Wähler erlahmte schnell; es kam so weit, daß die Stände Vorpommerns sich weigerten ihren Vertretern fernerhin Tagegelder zu zahlen. Von der Nation kaum noch bemerkt schleppte die Versammlung ihr unfruchtbares Dasein bis zum 15. Juli 1815 dahin; ihr letztes Werk war die Verord- nung über die Vergütung der Kriegsleistungen v. 1. März 1815.
Je länger der Staatskanzler im Sattel saß, um so offenkundiger wurden seine bureaukratischen Neigungen. Ohne feste Grundsätze wie er in Verwaltungsfragen immer war, fand er den aufreibenden Kampf mit dem trotzigen Landadel bald unbequem und beschloß den festen Grund der ritterschaftlichen Macht, die Gutsherrschaft zu zerstören, aber nicht durch die Begründung einer gerechten Selbstverwaltung auf dem flachen Lande, sondern auf gut napoleonisch-westphälische Art durch die Verstärkung der Macht des Beamtenthums. Am 30. Juni 1812 erschien das Edict wegen Errichtung der Gensdarmerie. Es war der schwerste Mißgriff der Harden- bergischen Verwaltung, ein vollständiger Abfall von den hochsinnigen Ge- danken Steins. Das althistorische, mit dem Leben dieses Staates fest verwachsene Landrathsamt wurde aufgehoben. An die Stelle des Land- raths trat ein Kreisdirector, ein von der Krone nach freiem Ermessen ernannter, auskömmlich besoldeter Staatsbeamter, der seinen Sitz in der Kreisstadt angewiesen erhielt und lediglich ein Werkzeug der Staatsgewalt, nicht mehr, wie vormals der Landrath, zugleich ein Vertrauensmann der Kreisstände war. Unter ihm sollte ein Kreisbrigadier mit vier bis fünf Gensdarmerie-Offizieren die Polizeigewalt im Kreise handhaben und zu- gleich in den Geschäften des Kreisdirectoriums thätig sein, dergestalt daß diese Behörde einen rein bureaukratischen Charakter erhielt. Die Kreis- kasse wurde zur Staatskasse; nur als ein gerinfügiger Nebenfond sollte noch eine Kreis-Communalkasse bestehen. Da der Schwerpunkt der Selbst- verwaltung überall im Finanzwesen liegt, so konnte demnach die aus zwei Abgeordneten der Ritterschaft, zwei städtischen und zwei bäuerlichen De- putirten gebildete Kreisversammlung, welche der Kreisdirector von Zeit zu Zeit einberief, nur wenig bedeuten. Die Rittergutsbesitzer verloren ihre Polizeigewalt, erhielten nur das Recht der Aufsicht über die Orts- polizei der Dorfgerichte, wurden der Disciplinargewalt des Kreisdirectors unbedingt unterworfen.
Hardenberg ging bei dem Gensdarmerie-Edicte von der berechtigten Absicht aus, die Ausführung des Staatswillens auf dem flachen Lande besser als bisher zu sichern und das Uebergewicht der Ritterschaft in der Kreisverwaltung, das "nach Einführung der Gewerbefreiheit und bei gleichem Interesse aller Klassen" keinen Sinn mehr habe, zu beseitigen. Doch sein Heilmittel war ärger als die alten Uebel. Sein Kreisdirector mitsammt der Kreisversammlung war nichts anderes als der Unterpräfect und der Arrondissementsrath des napoleonischen Frankreichs. Mit diesem Edicte, das unter so anspruchslosem Namen auftrat, that der Staats-
Das Gensdarmerie-Edict.
Wähler erlahmte ſchnell; es kam ſo weit, daß die Stände Vorpommerns ſich weigerten ihren Vertretern fernerhin Tagegelder zu zahlen. Von der Nation kaum noch bemerkt ſchleppte die Verſammlung ihr unfruchtbares Daſein bis zum 15. Juli 1815 dahin; ihr letztes Werk war die Verord- nung über die Vergütung der Kriegsleiſtungen v. 1. März 1815.
Je länger der Staatskanzler im Sattel ſaß, um ſo offenkundiger wurden ſeine bureaukratiſchen Neigungen. Ohne feſte Grundſätze wie er in Verwaltungsfragen immer war, fand er den aufreibenden Kampf mit dem trotzigen Landadel bald unbequem und beſchloß den feſten Grund der ritterſchaftlichen Macht, die Gutsherrſchaft zu zerſtören, aber nicht durch die Begründung einer gerechten Selbſtverwaltung auf dem flachen Lande, ſondern auf gut napoleoniſch-weſtphäliſche Art durch die Verſtärkung der Macht des Beamtenthums. Am 30. Juni 1812 erſchien das Edict wegen Errichtung der Gensdarmerie. Es war der ſchwerſte Mißgriff der Harden- bergiſchen Verwaltung, ein vollſtändiger Abfall von den hochſinnigen Ge- danken Steins. Das althiſtoriſche, mit dem Leben dieſes Staates feſt verwachſene Landrathsamt wurde aufgehoben. An die Stelle des Land- raths trat ein Kreisdirector, ein von der Krone nach freiem Ermeſſen ernannter, auskömmlich beſoldeter Staatsbeamter, der ſeinen Sitz in der Kreisſtadt angewieſen erhielt und lediglich ein Werkzeug der Staatsgewalt, nicht mehr, wie vormals der Landrath, zugleich ein Vertrauensmann der Kreisſtände war. Unter ihm ſollte ein Kreisbrigadier mit vier bis fünf Gensdarmerie-Offizieren die Polizeigewalt im Kreiſe handhaben und zu- gleich in den Geſchäften des Kreisdirectoriums thätig ſein, dergeſtalt daß dieſe Behörde einen rein bureaukratiſchen Charakter erhielt. Die Kreis- kaſſe wurde zur Staatskaſſe; nur als ein gerinfügiger Nebenfond ſollte noch eine Kreis-Communalkaſſe beſtehen. Da der Schwerpunkt der Selbſt- verwaltung überall im Finanzweſen liegt, ſo konnte demnach die aus zwei Abgeordneten der Ritterſchaft, zwei ſtädtiſchen und zwei bäuerlichen De- putirten gebildete Kreisverſammlung, welche der Kreisdirector von Zeit zu Zeit einberief, nur wenig bedeuten. Die Rittergutsbeſitzer verloren ihre Polizeigewalt, erhielten nur das Recht der Aufſicht über die Orts- polizei der Dorfgerichte, wurden der Disciplinargewalt des Kreisdirectors unbedingt unterworfen.
Hardenberg ging bei dem Gensdarmerie-Edicte von der berechtigten Abſicht aus, die Ausführung des Staatswillens auf dem flachen Lande beſſer als bisher zu ſichern und das Uebergewicht der Ritterſchaft in der Kreisverwaltung, das „nach Einführung der Gewerbefreiheit und bei gleichem Intereſſe aller Klaſſen“ keinen Sinn mehr habe, zu beſeitigen. Doch ſein Heilmittel war ärger als die alten Uebel. Sein Kreisdirector mitſammt der Kreisverſammlung war nichts anderes als der Unterpräfect und der Arrondiſſementsrath des napoleoniſchen Frankreichs. Mit dieſem Edicte, das unter ſo anſpruchsloſem Namen auftrat, that der Staats-
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Das Gensdarmerie-Edict.
Wähler erlahmte ſchnell; es kam ſo weit, daß die Stände Vorpommerns
ſich weigerten ihren Vertretern fernerhin Tagegelder zu zahlen. Von der
Nation kaum noch bemerkt ſchleppte die Verſammlung ihr unfruchtbares
Daſein bis zum 15. Juli 1815 dahin; ihr letztes Werk war die Verord-
nung über die Vergütung der Kriegsleiſtungen v. 1. März 1815.
Je länger der Staatskanzler im Sattel ſaß, um ſo offenkundiger
wurden ſeine bureaukratiſchen Neigungen. Ohne feſte Grundſätze wie er
in Verwaltungsfragen immer war, fand er den aufreibenden Kampf mit
dem trotzigen Landadel bald unbequem und beſchloß den feſten Grund
der ritterſchaftlichen Macht, die Gutsherrſchaft zu zerſtören, aber nicht
durch die Begründung einer gerechten Selbſtverwaltung auf dem flachen
Lande, ſondern auf gut napoleoniſch-weſtphäliſche Art durch die Verſtärkung
der Macht des Beamtenthums. Am 30. Juni 1812 erſchien das Edict wegen
Errichtung der Gensdarmerie. Es war der ſchwerſte Mißgriff der Harden-
bergiſchen Verwaltung, ein vollſtändiger Abfall von den hochſinnigen Ge-
danken Steins. Das althiſtoriſche, mit dem Leben dieſes Staates feſt
verwachſene Landrathsamt wurde aufgehoben. An die Stelle des Land-
raths trat ein Kreisdirector, ein von der Krone nach freiem Ermeſſen
ernannter, auskömmlich beſoldeter Staatsbeamter, der ſeinen Sitz in der
Kreisſtadt angewieſen erhielt und lediglich ein Werkzeug der Staatsgewalt,
nicht mehr, wie vormals der Landrath, zugleich ein Vertrauensmann der
Kreisſtände war. Unter ihm ſollte ein Kreisbrigadier mit vier bis fünf
Gensdarmerie-Offizieren die Polizeigewalt im Kreiſe handhaben und zu-
gleich in den Geſchäften des Kreisdirectoriums thätig ſein, dergeſtalt daß
dieſe Behörde einen rein bureaukratiſchen Charakter erhielt. Die Kreis-
kaſſe wurde zur Staatskaſſe; nur als ein gerinfügiger Nebenfond ſollte
noch eine Kreis-Communalkaſſe beſtehen. Da der Schwerpunkt der Selbſt-
verwaltung überall im Finanzweſen liegt, ſo konnte demnach die aus zwei
Abgeordneten der Ritterſchaft, zwei ſtädtiſchen und zwei bäuerlichen De-
putirten gebildete Kreisverſammlung, welche der Kreisdirector von Zeit
zu Zeit einberief, nur wenig bedeuten. Die Rittergutsbeſitzer verloren
ihre Polizeigewalt, erhielten nur das Recht der Aufſicht über die Orts-
polizei der Dorfgerichte, wurden der Disciplinargewalt des Kreisdirectors
unbedingt unterworfen.
Hardenberg ging bei dem Gensdarmerie-Edicte von der berechtigten
Abſicht aus, die Ausführung des Staatswillens auf dem flachen Lande
beſſer als bisher zu ſichern und das Uebergewicht der Ritterſchaft in der
Kreisverwaltung, das „nach Einführung der Gewerbefreiheit und bei
gleichem Intereſſe aller Klaſſen“ keinen Sinn mehr habe, zu beſeitigen.
Doch ſein Heilmittel war ärger als die alten Uebel. Sein Kreisdirector
mitſammt der Kreisverſammlung war nichts anderes als der Unterpräfect
und der Arrondiſſementsrath des napoleoniſchen Frankreichs. Mit dieſem
Edicte, das unter ſo anſpruchsloſem Namen auftrat, that der Staats-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/395>, abgerufen am 22.11.2024.
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