Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Arndt. Jahn.
Für den einen Gedanken, der damals noth that, für den Entschluß zum
Kampfe, langte sein derber Bauernverstand aus; auch besaß er eine seltene
Gabe die Jugend in Zucht zu nehmen, ihr einen ehrlichen Abscheu gegen
alle Schlaffheit und Verzärtelung einzuflößen. Die neue Turnkunst stählte
nicht nur die Kraft des Leibes dem verwöhnten Geschlechte. Man bemerkte
auch bald, wie die Sitten der Berliner Jugend reiner und mannhafter
wurden seit im Jahre 1811 der Turnplatz auf der Hasenhaide eröffnet
war; und dies wog für jetzt schwerer, als die Verwirrung, die der
Turnvater in manchem jungen Kopfe anrichtete, wenn er mit dröhnender
Stimme in seinem neuerfundenen Wortsturmschritt den Genossen son-
derbare Runensprüche zurief. Sein Buch über das deutsche Volksthum
brachte mitten in einem krausen Durcheinander schrullenhafter Einfälle
manche lebendige Schilderung von der Kraft und Gesundheit altgerma-
nischer Sitten.

Entsetzlich freilich, wie der rohe Naturalist, immer dem wahren
Deutschthum zu Ehren, die zarten Blätter und Blüthen unserer Sprache
zwischen seinen harten Fäusten knetete. Alles wollte er ihr wieder
rauben was sie sich redlich erworben hatte im Gedankenaustausche mit
anderen Völkern. Dabei widerfuhr ihm zuweilen, daß er ein neues ur-
teutsches Wort aus romanischer Wurzel bildete -- so sein geliebtes Turnen
selbst; aber da er wie Luther den Bauern und den Kindern auf das
Maul sah, so gelang ihm auch mancher glückliche Griff: das gute Wort
Volksthum wurde von ihm erfunden. Und so übermächtig war noch der
idealistische Schwung der Zeit, daß selbst dieser Eulenspiegel die eigent-
liche Größe seiner Nation in ihrem geistigen Schaffen suchte; er pries die
Griechen und die Deutschen als der Menschheit heilige Völker und nannte
Goethe den deutschesten der Dichter. In den gewaltigen Kämpfen zwischen
Oesterreich und Preußen wollte er, ebenso harmlos wie mancher Größere
unter den Zeitgenossen, nichts weiter sehen als die Balgereien von zwei
kräftigen Jungen, die in ihrem Uebermuthe sich raufen und endlich zur
Vernunft gekommen sich vertragen. Doch behielt er Mutterwitz genug
um den tiefen Unterschied zwischen den beiden Mächten zu erkennen: der
große Völkermang Oesterreich könne niemals ganz verdeutscht werden, von
Preußen sei die Verjüngung des alten Reiches ausgegangen, und nur
dieser Staat werde die Deutschen wieder zu einem Großvolke erheben.
Hinweg mit dem deutschen Staatskrebs, der kindischen Landsmannschafts-
sucht, der Völkleinerei; eine oberste Gewalt im Reiche, eine Hauptstadt,
Einheit der Zölle, der Münzen und Maße; dazu Reichstage und Land-
tage und eine mächtige Landwehr aus allen Waffenfähigen gebildet, denn
unter Germanen gilt der Grundsatz: wehrlos, ehrlos!

Solche Gedanken in die Welt hinausgerufen mit einer berserkerhaften
Zuversicht, als könne es gar nicht anders sein, und von der Jugend mit
jubelnder Begeisterung aufgegriffen -- und dies in einem Augenblicke, da

20*

Arndt. Jahn.
Für den einen Gedanken, der damals noth that, für den Entſchluß zum
Kampfe, langte ſein derber Bauernverſtand aus; auch beſaß er eine ſeltene
Gabe die Jugend in Zucht zu nehmen, ihr einen ehrlichen Abſcheu gegen
alle Schlaffheit und Verzärtelung einzuflößen. Die neue Turnkunſt ſtählte
nicht nur die Kraft des Leibes dem verwöhnten Geſchlechte. Man bemerkte
auch bald, wie die Sitten der Berliner Jugend reiner und mannhafter
wurden ſeit im Jahre 1811 der Turnplatz auf der Haſenhaide eröffnet
war; und dies wog für jetzt ſchwerer, als die Verwirrung, die der
Turnvater in manchem jungen Kopfe anrichtete, wenn er mit dröhnender
Stimme in ſeinem neuerfundenen Wortſturmſchritt den Genoſſen ſon-
derbare Runenſprüche zurief. Sein Buch über das deutſche Volksthum
brachte mitten in einem krauſen Durcheinander ſchrullenhafter Einfälle
manche lebendige Schilderung von der Kraft und Geſundheit altgerma-
niſcher Sitten.

Entſetzlich freilich, wie der rohe Naturaliſt, immer dem wahren
Deutſchthum zu Ehren, die zarten Blätter und Blüthen unſerer Sprache
zwiſchen ſeinen harten Fäuſten knetete. Alles wollte er ihr wieder
rauben was ſie ſich redlich erworben hatte im Gedankenaustauſche mit
anderen Völkern. Dabei widerfuhr ihm zuweilen, daß er ein neues ur-
teutſches Wort aus romaniſcher Wurzel bildete — ſo ſein geliebtes Turnen
ſelbſt; aber da er wie Luther den Bauern und den Kindern auf das
Maul ſah, ſo gelang ihm auch mancher glückliche Griff: das gute Wort
Volksthum wurde von ihm erfunden. Und ſo übermächtig war noch der
idealiſtiſche Schwung der Zeit, daß ſelbſt dieſer Eulenſpiegel die eigent-
liche Größe ſeiner Nation in ihrem geiſtigen Schaffen ſuchte; er pries die
Griechen und die Deutſchen als der Menſchheit heilige Völker und nannte
Goethe den deutſcheſten der Dichter. In den gewaltigen Kämpfen zwiſchen
Oeſterreich und Preußen wollte er, ebenſo harmlos wie mancher Größere
unter den Zeitgenoſſen, nichts weiter ſehen als die Balgereien von zwei
kräftigen Jungen, die in ihrem Uebermuthe ſich raufen und endlich zur
Vernunft gekommen ſich vertragen. Doch behielt er Mutterwitz genug
um den tiefen Unterſchied zwiſchen den beiden Mächten zu erkennen: der
große Völkermang Oeſterreich könne niemals ganz verdeutſcht werden, von
Preußen ſei die Verjüngung des alten Reiches ausgegangen, und nur
dieſer Staat werde die Deutſchen wieder zu einem Großvolke erheben.
Hinweg mit dem deutſchen Staatskrebs, der kindiſchen Landsmannſchafts-
ſucht, der Völkleinerei; eine oberſte Gewalt im Reiche, eine Hauptſtadt,
Einheit der Zölle, der Münzen und Maße; dazu Reichstage und Land-
tage und eine mächtige Landwehr aus allen Waffenfähigen gebildet, denn
unter Germanen gilt der Grundſatz: wehrlos, ehrlos!

Solche Gedanken in die Welt hinausgerufen mit einer berſerkerhaften
Zuverſicht, als könne es gar nicht anders ſein, und von der Jugend mit
jubelnder Begeiſterung aufgegriffen — und dies in einem Augenblicke, da

20*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0323" n="307"/><fw place="top" type="header">Arndt. Jahn.</fw><lb/>
Für den einen Gedanken, der damals noth that, für den Ent&#x017F;chluß zum<lb/>
Kampfe, langte &#x017F;ein derber Bauernver&#x017F;tand aus; auch be&#x017F;aß er eine &#x017F;eltene<lb/>
Gabe die Jugend in Zucht zu nehmen, ihr einen ehrlichen Ab&#x017F;cheu gegen<lb/>
alle Schlaffheit und Verzärtelung einzuflößen. Die neue Turnkun&#x017F;t &#x017F;tählte<lb/>
nicht nur die Kraft des Leibes dem verwöhnten Ge&#x017F;chlechte. Man bemerkte<lb/>
auch bald, wie die Sitten der Berliner Jugend reiner und mannhafter<lb/>
wurden &#x017F;eit im Jahre 1811 der Turnplatz auf der Ha&#x017F;enhaide eröffnet<lb/>
war; und dies wog für jetzt &#x017F;chwerer, als die Verwirrung, die der<lb/>
Turnvater in manchem jungen Kopfe anrichtete, wenn er mit dröhnender<lb/>
Stimme in &#x017F;einem neuerfundenen Wort&#x017F;turm&#x017F;chritt den Geno&#x017F;&#x017F;en &#x017F;on-<lb/>
derbare Runen&#x017F;prüche zurief. Sein Buch über das deut&#x017F;che Volksthum<lb/>
brachte mitten in einem krau&#x017F;en Durcheinander &#x017F;chrullenhafter Einfälle<lb/>
manche lebendige Schilderung von der Kraft und Ge&#x017F;undheit altgerma-<lb/>
ni&#x017F;cher Sitten.</p><lb/>
            <p>Ent&#x017F;etzlich freilich, wie der rohe Naturali&#x017F;t, immer dem wahren<lb/>
Deut&#x017F;chthum zu Ehren, die zarten Blätter und Blüthen un&#x017F;erer Sprache<lb/>
zwi&#x017F;chen &#x017F;einen harten Fäu&#x017F;ten knetete. Alles wollte er ihr wieder<lb/>
rauben was &#x017F;ie &#x017F;ich redlich erworben hatte im Gedankenaustau&#x017F;che mit<lb/>
anderen Völkern. Dabei widerfuhr ihm zuweilen, daß er ein neues ur-<lb/>
teut&#x017F;ches Wort aus romani&#x017F;cher Wurzel bildete &#x2014; &#x017F;o &#x017F;ein geliebtes Turnen<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t; aber da er wie Luther den Bauern und den Kindern auf das<lb/>
Maul &#x017F;ah, &#x017F;o gelang ihm auch mancher glückliche Griff: das gute Wort<lb/>
Volksthum wurde von ihm erfunden. Und &#x017F;o übermächtig war noch der<lb/>
ideali&#x017F;ti&#x017F;che Schwung der Zeit, daß &#x017F;elb&#x017F;t die&#x017F;er Eulen&#x017F;piegel die eigent-<lb/>
liche Größe &#x017F;einer Nation in ihrem gei&#x017F;tigen Schaffen &#x017F;uchte; er pries die<lb/>
Griechen und die Deut&#x017F;chen als der Men&#x017F;chheit heilige Völker und nannte<lb/>
Goethe den deut&#x017F;che&#x017F;ten der Dichter. In den gewaltigen Kämpfen zwi&#x017F;chen<lb/>
Oe&#x017F;terreich und Preußen wollte er, eben&#x017F;o harmlos wie mancher Größere<lb/>
unter den Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en, nichts weiter &#x017F;ehen als die Balgereien von zwei<lb/>
kräftigen Jungen, die in ihrem Uebermuthe &#x017F;ich raufen und endlich zur<lb/>
Vernunft gekommen &#x017F;ich vertragen. Doch behielt er Mutterwitz genug<lb/>
um den tiefen Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen den beiden Mächten zu erkennen: der<lb/>
große Völkermang Oe&#x017F;terreich könne niemals ganz verdeut&#x017F;cht werden, von<lb/>
Preußen &#x017F;ei die Verjüngung des alten Reiches ausgegangen, und nur<lb/>
die&#x017F;er Staat werde die Deut&#x017F;chen wieder zu einem Großvolke erheben.<lb/>
Hinweg mit dem deut&#x017F;chen Staatskrebs, der kindi&#x017F;chen Landsmann&#x017F;chafts-<lb/>
&#x017F;ucht, der Völkleinerei; eine ober&#x017F;te Gewalt im Reiche, eine Haupt&#x017F;tadt,<lb/>
Einheit der Zölle, der Münzen und Maße; dazu Reichstage und Land-<lb/>
tage und eine mächtige Landwehr aus allen Waffenfähigen gebildet, denn<lb/>
unter Germanen gilt der Grund&#x017F;atz: wehrlos, ehrlos!</p><lb/>
            <p>Solche Gedanken in die Welt hinausgerufen mit einer ber&#x017F;erkerhaften<lb/>
Zuver&#x017F;icht, als könne es gar nicht anders &#x017F;ein, und von der Jugend mit<lb/>
jubelnder Begei&#x017F;terung aufgegriffen &#x2014; und dies in einem Augenblicke, da<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">20*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[307/0323] Arndt. Jahn. Für den einen Gedanken, der damals noth that, für den Entſchluß zum Kampfe, langte ſein derber Bauernverſtand aus; auch beſaß er eine ſeltene Gabe die Jugend in Zucht zu nehmen, ihr einen ehrlichen Abſcheu gegen alle Schlaffheit und Verzärtelung einzuflößen. Die neue Turnkunſt ſtählte nicht nur die Kraft des Leibes dem verwöhnten Geſchlechte. Man bemerkte auch bald, wie die Sitten der Berliner Jugend reiner und mannhafter wurden ſeit im Jahre 1811 der Turnplatz auf der Haſenhaide eröffnet war; und dies wog für jetzt ſchwerer, als die Verwirrung, die der Turnvater in manchem jungen Kopfe anrichtete, wenn er mit dröhnender Stimme in ſeinem neuerfundenen Wortſturmſchritt den Genoſſen ſon- derbare Runenſprüche zurief. Sein Buch über das deutſche Volksthum brachte mitten in einem krauſen Durcheinander ſchrullenhafter Einfälle manche lebendige Schilderung von der Kraft und Geſundheit altgerma- niſcher Sitten. Entſetzlich freilich, wie der rohe Naturaliſt, immer dem wahren Deutſchthum zu Ehren, die zarten Blätter und Blüthen unſerer Sprache zwiſchen ſeinen harten Fäuſten knetete. Alles wollte er ihr wieder rauben was ſie ſich redlich erworben hatte im Gedankenaustauſche mit anderen Völkern. Dabei widerfuhr ihm zuweilen, daß er ein neues ur- teutſches Wort aus romaniſcher Wurzel bildete — ſo ſein geliebtes Turnen ſelbſt; aber da er wie Luther den Bauern und den Kindern auf das Maul ſah, ſo gelang ihm auch mancher glückliche Griff: das gute Wort Volksthum wurde von ihm erfunden. Und ſo übermächtig war noch der idealiſtiſche Schwung der Zeit, daß ſelbſt dieſer Eulenſpiegel die eigent- liche Größe ſeiner Nation in ihrem geiſtigen Schaffen ſuchte; er pries die Griechen und die Deutſchen als der Menſchheit heilige Völker und nannte Goethe den deutſcheſten der Dichter. In den gewaltigen Kämpfen zwiſchen Oeſterreich und Preußen wollte er, ebenſo harmlos wie mancher Größere unter den Zeitgenoſſen, nichts weiter ſehen als die Balgereien von zwei kräftigen Jungen, die in ihrem Uebermuthe ſich raufen und endlich zur Vernunft gekommen ſich vertragen. Doch behielt er Mutterwitz genug um den tiefen Unterſchied zwiſchen den beiden Mächten zu erkennen: der große Völkermang Oeſterreich könne niemals ganz verdeutſcht werden, von Preußen ſei die Verjüngung des alten Reiches ausgegangen, und nur dieſer Staat werde die Deutſchen wieder zu einem Großvolke erheben. Hinweg mit dem deutſchen Staatskrebs, der kindiſchen Landsmannſchafts- ſucht, der Völkleinerei; eine oberſte Gewalt im Reiche, eine Hauptſtadt, Einheit der Zölle, der Münzen und Maße; dazu Reichstage und Land- tage und eine mächtige Landwehr aus allen Waffenfähigen gebildet, denn unter Germanen gilt der Grundſatz: wehrlos, ehrlos! Solche Gedanken in die Welt hinausgerufen mit einer berſerkerhaften Zuverſicht, als könne es gar nicht anders ſein, und von der Jugend mit jubelnder Begeiſterung aufgegriffen — und dies in einem Augenblicke, da 20*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/323
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/323>, abgerufen am 22.11.2024.