regt phantastische Wesen und das trotzige nationale Pathos des jungen Geschlechts blieben ihm zuwider.
Seine Bildung wurzelte in dem weltbürgerlichen alten Jahrhundert. Niemals wollte er vergessen, was er und alle seine Jugendgenossen den Franzosen verdankten. Kleists dämonische Unruhe erregte dem Beschau- lichen Grauen; in den Briefen an seinen Altersgenossen Reinhard ur- theilte er sehr scharf über Arnims und Brentanos fratzenhaftes Treiben und vertheidigte den alten ehrlichen Rationalismus gegen die zweizün- gelnde neue Naturphilosophie; ja er hatte Stunden, wo er das Ro- mantische kurzab das Krankhafte nannte, im Unterschiede von dem Ge- sunden, dem Classischen. Am Wenigsten verzieh er den jungen Leuten, daß ihre literarische Bewegung zugleich politische Zwecke verfolgte; jedes unmittelbare Hinüberwirken der Kunst auf die Prosa des Staatslebens war ihm eine Entweihung. Die große Zerstörung, die über Deutschland hereingebrochen, nahm er hin als ein unentrinnbares Verhängniß; die natürliche Wahlverwandtschaft des Genius hieß ihn fest an Napoleons Glücksstern glauben. Was wußte er auch von Preußen und dem tödtlich beleidigten preußischen Stolze? Wie konnte der Sohn der guten alten Zeit, der in Frankfurt, Straßburg, Leipzig, Weimar unter einem harmlos friedsamen Völkchen gelebt, einen deutschen Volkskrieg für möglich halten? Schon die Mitlebenden empfanden es schmerzlich, und in alle Zukunft wird es den Deutschen eine traurige Erinnerung bleiben, daß unser größter Dichter in dem Feinde seines Vaterlandes nichts sehen wollte als den großen Mann, daß er zu alt war um die wunderbare, heilvolle Wandlung, die über sein Volk gekommen, ganz zu verstehen. Wie fühlte er sich so einsam seit Schillers Tode. Wehmüthig der lieben Schatten froher Tage gedenkend ließ er das Lieblingswerk seines Lebens in die un- bekannte Menge hinausgehen. Als anderthalb Jahrzehnte früher einige Bruchstücke daraus erschienen waren, hatte Niemand viel Aufhebens da- von gemacht.
Und doch schlug das Gedicht jetzt ein, zündend, unwiderstehlich wie einst der Werther -- als wären diese Zeilen, über denen der Dichter alt geworden, erst heute und für den heutigen Tag ersonnen. Die bange Frage, ob es denn wirklich aus sei mit dem alten Deutschland, lag auf Aller Lippen; und nun, mitten im Niedergange der Nation, plötzlich dies Werk -- ohne jeden Vergleich die Krone der gesammten modernen Dich- tung Europas -- und die beglückende Gewißheit, daß nur ein Deutscher so schreiben konnte, daß dieser Dichter unser war und seine Gestalten von unserem Fleisch und Blut! Es war wie ein Wink des Schicksals, daß die Gesittung der Welt unser doch nicht entbehren könne, und Gott noch Großes vorhabe mit diesem Volke. Schon Schiller hatte dem Drama höhere Aufgaben gestellt als Shakespeare, obwohl er die grandiose Ge- staltungskraft des Briten nicht erreichte; die Tragödie der Leidenschaften
Fauſt.
regt phantaſtiſche Weſen und das trotzige nationale Pathos des jungen Geſchlechts blieben ihm zuwider.
Seine Bildung wurzelte in dem weltbürgerlichen alten Jahrhundert. Niemals wollte er vergeſſen, was er und alle ſeine Jugendgenoſſen den Franzoſen verdankten. Kleiſts dämoniſche Unruhe erregte dem Beſchau- lichen Grauen; in den Briefen an ſeinen Altersgenoſſen Reinhard ur- theilte er ſehr ſcharf über Arnims und Brentanos fratzenhaftes Treiben und vertheidigte den alten ehrlichen Rationalismus gegen die zweizün- gelnde neue Naturphiloſophie; ja er hatte Stunden, wo er das Ro- mantiſche kurzab das Krankhafte nannte, im Unterſchiede von dem Ge- ſunden, dem Claſſiſchen. Am Wenigſten verzieh er den jungen Leuten, daß ihre literariſche Bewegung zugleich politiſche Zwecke verfolgte; jedes unmittelbare Hinüberwirken der Kunſt auf die Proſa des Staatslebens war ihm eine Entweihung. Die große Zerſtörung, die über Deutſchland hereingebrochen, nahm er hin als ein unentrinnbares Verhängniß; die natürliche Wahlverwandtſchaft des Genius hieß ihn feſt an Napoleons Glücksſtern glauben. Was wußte er auch von Preußen und dem tödtlich beleidigten preußiſchen Stolze? Wie konnte der Sohn der guten alten Zeit, der in Frankfurt, Straßburg, Leipzig, Weimar unter einem harmlos friedſamen Völkchen gelebt, einen deutſchen Volkskrieg für möglich halten? Schon die Mitlebenden empfanden es ſchmerzlich, und in alle Zukunft wird es den Deutſchen eine traurige Erinnerung bleiben, daß unſer größter Dichter in dem Feinde ſeines Vaterlandes nichts ſehen wollte als den großen Mann, daß er zu alt war um die wunderbare, heilvolle Wandlung, die über ſein Volk gekommen, ganz zu verſtehen. Wie fühlte er ſich ſo einſam ſeit Schillers Tode. Wehmüthig der lieben Schatten froher Tage gedenkend ließ er das Lieblingswerk ſeines Lebens in die un- bekannte Menge hinausgehen. Als anderthalb Jahrzehnte früher einige Bruchſtücke daraus erſchienen waren, hatte Niemand viel Aufhebens da- von gemacht.
Und doch ſchlug das Gedicht jetzt ein, zündend, unwiderſtehlich wie einſt der Werther — als wären dieſe Zeilen, über denen der Dichter alt geworden, erſt heute und für den heutigen Tag erſonnen. Die bange Frage, ob es denn wirklich aus ſei mit dem alten Deutſchland, lag auf Aller Lippen; und nun, mitten im Niedergange der Nation, plötzlich dies Werk — ohne jeden Vergleich die Krone der geſammten modernen Dich- tung Europas — und die beglückende Gewißheit, daß nur ein Deutſcher ſo ſchreiben konnte, daß dieſer Dichter unſer war und ſeine Geſtalten von unſerem Fleiſch und Blut! Es war wie ein Wink des Schickſals, daß die Geſittung der Welt unſer doch nicht entbehren könne, und Gott noch Großes vorhabe mit dieſem Volke. Schon Schiller hatte dem Drama höhere Aufgaben geſtellt als Shakeſpeare, obwohl er die grandioſe Ge- ſtaltungskraft des Briten nicht erreichte; die Tragödie der Leidenſchaften
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Fauſt.
regt phantaſtiſche Weſen und das trotzige nationale Pathos des jungen
Geſchlechts blieben ihm zuwider.
Seine Bildung wurzelte in dem weltbürgerlichen alten Jahrhundert.
Niemals wollte er vergeſſen, was er und alle ſeine Jugendgenoſſen den
Franzoſen verdankten. Kleiſts dämoniſche Unruhe erregte dem Beſchau-
lichen Grauen; in den Briefen an ſeinen Altersgenoſſen Reinhard ur-
theilte er ſehr ſcharf über Arnims und Brentanos fratzenhaftes Treiben
und vertheidigte den alten ehrlichen Rationalismus gegen die zweizün-
gelnde neue Naturphiloſophie; ja er hatte Stunden, wo er das Ro-
mantiſche kurzab das Krankhafte nannte, im Unterſchiede von dem Ge-
ſunden, dem Claſſiſchen. Am Wenigſten verzieh er den jungen Leuten,
daß ihre literariſche Bewegung zugleich politiſche Zwecke verfolgte; jedes
unmittelbare Hinüberwirken der Kunſt auf die Proſa des Staatslebens
war ihm eine Entweihung. Die große Zerſtörung, die über Deutſchland
hereingebrochen, nahm er hin als ein unentrinnbares Verhängniß; die
natürliche Wahlverwandtſchaft des Genius hieß ihn feſt an Napoleons
Glücksſtern glauben. Was wußte er auch von Preußen und dem tödtlich
beleidigten preußiſchen Stolze? Wie konnte der Sohn der guten alten
Zeit, der in Frankfurt, Straßburg, Leipzig, Weimar unter einem harmlos
friedſamen Völkchen gelebt, einen deutſchen Volkskrieg für möglich halten?
Schon die Mitlebenden empfanden es ſchmerzlich, und in alle Zukunft
wird es den Deutſchen eine traurige Erinnerung bleiben, daß unſer
größter Dichter in dem Feinde ſeines Vaterlandes nichts ſehen wollte als
den großen Mann, daß er zu alt war um die wunderbare, heilvolle
Wandlung, die über ſein Volk gekommen, ganz zu verſtehen. Wie fühlte
er ſich ſo einſam ſeit Schillers Tode. Wehmüthig der lieben Schatten
froher Tage gedenkend ließ er das Lieblingswerk ſeines Lebens in die un-
bekannte Menge hinausgehen. Als anderthalb Jahrzehnte früher einige
Bruchſtücke daraus erſchienen waren, hatte Niemand viel Aufhebens da-
von gemacht.
Und doch ſchlug das Gedicht jetzt ein, zündend, unwiderſtehlich wie
einſt der Werther — als wären dieſe Zeilen, über denen der Dichter alt
geworden, erſt heute und für den heutigen Tag erſonnen. Die bange
Frage, ob es denn wirklich aus ſei mit dem alten Deutſchland, lag auf
Aller Lippen; und nun, mitten im Niedergange der Nation, plötzlich dies
Werk — ohne jeden Vergleich die Krone der geſammten modernen Dich-
tung Europas — und die beglückende Gewißheit, daß nur ein Deutſcher
ſo ſchreiben konnte, daß dieſer Dichter unſer war und ſeine Geſtalten von
unſerem Fleiſch und Blut! Es war wie ein Wink des Schickſals, daß
die Geſittung der Welt unſer doch nicht entbehren könne, und Gott noch
Großes vorhabe mit dieſem Volke. Schon Schiller hatte dem Drama
höhere Aufgaben geſtellt als Shakeſpeare, obwohl er die grandioſe Ge-
ſtaltungskraft des Briten nicht erreichte; die Tragödie der Leidenſchaften
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/333>, abgerufen am 25.11.2024.
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