Die Person des Landesherrn war in diesem patriarchalischen Volke von jeher eine lebendige Macht; so recht aus Herzensgrunde begrüßten die Münchener Bürger den vergnüglich mit den Augen zwinkernden neuen Herrscher: 's ist nur gut, Max, daß wir Dich haben! Wie horchte das Volk auf, als man vernahm, daß die Gemahlin des lustigen Max, die edle Prinzessin Karoline von Baden, eine Ketzerin sei, als dann der wackere Cabinetsprediger Schmitt, zuerst bescheiden im Nymphenburger Schlosse, nachher öffentlich in der Hauptstadt evangelischen Gottesdienst hielt und Lutheranern wie Reformirten die Sacramentsgemeinschaft ge- währte. Das hatte man nicht mehr erlebt, seit der Eroberer Gustav Adolf in der Residenz der Wittelsbacher gehaust. Dann kam eine Menge protestantischer Beamten ins Land, darunter manche Heißsporne der Auf- klärung wie Anselm Feuerbach. Die Gleichberechtigung der Confessionen wurde verkündigt, und was das Wichtigste war, das Schulwesen der Auf- sicht des Staates unterworfen. Dem Feuereifer des Illuminaten Montgelas war damit noch nicht genug geschehen; er haßte "das Schamanenthum" der römischen Kirche und die fromme Einfalt des altbairischen Volkes, dem er immer ein Fremder blieb. Eine Menge von Klöstern wurde ge- schlossen, hunderte von Kirchen ausgeräumt und ihr alter Schmuck unter den Hammer gebracht. Es war ein radicaler Umsturz, herzlose Frivolität und brutaler Hochmuth führten das große Wort; doch mildere Hände hätten den Bann der Glaubenseinheit, der über diesem Lande lag, nicht ge- brochen. Ein tief einschneidendes Gesetz jagte das andere; die Leibeigenschaft fiel, die Ablösung der bäuerlichen Lasten und Zehnten ward ausgesprochen, indeß blieben, Dank der fieberischen Hast der Regierung, die meisten dieser mit lärmender Prahlerei angekündigten Reformen unausgeführt. Auch den neuen Landtag wagte der mißtrauische Minister niemals einzuberufen, obgleich diesem sonderbaren Parlamente nur das Recht zustehen sollte, durch drei Commissäre seine Ansichten auszusprechen und dann schweigsam über die Vorlagen der Regierung abzustimmen. Von den neuen Insti- tutionen stand nichts fest als das Conscriptionsheer und die Allmacht des Beamtenthums, das noch immer ebenso nachlässig, roh und bestechlich war wie in der guten alten Zeit.
Die junge Krone gefiel sich in einem lächerlichen Dünkel; man sprach amtlich nur von dem Reiche Baiern, und es that dem königlichen Selbst- gefühle keinen Abbruch, daß der Protector seine Befehle an Max Joseph jetzt mit einem einfachen il faut, il faut zu beginnen und zu schließen pflegte. Baiern sollte der glückliche Erbe der preußischen Monarchie wer- den, ihrer Macht, ihres Kriegsruhms, ihrer Aufklärung. Um den Glanz von Berlin zu überbieten wurden die Münchener Akademie und die aus der alten Jesuitenburg Ingolstadt nach Landshut verlegte Universität reichlich ausgestattet; doch was konnten die tüchtigen aus dem Norden be- rufenen Gelehrten hier leisten in der stockigen Luft dieses napoleonischen
I. 3. Preußens Erhebung.
Die Perſon des Landesherrn war in dieſem patriarchaliſchen Volke von jeher eine lebendige Macht; ſo recht aus Herzensgrunde begrüßten die Münchener Bürger den vergnüglich mit den Augen zwinkernden neuen Herrſcher: ’s iſt nur gut, Max, daß wir Dich haben! Wie horchte das Volk auf, als man vernahm, daß die Gemahlin des luſtigen Max, die edle Prinzeſſin Karoline von Baden, eine Ketzerin ſei, als dann der wackere Cabinetsprediger Schmitt, zuerſt beſcheiden im Nymphenburger Schloſſe, nachher öffentlich in der Hauptſtadt evangeliſchen Gottesdienſt hielt und Lutheranern wie Reformirten die Sacramentsgemeinſchaft ge- währte. Das hatte man nicht mehr erlebt, ſeit der Eroberer Guſtav Adolf in der Reſidenz der Wittelsbacher gehauſt. Dann kam eine Menge proteſtantiſcher Beamten ins Land, darunter manche Heißſporne der Auf- klärung wie Anſelm Feuerbach. Die Gleichberechtigung der Confeſſionen wurde verkündigt, und was das Wichtigſte war, das Schulweſen der Auf- ſicht des Staates unterworfen. Dem Feuereifer des Illuminaten Montgelas war damit noch nicht genug geſchehen; er haßte „das Schamanenthum“ der römiſchen Kirche und die fromme Einfalt des altbairiſchen Volkes, dem er immer ein Fremder blieb. Eine Menge von Klöſtern wurde ge- ſchloſſen, hunderte von Kirchen ausgeräumt und ihr alter Schmuck unter den Hammer gebracht. Es war ein radicaler Umſturz, herzloſe Frivolität und brutaler Hochmuth führten das große Wort; doch mildere Hände hätten den Bann der Glaubenseinheit, der über dieſem Lande lag, nicht ge- brochen. Ein tief einſchneidendes Geſetz jagte das andere; die Leibeigenſchaft fiel, die Ablöſung der bäuerlichen Laſten und Zehnten ward ausgeſprochen, indeß blieben, Dank der fieberiſchen Haſt der Regierung, die meiſten dieſer mit lärmender Prahlerei angekündigten Reformen unausgeführt. Auch den neuen Landtag wagte der mißtrauiſche Miniſter niemals einzuberufen, obgleich dieſem ſonderbaren Parlamente nur das Recht zuſtehen ſollte, durch drei Commiſſäre ſeine Anſichten auszuſprechen und dann ſchweigſam über die Vorlagen der Regierung abzuſtimmen. Von den neuen Inſti- tutionen ſtand nichts feſt als das Conſcriptionsheer und die Allmacht des Beamtenthums, das noch immer ebenſo nachläſſig, roh und beſtechlich war wie in der guten alten Zeit.
Die junge Krone gefiel ſich in einem lächerlichen Dünkel; man ſprach amtlich nur von dem Reiche Baiern, und es that dem königlichen Selbſt- gefühle keinen Abbruch, daß der Protector ſeine Befehle an Max Joſeph jetzt mit einem einfachen il faut, il faut zu beginnen und zu ſchließen pflegte. Baiern ſollte der glückliche Erbe der preußiſchen Monarchie wer- den, ihrer Macht, ihres Kriegsruhms, ihrer Aufklärung. Um den Glanz von Berlin zu überbieten wurden die Münchener Akademie und die aus der alten Jeſuitenburg Ingolſtadt nach Landshut verlegte Univerſität reichlich ausgeſtattet; doch was konnten die tüchtigen aus dem Norden be- rufenen Gelehrten hier leiſten in der ſtockigen Luft dieſes napoleoniſchen
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I. 3. Preußens Erhebung.
Die Perſon des Landesherrn war in dieſem patriarchaliſchen Volke
von jeher eine lebendige Macht; ſo recht aus Herzensgrunde begrüßten
die Münchener Bürger den vergnüglich mit den Augen zwinkernden neuen
Herrſcher: ’s iſt nur gut, Max, daß wir Dich haben! Wie horchte das
Volk auf, als man vernahm, daß die Gemahlin des luſtigen Max, die
edle Prinzeſſin Karoline von Baden, eine Ketzerin ſei, als dann der
wackere Cabinetsprediger Schmitt, zuerſt beſcheiden im Nymphenburger
Schloſſe, nachher öffentlich in der Hauptſtadt evangeliſchen Gottesdienſt
hielt und Lutheranern wie Reformirten die Sacramentsgemeinſchaft ge-
währte. Das hatte man nicht mehr erlebt, ſeit der Eroberer Guſtav
Adolf in der Reſidenz der Wittelsbacher gehauſt. Dann kam eine Menge
proteſtantiſcher Beamten ins Land, darunter manche Heißſporne der Auf-
klärung wie Anſelm Feuerbach. Die Gleichberechtigung der Confeſſionen
wurde verkündigt, und was das Wichtigſte war, das Schulweſen der Auf-
ſicht des Staates unterworfen. Dem Feuereifer des Illuminaten Montgelas
war damit noch nicht genug geſchehen; er haßte „das Schamanenthum“
der römiſchen Kirche und die fromme Einfalt des altbairiſchen Volkes,
dem er immer ein Fremder blieb. Eine Menge von Klöſtern wurde ge-
ſchloſſen, hunderte von Kirchen ausgeräumt und ihr alter Schmuck unter
den Hammer gebracht. Es war ein radicaler Umſturz, herzloſe Frivolität
und brutaler Hochmuth führten das große Wort; doch mildere Hände
hätten den Bann der Glaubenseinheit, der über dieſem Lande lag, nicht ge-
brochen. Ein tief einſchneidendes Geſetz jagte das andere; die Leibeigenſchaft
fiel, die Ablöſung der bäuerlichen Laſten und Zehnten ward ausgeſprochen,
indeß blieben, Dank der fieberiſchen Haſt der Regierung, die meiſten dieſer
mit lärmender Prahlerei angekündigten Reformen unausgeführt. Auch
den neuen Landtag wagte der mißtrauiſche Miniſter niemals einzuberufen,
obgleich dieſem ſonderbaren Parlamente nur das Recht zuſtehen ſollte,
durch drei Commiſſäre ſeine Anſichten auszuſprechen und dann ſchweigſam
über die Vorlagen der Regierung abzuſtimmen. Von den neuen Inſti-
tutionen ſtand nichts feſt als das Conſcriptionsheer und die Allmacht des
Beamtenthums, das noch immer ebenſo nachläſſig, roh und beſtechlich
war wie in der guten alten Zeit.
Die junge Krone gefiel ſich in einem lächerlichen Dünkel; man ſprach
amtlich nur von dem Reiche Baiern, und es that dem königlichen Selbſt-
gefühle keinen Abbruch, daß der Protector ſeine Befehle an Max Joſeph
jetzt mit einem einfachen il faut, il faut zu beginnen und zu ſchließen
pflegte. Baiern ſollte der glückliche Erbe der preußiſchen Monarchie wer-
den, ihrer Macht, ihres Kriegsruhms, ihrer Aufklärung. Um den Glanz
von Berlin zu überbieten wurden die Münchener Akademie und die aus
der alten Jeſuitenburg Ingolſtadt nach Landshut verlegte Univerſität
reichlich ausgeſtattet; doch was konnten die tüchtigen aus dem Norden be-
rufenen Gelehrten hier leiſten in der ſtockigen Luft dieſes napoleoniſchen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/374>, abgerufen am 22.11.2024.
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