endlich mit seinen Schwarzen eine Zuflucht an Bord englischer Schiffe. Seine treuen Tyroler gab Kaiser Franz ebenso gleichmüthig preis, wie er sich einst von den Pflichten des deutschen Kaiserthums losgesagt hatte; diese Volksbewegung war dem mißtrauischen Despoten immer verdächtig gewesen. Die Verrathenen wollten nicht glauben, daß ihr Franz sie ver- lassen könne; wie heilig hatte er doch betheuert, er werde keinen Frieden unterzeichnen, der das Land des rothen Adlers von der Monarchie trenne! Sie widerstanden bis zum Aeußersten; erst mit der Hinrichtung Andreas Hofers fand das unheimliche Trauerspiel seinen Abschluß. Die Erhebung der Völker Oesterreichs versank in Blut und Koth. Betrogen in seinen schönsten Hoffnungen, verekelt an allen Idealen wendete sich das leicht- lebige Volk wieder den Freuden des Sinnenlebens zu. Die Erbkrankheit des modernen Wienerthums, die pessimistische Verstimmung nahm über- hand; wer mochte noch von Ruhm und Ehre träumen, da die österreichi- sche Dummheit doch nur zum Unglück bestimmt war? Nachher brachte ein schmählicher Staatsbankrott Verwirrung und Unredlichkeit in jeden Haushalt; bei Spiel und Tanz und Praterfahrten vergaß man die Noth der schweren Zeit. Die enttäuschten Sieger von Aspern erlabten sich an den Schmutzgeschichten der Briefe Eipeldauers; von Fichte, Kleist und Arndt wußten sie nichts. Der Krieg von 1809 hatte das deutsche Blut der Oesterreicher noch einmal in Wallung gebracht; ein Jahr darauf stan- den sie dem Leben unserer Nation unzugänglicher, fremder gegenüber als je zuvor.
So war der Boden bereitet für die Selbstherrschaft des Kaisers Franz. Der verlogene Biedermann traute sich jetzt endlich der Weisheit genug zu um die Zügel des Staates in die eigene Hand zu nehmen; war er doch immer klüger gewesen als alle die Ideologen, die ihm von der Freiheit Europas geredet. Mit der Seelenruhe der selbstgewissen Beschränktheit stellte er nun das althabsburgische Regierungssystem wieder her, wie es vor Maria Theresia jahrhundertelang bestanden hatte. In den inneren Verhältnissen wurde grundsätzlich nichts mehr geändert; eine argwöhnische Polizei hielt jeden Gedanken politischer Neuerung, wie vor- mals die Lehren der Ketzer, sorgfältig darnieder, verhinderte, daß die ge- waltigen nationalen Gegensätze dieses vielsprachigen Völkergewimmels zum Selbstbewußtsein erwachten, sicherte den Gehorsamen das Phäakenglück eines wachen Traumlebens. Die Thätigkeit der Staatsgewalt war wieder ganz auf die europäische Politik gerichtet, und vortrefflich paßte zu diesem Systeme der unfruchtbaren Ruheseligkeit der neue Minister des Auswär- tigen, Graf Metternich, der Adonis der Salons, der vielgewandte Meister aller kleinen Mittel und Schliche. Er selber hat am Ende seiner Lauf- bahn die Summe seines Lebens gezogen in dem Geständniß: ich habe oft Europa regiert, doch niemals Oesterreich. Im diplomatischen Ränkespiele ging all sein Wissen und Können auf. Völlig unwissend in allen Fragen
I. 3. Preußens Erhebung.
endlich mit ſeinen Schwarzen eine Zuflucht an Bord engliſcher Schiffe. Seine treuen Tyroler gab Kaiſer Franz ebenſo gleichmüthig preis, wie er ſich einſt von den Pflichten des deutſchen Kaiſerthums losgeſagt hatte; dieſe Volksbewegung war dem mißtrauiſchen Despoten immer verdächtig geweſen. Die Verrathenen wollten nicht glauben, daß ihr Franz ſie ver- laſſen könne; wie heilig hatte er doch betheuert, er werde keinen Frieden unterzeichnen, der das Land des rothen Adlers von der Monarchie trenne! Sie widerſtanden bis zum Aeußerſten; erſt mit der Hinrichtung Andreas Hofers fand das unheimliche Trauerſpiel ſeinen Abſchluß. Die Erhebung der Völker Oeſterreichs verſank in Blut und Koth. Betrogen in ſeinen ſchönſten Hoffnungen, verekelt an allen Idealen wendete ſich das leicht- lebige Volk wieder den Freuden des Sinnenlebens zu. Die Erbkrankheit des modernen Wienerthums, die peſſimiſtiſche Verſtimmung nahm über- hand; wer mochte noch von Ruhm und Ehre träumen, da die öſterreichi- ſche Dummheit doch nur zum Unglück beſtimmt war? Nachher brachte ein ſchmählicher Staatsbankrott Verwirrung und Unredlichkeit in jeden Haushalt; bei Spiel und Tanz und Praterfahrten vergaß man die Noth der ſchweren Zeit. Die enttäuſchten Sieger von Aspern erlabten ſich an den Schmutzgeſchichten der Briefe Eipeldauers; von Fichte, Kleiſt und Arndt wußten ſie nichts. Der Krieg von 1809 hatte das deutſche Blut der Oeſterreicher noch einmal in Wallung gebracht; ein Jahr darauf ſtan- den ſie dem Leben unſerer Nation unzugänglicher, fremder gegenüber als je zuvor.
So war der Boden bereitet für die Selbſtherrſchaft des Kaiſers Franz. Der verlogene Biedermann traute ſich jetzt endlich der Weisheit genug zu um die Zügel des Staates in die eigene Hand zu nehmen; war er doch immer klüger geweſen als alle die Ideologen, die ihm von der Freiheit Europas geredet. Mit der Seelenruhe der ſelbſtgewiſſen Beſchränktheit ſtellte er nun das althabsburgiſche Regierungsſyſtem wieder her, wie es vor Maria Thereſia jahrhundertelang beſtanden hatte. In den inneren Verhältniſſen wurde grundſätzlich nichts mehr geändert; eine argwöhniſche Polizei hielt jeden Gedanken politiſcher Neuerung, wie vor- mals die Lehren der Ketzer, ſorgfältig darnieder, verhinderte, daß die ge- waltigen nationalen Gegenſätze dieſes vielſprachigen Völkergewimmels zum Selbſtbewußtſein erwachten, ſicherte den Gehorſamen das Phäakenglück eines wachen Traumlebens. Die Thätigkeit der Staatsgewalt war wieder ganz auf die europäiſche Politik gerichtet, und vortrefflich paßte zu dieſem Syſteme der unfruchtbaren Ruheſeligkeit der neue Miniſter des Auswär- tigen, Graf Metternich, der Adonis der Salons, der vielgewandte Meiſter aller kleinen Mittel und Schliche. Er ſelber hat am Ende ſeiner Lauf- bahn die Summe ſeines Lebens gezogen in dem Geſtändniß: ich habe oft Europa regiert, doch niemals Oeſterreich. Im diplomatiſchen Ränkeſpiele ging all ſein Wiſſen und Können auf. Völlig unwiſſend in allen Fragen
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I. 3. Preußens Erhebung.
endlich mit ſeinen Schwarzen eine Zuflucht an Bord engliſcher Schiffe.
Seine treuen Tyroler gab Kaiſer Franz ebenſo gleichmüthig preis, wie
er ſich einſt von den Pflichten des deutſchen Kaiſerthums losgeſagt hatte;
dieſe Volksbewegung war dem mißtrauiſchen Despoten immer verdächtig
geweſen. Die Verrathenen wollten nicht glauben, daß ihr Franz ſie ver-
laſſen könne; wie heilig hatte er doch betheuert, er werde keinen Frieden
unterzeichnen, der das Land des rothen Adlers von der Monarchie trenne!
Sie widerſtanden bis zum Aeußerſten; erſt mit der Hinrichtung Andreas
Hofers fand das unheimliche Trauerſpiel ſeinen Abſchluß. Die Erhebung
der Völker Oeſterreichs verſank in Blut und Koth. Betrogen in ſeinen
ſchönſten Hoffnungen, verekelt an allen Idealen wendete ſich das leicht-
lebige Volk wieder den Freuden des Sinnenlebens zu. Die Erbkrankheit
des modernen Wienerthums, die peſſimiſtiſche Verſtimmung nahm über-
hand; wer mochte noch von Ruhm und Ehre träumen, da die öſterreichi-
ſche Dummheit doch nur zum Unglück beſtimmt war? Nachher brachte
ein ſchmählicher Staatsbankrott Verwirrung und Unredlichkeit in jeden
Haushalt; bei Spiel und Tanz und Praterfahrten vergaß man die Noth
der ſchweren Zeit. Die enttäuſchten Sieger von Aspern erlabten ſich an
den Schmutzgeſchichten der Briefe Eipeldauers; von Fichte, Kleiſt und
Arndt wußten ſie nichts. Der Krieg von 1809 hatte das deutſche Blut
der Oeſterreicher noch einmal in Wallung gebracht; ein Jahr darauf ſtan-
den ſie dem Leben unſerer Nation unzugänglicher, fremder gegenüber als
je zuvor.
So war der Boden bereitet für die Selbſtherrſchaft des Kaiſers
Franz. Der verlogene Biedermann traute ſich jetzt endlich der Weisheit
genug zu um die Zügel des Staates in die eigene Hand zu nehmen;
war er doch immer klüger geweſen als alle die Ideologen, die ihm von
der Freiheit Europas geredet. Mit der Seelenruhe der ſelbſtgewiſſen
Beſchränktheit ſtellte er nun das althabsburgiſche Regierungsſyſtem wieder
her, wie es vor Maria Thereſia jahrhundertelang beſtanden hatte. In
den inneren Verhältniſſen wurde grundſätzlich nichts mehr geändert; eine
argwöhniſche Polizei hielt jeden Gedanken politiſcher Neuerung, wie vor-
mals die Lehren der Ketzer, ſorgfältig darnieder, verhinderte, daß die ge-
waltigen nationalen Gegenſätze dieſes vielſprachigen Völkergewimmels zum
Selbſtbewußtſein erwachten, ſicherte den Gehorſamen das Phäakenglück
eines wachen Traumlebens. Die Thätigkeit der Staatsgewalt war wieder
ganz auf die europäiſche Politik gerichtet, und vortrefflich paßte zu dieſem
Syſteme der unfruchtbaren Ruheſeligkeit der neue Miniſter des Auswär-
tigen, Graf Metternich, der Adonis der Salons, der vielgewandte Meiſter
aller kleinen Mittel und Schliche. Er ſelber hat am Ende ſeiner Lauf-
bahn die Summe ſeines Lebens gezogen in dem Geſtändniß: ich habe oft
Europa regiert, doch niemals Oeſterreich. Im diplomatiſchen Ränkeſpiele
ging all ſein Wiſſen und Können auf. Völlig unwiſſend in allen Fragen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/364>, abgerufen am 23.07.2024.
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