stände, damit man noch einige Frist gewinne. Aber die Hofburg versagte sich, und was sollte ein Aufschub frommen, da die Franzosen noch im Lande standen und jede feindselige Regung sofort niederwerfen konnten? Der König that das Nothwendige, als er endlich schweren Herzens den Vertrag genehmigte. Der zögernde, behutsame Abmarsch der französischen Truppen zeigte von Neuem, wessen sich Napoleon von dem verhaßten Preußen versah; seine Kriegsgefangenen gab er erst zu Anfang 1809 frei. Nun war auch Stein nicht mehr zu halten; am 24. November nahm er seine Entlassung. Die kleine französische Partei am Hofe, der ängstliche alte Köckeritz und die Hochconservativen athmeten auf als der kühne Re- former schied; doch nicht diesen innern Feinden war er erlegen, sondern allein dem Machtworte Napoleons. Friedrich Wilhelm hatte das Aeußerste gewagt, als er den Minister noch ein Vierteljahr lang gegen die Drohungen des Imperators beschützte. Stein selber warf sich späterhin vor, daß er nicht schon früher seinen unhaltbaren Posten verlassen habe, und Harden- berg schrieb bitter: welche Verblendung, daß ein Mann von Geist glau- ben konnte, dieser abscheuliche Brief würde ihm je verziehen werden! *)
In einem von Schoen entworfenen Abschiedsschreiben erinnerte der Entlassene seine Beamten noch einmal an alle die gewaltigen Neuerungen dieses reichen Jahres -- "der unerschütterliche Pfeiler jedes Thrones, der Wille freier Menschen ist gegründet" -- und bezeichnete sodann in großen Zügen was Noth thue: vor Allem die Aufhebung der gutsherr- lichen Gewalt und die Einführung der Reichsstände -- "jeder active Staatsbürger habe ein Recht zur Repräsentation." Stein unterzeichnete ungern, er liebte weder die großen Worte noch die unbestimmten Allge- meinheiten. Doch gerade die doktrinäre Fassung dieses Aktenstücks gefiel nachher einem Zeitalter der liberalen Systemsucht; während die Welt die eigensten Ideen des großen Reformers, die Gedanken der Selbstverwal- tung, geringschätzte und fast vergaß, blieb dies sein sogenanntes politisches Testament hoch in Ehren als das Programm der constitutionellen Par- teien. Der Scheidende nahm mit sich den Dank seines Königs, daß er "den ersten Grund, die ersten Impulse zu einer erneuerten, besseren und kräftigeren Organisation des in Trümmern liegenden Staatsgebäudes ge- legt habe"; er vertraute, die Hebung der niederen Klassen und die neuen freieren Ideen würden bleiben und sich entwickeln.
Steins Fall war ein schlechthin unersetzlicher Verlust für Preußens inneres Leben, noch Jahrzehnte lang hat der Staat die Folgen dieses Schlages empfunden. Und doch lag eine tragische Nothwendigkeit in dem tückischen Zufall, der jenen verhängnißvollen Brief in Napoleons Hände spielte. Es war unter allen Heimsuchungen, womit Preußen vergangene Sünden büßte, vielleicht die schwerste, daß die Monarchie einen Staats-
*) Hardenbergs Journal 6. Jan. 1809.
Steins Fall.
ſtände, damit man noch einige Friſt gewinne. Aber die Hofburg verſagte ſich, und was ſollte ein Aufſchub frommen, da die Franzoſen noch im Lande ſtanden und jede feindſelige Regung ſofort niederwerfen konnten? Der König that das Nothwendige, als er endlich ſchweren Herzens den Vertrag genehmigte. Der zögernde, behutſame Abmarſch der franzöſiſchen Truppen zeigte von Neuem, weſſen ſich Napoleon von dem verhaßten Preußen verſah; ſeine Kriegsgefangenen gab er erſt zu Anfang 1809 frei. Nun war auch Stein nicht mehr zu halten; am 24. November nahm er ſeine Entlaſſung. Die kleine franzöſiſche Partei am Hofe, der ängſtliche alte Köckeritz und die Hochconſervativen athmeten auf als der kühne Re- former ſchied; doch nicht dieſen innern Feinden war er erlegen, ſondern allein dem Machtworte Napoleons. Friedrich Wilhelm hatte das Aeußerſte gewagt, als er den Miniſter noch ein Vierteljahr lang gegen die Drohungen des Imperators beſchützte. Stein ſelber warf ſich ſpäterhin vor, daß er nicht ſchon früher ſeinen unhaltbaren Poſten verlaſſen habe, und Harden- berg ſchrieb bitter: welche Verblendung, daß ein Mann von Geiſt glau- ben konnte, dieſer abſcheuliche Brief würde ihm je verziehen werden! *)
In einem von Schoen entworfenen Abſchiedsſchreiben erinnerte der Entlaſſene ſeine Beamten noch einmal an alle die gewaltigen Neuerungen dieſes reichen Jahres — „der unerſchütterliche Pfeiler jedes Thrones, der Wille freier Menſchen iſt gegründet“ — und bezeichnete ſodann in großen Zügen was Noth thue: vor Allem die Aufhebung der gutsherr- lichen Gewalt und die Einführung der Reichsſtände — „jeder active Staatsbürger habe ein Recht zur Repräſentation.“ Stein unterzeichnete ungern, er liebte weder die großen Worte noch die unbeſtimmten Allge- meinheiten. Doch gerade die doktrinäre Faſſung dieſes Aktenſtücks gefiel nachher einem Zeitalter der liberalen Syſtemſucht; während die Welt die eigenſten Ideen des großen Reformers, die Gedanken der Selbſtverwal- tung, geringſchätzte und faſt vergaß, blieb dies ſein ſogenanntes politiſches Teſtament hoch in Ehren als das Programm der conſtitutionellen Par- teien. Der Scheidende nahm mit ſich den Dank ſeines Königs, daß er „den erſten Grund, die erſten Impulſe zu einer erneuerten, beſſeren und kräftigeren Organiſation des in Trümmern liegenden Staatsgebäudes ge- legt habe“; er vertraute, die Hebung der niederen Klaſſen und die neuen freieren Ideen würden bleiben und ſich entwickeln.
Steins Fall war ein ſchlechthin unerſetzlicher Verluſt für Preußens inneres Leben, noch Jahrzehnte lang hat der Staat die Folgen dieſes Schlages empfunden. Und doch lag eine tragiſche Nothwendigkeit in dem tückiſchen Zufall, der jenen verhängnißvollen Brief in Napoleons Hände ſpielte. Es war unter allen Heimſuchungen, womit Preußen vergangene Sünden büßte, vielleicht die ſchwerſte, daß die Monarchie einen Staats-
*) Hardenbergs Journal 6. Jan. 1809.
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Steins Fall.
ſtände, damit man noch einige Friſt gewinne. Aber die Hofburg verſagte
ſich, und was ſollte ein Aufſchub frommen, da die Franzoſen noch im
Lande ſtanden und jede feindſelige Regung ſofort niederwerfen konnten?
Der König that das Nothwendige, als er endlich ſchweren Herzens den
Vertrag genehmigte. Der zögernde, behutſame Abmarſch der franzöſiſchen
Truppen zeigte von Neuem, weſſen ſich Napoleon von dem verhaßten
Preußen verſah; ſeine Kriegsgefangenen gab er erſt zu Anfang 1809 frei.
Nun war auch Stein nicht mehr zu halten; am 24. November nahm er
ſeine Entlaſſung. Die kleine franzöſiſche Partei am Hofe, der ängſtliche
alte Köckeritz und die Hochconſervativen athmeten auf als der kühne Re-
former ſchied; doch nicht dieſen innern Feinden war er erlegen, ſondern
allein dem Machtworte Napoleons. Friedrich Wilhelm hatte das Aeußerſte
gewagt, als er den Miniſter noch ein Vierteljahr lang gegen die Drohungen
des Imperators beſchützte. Stein ſelber warf ſich ſpäterhin vor, daß er
nicht ſchon früher ſeinen unhaltbaren Poſten verlaſſen habe, und Harden-
berg ſchrieb bitter: welche Verblendung, daß ein Mann von Geiſt glau-
ben konnte, dieſer abſcheuliche Brief würde ihm je verziehen werden! *)
In einem von Schoen entworfenen Abſchiedsſchreiben erinnerte der
Entlaſſene ſeine Beamten noch einmal an alle die gewaltigen Neuerungen
dieſes reichen Jahres — „der unerſchütterliche Pfeiler jedes Thrones,
der Wille freier Menſchen iſt gegründet“ — und bezeichnete ſodann in
großen Zügen was Noth thue: vor Allem die Aufhebung der gutsherr-
lichen Gewalt und die Einführung der Reichsſtände — „jeder active
Staatsbürger habe ein Recht zur Repräſentation.“ Stein unterzeichnete
ungern, er liebte weder die großen Worte noch die unbeſtimmten Allge-
meinheiten. Doch gerade die doktrinäre Faſſung dieſes Aktenſtücks gefiel
nachher einem Zeitalter der liberalen Syſtemſucht; während die Welt die
eigenſten Ideen des großen Reformers, die Gedanken der Selbſtverwal-
tung, geringſchätzte und faſt vergaß, blieb dies ſein ſogenanntes politiſches
Teſtament hoch in Ehren als das Programm der conſtitutionellen Par-
teien. Der Scheidende nahm mit ſich den Dank ſeines Königs, daß er
„den erſten Grund, die erſten Impulſe zu einer erneuerten, beſſeren und
kräftigeren Organiſation des in Trümmern liegenden Staatsgebäudes ge-
legt habe“; er vertraute, die Hebung der niederen Klaſſen und die neuen
freieren Ideen würden bleiben und ſich entwickeln.
Steins Fall war ein ſchlechthin unerſetzlicher Verluſt für Preußens
inneres Leben, noch Jahrzehnte lang hat der Staat die Folgen dieſes
Schlages empfunden. Und doch lag eine tragiſche Nothwendigkeit in dem
tückiſchen Zufall, der jenen verhängnißvollen Brief in Napoleons Hände
ſpielte. Es war unter allen Heimſuchungen, womit Preußen vergangene
Sünden büßte, vielleicht die ſchwerſte, daß die Monarchie einen Staats-
*) Hardenbergs Journal 6. Jan. 1809.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/345>, abgerufen am 23.07.2024.
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