Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.Verhandlungen über die allgemeine Wehrpflicht. handlungen noch immer kein Ende: die Garnisonen in den Oderplätzenwaren weit stärker als im Vertrage ausbedungen worden und erzwangen auf Befehl des Imperators eine Reihe völlig widerrechtlicher Leistungen und Lieferungen, so daß dem Lande in den drei Jahren nach dem Abzuge der großen Armee noch 103/4 Mill. Fr. vertragswidrig abgepreßt wurden.*) Die Monarchie konnte, wie einst Frankreich vor dem Ausbruche der Re- volution, dem Bankrott nur entgehen, wenn eine radicale Umgestaltung des gesammten Finanzwesens die Steuerkraft der höheren Stände zu den Staatslasten heranzog. Altenstein aber befürchtete, daß neue Steuern das verarmte Volk erdrücken würden. Er suchte zu helfen durch einige Domänen-Verkäufe, durch eine freiwillige Zwangsanleihe, durch einen hohen Stempel auf Juwelen, Gold- und Silbergeräthe. Alles umsonst; und so oft man im Auslande ein Anlehen abzuschließen dachte, wurden die Versuche der preußischen Agenten durch die Diplomatie Napoleons durchkreuzt. Der Finanzminister erklärte endlich verzweifelnd im Namen seiner Amtsgenossen, so lange diese Bedrängniß des Staatshaushaltes währe sei an innere Reformen nicht zu denken. Die Regierung gerieth allmählich wieder in denselben Zustand wohlwollender Unthätigkeit, wie vor der Jenaer Schlacht; und der Stillstand war jetzt um Vieles gefähr- licher, zumal da neuerdings eine verhängnißvolle Unsitte einriß, die nach- her unter Hardenbergs Regimente noch zunahm. Während früherhin der Gesetzgeber, wie seines Amtes ist, einfach befohlen hatte, wurde es in den neuen Gesetzen üblich, allerhand Reformen für die Zukunft in Aussicht zu stellen, Versprechen zu geben, deren Tragweite Niemand übersah; um so schlimmer nachher die Enttäuschung, wenn man die Verheißungen nicht halten konnte. Nur in zwei Zweigen der Verwaltung blieb der große Sinn der *) Nach der Rechnung des Finanzministeriums, welche W. v. Humboldt im Früh-
jahr 1814 zu Paris den Großmächten überreichte. (Humboldts Bericht an Hardenberg 20. Mai 1814.) Verhandlungen über die allgemeine Wehrpflicht. handlungen noch immer kein Ende: die Garniſonen in den Oderplätzenwaren weit ſtärker als im Vertrage ausbedungen worden und erzwangen auf Befehl des Imperators eine Reihe völlig widerrechtlicher Leiſtungen und Lieferungen, ſo daß dem Lande in den drei Jahren nach dem Abzuge der großen Armee noch 10¾ Mill. Fr. vertragswidrig abgepreßt wurden.*) Die Monarchie konnte, wie einſt Frankreich vor dem Ausbruche der Re- volution, dem Bankrott nur entgehen, wenn eine radicale Umgeſtaltung des geſammten Finanzweſens die Steuerkraft der höheren Stände zu den Staatslaſten heranzog. Altenſtein aber befürchtete, daß neue Steuern das verarmte Volk erdrücken würden. Er ſuchte zu helfen durch einige Domänen-Verkäufe, durch eine freiwillige Zwangsanleihe, durch einen hohen Stempel auf Juwelen, Gold- und Silbergeräthe. Alles umſonſt; und ſo oft man im Auslande ein Anlehen abzuſchließen dachte, wurden die Verſuche der preußiſchen Agenten durch die Diplomatie Napoleons durchkreuzt. Der Finanzminiſter erklärte endlich verzweifelnd im Namen ſeiner Amtsgenoſſen, ſo lange dieſe Bedrängniß des Staatshaushaltes währe ſei an innere Reformen nicht zu denken. Die Regierung gerieth allmählich wieder in denſelben Zuſtand wohlwollender Unthätigkeit, wie vor der Jenaer Schlacht; und der Stillſtand war jetzt um Vieles gefähr- licher, zumal da neuerdings eine verhängnißvolle Unſitte einriß, die nach- her unter Hardenbergs Regimente noch zunahm. Während früherhin der Geſetzgeber, wie ſeines Amtes iſt, einfach befohlen hatte, wurde es in den neuen Geſetzen üblich, allerhand Reformen für die Zukunft in Ausſicht zu ſtellen, Verſprechen zu geben, deren Tragweite Niemand überſah; um ſo ſchlimmer nachher die Enttäuſchung, wenn man die Verheißungen nicht halten konnte. Nur in zwei Zweigen der Verwaltung blieb der große Sinn der *) Nach der Rechnung des Finanzminiſteriums, welche W. v. Humboldt im Früh-
jahr 1814 zu Paris den Großmächten überreichte. (Humboldts Bericht an Hardenberg 20. Mai 1814.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0349" n="333"/><fw place="top" type="header">Verhandlungen über die allgemeine Wehrpflicht.</fw><lb/> handlungen noch immer kein Ende: die Garniſonen in den Oderplätzen<lb/> waren weit ſtärker als im Vertrage ausbedungen worden und erzwangen<lb/> auf Befehl des Imperators eine Reihe völlig widerrechtlicher Leiſtungen<lb/> und Lieferungen, ſo daß dem Lande in den drei Jahren nach dem Abzuge<lb/> der großen Armee noch 10¾ Mill. Fr. vertragswidrig abgepreßt wurden.<note place="foot" n="*)">Nach der Rechnung des Finanzminiſteriums, welche W. v. Humboldt im Früh-<lb/> jahr 1814 zu Paris den Großmächten überreichte. (Humboldts Bericht an Hardenberg<lb/> 20. Mai 1814.)</note><lb/> Die Monarchie konnte, wie einſt Frankreich vor dem Ausbruche der Re-<lb/> volution, dem Bankrott nur entgehen, wenn eine radicale Umgeſtaltung<lb/> des geſammten Finanzweſens die Steuerkraft der höheren Stände zu den<lb/> Staatslaſten heranzog. Altenſtein aber befürchtete, daß neue Steuern<lb/> das verarmte Volk erdrücken würden. Er ſuchte zu helfen durch einige<lb/> Domänen-Verkäufe, durch eine freiwillige Zwangsanleihe, durch einen<lb/> hohen Stempel auf Juwelen, Gold- und Silbergeräthe. Alles umſonſt;<lb/> und ſo oft man im Auslande ein Anlehen abzuſchließen dachte, wurden<lb/> die Verſuche der preußiſchen Agenten durch die Diplomatie Napoleons<lb/> durchkreuzt. Der Finanzminiſter erklärte endlich verzweifelnd im Namen<lb/> ſeiner Amtsgenoſſen, ſo lange dieſe Bedrängniß des Staatshaushaltes<lb/> währe ſei an innere Reformen nicht zu denken. Die Regierung gerieth<lb/> allmählich wieder in denſelben Zuſtand wohlwollender Unthätigkeit, wie<lb/> vor der Jenaer Schlacht; und der Stillſtand war jetzt um Vieles gefähr-<lb/> licher, zumal da neuerdings eine verhängnißvolle Unſitte einriß, die nach-<lb/> her unter Hardenbergs Regimente noch zunahm. Während früherhin der<lb/> Geſetzgeber, wie ſeines Amtes iſt, einfach befohlen hatte, wurde es in den<lb/> neuen Geſetzen üblich, allerhand Reformen für die Zukunft in Ausſicht<lb/> zu ſtellen, Verſprechen zu geben, deren Tragweite Niemand überſah; um<lb/> ſo ſchlimmer nachher die Enttäuſchung, wenn man die Verheißungen<lb/> nicht halten konnte.</p><lb/> <p>Nur in zwei Zweigen der Verwaltung blieb der große Sinn der<lb/> Stein’ſchen Tage noch lebendig: in der Armee und im Unterrichtsweſen.<lb/> Die Wiederherſtellung des Heeres ſchritt unter Scharnhorſts Leitung rüſtig<lb/> fort, und das Miniſterium ließ den unermüdlichen Organiſator gewähren.<lb/> Als er aber endlich mit ſeinen letzten und liebſten Gedanken heraustrat<lb/> und im Februar 1810 ein Conſcriptions-Geſetz vorlegte, das jeden vom<lb/> Looſe Getroffenen ohne Unterſchied zum perſönlichen Dienſte verpflichtete,<lb/> da entſpann ſich im Schooße der Regierung ein denkwürdiger Streit um<lb/> die Grundgedanken der modernen deutſchen Heeresverfaſſung. Dort der<lb/> alte ehrenwerthe Eifer des Civilbeamtenthums für die Schonung der volks-<lb/> wirthſchaftlichen Kräfte; hier ein großherziger politiſcher Idealismus, der die<lb/> ſittliche Bedeutung des Heerweſens höher anſchlug als nationalökonomiſche<lb/> Bedenken. Der Finanzminiſter fürchtete, die Einführung der allgemeinen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [333/0349]
Verhandlungen über die allgemeine Wehrpflicht.
handlungen noch immer kein Ende: die Garniſonen in den Oderplätzen
waren weit ſtärker als im Vertrage ausbedungen worden und erzwangen
auf Befehl des Imperators eine Reihe völlig widerrechtlicher Leiſtungen
und Lieferungen, ſo daß dem Lande in den drei Jahren nach dem Abzuge
der großen Armee noch 10¾ Mill. Fr. vertragswidrig abgepreßt wurden. *)
Die Monarchie konnte, wie einſt Frankreich vor dem Ausbruche der Re-
volution, dem Bankrott nur entgehen, wenn eine radicale Umgeſtaltung
des geſammten Finanzweſens die Steuerkraft der höheren Stände zu den
Staatslaſten heranzog. Altenſtein aber befürchtete, daß neue Steuern
das verarmte Volk erdrücken würden. Er ſuchte zu helfen durch einige
Domänen-Verkäufe, durch eine freiwillige Zwangsanleihe, durch einen
hohen Stempel auf Juwelen, Gold- und Silbergeräthe. Alles umſonſt;
und ſo oft man im Auslande ein Anlehen abzuſchließen dachte, wurden
die Verſuche der preußiſchen Agenten durch die Diplomatie Napoleons
durchkreuzt. Der Finanzminiſter erklärte endlich verzweifelnd im Namen
ſeiner Amtsgenoſſen, ſo lange dieſe Bedrängniß des Staatshaushaltes
währe ſei an innere Reformen nicht zu denken. Die Regierung gerieth
allmählich wieder in denſelben Zuſtand wohlwollender Unthätigkeit, wie
vor der Jenaer Schlacht; und der Stillſtand war jetzt um Vieles gefähr-
licher, zumal da neuerdings eine verhängnißvolle Unſitte einriß, die nach-
her unter Hardenbergs Regimente noch zunahm. Während früherhin der
Geſetzgeber, wie ſeines Amtes iſt, einfach befohlen hatte, wurde es in den
neuen Geſetzen üblich, allerhand Reformen für die Zukunft in Ausſicht
zu ſtellen, Verſprechen zu geben, deren Tragweite Niemand überſah; um
ſo ſchlimmer nachher die Enttäuſchung, wenn man die Verheißungen
nicht halten konnte.
Nur in zwei Zweigen der Verwaltung blieb der große Sinn der
Stein’ſchen Tage noch lebendig: in der Armee und im Unterrichtsweſen.
Die Wiederherſtellung des Heeres ſchritt unter Scharnhorſts Leitung rüſtig
fort, und das Miniſterium ließ den unermüdlichen Organiſator gewähren.
Als er aber endlich mit ſeinen letzten und liebſten Gedanken heraustrat
und im Februar 1810 ein Conſcriptions-Geſetz vorlegte, das jeden vom
Looſe Getroffenen ohne Unterſchied zum perſönlichen Dienſte verpflichtete,
da entſpann ſich im Schooße der Regierung ein denkwürdiger Streit um
die Grundgedanken der modernen deutſchen Heeresverfaſſung. Dort der
alte ehrenwerthe Eifer des Civilbeamtenthums für die Schonung der volks-
wirthſchaftlichen Kräfte; hier ein großherziger politiſcher Idealismus, der die
ſittliche Bedeutung des Heerweſens höher anſchlug als nationalökonomiſche
Bedenken. Der Finanzminiſter fürchtete, die Einführung der allgemeinen
*) Nach der Rechnung des Finanzminiſteriums, welche W. v. Humboldt im Früh-
jahr 1814 zu Paris den Großmächten überreichte. (Humboldts Bericht an Hardenberg
20. Mai 1814.)
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