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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Die Landesdeputirten-Versammlung.
Romantiker Adam Müller stellte seine Feder den Vorkämpfern der ständi-
schen Libertät zur Verfügung. Als der Staatskanzler nach seiner bureau-
kratischen Weise fragte, woher diese Gutsbesitzer das Recht nähmen sich
Stände zu nennen, da antwortete Marwitz*): "die Qualität der Land-
standschaft ist uns angeboren so gut wie unsere Familiennamen, und wir
können also eigentlich ebenso wenig angeben, wodurch wir Stände sind
als wodurch wir unsere angeborenen Namen führen!" Die Ritterschaft
der Priegnitz -- voran die Herren v. Quitzow und Wartensleben -- er-
klärte**): "die Kur- und Neumark Brandenburg, gleichsam der Kern der
gesammten preußischen Monarchie, hat von jeher einen besonderen, von
den übrigen Provinzen abgesonderten Staat gebildet, welcher seine ihm
eigenthümliche Verfassung hat;" sie verlangte demgemäß, daß kein Steuer-
gesetz ohne Genehmigung der Stände erlassen werde.

Der unerschrockene Reformer ließ sich nicht stören. Die allerdings
sehr zweifelhafte Rechtsfrage bekümmerte ihn wenig; war doch die gesammte
Verfassung der neuen preußischen Monarchie aus der Bekämpfung der
altständischen Rechte hervorgegangen. Ihm genügte die Einsicht, daß die
Berufung der alten Provinziallandtage der sichere Untergang der neuen
Gesetze war. Um die Nation von der Nothwendigkeit des Geschehenen
zu überzeugen und sie auf weitere Reformen vorzubereiten, wurde am
23. Febr. 1811 eine "Landesdeputirten-Versammlung" in Berlin er-
öffnet***): ein Beamter aus jeder der acht Provinzialregierungen, acht-
zehn Ritter, elf Städter, acht Bauern, sie allesammt von der Krone er-
nannt. Da die erbitterten Stände von Brandenburg und Pommern sich
beschwerten und unaufgefordert Abgeordnete aus ihrer Mitte sendeten,
ließ der Staatskanzler auch noch einige dieser "Nebendeputirten" zu. Also
wurden zum ersten male seit diese Monarchie bestand Vertreter aller Landes-
theile zusammenberufen, allein nach dem Ermessen der Krone, ohne Rück-
sicht auf die ständischen Rechte und Ansprüche der Territorien. Der Ein-
tritt der acht bäuerlichen Deputirten galt in den altständischen Kreisen
als das erste Signal einer furchtbaren Umwälzung. Mancher der Zeit-
genossen erinnerte sich an die Versammlung der Notabeln beim Aus-
bruche der französischen Revolution; doch das Ansehen der preußischen
Krone stand ungleich fester als die Macht der Bourbonen, und sie ge-
währte ihren Notabeln von Haus aus sehr bescheidene Befugnisse: nur
das Recht der Berathung, nicht die Mitentscheidung. Steins Gesetzgebung
hatte die Grundlagen des großen Reformwerks längst sicher gestellt, und

*) Eingabe an Hardenberg 30. Jan. 1811.
**) Eingabe an den König, Perleberg 24. Jan. 1811.
***) Ich benutze hier u. A. den im Berliner G. St. Archiv verwahrten Aktenmäßi-
gen Bericht über die Versammlung der ständischen Landesdeputirten von 1811 und der
interimistischen Nationalrepräsentation 1812--15. (Von Riedel. 1841.)

Die Landesdeputirten-Verſammlung.
Romantiker Adam Müller ſtellte ſeine Feder den Vorkämpfern der ſtändi-
ſchen Libertät zur Verfügung. Als der Staatskanzler nach ſeiner bureau-
kratiſchen Weiſe fragte, woher dieſe Gutsbeſitzer das Recht nähmen ſich
Stände zu nennen, da antwortete Marwitz*): „die Qualität der Land-
ſtandſchaft iſt uns angeboren ſo gut wie unſere Familiennamen, und wir
können alſo eigentlich ebenſo wenig angeben, wodurch wir Stände ſind
als wodurch wir unſere angeborenen Namen führen!“ Die Ritterſchaft
der Priegnitz — voran die Herren v. Quitzow und Wartensleben — er-
klärte**): „die Kur- und Neumark Brandenburg, gleichſam der Kern der
geſammten preußiſchen Monarchie, hat von jeher einen beſonderen, von
den übrigen Provinzen abgeſonderten Staat gebildet, welcher ſeine ihm
eigenthümliche Verfaſſung hat;“ ſie verlangte demgemäß, daß kein Steuer-
geſetz ohne Genehmigung der Stände erlaſſen werde.

Der unerſchrockene Reformer ließ ſich nicht ſtören. Die allerdings
ſehr zweifelhafte Rechtsfrage bekümmerte ihn wenig; war doch die geſammte
Verfaſſung der neuen preußiſchen Monarchie aus der Bekämpfung der
altſtändiſchen Rechte hervorgegangen. Ihm genügte die Einſicht, daß die
Berufung der alten Provinziallandtage der ſichere Untergang der neuen
Geſetze war. Um die Nation von der Nothwendigkeit des Geſchehenen
zu überzeugen und ſie auf weitere Reformen vorzubereiten, wurde am
23. Febr. 1811 eine „Landesdeputirten-Verſammlung“ in Berlin er-
öffnet***): ein Beamter aus jeder der acht Provinzialregierungen, acht-
zehn Ritter, elf Städter, acht Bauern, ſie alleſammt von der Krone er-
nannt. Da die erbitterten Stände von Brandenburg und Pommern ſich
beſchwerten und unaufgefordert Abgeordnete aus ihrer Mitte ſendeten,
ließ der Staatskanzler auch noch einige dieſer „Nebendeputirten“ zu. Alſo
wurden zum erſten male ſeit dieſe Monarchie beſtand Vertreter aller Landes-
theile zuſammenberufen, allein nach dem Ermeſſen der Krone, ohne Rück-
ſicht auf die ſtändiſchen Rechte und Anſprüche der Territorien. Der Ein-
tritt der acht bäuerlichen Deputirten galt in den altſtändiſchen Kreiſen
als das erſte Signal einer furchtbaren Umwälzung. Mancher der Zeit-
genoſſen erinnerte ſich an die Verſammlung der Notabeln beim Aus-
bruche der franzöſiſchen Revolution; doch das Anſehen der preußiſchen
Krone ſtand ungleich feſter als die Macht der Bourbonen, und ſie ge-
währte ihren Notabeln von Haus aus ſehr beſcheidene Befugniſſe: nur
das Recht der Berathung, nicht die Mitentſcheidung. Steins Geſetzgebung
hatte die Grundlagen des großen Reformwerks längſt ſicher geſtellt, und

*) Eingabe an Hardenberg 30. Jan. 1811.
**) Eingabe an den König, Perleberg 24. Jan. 1811.
***) Ich benutze hier u. A. den im Berliner G. St. Archiv verwahrten Aktenmäßi-
gen Bericht über die Verſammlung der ſtändiſchen Landesdeputirten von 1811 und der
interimiſtiſchen Nationalrepräſentation 1812—15. (Von Riedel. 1841.)
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[373/0389] Die Landesdeputirten-Verſammlung. Romantiker Adam Müller ſtellte ſeine Feder den Vorkämpfern der ſtändi- ſchen Libertät zur Verfügung. Als der Staatskanzler nach ſeiner bureau- kratiſchen Weiſe fragte, woher dieſe Gutsbeſitzer das Recht nähmen ſich Stände zu nennen, da antwortete Marwitz *): „die Qualität der Land- ſtandſchaft iſt uns angeboren ſo gut wie unſere Familiennamen, und wir können alſo eigentlich ebenſo wenig angeben, wodurch wir Stände ſind als wodurch wir unſere angeborenen Namen führen!“ Die Ritterſchaft der Priegnitz — voran die Herren v. Quitzow und Wartensleben — er- klärte **): „die Kur- und Neumark Brandenburg, gleichſam der Kern der geſammten preußiſchen Monarchie, hat von jeher einen beſonderen, von den übrigen Provinzen abgeſonderten Staat gebildet, welcher ſeine ihm eigenthümliche Verfaſſung hat;“ ſie verlangte demgemäß, daß kein Steuer- geſetz ohne Genehmigung der Stände erlaſſen werde. Der unerſchrockene Reformer ließ ſich nicht ſtören. Die allerdings ſehr zweifelhafte Rechtsfrage bekümmerte ihn wenig; war doch die geſammte Verfaſſung der neuen preußiſchen Monarchie aus der Bekämpfung der altſtändiſchen Rechte hervorgegangen. Ihm genügte die Einſicht, daß die Berufung der alten Provinziallandtage der ſichere Untergang der neuen Geſetze war. Um die Nation von der Nothwendigkeit des Geſchehenen zu überzeugen und ſie auf weitere Reformen vorzubereiten, wurde am 23. Febr. 1811 eine „Landesdeputirten-Verſammlung“ in Berlin er- öffnet ***): ein Beamter aus jeder der acht Provinzialregierungen, acht- zehn Ritter, elf Städter, acht Bauern, ſie alleſammt von der Krone er- nannt. Da die erbitterten Stände von Brandenburg und Pommern ſich beſchwerten und unaufgefordert Abgeordnete aus ihrer Mitte ſendeten, ließ der Staatskanzler auch noch einige dieſer „Nebendeputirten“ zu. Alſo wurden zum erſten male ſeit dieſe Monarchie beſtand Vertreter aller Landes- theile zuſammenberufen, allein nach dem Ermeſſen der Krone, ohne Rück- ſicht auf die ſtändiſchen Rechte und Anſprüche der Territorien. Der Ein- tritt der acht bäuerlichen Deputirten galt in den altſtändiſchen Kreiſen als das erſte Signal einer furchtbaren Umwälzung. Mancher der Zeit- genoſſen erinnerte ſich an die Verſammlung der Notabeln beim Aus- bruche der franzöſiſchen Revolution; doch das Anſehen der preußiſchen Krone ſtand ungleich feſter als die Macht der Bourbonen, und ſie ge- währte ihren Notabeln von Haus aus ſehr beſcheidene Befugniſſe: nur das Recht der Berathung, nicht die Mitentſcheidung. Steins Geſetzgebung hatte die Grundlagen des großen Reformwerks längſt ſicher geſtellt, und *) Eingabe an Hardenberg 30. Jan. 1811. **) Eingabe an den König, Perleberg 24. Jan. 1811. ***) Ich benutze hier u. A. den im Berliner G. St. Archiv verwahrten Aktenmäßi- gen Bericht über die Verſammlung der ſtändiſchen Landesdeputirten von 1811 und der interimiſtiſchen Nationalrepräſentation 1812—15. (Von Riedel. 1841.)

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/389>, abgerufen am 23.07.2024.