standen 75,000 Mann bereit. Die commandirenden Generale in den Provinzen erhielten außerordentliche Vollmachten um auf ein gegebenes Zeichen sofort loszuschlagen. Berlin war von Truppen fast ganz ent- blößt, von allen Seiten her zogen die Regimenter nach dem festen Lager bei Colberg, wo Blücher befehligte; dort und in Spandau sollte der Volks- krieg seinen Stützpunkt finden. Gneisenau jubelte: die Welt soll erstaunen über unsere Kräfte! Wer den Hochherzigen in jenen Tagen sah vergaß ihn nie mehr: ein Lichtstrom der Begeisterung schien von ihm auszu- strahlen. Seine Freunde dachten ihm den Oberbefehl in Schlesien, wo er jeden Busch und jeden Weg kannte, anzuvertrauen, und Clausewitz begrüßte ihn bereits in prophetischer Ahnung als den Marschall von Schlesien. Alle Gluth und allen Adel seiner Seele hatte er in diesen Kriegsplänen niedergelegt; sein ganzes Wesen war im Aufruhr, als er sie dem Könige übergab mit einer poetischen Mahnung:
Trau' dem Glücke, trau' den Göttern, steig' trotz Wogendrang und Wettern kühn wie Caesar in den Kahn!
Und doch waren diese heldenkühnen Pläne nichts als eine edle Ver- irrung. Gneisenau selber sprach sich sein Urtheil, wenn er bekannte, er habe nur noch den Muth des Curtius. Ein ruhmvoller Untergang, ein Untergang ohne jede absehbare Möglichkeit der Wiederauferstehung war Preußens sicheres Loos, wenn man sich also kopfüber in den Kampf stürzte. Noch bevor der Volkskrieg recht in Zug kam, mußte Napoleon, der seine Augen überall hatte, das Land schon mit seinen Heersäulen überschwemmt haben, und wo bot diese offene, bebaute Ebene einen Anhalt für einen spanischen Guerillaskrieg? Es wurde die Rettung der Monarchie, daß Friedrich Wilhelm auch in dieser schweren Versuchung seine höchste Königs- pflicht nicht aus den Augen verlor und das Dasein des Staates nicht einer Aufwallung heroischer Gefühle opfern wollte. Er prüfte die Pläne nach seiner tiefen, gründlichen Weise und warf schon jetzt in seinen Rand- bemerkungen einige gute Gedanken hin, welche zwei Jahre später ins Leben treten sollten: so den ersten Entwurf für den Orden des eisernen Kreuzes. Vieles sah er allzu trübe; solchen Männern gegenüber fragte er klein- müthig wo denn die Heerführer seien für einen Volkskrieg? Aber die Stärke Napoleons, die Schwäche des russischen Heeres schätzte er richtiger als die Generale, und seine an den geordneten Heeresdienst gewöhnten Mär- ker kannte er zu gut um sich viel von einer regellosen Volksbewegung zu versprechen. "Als Poesie gut" hieß es in den Randglossen, und wieder: "wenn ein Prediger erschossen ist, hat die Sache ein Ende." Der König war längst auf das Aergste gefaßt; seine Wagen standen wochenlang reise- fertig im Schloßhofe um den Monarchen bei der ersten verdächtigen Be- wegung der nahen Franzosen nach Königsberg zu bringen. Wiederholt
I. 3. Preußens Erhebung.
ſtanden 75,000 Mann bereit. Die commandirenden Generale in den Provinzen erhielten außerordentliche Vollmachten um auf ein gegebenes Zeichen ſofort loszuſchlagen. Berlin war von Truppen faſt ganz ent- blößt, von allen Seiten her zogen die Regimenter nach dem feſten Lager bei Colberg, wo Blücher befehligte; dort und in Spandau ſollte der Volks- krieg ſeinen Stützpunkt finden. Gneiſenau jubelte: die Welt ſoll erſtaunen über unſere Kräfte! Wer den Hochherzigen in jenen Tagen ſah vergaß ihn nie mehr: ein Lichtſtrom der Begeiſterung ſchien von ihm auszu- ſtrahlen. Seine Freunde dachten ihm den Oberbefehl in Schleſien, wo er jeden Buſch und jeden Weg kannte, anzuvertrauen, und Clauſewitz begrüßte ihn bereits in prophetiſcher Ahnung als den Marſchall von Schleſien. Alle Gluth und allen Adel ſeiner Seele hatte er in dieſen Kriegsplänen niedergelegt; ſein ganzes Weſen war im Aufruhr, als er ſie dem Könige übergab mit einer poetiſchen Mahnung:
Trau’ dem Glücke, trau’ den Göttern, ſteig’ trotz Wogendrang und Wettern kühn wie Caeſar in den Kahn!
Und doch waren dieſe heldenkühnen Pläne nichts als eine edle Ver- irrung. Gneiſenau ſelber ſprach ſich ſein Urtheil, wenn er bekannte, er habe nur noch den Muth des Curtius. Ein ruhmvoller Untergang, ein Untergang ohne jede abſehbare Möglichkeit der Wiederauferſtehung war Preußens ſicheres Loos, wenn man ſich alſo kopfüber in den Kampf ſtürzte. Noch bevor der Volkskrieg recht in Zug kam, mußte Napoleon, der ſeine Augen überall hatte, das Land ſchon mit ſeinen Heerſäulen überſchwemmt haben, und wo bot dieſe offene, bebaute Ebene einen Anhalt für einen ſpaniſchen Guerillaskrieg? Es wurde die Rettung der Monarchie, daß Friedrich Wilhelm auch in dieſer ſchweren Verſuchung ſeine höchſte Königs- pflicht nicht aus den Augen verlor und das Daſein des Staates nicht einer Aufwallung heroiſcher Gefühle opfern wollte. Er prüfte die Pläne nach ſeiner tiefen, gründlichen Weiſe und warf ſchon jetzt in ſeinen Rand- bemerkungen einige gute Gedanken hin, welche zwei Jahre ſpäter ins Leben treten ſollten: ſo den erſten Entwurf für den Orden des eiſernen Kreuzes. Vieles ſah er allzu trübe; ſolchen Männern gegenüber fragte er klein- müthig wo denn die Heerführer ſeien für einen Volkskrieg? Aber die Stärke Napoleons, die Schwäche des ruſſiſchen Heeres ſchätzte er richtiger als die Generale, und ſeine an den geordneten Heeresdienſt gewöhnten Mär- ker kannte er zu gut um ſich viel von einer regelloſen Volksbewegung zu verſprechen. „Als Poeſie gut“ hieß es in den Randgloſſen, und wieder: „wenn ein Prediger erſchoſſen iſt, hat die Sache ein Ende.“ Der König war längſt auf das Aergſte gefaßt; ſeine Wagen ſtanden wochenlang reiſe- fertig im Schloßhofe um den Monarchen bei der erſten verdächtigen Be- wegung der nahen Franzoſen nach Königsberg zu bringen. Wiederholt
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ſtanden 75,000 Mann bereit. Die commandirenden Generale in den
Provinzen erhielten außerordentliche Vollmachten um auf ein gegebenes
Zeichen ſofort loszuſchlagen. Berlin war von Truppen faſt ganz ent-
blößt, von allen Seiten her zogen die Regimenter nach dem feſten Lager
bei Colberg, wo Blücher befehligte; dort und in Spandau ſollte der Volks-
krieg ſeinen Stützpunkt finden. Gneiſenau jubelte: die Welt ſoll erſtaunen
über unſere Kräfte! Wer den Hochherzigen in jenen Tagen ſah vergaß
ihn nie mehr: ein Lichtſtrom der Begeiſterung ſchien von ihm auszu-
ſtrahlen. Seine Freunde dachten ihm den Oberbefehl in Schleſien, wo
er jeden Buſch und jeden Weg kannte, anzuvertrauen, und Clauſewitz
begrüßte ihn bereits in prophetiſcher Ahnung als den Marſchall von
Schleſien. Alle Gluth und allen Adel ſeiner Seele hatte er in dieſen
Kriegsplänen niedergelegt; ſein ganzes Weſen war im Aufruhr, als er ſie
dem Könige übergab mit einer poetiſchen Mahnung:
Trau’ dem Glücke, trau’ den Göttern,
ſteig’ trotz Wogendrang und Wettern
kühn wie Caeſar in den Kahn!
Und doch waren dieſe heldenkühnen Pläne nichts als eine edle Ver-
irrung. Gneiſenau ſelber ſprach ſich ſein Urtheil, wenn er bekannte, er
habe nur noch den Muth des Curtius. Ein ruhmvoller Untergang, ein
Untergang ohne jede abſehbare Möglichkeit der Wiederauferſtehung war
Preußens ſicheres Loos, wenn man ſich alſo kopfüber in den Kampf ſtürzte.
Noch bevor der Volkskrieg recht in Zug kam, mußte Napoleon, der ſeine
Augen überall hatte, das Land ſchon mit ſeinen Heerſäulen überſchwemmt
haben, und wo bot dieſe offene, bebaute Ebene einen Anhalt für einen
ſpaniſchen Guerillaskrieg? Es wurde die Rettung der Monarchie, daß
Friedrich Wilhelm auch in dieſer ſchweren Verſuchung ſeine höchſte Königs-
pflicht nicht aus den Augen verlor und das Daſein des Staates nicht
einer Aufwallung heroiſcher Gefühle opfern wollte. Er prüfte die Pläne
nach ſeiner tiefen, gründlichen Weiſe und warf ſchon jetzt in ſeinen Rand-
bemerkungen einige gute Gedanken hin, welche zwei Jahre ſpäter ins Leben
treten ſollten: ſo den erſten Entwurf für den Orden des eiſernen Kreuzes.
Vieles ſah er allzu trübe; ſolchen Männern gegenüber fragte er klein-
müthig wo denn die Heerführer ſeien für einen Volkskrieg? Aber die Stärke
Napoleons, die Schwäche des ruſſiſchen Heeres ſchätzte er richtiger als
die Generale, und ſeine an den geordneten Heeresdienſt gewöhnten Mär-
ker kannte er zu gut um ſich viel von einer regelloſen Volksbewegung zu
verſprechen. „Als Poeſie gut“ hieß es in den Randgloſſen, und wieder:
„wenn ein Prediger erſchoſſen iſt, hat die Sache ein Ende.“ Der König
war längſt auf das Aergſte gefaßt; ſeine Wagen ſtanden wochenlang reiſe-
fertig im Schloßhofe um den Monarchen bei der erſten verdächtigen Be-
wegung der nahen Franzoſen nach Königsberg zu bringen. Wiederholt
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/404>, abgerufen am 22.11.2024.
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