schwankte; die Erkenntniß, daß man dereinst noch selbdritt gegen Frank- reich werde kämpfen müssen, machte in der Stille ihren Weg. Die Hof- burg vernahm mit Bestürzung von den weitaussehenden orientalischen Plänen, womit der Imperator seinen Tilsiter Freund unterhielt. Stadion wies den Gedanken nicht gradezu von sich, ob man nicht äußersten Falls an der Zerstörung des osmanischen Reichs theilnehmen und den Westen der Balkanhalbinsel, bis Saloniki, für Oesterreich retten könne. Weit näher lag ihm indeß die Erwägung, daß der Weg von Napoleons adria- tischen Provinzen nach der Türkei durch das österreichische Istrien führte, und mithin ein neuer Ueberfall zu befürchten stand. Der Staat erholte sich nachgerade von seinen Niederlagen; man rüstete mit ungewohntem Eifer, schritt im Frühjahr 1808 sogar zur Bildung einer Landmiliz, und Stadion meinte hoffnungsvoll: wir sind wieder eine Nation.
Auch die russisch-französische Allianz stand auf schwachen Füßen. So lebhaft die russischen Generale vor Kurzem erst den preußischen Krieg verwünscht hatten, ebenso unwillig empfingen der Hof und das Volk die Nachricht von dem unehrenhaften Friedensschlusse. Der nationale Instinkt fühlte rasch heraus, was die Errichtung des Herzogthums Warschau für Rußlands Zukunft bedeutete. Der Haß gegen Frankreich nahm überhand und ergriff selbst das Heer; man murrte, der Czar lasse sich von dem Corsen mißbrauchen. Alexanders erregbare Natur blieb nicht unempfind- lich für diese Volksstimmungen. Als er in Tilsit seinen Bundesgenossen preisgab, war er keineswegs gemeint gewesen sich von "der gerechten Sache" für immer zurückzuziehen; vielmehr versicherte er noch jetzt im vertrauten Kreise: müsse es sein, so denke er den Krieg selbst in den Wüsten Sibiriens wieder aufzunehmen. Doch zunächst wollte er die Früchte des Tilsiter Bündnisses ernten, sein Reich durch Finnland und die Donauprovinzen verstärken. Ein Meister in der Kunst sich selber zu belügen fand er der Vorwände genug, die ihm den kläglichen Entschluß mundgerecht machten; zudem befürchtete er, ein vorzeitiger Krieg gegen Frankreich könne die vollständige Wiederherstellung von Polen herbeiführen. So blieb er denn vorläufig im Fahrwasser der französischen Allianz und begann den Krieg gegen Schweden.
Napoleon ließ ihn gern gewähren, und benutzte den Einmarsch der Russen in Finnland um seinerseits in Portugal einzurücken und diesen wichtigen Brückenkopf Englands in seine Gewalt zu bringen. Seine Briefe an Alexander flossen über von Schmeicheleien und unbestimmten Ver- heißungen: die Welt sei groß genug für sie Beide, nichts liege ihm mehr am Herzen als Rußlands Ruhm, Wohlfahrt und Vergrößerung; wenn die beiden Freunde vereinigt zum Bosporus vordrängen, so werde dieser Schlag bis nach Indien widerhallen und England zur Unterwerfung zwingen. Sobald aber der Czar seine Hoffnungen auf den Besitz der Donauprovinzen schärfer aussprach, erhob Napoleon Bedenken und for-
I. 3. Preußens Erhebung.
ſchwankte; die Erkenntniß, daß man dereinſt noch ſelbdritt gegen Frank- reich werde kämpfen müſſen, machte in der Stille ihren Weg. Die Hof- burg vernahm mit Beſtürzung von den weitausſehenden orientaliſchen Plänen, womit der Imperator ſeinen Tilſiter Freund unterhielt. Stadion wies den Gedanken nicht gradezu von ſich, ob man nicht äußerſten Falls an der Zerſtörung des osmaniſchen Reichs theilnehmen und den Weſten der Balkanhalbinſel, bis Saloniki, für Oeſterreich retten könne. Weit näher lag ihm indeß die Erwägung, daß der Weg von Napoleons adria- tiſchen Provinzen nach der Türkei durch das öſterreichiſche Iſtrien führte, und mithin ein neuer Ueberfall zu befürchten ſtand. Der Staat erholte ſich nachgerade von ſeinen Niederlagen; man rüſtete mit ungewohntem Eifer, ſchritt im Frühjahr 1808 ſogar zur Bildung einer Landmiliz, und Stadion meinte hoffnungsvoll: wir ſind wieder eine Nation.
Auch die ruſſiſch-franzöſiſche Allianz ſtand auf ſchwachen Füßen. So lebhaft die ruſſiſchen Generale vor Kurzem erſt den preußiſchen Krieg verwünſcht hatten, ebenſo unwillig empfingen der Hof und das Volk die Nachricht von dem unehrenhaften Friedensſchluſſe. Der nationale Inſtinkt fühlte raſch heraus, was die Errichtung des Herzogthums Warſchau für Rußlands Zukunft bedeutete. Der Haß gegen Frankreich nahm überhand und ergriff ſelbſt das Heer; man murrte, der Czar laſſe ſich von dem Corſen mißbrauchen. Alexanders erregbare Natur blieb nicht unempfind- lich für dieſe Volksſtimmungen. Als er in Tilſit ſeinen Bundesgenoſſen preisgab, war er keineswegs gemeint geweſen ſich von „der gerechten Sache“ für immer zurückzuziehen; vielmehr verſicherte er noch jetzt im vertrauten Kreiſe: müſſe es ſein, ſo denke er den Krieg ſelbſt in den Wüſten Sibiriens wieder aufzunehmen. Doch zunächſt wollte er die Früchte des Tilſiter Bündniſſes ernten, ſein Reich durch Finnland und die Donauprovinzen verſtärken. Ein Meiſter in der Kunſt ſich ſelber zu belügen fand er der Vorwände genug, die ihm den kläglichen Entſchluß mundgerecht machten; zudem befürchtete er, ein vorzeitiger Krieg gegen Frankreich könne die vollſtändige Wiederherſtellung von Polen herbeiführen. So blieb er denn vorläufig im Fahrwaſſer der franzöſiſchen Allianz und begann den Krieg gegen Schweden.
Napoleon ließ ihn gern gewähren, und benutzte den Einmarſch der Ruſſen in Finnland um ſeinerſeits in Portugal einzurücken und dieſen wichtigen Brückenkopf Englands in ſeine Gewalt zu bringen. Seine Briefe an Alexander floſſen über von Schmeicheleien und unbeſtimmten Ver- heißungen: die Welt ſei groß genug für ſie Beide, nichts liege ihm mehr am Herzen als Rußlands Ruhm, Wohlfahrt und Vergrößerung; wenn die beiden Freunde vereinigt zum Bosporus vordrängen, ſo werde dieſer Schlag bis nach Indien widerhallen und England zur Unterwerfung zwingen. Sobald aber der Czar ſeine Hoffnungen auf den Beſitz der Donauprovinzen ſchärfer ausſprach, erhob Napoleon Bedenken und for-
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I. 3. Preußens Erhebung.
ſchwankte; die Erkenntniß, daß man dereinſt noch ſelbdritt gegen Frank-
reich werde kämpfen müſſen, machte in der Stille ihren Weg. Die Hof-
burg vernahm mit Beſtürzung von den weitausſehenden orientaliſchen
Plänen, womit der Imperator ſeinen Tilſiter Freund unterhielt. Stadion
wies den Gedanken nicht gradezu von ſich, ob man nicht äußerſten Falls
an der Zerſtörung des osmaniſchen Reichs theilnehmen und den Weſten
der Balkanhalbinſel, bis Saloniki, für Oeſterreich retten könne. Weit
näher lag ihm indeß die Erwägung, daß der Weg von Napoleons adria-
tiſchen Provinzen nach der Türkei durch das öſterreichiſche Iſtrien führte,
und mithin ein neuer Ueberfall zu befürchten ſtand. Der Staat erholte
ſich nachgerade von ſeinen Niederlagen; man rüſtete mit ungewohntem
Eifer, ſchritt im Frühjahr 1808 ſogar zur Bildung einer Landmiliz, und
Stadion meinte hoffnungsvoll: wir ſind wieder eine Nation.
Auch die ruſſiſch-franzöſiſche Allianz ſtand auf ſchwachen Füßen. So
lebhaft die ruſſiſchen Generale vor Kurzem erſt den preußiſchen Krieg
verwünſcht hatten, ebenſo unwillig empfingen der Hof und das Volk die
Nachricht von dem unehrenhaften Friedensſchluſſe. Der nationale Inſtinkt
fühlte raſch heraus, was die Errichtung des Herzogthums Warſchau für
Rußlands Zukunft bedeutete. Der Haß gegen Frankreich nahm überhand
und ergriff ſelbſt das Heer; man murrte, der Czar laſſe ſich von dem
Corſen mißbrauchen. Alexanders erregbare Natur blieb nicht unempfind-
lich für dieſe Volksſtimmungen. Als er in Tilſit ſeinen Bundesgenoſſen
preisgab, war er keineswegs gemeint geweſen ſich von „der gerechten
Sache“ für immer zurückzuziehen; vielmehr verſicherte er noch jetzt im
vertrauten Kreiſe: müſſe es ſein, ſo denke er den Krieg ſelbſt in den
Wüſten Sibiriens wieder aufzunehmen. Doch zunächſt wollte er die
Früchte des Tilſiter Bündniſſes ernten, ſein Reich durch Finnland und
die Donauprovinzen verſtärken. Ein Meiſter in der Kunſt ſich ſelber zu
belügen fand er der Vorwände genug, die ihm den kläglichen Entſchluß
mundgerecht machten; zudem befürchtete er, ein vorzeitiger Krieg gegen
Frankreich könne die vollſtändige Wiederherſtellung von Polen herbeiführen.
So blieb er denn vorläufig im Fahrwaſſer der franzöſiſchen Allianz und
begann den Krieg gegen Schweden.
Napoleon ließ ihn gern gewähren, und benutzte den Einmarſch der
Ruſſen in Finnland um ſeinerſeits in Portugal einzurücken und dieſen
wichtigen Brückenkopf Englands in ſeine Gewalt zu bringen. Seine Briefe
an Alexander floſſen über von Schmeicheleien und unbeſtimmten Ver-
heißungen: die Welt ſei groß genug für ſie Beide, nichts liege ihm mehr
am Herzen als Rußlands Ruhm, Wohlfahrt und Vergrößerung; wenn
die beiden Freunde vereinigt zum Bosporus vordrängen, ſo werde dieſer
Schlag bis nach Indien widerhallen und England zur Unterwerfung
zwingen. Sobald aber der Czar ſeine Hoffnungen auf den Beſitz der
Donauprovinzen ſchärfer ausſprach, erhob Napoleon Bedenken und for-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/338>, abgerufen am 22.11.2024.
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