Friedrich Wilhelm noch immer seine kriegerischen Entwürfe fest und ver- sammelte seine Armee in festen Lagern; das Corps Blüchers stand in Pommern bereit auf den ersten Wink gegen die Oderlinie vorzubrechen. Noch einmal (24. Juli) schrieb der wackere Fürst seinem russischen Freunde: der Tag von Wagram habe keine endgiltige Entscheidung gebracht; er- klärten Rußland und Preußen jetzt gleichzeitig den Krieg, so sei die Be- freiung Deutschlands noch immer möglich. Sein Gesandter Schladen bewies dem Czaren in einer eindringlichen Denkschrift: wenn Oesterreich falle, so komme an Rußland die Reihe. Doch Alexander schwieg; erst als der Friede geschlossen war kam eine Antwort aus Petersburg. Wäh- renddem ging Gneisenau in geheimer Sendung nach London und beschwor das britische Cabinet, die bereits ausgerüstete Landungsarmee an die deutsche Küste zu werfen, dann werde sie dem preußischen Heere zur Stütze dienen. George Canning stimmte dem feurigen Deutschen zu; der geniale junge Staatsmann fand damals schon die insularische Politik Alt-Eng- lands engherzig und kleinlich. Doch die Mittelmäßigkeit der anderen Minister hatte nur Augen für das kaufmännische Interesse. Die Expe- dition ging nach den Niederlanden, um für die britische Flotte einen Brückenkopf auf dem Festlande zu gewinnen, und fand vor den Wällen von Antwerpen und in den Sümpfen von Walcheren ein schmähliches Ende. Auch auf Oesterreichs Ausdauer war nicht mehr zu rechnen; man hatte im Hauptquartier die stolzen Pläne vom Frühjahr längst aufgegeben und fühlte sich dem Gegner, der inzwischen abermals an 80,000 Mann Verstärkungen herangezogen, nicht mehr gewachsen.
Napoleon aber vollzog jetzt eine meisterhafte diplomatische Schwenkung. Das alte Kaiserhaus war vorderhand genugsam geschwächt; wenn er mit dem Besiegten sich versöhnte, so konnte er den großen Anschlag gegen Rußland, der dem Unermüdlichen jetzt vor allem Anderen am Herzen lag, ungestört reifen lassen. Seine Haltung ward freundlicher; im Wiener Frieden (14. Octbr.) gewährte er dem Hause Habsburg etwas mildere Be- dingungen als kurz zuvor noch erwartet wurde. Oesterreich mußte zwar seine letzte Position an der Adria, den ganzen Küstensaum bis zur Sau dem Imperator einräumen, im Westen an Baiern, im Nordosten an Warschau umfangreiche Gebiete abtreten, doch ihm blieb seine Großmachtstellung und der Kern seiner Wehrkraft, das Land der Stephanskrone. Baiern erlangte zur Belohnung für treue Rheinbundsdienste den Besitz von Bai- reuth und damit die vollständige Ausführung jenes seit Jahren in Mün- chen emsig betriebenen Tauschplanes: der Kernstaat des Rheinbundes ge- wann für die entlegenen rheinischen Provinzen, wo jetzt Murat hauste, das gesammte preußische Franken.
Der Krieg war zu Ende. Der tapfere Welf durcheilte in verwegenem Zuge das Königreich Westphalen, genoß auf kurze Stunden die herzlichen Begrüßungen des treuen Völkchens in der Stadt seiner Väter und fand
Wiener Friede.
Friedrich Wilhelm noch immer ſeine kriegeriſchen Entwürfe feſt und ver- ſammelte ſeine Armee in feſten Lagern; das Corps Blüchers ſtand in Pommern bereit auf den erſten Wink gegen die Oderlinie vorzubrechen. Noch einmal (24. Juli) ſchrieb der wackere Fürſt ſeinem ruſſiſchen Freunde: der Tag von Wagram habe keine endgiltige Entſcheidung gebracht; er- klärten Rußland und Preußen jetzt gleichzeitig den Krieg, ſo ſei die Be- freiung Deutſchlands noch immer möglich. Sein Geſandter Schladen bewies dem Czaren in einer eindringlichen Denkſchrift: wenn Oeſterreich falle, ſo komme an Rußland die Reihe. Doch Alexander ſchwieg; erſt als der Friede geſchloſſen war kam eine Antwort aus Petersburg. Wäh- renddem ging Gneiſenau in geheimer Sendung nach London und beſchwor das britiſche Cabinet, die bereits ausgerüſtete Landungsarmee an die deutſche Küſte zu werfen, dann werde ſie dem preußiſchen Heere zur Stütze dienen. George Canning ſtimmte dem feurigen Deutſchen zu; der geniale junge Staatsmann fand damals ſchon die inſulariſche Politik Alt-Eng- lands engherzig und kleinlich. Doch die Mittelmäßigkeit der anderen Miniſter hatte nur Augen für das kaufmänniſche Intereſſe. Die Expe- dition ging nach den Niederlanden, um für die britiſche Flotte einen Brückenkopf auf dem Feſtlande zu gewinnen, und fand vor den Wällen von Antwerpen und in den Sümpfen von Walcheren ein ſchmähliches Ende. Auch auf Oeſterreichs Ausdauer war nicht mehr zu rechnen; man hatte im Hauptquartier die ſtolzen Pläne vom Frühjahr längſt aufgegeben und fühlte ſich dem Gegner, der inzwiſchen abermals an 80,000 Mann Verſtärkungen herangezogen, nicht mehr gewachſen.
Napoleon aber vollzog jetzt eine meiſterhafte diplomatiſche Schwenkung. Das alte Kaiſerhaus war vorderhand genugſam geſchwächt; wenn er mit dem Beſiegten ſich verſöhnte, ſo konnte er den großen Anſchlag gegen Rußland, der dem Unermüdlichen jetzt vor allem Anderen am Herzen lag, ungeſtört reifen laſſen. Seine Haltung ward freundlicher; im Wiener Frieden (14. Octbr.) gewährte er dem Hauſe Habsburg etwas mildere Be- dingungen als kurz zuvor noch erwartet wurde. Oeſterreich mußte zwar ſeine letzte Poſition an der Adria, den ganzen Küſtenſaum bis zur Sau dem Imperator einräumen, im Weſten an Baiern, im Nordoſten an Warſchau umfangreiche Gebiete abtreten, doch ihm blieb ſeine Großmachtſtellung und der Kern ſeiner Wehrkraft, das Land der Stephanskrone. Baiern erlangte zur Belohnung für treue Rheinbundsdienſte den Beſitz von Bai- reuth und damit die vollſtändige Ausführung jenes ſeit Jahren in Mün- chen emſig betriebenen Tauſchplanes: der Kernſtaat des Rheinbundes ge- wann für die entlegenen rheiniſchen Provinzen, wo jetzt Murat hauſte, das geſammte preußiſche Franken.
Der Krieg war zu Ende. Der tapfere Welf durcheilte in verwegenem Zuge das Königreich Weſtphalen, genoß auf kurze Stunden die herzlichen Begrüßungen des treuen Völkchens in der Stadt ſeiner Väter und fand
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Wiener Friede.
Friedrich Wilhelm noch immer ſeine kriegeriſchen Entwürfe feſt und ver-
ſammelte ſeine Armee in feſten Lagern; das Corps Blüchers ſtand in
Pommern bereit auf den erſten Wink gegen die Oderlinie vorzubrechen.
Noch einmal (24. Juli) ſchrieb der wackere Fürſt ſeinem ruſſiſchen Freunde:
der Tag von Wagram habe keine endgiltige Entſcheidung gebracht; er-
klärten Rußland und Preußen jetzt gleichzeitig den Krieg, ſo ſei die Be-
freiung Deutſchlands noch immer möglich. Sein Geſandter Schladen
bewies dem Czaren in einer eindringlichen Denkſchrift: wenn Oeſterreich
falle, ſo komme an Rußland die Reihe. Doch Alexander ſchwieg; erſt
als der Friede geſchloſſen war kam eine Antwort aus Petersburg. Wäh-
renddem ging Gneiſenau in geheimer Sendung nach London und beſchwor
das britiſche Cabinet, die bereits ausgerüſtete Landungsarmee an die
deutſche Küſte zu werfen, dann werde ſie dem preußiſchen Heere zur Stütze
dienen. George Canning ſtimmte dem feurigen Deutſchen zu; der geniale
junge Staatsmann fand damals ſchon die inſulariſche Politik Alt-Eng-
lands engherzig und kleinlich. Doch die Mittelmäßigkeit der anderen
Miniſter hatte nur Augen für das kaufmänniſche Intereſſe. Die Expe-
dition ging nach den Niederlanden, um für die britiſche Flotte einen
Brückenkopf auf dem Feſtlande zu gewinnen, und fand vor den Wällen
von Antwerpen und in den Sümpfen von Walcheren ein ſchmähliches
Ende. Auch auf Oeſterreichs Ausdauer war nicht mehr zu rechnen; man
hatte im Hauptquartier die ſtolzen Pläne vom Frühjahr längſt aufgegeben
und fühlte ſich dem Gegner, der inzwiſchen abermals an 80,000 Mann
Verſtärkungen herangezogen, nicht mehr gewachſen.
Napoleon aber vollzog jetzt eine meiſterhafte diplomatiſche Schwenkung.
Das alte Kaiſerhaus war vorderhand genugſam geſchwächt; wenn er mit
dem Beſiegten ſich verſöhnte, ſo konnte er den großen Anſchlag gegen
Rußland, der dem Unermüdlichen jetzt vor allem Anderen am Herzen
lag, ungeſtört reifen laſſen. Seine Haltung ward freundlicher; im Wiener
Frieden (14. Octbr.) gewährte er dem Hauſe Habsburg etwas mildere Be-
dingungen als kurz zuvor noch erwartet wurde. Oeſterreich mußte zwar
ſeine letzte Poſition an der Adria, den ganzen Küſtenſaum bis zur Sau dem
Imperator einräumen, im Weſten an Baiern, im Nordoſten an Warſchau
umfangreiche Gebiete abtreten, doch ihm blieb ſeine Großmachtſtellung
und der Kern ſeiner Wehrkraft, das Land der Stephanskrone. Baiern
erlangte zur Belohnung für treue Rheinbundsdienſte den Beſitz von Bai-
reuth und damit die vollſtändige Ausführung jenes ſeit Jahren in Mün-
chen emſig betriebenen Tauſchplanes: der Kernſtaat des Rheinbundes ge-
wann für die entlegenen rheiniſchen Provinzen, wo jetzt Murat hauſte,
das geſammte preußiſche Franken.
Der Krieg war zu Ende. Der tapfere Welf durcheilte in verwegenem
Zuge das Königreich Weſtphalen, genoß auf kurze Stunden die herzlichen
Begrüßungen des treuen Völkchens in der Stadt ſeiner Väter und fand
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/363>, abgerufen am 16.02.2025.
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