der Oesterreicher an der oberen Donau; das unsinnige Unternehmen scheiterte schon im Beginne, von einem großen Volksaufstande war jetzt keine Rede mehr. Der König ließ nicht nur, wie seine Pflicht gebot, den Ernst des Gesetzes gegen die Deserteure in Kraft treten, er sprach auch in scharfen Worten seine Entrüstung aus über Schills "unglaubliche That" -- mit vollem Rechte, denn was stand noch fest in dem unglücklichen Staate, wenn der Gehorsam des Heeres ins Wanken kam? Die ver- wegene Schaar fand nach planlosen Kreuz- und Querzügen einen ehren- vollen Untergang in den Mauern von Stralsund, und Napoleon that das Seine um das Andenken dieser verlorenen Söhne des deutschen Volkes zu heiligen. Welch ein Eindruck, da man vernahm, daß der Leiche Schills der Kopf abgeschnitten, seine gefangenen Offiziere -- allerdings nach dem Buchstaben des Völkerrechts -- als Straßenräuber behandelt und theils erschossen, theils auf die Galeeren geschleppt wurden! Tausende wiederholten tief empört die Strophen Schenkendorfs:
Stahl von Männerfaust geschwungen rettet einzig dies Geschlecht!
Auch den König drängte die Stimme des Herzens zur Theilnahme an dem Kampfe. Er war entschlossen zu schlagen, doch er blieb nüchtern inmitten des allgemeinen Fiebers, das Bewußtsein einer ungeheuren Ver- antwortung lastete schwer auf seiner Seele; denn zog er diesmal vergeb- lich das Schwert, so war Preußen vernichtet -- nach menschlichem Er- messen für immer. Die Tollkühnheit einer Kriegserklärung, während der Feind wohlgerüstet in Danzig und Magdeburg stand und durch die Garni- sonen der Oderlinie das Staatsgebiet mittendurch zerschnitt -- dies furcht- bare Wagniß war ein Unrecht, wenn sich nicht zum mindesten eine Möglichkeit des Erfolges zeigte. Friedrich Wilhelm wollte nicht zum zweiten male, wie in den Tagen von Austerlitz, durch Oesterreichs Wan- kelmuth der Rache des Siegers preisgegeben werden; er verlangte Bürg- schaften, daß Kaiser Franz den Krieg auch nach Mißerfolgen fortführe bis Preußen im Stande sei in den Kampf einzugreifen. Er forderte ferner Geld und Waffen von England sowie die Landung eines britischen Corps in Deutschland. Sein Staat war von allen Mitteln entblößt. Um nur etwas für die Rüstungen thun zu können hatte man schon, un- vorsichtig genug, die vertragsmäßigen Contributionszahlungen an Frank- reich eingestellt; und wie sollte die kleine Armee, in Schach gehalten wie sie war durch die Festungen des Feindes, sich im Felde behaupten, wenn sie nicht einen Rückhalt an der Küste fand? Das Allerwichtigste blieb doch die Gefahr, die von Rußland, dem Verbündeten Frankreichs, drohte; nur wenn er gegen den Osten gesichert war, schien dem Könige das Unter- nehmen nicht völlig aussichtslos. Napoleon durchschaute sehr wohl die verzweifelte Lage seines geheimen Gegners und meinte gleichmüthig:
I. 3. Preußens Erhebung.
der Oeſterreicher an der oberen Donau; das unſinnige Unternehmen ſcheiterte ſchon im Beginne, von einem großen Volksaufſtande war jetzt keine Rede mehr. Der König ließ nicht nur, wie ſeine Pflicht gebot, den Ernſt des Geſetzes gegen die Deſerteure in Kraft treten, er ſprach auch in ſcharfen Worten ſeine Entrüſtung aus über Schills „unglaubliche That“ — mit vollem Rechte, denn was ſtand noch feſt in dem unglücklichen Staate, wenn der Gehorſam des Heeres ins Wanken kam? Die ver- wegene Schaar fand nach planloſen Kreuz- und Querzügen einen ehren- vollen Untergang in den Mauern von Stralſund, und Napoleon that das Seine um das Andenken dieſer verlorenen Söhne des deutſchen Volkes zu heiligen. Welch ein Eindruck, da man vernahm, daß der Leiche Schills der Kopf abgeſchnitten, ſeine gefangenen Offiziere — allerdings nach dem Buchſtaben des Völkerrechts — als Straßenräuber behandelt und theils erſchoſſen, theils auf die Galeeren geſchleppt wurden! Tauſende wiederholten tief empört die Strophen Schenkendorfs:
Stahl von Männerfauſt geſchwungen rettet einzig dies Geſchlecht!
Auch den König drängte die Stimme des Herzens zur Theilnahme an dem Kampfe. Er war entſchloſſen zu ſchlagen, doch er blieb nüchtern inmitten des allgemeinen Fiebers, das Bewußtſein einer ungeheuren Ver- antwortung laſtete ſchwer auf ſeiner Seele; denn zog er diesmal vergeb- lich das Schwert, ſo war Preußen vernichtet — nach menſchlichem Er- meſſen für immer. Die Tollkühnheit einer Kriegserklärung, während der Feind wohlgerüſtet in Danzig und Magdeburg ſtand und durch die Garni- ſonen der Oderlinie das Staatsgebiet mittendurch zerſchnitt — dies furcht- bare Wagniß war ein Unrecht, wenn ſich nicht zum mindeſten eine Möglichkeit des Erfolges zeigte. Friedrich Wilhelm wollte nicht zum zweiten male, wie in den Tagen von Auſterlitz, durch Oeſterreichs Wan- kelmuth der Rache des Siegers preisgegeben werden; er verlangte Bürg- ſchaften, daß Kaiſer Franz den Krieg auch nach Mißerfolgen fortführe bis Preußen im Stande ſei in den Kampf einzugreifen. Er forderte ferner Geld und Waffen von England ſowie die Landung eines britiſchen Corps in Deutſchland. Sein Staat war von allen Mitteln entblößt. Um nur etwas für die Rüſtungen thun zu können hatte man ſchon, un- vorſichtig genug, die vertragsmäßigen Contributionszahlungen an Frank- reich eingeſtellt; und wie ſollte die kleine Armee, in Schach gehalten wie ſie war durch die Feſtungen des Feindes, ſich im Felde behaupten, wenn ſie nicht einen Rückhalt an der Küſte fand? Das Allerwichtigſte blieb doch die Gefahr, die von Rußland, dem Verbündeten Frankreichs, drohte; nur wenn er gegen den Oſten geſichert war, ſchien dem Könige das Unter- nehmen nicht völlig ausſichtslos. Napoleon durchſchaute ſehr wohl die verzweifelte Lage ſeines geheimen Gegners und meinte gleichmüthig:
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I. 3. Preußens Erhebung.
der Oeſterreicher an der oberen Donau; das unſinnige Unternehmen
ſcheiterte ſchon im Beginne, von einem großen Volksaufſtande war jetzt
keine Rede mehr. Der König ließ nicht nur, wie ſeine Pflicht gebot, den
Ernſt des Geſetzes gegen die Deſerteure in Kraft treten, er ſprach auch in
ſcharfen Worten ſeine Entrüſtung aus über Schills „unglaubliche That“
— mit vollem Rechte, denn was ſtand noch feſt in dem unglücklichen
Staate, wenn der Gehorſam des Heeres ins Wanken kam? Die ver-
wegene Schaar fand nach planloſen Kreuz- und Querzügen einen ehren-
vollen Untergang in den Mauern von Stralſund, und Napoleon that das
Seine um das Andenken dieſer verlorenen Söhne des deutſchen Volkes
zu heiligen. Welch ein Eindruck, da man vernahm, daß der Leiche
Schills der Kopf abgeſchnitten, ſeine gefangenen Offiziere — allerdings
nach dem Buchſtaben des Völkerrechts — als Straßenräuber behandelt
und theils erſchoſſen, theils auf die Galeeren geſchleppt wurden! Tauſende
wiederholten tief empört die Strophen Schenkendorfs:
Stahl von Männerfauſt geſchwungen
rettet einzig dies Geſchlecht!
Auch den König drängte die Stimme des Herzens zur Theilnahme
an dem Kampfe. Er war entſchloſſen zu ſchlagen, doch er blieb nüchtern
inmitten des allgemeinen Fiebers, das Bewußtſein einer ungeheuren Ver-
antwortung laſtete ſchwer auf ſeiner Seele; denn zog er diesmal vergeb-
lich das Schwert, ſo war Preußen vernichtet — nach menſchlichem Er-
meſſen für immer. Die Tollkühnheit einer Kriegserklärung, während der
Feind wohlgerüſtet in Danzig und Magdeburg ſtand und durch die Garni-
ſonen der Oderlinie das Staatsgebiet mittendurch zerſchnitt — dies furcht-
bare Wagniß war ein Unrecht, wenn ſich nicht zum mindeſten eine
Möglichkeit des Erfolges zeigte. Friedrich Wilhelm wollte nicht zum
zweiten male, wie in den Tagen von Auſterlitz, durch Oeſterreichs Wan-
kelmuth der Rache des Siegers preisgegeben werden; er verlangte Bürg-
ſchaften, daß Kaiſer Franz den Krieg auch nach Mißerfolgen fortführe
bis Preußen im Stande ſei in den Kampf einzugreifen. Er forderte
ferner Geld und Waffen von England ſowie die Landung eines britiſchen
Corps in Deutſchland. Sein Staat war von allen Mitteln entblößt.
Um nur etwas für die Rüſtungen thun zu können hatte man ſchon, un-
vorſichtig genug, die vertragsmäßigen Contributionszahlungen an Frank-
reich eingeſtellt; und wie ſollte die kleine Armee, in Schach gehalten wie
ſie war durch die Feſtungen des Feindes, ſich im Felde behaupten, wenn
ſie nicht einen Rückhalt an der Küſte fand? Das Allerwichtigſte blieb
doch die Gefahr, die von Rußland, dem Verbündeten Frankreichs, drohte;
nur wenn er gegen den Oſten geſichert war, ſchien dem Könige das Unter-
nehmen nicht völlig ausſichtslos. Napoleon durchſchaute ſehr wohl die
verzweifelte Lage ſeines geheimen Gegners und meinte gleichmüthig:
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/360>, abgerufen am 25.11.2024.
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