeborenen Diener recht wund zu reiben unter ſeinem Joche! Er ſpielte ſelber den Wirth im Hauſe ſeines ſächſiſchen Vaſallen, lud ſeinen kaiſerlichen Schwiegervater täglich, den Hausherrn und den König von Preußen als Perſonen niederen Ranges nur einen Tag um den anderen zu Tiſch; derweil der Herrſcher tafelte, mußten die Herzöge von Weimar und Coburg mit einem Schwarme deutſcher Fürſten nebenan im Vorzimmer ſtehen. Ehrenhafte Franzoſen nannten es ſelber eine muthwillige Beſchimpfung, daß man dem Könige dieſe Reiſe zugemuthet habe; der Imperator aber verſagte ſeinem Gaſte den üblichen Kanonenſalut und redete den Eintretenden mit der Frage an: Sie ſind Wittwer? **) Friedrich Wilhelm war empört, er wußte nur allzu wohl, wer ſeiner Gemahlin das Herz gebrochen hatte; ſeinem Kronprinzen, der mit zugegen geweſen, blieb für das ganze Leben ein tiefer Abſcheu gegen die Familie Bonaparte. Sogar die bedientenhafte Bevölkerung der ſchönen Elbeſtadt fühlte ſich entrüſtet über die grauſame Roheit des Corſen und ehrte die ſtille Größe des Unglücks wo immer der König von Preußen ſich zeigte. Indeſſen ſaßen Hardenberg und Metternich in tiefem Vertrauen beiſammen und ſchloſſen gute Freund- ſchaft, wenngleich die Abſichten der beiden Mächte noch weit auseinander gingen. Die Vernichtung Napoleons wünſchte Kaiſer Franz ſeit der Ver- mählung ſeiner Tochter nicht mehr; nur zu einer Beſchränkung der un- erträglichen franzöſiſchen Uebermacht war Metternich bereit. So viel *) Hardenbergs Tagebuch 11. März 1812. **) Hardenbergs Tagebuch 26. Mai 1812.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/409>, abgerufen am 23.07.2024.