der protestantischen Gedankenfreiheit die Traumwelt der Romantik be- kämpfte. Niemand befand sich wohler in dem chaotischen Treiben als der lärmende Görres, der ehrliche Jakobiner in der Mönchskutte, der es verstand zugleich ein Radikaler und ein Bewunderer des Mittelalters, ein Deutschthümler und ein Verehrer des römischen Papstes zu sein, immer geistreich, anregend und angeregt, sprudelnd von ästhetischen, histo- rischen, naturphilosophischen Einfällen, aber auch immer befangen in einem rhetorisch-poetischen Rausche. In einem Entschlusse waren Alle einig: sie wollten ihres deutschen Wesens wieder so recht von Herzen froh werden, diese heimische Eigenart behaupten und in voller Freiheit weiterbilden ohne jede Rücksicht auf fremdländische Weltbeglückung und Weltbeherrschung.
Die politische Leidenschaft der Zeit fand ihren mächtigsten künstle- rischen Ausdruck in den Werken Heinrich von Kleists, jenes tief unseligen Dichters, der alle die Poeten der jungen Generation überragte. Durch die ursprüngliche Kraft dramatischer Leidenschaft und leibhaftig wahrer Charakteristik übertraf er selbst Schiller; doch der Ideenreichthum und die hohe Bildung, der weite Blick und die stolze Selbstgewißheit unseres ersten Dramatikers blieben dem Unglücklichen versagt; ein friedloser Sinn störte ihm das Ebenmaß der Seele. Kaum beachtet von den Zeitgenossen, durch ein räthselhaft grausames Schicksal um alle Freuden eines reichen Schaffens betrogen, erscheint er uns Rückschauenden heute als der eigent- lich zeitgemäße Dichter jener bedrückten Tage, als der Herold jenes dämo- nischen Hasses, den fremde Unbill in die Adern unseres gutherzigen Volkes goß. Die Penthesilea war die wildeste, das Käthchen von Heilbronn die zarteste und holdeste unter den dämmernden Traumgestalten der deutschen Romantik, die Hermansschlacht aber ein hohes Lied der Rache, eine mäch- tige Hymne auf die Wollust der Vergeltung -- jeder Zug ebenso sinnlich wahr, anschaulich, lebensvoll wie einst Klopstocks Bardengesänge unbe- stimmt und verschwommen gewesen, jedes Gefühl unmittelbar aus dem Herzen der rachedürstenden Gegenwart heraus empfunden. Kleist hatte sich nicht, wie die patriotischen Gelehrten, die Idee des Vaterlandes erst durch Nachdenken erwerben müssen; er empfand den naiven, naturwüchsigen Haß des preußischen Offiziers, er sah die alten glorreichen Fahnen, die sein und seines Hauses Stolz gewesen, zerrissen im Staube liegen und wollte den züchtigen, der ihm das gethan. Ueberall wohin der Unstete seinen Wanderstab setzte verfolgte ihn wie der Ruf der Erinnyen die wilde Frage: "stehst du auf, Germania? ist der Tag der Rache da?" Stür- misch, furchtbar wie noch nie aus eines Deutschen Munde erklang von seinen Lippen die Poesie des Hasses:
Rettung von dem Joch der Knechte, Das, aus Eisenerz geprägt, Eines Höllensohnes Rechte Ueber unsern Nacken legt!
Heinrich von Kleiſt.
der proteſtantiſchen Gedankenfreiheit die Traumwelt der Romantik be- kämpfte. Niemand befand ſich wohler in dem chaotiſchen Treiben als der lärmende Görres, der ehrliche Jakobiner in der Mönchskutte, der es verſtand zugleich ein Radikaler und ein Bewunderer des Mittelalters, ein Deutſchthümler und ein Verehrer des römiſchen Papſtes zu ſein, immer geiſtreich, anregend und angeregt, ſprudelnd von äſthetiſchen, hiſto- riſchen, naturphiloſophiſchen Einfällen, aber auch immer befangen in einem rhetoriſch-poetiſchen Rauſche. In einem Entſchluſſe waren Alle einig: ſie wollten ihres deutſchen Weſens wieder ſo recht von Herzen froh werden, dieſe heimiſche Eigenart behaupten und in voller Freiheit weiterbilden ohne jede Rückſicht auf fremdländiſche Weltbeglückung und Weltbeherrſchung.
Die politiſche Leidenſchaft der Zeit fand ihren mächtigſten künſtle- riſchen Ausdruck in den Werken Heinrich von Kleiſts, jenes tief unſeligen Dichters, der alle die Poeten der jungen Generation überragte. Durch die urſprüngliche Kraft dramatiſcher Leidenſchaft und leibhaftig wahrer Charakteriſtik übertraf er ſelbſt Schiller; doch der Ideenreichthum und die hohe Bildung, der weite Blick und die ſtolze Selbſtgewißheit unſeres erſten Dramatikers blieben dem Unglücklichen verſagt; ein friedloſer Sinn ſtörte ihm das Ebenmaß der Seele. Kaum beachtet von den Zeitgenoſſen, durch ein räthſelhaft grauſames Schickſal um alle Freuden eines reichen Schaffens betrogen, erſcheint er uns Rückſchauenden heute als der eigent- lich zeitgemäße Dichter jener bedrückten Tage, als der Herold jenes dämo- niſchen Haſſes, den fremde Unbill in die Adern unſeres gutherzigen Volkes goß. Die Pentheſilea war die wildeſte, das Käthchen von Heilbronn die zarteſte und holdeſte unter den dämmernden Traumgeſtalten der deutſchen Romantik, die Hermansſchlacht aber ein hohes Lied der Rache, eine mäch- tige Hymne auf die Wolluſt der Vergeltung — jeder Zug ebenſo ſinnlich wahr, anſchaulich, lebensvoll wie einſt Klopſtocks Bardengeſänge unbe- ſtimmt und verſchwommen geweſen, jedes Gefühl unmittelbar aus dem Herzen der rachedürſtenden Gegenwart heraus empfunden. Kleiſt hatte ſich nicht, wie die patriotiſchen Gelehrten, die Idee des Vaterlandes erſt durch Nachdenken erwerben müſſen; er empfand den naiven, naturwüchſigen Haß des preußiſchen Offiziers, er ſah die alten glorreichen Fahnen, die ſein und ſeines Hauſes Stolz geweſen, zerriſſen im Staube liegen und wollte den züchtigen, der ihm das gethan. Ueberall wohin der Unſtete ſeinen Wanderſtab ſetzte verfolgte ihn wie der Ruf der Erinnyen die wilde Frage: „ſtehſt du auf, Germania? iſt der Tag der Rache da?“ Stür- miſch, furchtbar wie noch nie aus eines Deutſchen Munde erklang von ſeinen Lippen die Poeſie des Haſſes:
Rettung von dem Joch der Knechte, Das, aus Eiſenerz geprägt, Eines Höllenſohnes Rechte Ueber unſern Nacken legt!
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0331"n="315"/><fwplace="top"type="header">Heinrich von Kleiſt.</fw><lb/>
der proteſtantiſchen Gedankenfreiheit die Traumwelt der Romantik be-<lb/>
kämpfte. Niemand befand ſich wohler in dem chaotiſchen Treiben als<lb/>
der lärmende Görres, der ehrliche Jakobiner in der Mönchskutte, der<lb/>
es verſtand zugleich ein Radikaler und ein Bewunderer des Mittelalters,<lb/>
ein Deutſchthümler und ein Verehrer des römiſchen Papſtes zu ſein,<lb/>
immer geiſtreich, anregend und angeregt, ſprudelnd von äſthetiſchen, hiſto-<lb/>
riſchen, naturphiloſophiſchen Einfällen, aber auch immer befangen in einem<lb/>
rhetoriſch-poetiſchen Rauſche. In einem Entſchluſſe waren Alle einig: ſie<lb/>
wollten ihres deutſchen Weſens wieder ſo recht von Herzen froh werden,<lb/>
dieſe heimiſche Eigenart behaupten und in voller Freiheit weiterbilden ohne<lb/>
jede Rückſicht auf fremdländiſche Weltbeglückung und Weltbeherrſchung.</p><lb/><p>Die politiſche Leidenſchaft der Zeit fand ihren mächtigſten künſtle-<lb/>
riſchen Ausdruck in den Werken Heinrich von Kleiſts, jenes tief unſeligen<lb/>
Dichters, der alle die Poeten der jungen Generation überragte. Durch<lb/>
die urſprüngliche Kraft dramatiſcher Leidenſchaft und leibhaftig wahrer<lb/>
Charakteriſtik übertraf er ſelbſt Schiller; doch der Ideenreichthum und<lb/>
die hohe Bildung, der weite Blick und die ſtolze Selbſtgewißheit unſeres<lb/>
erſten Dramatikers blieben dem Unglücklichen verſagt; ein friedloſer Sinn<lb/>ſtörte ihm das Ebenmaß der Seele. Kaum beachtet von den Zeitgenoſſen,<lb/>
durch ein räthſelhaft grauſames Schickſal um alle Freuden eines reichen<lb/>
Schaffens betrogen, erſcheint er uns Rückſchauenden heute als der eigent-<lb/>
lich zeitgemäße Dichter jener bedrückten Tage, als der Herold jenes dämo-<lb/>
niſchen Haſſes, den fremde Unbill in die Adern unſeres gutherzigen Volkes<lb/>
goß. Die Pentheſilea war die wildeſte, das Käthchen von Heilbronn die<lb/>
zarteſte und holdeſte unter den dämmernden Traumgeſtalten der deutſchen<lb/>
Romantik, die Hermansſchlacht aber ein hohes Lied der Rache, eine mäch-<lb/>
tige Hymne auf die Wolluſt der Vergeltung — jeder Zug ebenſo ſinnlich<lb/>
wahr, anſchaulich, lebensvoll wie einſt Klopſtocks Bardengeſänge unbe-<lb/>ſtimmt und verſchwommen geweſen, jedes Gefühl unmittelbar aus dem<lb/>
Herzen der rachedürſtenden Gegenwart heraus empfunden. Kleiſt hatte ſich<lb/>
nicht, wie die patriotiſchen Gelehrten, die Idee des Vaterlandes erſt durch<lb/>
Nachdenken erwerben müſſen; er empfand den naiven, naturwüchſigen<lb/>
Haß des preußiſchen Offiziers, er ſah die alten glorreichen Fahnen, die<lb/>ſein und ſeines Hauſes Stolz geweſen, zerriſſen im Staube liegen und<lb/>
wollte den züchtigen, der ihm das gethan. Ueberall wohin der Unſtete<lb/>ſeinen Wanderſtab ſetzte verfolgte ihn wie der Ruf der Erinnyen die wilde<lb/>
Frage: „ſtehſt du auf, Germania? iſt der Tag der Rache da?“ Stür-<lb/>
miſch, furchtbar wie noch nie aus eines Deutſchen Munde erklang von<lb/>ſeinen Lippen die Poeſie des Haſſes:</p><lb/><lgtype="poem"><l>Rettung von dem Joch der Knechte,</l><lb/><l>Das, aus Eiſenerz geprägt,</l><lb/><l>Eines Höllenſohnes Rechte</l><lb/><l>Ueber unſern Nacken legt!</l></lg><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[315/0331]
Heinrich von Kleiſt.
der proteſtantiſchen Gedankenfreiheit die Traumwelt der Romantik be-
kämpfte. Niemand befand ſich wohler in dem chaotiſchen Treiben als
der lärmende Görres, der ehrliche Jakobiner in der Mönchskutte, der
es verſtand zugleich ein Radikaler und ein Bewunderer des Mittelalters,
ein Deutſchthümler und ein Verehrer des römiſchen Papſtes zu ſein,
immer geiſtreich, anregend und angeregt, ſprudelnd von äſthetiſchen, hiſto-
riſchen, naturphiloſophiſchen Einfällen, aber auch immer befangen in einem
rhetoriſch-poetiſchen Rauſche. In einem Entſchluſſe waren Alle einig: ſie
wollten ihres deutſchen Weſens wieder ſo recht von Herzen froh werden,
dieſe heimiſche Eigenart behaupten und in voller Freiheit weiterbilden ohne
jede Rückſicht auf fremdländiſche Weltbeglückung und Weltbeherrſchung.
Die politiſche Leidenſchaft der Zeit fand ihren mächtigſten künſtle-
riſchen Ausdruck in den Werken Heinrich von Kleiſts, jenes tief unſeligen
Dichters, der alle die Poeten der jungen Generation überragte. Durch
die urſprüngliche Kraft dramatiſcher Leidenſchaft und leibhaftig wahrer
Charakteriſtik übertraf er ſelbſt Schiller; doch der Ideenreichthum und
die hohe Bildung, der weite Blick und die ſtolze Selbſtgewißheit unſeres
erſten Dramatikers blieben dem Unglücklichen verſagt; ein friedloſer Sinn
ſtörte ihm das Ebenmaß der Seele. Kaum beachtet von den Zeitgenoſſen,
durch ein räthſelhaft grauſames Schickſal um alle Freuden eines reichen
Schaffens betrogen, erſcheint er uns Rückſchauenden heute als der eigent-
lich zeitgemäße Dichter jener bedrückten Tage, als der Herold jenes dämo-
niſchen Haſſes, den fremde Unbill in die Adern unſeres gutherzigen Volkes
goß. Die Pentheſilea war die wildeſte, das Käthchen von Heilbronn die
zarteſte und holdeſte unter den dämmernden Traumgeſtalten der deutſchen
Romantik, die Hermansſchlacht aber ein hohes Lied der Rache, eine mäch-
tige Hymne auf die Wolluſt der Vergeltung — jeder Zug ebenſo ſinnlich
wahr, anſchaulich, lebensvoll wie einſt Klopſtocks Bardengeſänge unbe-
ſtimmt und verſchwommen geweſen, jedes Gefühl unmittelbar aus dem
Herzen der rachedürſtenden Gegenwart heraus empfunden. Kleiſt hatte ſich
nicht, wie die patriotiſchen Gelehrten, die Idee des Vaterlandes erſt durch
Nachdenken erwerben müſſen; er empfand den naiven, naturwüchſigen
Haß des preußiſchen Offiziers, er ſah die alten glorreichen Fahnen, die
ſein und ſeines Hauſes Stolz geweſen, zerriſſen im Staube liegen und
wollte den züchtigen, der ihm das gethan. Ueberall wohin der Unſtete
ſeinen Wanderſtab ſetzte verfolgte ihn wie der Ruf der Erinnyen die wilde
Frage: „ſtehſt du auf, Germania? iſt der Tag der Rache da?“ Stür-
miſch, furchtbar wie noch nie aus eines Deutſchen Munde erklang von
ſeinen Lippen die Poeſie des Haſſes:
Rettung von dem Joch der Knechte,
Das, aus Eiſenerz geprägt,
Eines Höllenſohnes Rechte
Ueber unſern Nacken legt!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/331>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.