der neuen strafferen Organisation der Behörden; die Potsdamer Regie- rung beantragte mit vollem Rechte eine gründliche Umgestaltung der Pro- vinziallandtage und vor Allem "Ausschließung der Stände von aller Ad- ministration".*) Der alte Kampf zwischen der monarchischen Staatseinheit und dem altständischen Particularismus entbrannte von Neuem, und Graf Dohna fühlte sich durch das leidenschaftliche Treiben der Privilegirten so entmuthigt, daß er am Ende seiner Ministerlaufbahn rundweg aus- sprach: eine Reichsständeversammlung in solcher Lage wäre das Verderben des königlichen Hauses. In keinem Lande Europas, schloß er bitter, seien Sinn und Bildung für höhere Staatsangelegenheiten, überhaupt alle einem tüchtigen Repräsentanten nöthigen Eigenschaften so unerhört selten wie in Preußen; dagegen fänden sich auch in keinem anderen Lande so viele vortreffliche Kräfte für das Detail der Geschäfte.**)
Allerdings war die Zeit für die Einführung constitutioneller Staats- formen noch nicht gekommen. Ein preußischer Reichstag, jetzt berufen, drohte Steins ganzes Werk wieder in Frage zu stellen, zumal da der Freiherr selber nicht mehr mit der Wucht seiner Persönlichkeit für die Reform ein- treten konnte. Unvermeidlich mußten in einer solchen Ständeversammlung die unzufriedenen Großgrundbesitzer den Ausschlag geben, und auch das Bürgerthum bot den reformatorischen Absichten des Königs keinen sichern Rückhalt. Die Zünftler in den Städten fühlten schnell heraus, daß die Krone der Einführung der Gewerbefreiheit zusteuerte, und hielten um so zäher ihre alten Vorrechte fest; wiederholt mußte die kurmärkische Regierung gegen die Magistrate von Berlin und Potsdam einschreiten, wenn diese die halb vergessenen alten Strafmandate gegen Pfuscher und Auswärtige wieder anzuwenden versuchten. Aber der neue Minister verstand auch nicht einmal jenen Sinn für das Detail der Geschäfte zu benutzen, den er selber seinen Landsleuten nachrühmte. Vinckes Entwürfe für eine neue Landgemeinde- ordnung blieben unbenutzt und für die Beseitigung der gutsherrlichen Polizei geschah gar nichts. Auch der Justizminister Beyme, der neuerdings ganz im Sinne der Reformpartei zu reden pflegte, brachte nichts weiter zu Stande, als daß er den alten Unterschied der adlichen und der ge- lehrten Bank in den obersten Gerichtshöfen endlich aufhob; an die Patri- monialgerichte wagte er sich nicht heran, trotz der Mahnungen des Königs.
Und wie konnte vollends der ängstliche, stillfleißige Gelehrte Altenstein Ordnung bringen in das Chaos der Finanzen? Er sollte außer den ordent- lichen Staatsausgaben monatlich 4 Mill. Fr. von der Contribution ab- zahlen, dazu die Schulden der letzten zwei Jahre, deren Höhe man noch gar nicht recht übersah, verzinsen, endlich Napoleons Truppen in den Oderfestungen versorgen. Und der unversöhnliche Feind fand der Miß-
*) Bericht der Potsdamer Regierung v. 6. Dec. 1809.
**) Dohna an Hardenberg, 22. Aug. 1810.
I. 3. Preußens Erhebung.
der neuen ſtrafferen Organiſation der Behörden; die Potsdamer Regie- rung beantragte mit vollem Rechte eine gründliche Umgeſtaltung der Pro- vinziallandtage und vor Allem „Ausſchließung der Stände von aller Ad- miniſtration“.*) Der alte Kampf zwiſchen der monarchiſchen Staatseinheit und dem altſtändiſchen Particularismus entbrannte von Neuem, und Graf Dohna fühlte ſich durch das leidenſchaftliche Treiben der Privilegirten ſo entmuthigt, daß er am Ende ſeiner Miniſterlaufbahn rundweg aus- ſprach: eine Reichsſtändeverſammlung in ſolcher Lage wäre das Verderben des königlichen Hauſes. In keinem Lande Europas, ſchloß er bitter, ſeien Sinn und Bildung für höhere Staatsangelegenheiten, überhaupt alle einem tüchtigen Repräſentanten nöthigen Eigenſchaften ſo unerhört ſelten wie in Preußen; dagegen fänden ſich auch in keinem anderen Lande ſo viele vortreffliche Kräfte für das Detail der Geſchäfte.**)
Allerdings war die Zeit für die Einführung conſtitutioneller Staats- formen noch nicht gekommen. Ein preußiſcher Reichstag, jetzt berufen, drohte Steins ganzes Werk wieder in Frage zu ſtellen, zumal da der Freiherr ſelber nicht mehr mit der Wucht ſeiner Perſönlichkeit für die Reform ein- treten konnte. Unvermeidlich mußten in einer ſolchen Ständeverſammlung die unzufriedenen Großgrundbeſitzer den Ausſchlag geben, und auch das Bürgerthum bot den reformatoriſchen Abſichten des Königs keinen ſichern Rückhalt. Die Zünftler in den Städten fühlten ſchnell heraus, daß die Krone der Einführung der Gewerbefreiheit zuſteuerte, und hielten um ſo zäher ihre alten Vorrechte feſt; wiederholt mußte die kurmärkiſche Regierung gegen die Magiſtrate von Berlin und Potsdam einſchreiten, wenn dieſe die halb vergeſſenen alten Strafmandate gegen Pfuſcher und Auswärtige wieder anzuwenden verſuchten. Aber der neue Miniſter verſtand auch nicht einmal jenen Sinn für das Detail der Geſchäfte zu benutzen, den er ſelber ſeinen Landsleuten nachrühmte. Vinckes Entwürfe für eine neue Landgemeinde- ordnung blieben unbenutzt und für die Beſeitigung der gutsherrlichen Polizei geſchah gar nichts. Auch der Juſtizminiſter Beyme, der neuerdings ganz im Sinne der Reformpartei zu reden pflegte, brachte nichts weiter zu Stande, als daß er den alten Unterſchied der adlichen und der ge- lehrten Bank in den oberſten Gerichtshöfen endlich aufhob; an die Patri- monialgerichte wagte er ſich nicht heran, trotz der Mahnungen des Königs.
Und wie konnte vollends der ängſtliche, ſtillfleißige Gelehrte Altenſtein Ordnung bringen in das Chaos der Finanzen? Er ſollte außer den ordent- lichen Staatsausgaben monatlich 4 Mill. Fr. von der Contribution ab- zahlen, dazu die Schulden der letzten zwei Jahre, deren Höhe man noch gar nicht recht überſah, verzinſen, endlich Napoleons Truppen in den Oderfeſtungen verſorgen. Und der unverſöhnliche Feind fand der Miß-
*) Bericht der Potsdamer Regierung v. 6. Dec. 1809.
**) Dohna an Hardenberg, 22. Aug. 1810.
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rung beantragte mit vollem Rechte eine gründliche Umgeſtaltung der Pro-
vinziallandtage und vor Allem „Ausſchließung der Stände von aller Ad-
miniſtration“. *) Der alte Kampf zwiſchen der monarchiſchen Staatseinheit
und dem altſtändiſchen Particularismus entbrannte von Neuem, und
Graf Dohna fühlte ſich durch das leidenſchaftliche Treiben der Privilegirten
ſo entmuthigt, daß er am Ende ſeiner Miniſterlaufbahn rundweg aus-
ſprach: eine Reichsſtändeverſammlung in ſolcher Lage wäre das Verderben
des königlichen Hauſes. In keinem Lande Europas, ſchloß er bitter, ſeien
Sinn und Bildung für höhere Staatsangelegenheiten, überhaupt alle
einem tüchtigen Repräſentanten nöthigen Eigenſchaften ſo unerhört ſelten
wie in Preußen; dagegen fänden ſich auch in keinem anderen Lande ſo
viele vortreffliche Kräfte für das Detail der Geſchäfte. **)
Allerdings war die Zeit für die Einführung conſtitutioneller Staats-
formen noch nicht gekommen. Ein preußiſcher Reichstag, jetzt berufen, drohte
Steins ganzes Werk wieder in Frage zu ſtellen, zumal da der Freiherr
ſelber nicht mehr mit der Wucht ſeiner Perſönlichkeit für die Reform ein-
treten konnte. Unvermeidlich mußten in einer ſolchen Ständeverſammlung
die unzufriedenen Großgrundbeſitzer den Ausſchlag geben, und auch das
Bürgerthum bot den reformatoriſchen Abſichten des Königs keinen ſichern
Rückhalt. Die Zünftler in den Städten fühlten ſchnell heraus, daß die
Krone der Einführung der Gewerbefreiheit zuſteuerte, und hielten um ſo
zäher ihre alten Vorrechte feſt; wiederholt mußte die kurmärkiſche Regierung
gegen die Magiſtrate von Berlin und Potsdam einſchreiten, wenn dieſe die
halb vergeſſenen alten Strafmandate gegen Pfuſcher und Auswärtige wieder
anzuwenden verſuchten. Aber der neue Miniſter verſtand auch nicht einmal
jenen Sinn für das Detail der Geſchäfte zu benutzen, den er ſelber ſeinen
Landsleuten nachrühmte. Vinckes Entwürfe für eine neue Landgemeinde-
ordnung blieben unbenutzt und für die Beſeitigung der gutsherrlichen
Polizei geſchah gar nichts. Auch der Juſtizminiſter Beyme, der neuerdings
ganz im Sinne der Reformpartei zu reden pflegte, brachte nichts weiter
zu Stande, als daß er den alten Unterſchied der adlichen und der ge-
lehrten Bank in den oberſten Gerichtshöfen endlich aufhob; an die Patri-
monialgerichte wagte er ſich nicht heran, trotz der Mahnungen des Königs.
Und wie konnte vollends der ängſtliche, ſtillfleißige Gelehrte Altenſtein
Ordnung bringen in das Chaos der Finanzen? Er ſollte außer den ordent-
lichen Staatsausgaben monatlich 4 Mill. Fr. von der Contribution ab-
zahlen, dazu die Schulden der letzten zwei Jahre, deren Höhe man noch
gar nicht recht überſah, verzinſen, endlich Napoleons Truppen in den
Oderfeſtungen verſorgen. Und der unverſöhnliche Feind fand der Miß-
*) Bericht der Potsdamer Regierung v. 6. Dec. 1809.
**) Dohna an Hardenberg, 22. Aug. 1810.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/348>, abgerufen am 22.11.2024.
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