Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Hardenbergs Finanzpläne.
zur Abtragung der Kriegsschuld verschaffen; auch einige neue Steuern
waren beabsichtigt, nur nicht eine Einkommensteuer, weil "die Opinion"
gar zu laut dawider spreche. Mit schlagenden Gründen wies Niebuhr
die Hohlheit dieses Planes nach: es sei ein Unglück, daß an die Vermeh-
rung der Tresorscheine auch nur gedacht werde, den heiligen Versprechun-
gen der Krone zuwider; und woher sollten die fünfzehn Millionen kom-
men, welche der Staatskanzler von seinen Anlehen erwarte? Hatte Niebuhr
doch selbst soeben nach langen peinlichen Verhandlungen unter sehr demü-
thigenden Bedingungen eine kleine Anleihe in Holland zu Stande ge-
bracht -- die einzige, welche das Ausland während dieser ganzen Zeit
der creditlosen Monarchie gewährte! Der feinfühlige Gelehrte war in
seinem Gewissen verletzt durch die schwindelhafte Oberflächlichkeit der Har-
denbergischen Pläne; er wollte nicht sehen, daß der leichtlebige Staats-
kanzler auf die Einzelheiten des Entwurfs gar keinen Werth legte, und
nahm zornig seinen Abschied. Auch Schoen verweigerte seine Mitwirkung,
da er Niebuhrs technische Bedenken theilte und nur als selbständiger,
vom Staatskanzler unabhängiger Minister eintreten wollte; der consequente
Kantianer dachte überdies sogleich Steins politisches Testament vollständig
zu verwirklichen und schalt auf den "hannoverschen Junker", als Harden-
berg behutsam einige Bedenken erhob.

So entspannen sich gleich beim Eintritt des Staatskanzlers jene
leidenschaftlichen Kämpfe im Kreise des hohen Beamtenthums, welche seit-
dem bis zu Hardenbergs Tode den sicheren Gang des Staates so oft ge-
fährdet haben. Schroff und hart platzten diese reichen Naturen auf ein-
ander, treffliche Männer, die im Grunde Alle dasselbe wollten, aber jeder
auf seine Weise. Seit Steins Abgang fehlte der überlegene Charakter, der
die unbändigen bemeistern konnte. Die hervorragenden Talente zogen
sich nach und nach von der Spitze der Regierung in die Provinzialbehör-
den zurück; der einzige Finanzmann der Monarchie, der den ungeheuren
Schwierigkeiten der Lage gewachsen war, Maassen, wurde noch nicht nach
seinem ganzen Werthe gewürdigt. Hardenberg fand es bald bequem, sich mit
unbedeutenden Werkzeugen, wie Scharnweber und Jordan, zu behelfen,
erlaubte auch eine Zeit lang dem wackeren jungen Gelehrten F. v. Rau-
mer eine Rolle zu spielen, welche weit über das Maaß seines Talentes
und seiner praktischen Erfahrung hinausging. Inzwischen hatte er den
König auf einer Reise nach Schlesien begleitet, dort mit Stein, in einer
geheimen Zusammenkunft an der böhmischen Grenze, seine Finanzpläne
besprochen und aus der begeisterten Freude, welche dem Monarchen überall
entgegen jubelte, neue Zuversicht geschöpft: "ein Wort von Ew. Majestät
wirkt mehr als Alles."

Frischen Muthes entfaltete er nach der Heimkehr eine erstaunliche
Thätigkeit. Zunächst wurde durch die Verordnung vom 27. October 1810
die Vollgewalt des Staatskanzlers gesetzlich festgestellt. Die fünf Ministerien

Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 24

Hardenbergs Finanzpläne.
zur Abtragung der Kriegsſchuld verſchaffen; auch einige neue Steuern
waren beabſichtigt, nur nicht eine Einkommenſteuer, weil „die Opinion“
gar zu laut dawider ſpreche. Mit ſchlagenden Gründen wies Niebuhr
die Hohlheit dieſes Planes nach: es ſei ein Unglück, daß an die Vermeh-
rung der Treſorſcheine auch nur gedacht werde, den heiligen Verſprechun-
gen der Krone zuwider; und woher ſollten die fünfzehn Millionen kom-
men, welche der Staatskanzler von ſeinen Anlehen erwarte? Hatte Niebuhr
doch ſelbſt ſoeben nach langen peinlichen Verhandlungen unter ſehr demü-
thigenden Bedingungen eine kleine Anleihe in Holland zu Stande ge-
bracht — die einzige, welche das Ausland während dieſer ganzen Zeit
der creditloſen Monarchie gewährte! Der feinfühlige Gelehrte war in
ſeinem Gewiſſen verletzt durch die ſchwindelhafte Oberflächlichkeit der Har-
denbergiſchen Pläne; er wollte nicht ſehen, daß der leichtlebige Staats-
kanzler auf die Einzelheiten des Entwurfs gar keinen Werth legte, und
nahm zornig ſeinen Abſchied. Auch Schoen verweigerte ſeine Mitwirkung,
da er Niebuhrs techniſche Bedenken theilte und nur als ſelbſtändiger,
vom Staatskanzler unabhängiger Miniſter eintreten wollte; der conſequente
Kantianer dachte überdies ſogleich Steins politiſches Teſtament vollſtändig
zu verwirklichen und ſchalt auf den „hannoverſchen Junker“, als Harden-
berg behutſam einige Bedenken erhob.

So entſpannen ſich gleich beim Eintritt des Staatskanzlers jene
leidenſchaftlichen Kämpfe im Kreiſe des hohen Beamtenthums, welche ſeit-
dem bis zu Hardenbergs Tode den ſicheren Gang des Staates ſo oft ge-
fährdet haben. Schroff und hart platzten dieſe reichen Naturen auf ein-
ander, treffliche Männer, die im Grunde Alle daſſelbe wollten, aber jeder
auf ſeine Weiſe. Seit Steins Abgang fehlte der überlegene Charakter, der
die unbändigen bemeiſtern konnte. Die hervorragenden Talente zogen
ſich nach und nach von der Spitze der Regierung in die Provinzialbehör-
den zurück; der einzige Finanzmann der Monarchie, der den ungeheuren
Schwierigkeiten der Lage gewachſen war, Maaſſen, wurde noch nicht nach
ſeinem ganzen Werthe gewürdigt. Hardenberg fand es bald bequem, ſich mit
unbedeutenden Werkzeugen, wie Scharnweber und Jordan, zu behelfen,
erlaubte auch eine Zeit lang dem wackeren jungen Gelehrten F. v. Rau-
mer eine Rolle zu ſpielen, welche weit über das Maaß ſeines Talentes
und ſeiner praktiſchen Erfahrung hinausging. Inzwiſchen hatte er den
König auf einer Reiſe nach Schleſien begleitet, dort mit Stein, in einer
geheimen Zuſammenkunft an der böhmiſchen Grenze, ſeine Finanzpläne
beſprochen und aus der begeiſterten Freude, welche dem Monarchen überall
entgegen jubelte, neue Zuverſicht geſchöpft: „ein Wort von Ew. Majeſtät
wirkt mehr als Alles.“

Friſchen Muthes entfaltete er nach der Heimkehr eine erſtaunliche
Thätigkeit. Zunächſt wurde durch die Verordnung vom 27. October 1810
die Vollgewalt des Staatskanzlers geſetzlich feſtgeſtellt. Die fünf Miniſterien

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 24
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0385" n="369"/><fw place="top" type="header">Hardenbergs Finanzpläne.</fw><lb/>
zur Abtragung der Kriegs&#x017F;chuld ver&#x017F;chaffen; auch einige neue Steuern<lb/>
waren beab&#x017F;ichtigt, nur nicht eine Einkommen&#x017F;teuer, weil &#x201E;die Opinion&#x201C;<lb/>
gar zu laut dawider &#x017F;preche. Mit &#x017F;chlagenden Gründen wies Niebuhr<lb/>
die Hohlheit die&#x017F;es Planes nach: es &#x017F;ei ein Unglück, daß an die Vermeh-<lb/>
rung der Tre&#x017F;or&#x017F;cheine auch nur gedacht werde, den heiligen Ver&#x017F;prechun-<lb/>
gen der Krone zuwider; und woher &#x017F;ollten die fünfzehn Millionen kom-<lb/>
men, welche der Staatskanzler von &#x017F;einen Anlehen erwarte? Hatte Niebuhr<lb/>
doch &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;oeben nach langen peinlichen Verhandlungen unter &#x017F;ehr demü-<lb/>
thigenden Bedingungen eine kleine Anleihe in Holland zu Stande ge-<lb/>
bracht &#x2014; die einzige, welche das Ausland während die&#x017F;er ganzen Zeit<lb/>
der creditlo&#x017F;en Monarchie gewährte! Der feinfühlige Gelehrte war in<lb/>
&#x017F;einem Gewi&#x017F;&#x017F;en verletzt durch die &#x017F;chwindelhafte Oberflächlichkeit der Har-<lb/>
denbergi&#x017F;chen Pläne; er wollte nicht &#x017F;ehen, daß der leichtlebige Staats-<lb/>
kanzler auf die Einzelheiten des Entwurfs gar keinen Werth legte, und<lb/>
nahm zornig &#x017F;einen Ab&#x017F;chied. Auch Schoen verweigerte &#x017F;eine Mitwirkung,<lb/>
da er Niebuhrs techni&#x017F;che Bedenken theilte und nur als &#x017F;elb&#x017F;tändiger,<lb/>
vom Staatskanzler unabhängiger Mini&#x017F;ter eintreten wollte; der con&#x017F;equente<lb/>
Kantianer dachte überdies &#x017F;ogleich Steins politi&#x017F;ches Te&#x017F;tament voll&#x017F;tändig<lb/>
zu verwirklichen und &#x017F;chalt auf den &#x201E;hannover&#x017F;chen Junker&#x201C;, als Harden-<lb/>
berg behut&#x017F;am einige Bedenken erhob.</p><lb/>
            <p>So ent&#x017F;pannen &#x017F;ich gleich beim Eintritt des Staatskanzlers jene<lb/>
leiden&#x017F;chaftlichen Kämpfe im Krei&#x017F;e des hohen Beamtenthums, welche &#x017F;eit-<lb/>
dem bis zu Hardenbergs Tode den &#x017F;icheren Gang des Staates &#x017F;o oft ge-<lb/>
fährdet haben. Schroff und hart platzten die&#x017F;e reichen Naturen auf ein-<lb/>
ander, treffliche Männer, die im Grunde Alle da&#x017F;&#x017F;elbe wollten, aber jeder<lb/>
auf &#x017F;eine Wei&#x017F;e. Seit Steins Abgang fehlte der überlegene Charakter, der<lb/>
die unbändigen bemei&#x017F;tern konnte. Die hervorragenden Talente zogen<lb/>
&#x017F;ich nach und nach von der Spitze der Regierung in die Provinzialbehör-<lb/>
den zurück; der einzige Finanzmann der Monarchie, der den ungeheuren<lb/>
Schwierigkeiten der Lage gewach&#x017F;en war, Maa&#x017F;&#x017F;en, wurde noch nicht nach<lb/>
&#x017F;einem ganzen Werthe gewürdigt. Hardenberg fand es bald bequem, &#x017F;ich mit<lb/>
unbedeutenden Werkzeugen, wie Scharnweber und Jordan, zu behelfen,<lb/>
erlaubte auch eine Zeit lang dem wackeren jungen Gelehrten F. v. Rau-<lb/>
mer eine Rolle zu &#x017F;pielen, welche weit über das Maaß &#x017F;eines Talentes<lb/>
und &#x017F;einer prakti&#x017F;chen Erfahrung hinausging. Inzwi&#x017F;chen hatte er den<lb/>
König auf einer Rei&#x017F;e nach Schle&#x017F;ien begleitet, dort mit Stein, in einer<lb/>
geheimen Zu&#x017F;ammenkunft an der böhmi&#x017F;chen Grenze, &#x017F;eine Finanzpläne<lb/>
be&#x017F;prochen und aus der begei&#x017F;terten Freude, welche dem Monarchen überall<lb/>
entgegen jubelte, neue Zuver&#x017F;icht ge&#x017F;chöpft: &#x201E;ein Wort von Ew. Maje&#x017F;tät<lb/>
wirkt mehr als Alles.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Fri&#x017F;chen Muthes entfaltete er nach der Heimkehr eine er&#x017F;taunliche<lb/>
Thätigkeit. Zunäch&#x017F;t wurde durch die Verordnung vom 27. October 1810<lb/>
die Vollgewalt des Staatskanzlers ge&#x017F;etzlich fe&#x017F;tge&#x017F;tellt. Die fünf Mini&#x017F;terien<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Treit&#x017F;chke</hi>, Deut&#x017F;che Ge&#x017F;chichte. <hi rendition="#aq">I.</hi> 24</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[369/0385] Hardenbergs Finanzpläne. zur Abtragung der Kriegsſchuld verſchaffen; auch einige neue Steuern waren beabſichtigt, nur nicht eine Einkommenſteuer, weil „die Opinion“ gar zu laut dawider ſpreche. Mit ſchlagenden Gründen wies Niebuhr die Hohlheit dieſes Planes nach: es ſei ein Unglück, daß an die Vermeh- rung der Treſorſcheine auch nur gedacht werde, den heiligen Verſprechun- gen der Krone zuwider; und woher ſollten die fünfzehn Millionen kom- men, welche der Staatskanzler von ſeinen Anlehen erwarte? Hatte Niebuhr doch ſelbſt ſoeben nach langen peinlichen Verhandlungen unter ſehr demü- thigenden Bedingungen eine kleine Anleihe in Holland zu Stande ge- bracht — die einzige, welche das Ausland während dieſer ganzen Zeit der creditloſen Monarchie gewährte! Der feinfühlige Gelehrte war in ſeinem Gewiſſen verletzt durch die ſchwindelhafte Oberflächlichkeit der Har- denbergiſchen Pläne; er wollte nicht ſehen, daß der leichtlebige Staats- kanzler auf die Einzelheiten des Entwurfs gar keinen Werth legte, und nahm zornig ſeinen Abſchied. Auch Schoen verweigerte ſeine Mitwirkung, da er Niebuhrs techniſche Bedenken theilte und nur als ſelbſtändiger, vom Staatskanzler unabhängiger Miniſter eintreten wollte; der conſequente Kantianer dachte überdies ſogleich Steins politiſches Teſtament vollſtändig zu verwirklichen und ſchalt auf den „hannoverſchen Junker“, als Harden- berg behutſam einige Bedenken erhob. So entſpannen ſich gleich beim Eintritt des Staatskanzlers jene leidenſchaftlichen Kämpfe im Kreiſe des hohen Beamtenthums, welche ſeit- dem bis zu Hardenbergs Tode den ſicheren Gang des Staates ſo oft ge- fährdet haben. Schroff und hart platzten dieſe reichen Naturen auf ein- ander, treffliche Männer, die im Grunde Alle daſſelbe wollten, aber jeder auf ſeine Weiſe. Seit Steins Abgang fehlte der überlegene Charakter, der die unbändigen bemeiſtern konnte. Die hervorragenden Talente zogen ſich nach und nach von der Spitze der Regierung in die Provinzialbehör- den zurück; der einzige Finanzmann der Monarchie, der den ungeheuren Schwierigkeiten der Lage gewachſen war, Maaſſen, wurde noch nicht nach ſeinem ganzen Werthe gewürdigt. Hardenberg fand es bald bequem, ſich mit unbedeutenden Werkzeugen, wie Scharnweber und Jordan, zu behelfen, erlaubte auch eine Zeit lang dem wackeren jungen Gelehrten F. v. Rau- mer eine Rolle zu ſpielen, welche weit über das Maaß ſeines Talentes und ſeiner praktiſchen Erfahrung hinausging. Inzwiſchen hatte er den König auf einer Reiſe nach Schleſien begleitet, dort mit Stein, in einer geheimen Zuſammenkunft an der böhmiſchen Grenze, ſeine Finanzpläne beſprochen und aus der begeiſterten Freude, welche dem Monarchen überall entgegen jubelte, neue Zuverſicht geſchöpft: „ein Wort von Ew. Majeſtät wirkt mehr als Alles.“ Friſchen Muthes entfaltete er nach der Heimkehr eine erſtaunliche Thätigkeit. Zunächſt wurde durch die Verordnung vom 27. October 1810 die Vollgewalt des Staatskanzlers geſetzlich feſtgeſtellt. Die fünf Miniſterien Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 24

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/385
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/385>, abgerufen am 22.11.2024.