Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Hardenbergs Finanzpläne. zur Abtragung der Kriegsschuld verschaffen; auch einige neue Steuernwaren beabsichtigt, nur nicht eine Einkommensteuer, weil "die Opinion" gar zu laut dawider spreche. Mit schlagenden Gründen wies Niebuhr die Hohlheit dieses Planes nach: es sei ein Unglück, daß an die Vermeh- rung der Tresorscheine auch nur gedacht werde, den heiligen Versprechun- gen der Krone zuwider; und woher sollten die fünfzehn Millionen kom- men, welche der Staatskanzler von seinen Anlehen erwarte? Hatte Niebuhr doch selbst soeben nach langen peinlichen Verhandlungen unter sehr demü- thigenden Bedingungen eine kleine Anleihe in Holland zu Stande ge- bracht -- die einzige, welche das Ausland während dieser ganzen Zeit der creditlosen Monarchie gewährte! Der feinfühlige Gelehrte war in seinem Gewissen verletzt durch die schwindelhafte Oberflächlichkeit der Har- denbergischen Pläne; er wollte nicht sehen, daß der leichtlebige Staats- kanzler auf die Einzelheiten des Entwurfs gar keinen Werth legte, und nahm zornig seinen Abschied. Auch Schoen verweigerte seine Mitwirkung, da er Niebuhrs technische Bedenken theilte und nur als selbständiger, vom Staatskanzler unabhängiger Minister eintreten wollte; der consequente Kantianer dachte überdies sogleich Steins politisches Testament vollständig zu verwirklichen und schalt auf den "hannoverschen Junker", als Harden- berg behutsam einige Bedenken erhob. So entspannen sich gleich beim Eintritt des Staatskanzlers jene Frischen Muthes entfaltete er nach der Heimkehr eine erstaunliche Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 24
Hardenbergs Finanzpläne. zur Abtragung der Kriegsſchuld verſchaffen; auch einige neue Steuernwaren beabſichtigt, nur nicht eine Einkommenſteuer, weil „die Opinion“ gar zu laut dawider ſpreche. Mit ſchlagenden Gründen wies Niebuhr die Hohlheit dieſes Planes nach: es ſei ein Unglück, daß an die Vermeh- rung der Treſorſcheine auch nur gedacht werde, den heiligen Verſprechun- gen der Krone zuwider; und woher ſollten die fünfzehn Millionen kom- men, welche der Staatskanzler von ſeinen Anlehen erwarte? Hatte Niebuhr doch ſelbſt ſoeben nach langen peinlichen Verhandlungen unter ſehr demü- thigenden Bedingungen eine kleine Anleihe in Holland zu Stande ge- bracht — die einzige, welche das Ausland während dieſer ganzen Zeit der creditloſen Monarchie gewährte! Der feinfühlige Gelehrte war in ſeinem Gewiſſen verletzt durch die ſchwindelhafte Oberflächlichkeit der Har- denbergiſchen Pläne; er wollte nicht ſehen, daß der leichtlebige Staats- kanzler auf die Einzelheiten des Entwurfs gar keinen Werth legte, und nahm zornig ſeinen Abſchied. Auch Schoen verweigerte ſeine Mitwirkung, da er Niebuhrs techniſche Bedenken theilte und nur als ſelbſtändiger, vom Staatskanzler unabhängiger Miniſter eintreten wollte; der conſequente Kantianer dachte überdies ſogleich Steins politiſches Teſtament vollſtändig zu verwirklichen und ſchalt auf den „hannoverſchen Junker“, als Harden- berg behutſam einige Bedenken erhob. So entſpannen ſich gleich beim Eintritt des Staatskanzlers jene Friſchen Muthes entfaltete er nach der Heimkehr eine erſtaunliche Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 24
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Hardenbergs Finanzpläne.
zur Abtragung der Kriegsſchuld verſchaffen; auch einige neue Steuern
waren beabſichtigt, nur nicht eine Einkommenſteuer, weil „die Opinion“
gar zu laut dawider ſpreche. Mit ſchlagenden Gründen wies Niebuhr
die Hohlheit dieſes Planes nach: es ſei ein Unglück, daß an die Vermeh-
rung der Treſorſcheine auch nur gedacht werde, den heiligen Verſprechun-
gen der Krone zuwider; und woher ſollten die fünfzehn Millionen kom-
men, welche der Staatskanzler von ſeinen Anlehen erwarte? Hatte Niebuhr
doch ſelbſt ſoeben nach langen peinlichen Verhandlungen unter ſehr demü-
thigenden Bedingungen eine kleine Anleihe in Holland zu Stande ge-
bracht — die einzige, welche das Ausland während dieſer ganzen Zeit
der creditloſen Monarchie gewährte! Der feinfühlige Gelehrte war in
ſeinem Gewiſſen verletzt durch die ſchwindelhafte Oberflächlichkeit der Har-
denbergiſchen Pläne; er wollte nicht ſehen, daß der leichtlebige Staats-
kanzler auf die Einzelheiten des Entwurfs gar keinen Werth legte, und
nahm zornig ſeinen Abſchied. Auch Schoen verweigerte ſeine Mitwirkung,
da er Niebuhrs techniſche Bedenken theilte und nur als ſelbſtändiger,
vom Staatskanzler unabhängiger Miniſter eintreten wollte; der conſequente
Kantianer dachte überdies ſogleich Steins politiſches Teſtament vollſtändig
zu verwirklichen und ſchalt auf den „hannoverſchen Junker“, als Harden-
berg behutſam einige Bedenken erhob.
So entſpannen ſich gleich beim Eintritt des Staatskanzlers jene
leidenſchaftlichen Kämpfe im Kreiſe des hohen Beamtenthums, welche ſeit-
dem bis zu Hardenbergs Tode den ſicheren Gang des Staates ſo oft ge-
fährdet haben. Schroff und hart platzten dieſe reichen Naturen auf ein-
ander, treffliche Männer, die im Grunde Alle daſſelbe wollten, aber jeder
auf ſeine Weiſe. Seit Steins Abgang fehlte der überlegene Charakter, der
die unbändigen bemeiſtern konnte. Die hervorragenden Talente zogen
ſich nach und nach von der Spitze der Regierung in die Provinzialbehör-
den zurück; der einzige Finanzmann der Monarchie, der den ungeheuren
Schwierigkeiten der Lage gewachſen war, Maaſſen, wurde noch nicht nach
ſeinem ganzen Werthe gewürdigt. Hardenberg fand es bald bequem, ſich mit
unbedeutenden Werkzeugen, wie Scharnweber und Jordan, zu behelfen,
erlaubte auch eine Zeit lang dem wackeren jungen Gelehrten F. v. Rau-
mer eine Rolle zu ſpielen, welche weit über das Maaß ſeines Talentes
und ſeiner praktiſchen Erfahrung hinausging. Inzwiſchen hatte er den
König auf einer Reiſe nach Schleſien begleitet, dort mit Stein, in einer
geheimen Zuſammenkunft an der böhmiſchen Grenze, ſeine Finanzpläne
beſprochen und aus der begeiſterten Freude, welche dem Monarchen überall
entgegen jubelte, neue Zuverſicht geſchöpft: „ein Wort von Ew. Majeſtät
wirkt mehr als Alles.“
Friſchen Muthes entfaltete er nach der Heimkehr eine erſtaunliche
Thätigkeit. Zunächſt wurde durch die Verordnung vom 27. October 1810
die Vollgewalt des Staatskanzlers geſetzlich feſtgeſtellt. Die fünf Miniſterien
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