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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Literatur des Particularismus.
Scharnhorst nur mit geringschätzigem Spotte behandelten. Dann erschie-
nen plötzlich zu gleicher Zeit deutsch und französisch in zwei Buchhand-
lungen des Rheinbundes die Memoiren der Markgräfin von Baireuth,
gewiß nicht ohne das Zuthun eines der kleinköniglichen Höfe. Welcher
Sturm der Schadenfreude im Lager des Particularismus! Der unver-
dächtigste Zeuge, die Lieblingsschwester des großen Friedrich bestätigte Alles
was man sich im süddeutschen Volke von der unerträglichen Härte des
preußischen Staates, von der soldatischen Steifheit seiner Regierung und
der herzlosen Grausamkeit seines Königshauses längst erzählte! Wilhelmi-
nens gallige Herzensergießungen wurden dem guten Rufe Preußens ge-
fährlicher als irgend eine Schmähschrift seiner Feinde, und es währte
lange bis die historische Kritik die Unwahrhaftigkeit der verbitterten geist-
reichen Fürstin nachwies. Napoleon bemerkte zufrieden: "alle deutschen
Höfe, namentlich der sächsische, wünschen die Theilung Preußens."

Die Wittelsbacher hatten längst vergessen, daß sie den Hohenzollern
den Besitz ihrer Erblande verdankten; Friedrich von Württemberg und
mehrere andere Fürsten des Rheinbundes wurden nicht müde, den Im-
perator vor Preußens gefährlichen Absichten zu warnen; der sächsische
Minister Graf Senfft entwarf mit der oberflächlichen Hastigkeit kleinstaat-
licher Ehrbegier Plan auf Plan, wie Preußen vernichtet und auf seinen
Trümmern ein großes sächsisch-polnisches Centralreich aufgebaut werden
solle. Der Geograph Mannert machte die Entdeckung, daß die Baiern
keine Deutschen seien, sondern ein keltisches Volk, den Franzosen blutsver-
wandt, wie man schon an ihrem nationalen Schnauzbarte erkenne. Ni-
colaus Vogt aber bewies in seinem Buche "die deutsche Nation und ihre
Schicksale", wie die Deutschen zweitausend Jahre lang das Drama "die
feindlichen Brüder" aufgeführt, bis endlich Napoleon die alte deutsche
Verfassung in neuen Formen wieder aufgerichtet habe; seit der Vermäh-
lung des Imperators mit Marie Luise hat "Schönheit gepaart mit Hel-
denkraft" dauernden Frieden gegründet in diesem zankenden Volke; drei
große Segnungen bringt uns der Rheinbund: den Untergang der feuda-
len Monarchie und der religiösen Zwietracht, dazu die Gewißheit, daß
im Innern Deutschlands nie wieder ein Krieg geführt werden kann, end-
lich die Herstellung der nationalen Unabhängigkeit; "küßt darum die Hand,
welche Euch lehrt einig zu sein, als Gotteshand!" Die Völkchen dieser
Kleinstaaten hatten sich längst gewöhnt jede Laune ihrer angestammten
Herren sich "unterthänigst unterthänig wohlgefallen zu lassen", wie die
herkömmliche Redensart in den Landtagsacten lautete; doch so schamlos,
wie jetzt den fremden Gewalthabern gegenüber, war auf deutschem Boden
noch nie geheuchelt und geschmeichelt worden. Mit unwandelbarer Begeiste-
rung feierte der Professor der Beredsamkeit in Göttingen die Verdienste
Napoleons und Jeromes -- derselbe Mann, der früher am Geburtstage
Georgs III. und Friedrich Wilhelms III. patriotische Prachtreden gehalten

23*

Literatur des Particularismus.
Scharnhorſt nur mit geringſchätzigem Spotte behandelten. Dann erſchie-
nen plötzlich zu gleicher Zeit deutſch und franzöſiſch in zwei Buchhand-
lungen des Rheinbundes die Memoiren der Markgräfin von Baireuth,
gewiß nicht ohne das Zuthun eines der kleinköniglichen Höfe. Welcher
Sturm der Schadenfreude im Lager des Particularismus! Der unver-
dächtigſte Zeuge, die Lieblingsſchweſter des großen Friedrich beſtätigte Alles
was man ſich im ſüddeutſchen Volke von der unerträglichen Härte des
preußiſchen Staates, von der ſoldatiſchen Steifheit ſeiner Regierung und
der herzloſen Grauſamkeit ſeines Königshauſes längſt erzählte! Wilhelmi-
nens gallige Herzensergießungen wurden dem guten Rufe Preußens ge-
fährlicher als irgend eine Schmähſchrift ſeiner Feinde, und es währte
lange bis die hiſtoriſche Kritik die Unwahrhaftigkeit der verbitterten geiſt-
reichen Fürſtin nachwies. Napoleon bemerkte zufrieden: „alle deutſchen
Höfe, namentlich der ſächſiſche, wünſchen die Theilung Preußens.“

Die Wittelsbacher hatten längſt vergeſſen, daß ſie den Hohenzollern
den Beſitz ihrer Erblande verdankten; Friedrich von Württemberg und
mehrere andere Fürſten des Rheinbundes wurden nicht müde, den Im-
perator vor Preußens gefährlichen Abſichten zu warnen; der ſächſiſche
Miniſter Graf Senfft entwarf mit der oberflächlichen Haſtigkeit kleinſtaat-
licher Ehrbegier Plan auf Plan, wie Preußen vernichtet und auf ſeinen
Trümmern ein großes ſächſiſch-polniſches Centralreich aufgebaut werden
ſolle. Der Geograph Mannert machte die Entdeckung, daß die Baiern
keine Deutſchen ſeien, ſondern ein keltiſches Volk, den Franzoſen blutsver-
wandt, wie man ſchon an ihrem nationalen Schnauzbarte erkenne. Ni-
colaus Vogt aber bewies in ſeinem Buche „die deutſche Nation und ihre
Schickſale“, wie die Deutſchen zweitauſend Jahre lang das Drama „die
feindlichen Brüder“ aufgeführt, bis endlich Napoleon die alte deutſche
Verfaſſung in neuen Formen wieder aufgerichtet habe; ſeit der Vermäh-
lung des Imperators mit Marie Luiſe hat „Schönheit gepaart mit Hel-
denkraft“ dauernden Frieden gegründet in dieſem zankenden Volke; drei
große Segnungen bringt uns der Rheinbund: den Untergang der feuda-
len Monarchie und der religiöſen Zwietracht, dazu die Gewißheit, daß
im Innern Deutſchlands nie wieder ein Krieg geführt werden kann, end-
lich die Herſtellung der nationalen Unabhängigkeit; „küßt darum die Hand,
welche Euch lehrt einig zu ſein, als Gotteshand!“ Die Völkchen dieſer
Kleinſtaaten hatten ſich längſt gewöhnt jede Laune ihrer angeſtammten
Herren ſich „unterthänigſt unterthänig wohlgefallen zu laſſen“, wie die
herkömmliche Redensart in den Landtagsacten lautete; doch ſo ſchamlos,
wie jetzt den fremden Gewalthabern gegenüber, war auf deutſchem Boden
noch nie geheuchelt und geſchmeichelt worden. Mit unwandelbarer Begeiſte-
rung feierte der Profeſſor der Beredſamkeit in Göttingen die Verdienſte
Napoleons und Jeromes — derſelbe Mann, der früher am Geburtstage
Georgs III. und Friedrich Wilhelms III. patriotiſche Prachtreden gehalten

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[355/0371] Literatur des Particularismus. Scharnhorſt nur mit geringſchätzigem Spotte behandelten. Dann erſchie- nen plötzlich zu gleicher Zeit deutſch und franzöſiſch in zwei Buchhand- lungen des Rheinbundes die Memoiren der Markgräfin von Baireuth, gewiß nicht ohne das Zuthun eines der kleinköniglichen Höfe. Welcher Sturm der Schadenfreude im Lager des Particularismus! Der unver- dächtigſte Zeuge, die Lieblingsſchweſter des großen Friedrich beſtätigte Alles was man ſich im ſüddeutſchen Volke von der unerträglichen Härte des preußiſchen Staates, von der ſoldatiſchen Steifheit ſeiner Regierung und der herzloſen Grauſamkeit ſeines Königshauſes längſt erzählte! Wilhelmi- nens gallige Herzensergießungen wurden dem guten Rufe Preußens ge- fährlicher als irgend eine Schmähſchrift ſeiner Feinde, und es währte lange bis die hiſtoriſche Kritik die Unwahrhaftigkeit der verbitterten geiſt- reichen Fürſtin nachwies. Napoleon bemerkte zufrieden: „alle deutſchen Höfe, namentlich der ſächſiſche, wünſchen die Theilung Preußens.“ Die Wittelsbacher hatten längſt vergeſſen, daß ſie den Hohenzollern den Beſitz ihrer Erblande verdankten; Friedrich von Württemberg und mehrere andere Fürſten des Rheinbundes wurden nicht müde, den Im- perator vor Preußens gefährlichen Abſichten zu warnen; der ſächſiſche Miniſter Graf Senfft entwarf mit der oberflächlichen Haſtigkeit kleinſtaat- licher Ehrbegier Plan auf Plan, wie Preußen vernichtet und auf ſeinen Trümmern ein großes ſächſiſch-polniſches Centralreich aufgebaut werden ſolle. Der Geograph Mannert machte die Entdeckung, daß die Baiern keine Deutſchen ſeien, ſondern ein keltiſches Volk, den Franzoſen blutsver- wandt, wie man ſchon an ihrem nationalen Schnauzbarte erkenne. Ni- colaus Vogt aber bewies in ſeinem Buche „die deutſche Nation und ihre Schickſale“, wie die Deutſchen zweitauſend Jahre lang das Drama „die feindlichen Brüder“ aufgeführt, bis endlich Napoleon die alte deutſche Verfaſſung in neuen Formen wieder aufgerichtet habe; ſeit der Vermäh- lung des Imperators mit Marie Luiſe hat „Schönheit gepaart mit Hel- denkraft“ dauernden Frieden gegründet in dieſem zankenden Volke; drei große Segnungen bringt uns der Rheinbund: den Untergang der feuda- len Monarchie und der religiöſen Zwietracht, dazu die Gewißheit, daß im Innern Deutſchlands nie wieder ein Krieg geführt werden kann, end- lich die Herſtellung der nationalen Unabhängigkeit; „küßt darum die Hand, welche Euch lehrt einig zu ſein, als Gotteshand!“ Die Völkchen dieſer Kleinſtaaten hatten ſich längſt gewöhnt jede Laune ihrer angeſtammten Herren ſich „unterthänigſt unterthänig wohlgefallen zu laſſen“, wie die herkömmliche Redensart in den Landtagsacten lautete; doch ſo ſchamlos, wie jetzt den fremden Gewalthabern gegenüber, war auf deutſchem Boden noch nie geheuchelt und geſchmeichelt worden. Mit unwandelbarer Begeiſte- rung feierte der Profeſſor der Beredſamkeit in Göttingen die Verdienſte Napoleons und Jeromes — derſelbe Mann, der früher am Geburtstage Georgs III. und Friedrich Wilhelms III. patriotiſche Prachtreden gehalten 23*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/371>, abgerufen am 22.11.2024.