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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
Domcapiteln über drei Kurhüte und zahlreiche Fürstenstühle des Reichs
verfügte, in den Diensten des adelsfreundlichen Erzhauses bequeme
Versorgung für seine Söhne fand. Auch die Landstände der weltlichen
Fürstenthümer riefen die Hilfe des Kaisers an, wenn sie ihre habenden
Freiheiten gegen das gemeine Recht der neuernden Monarchie vertheidigten.
Der katholischen Mehrheit sicher schaute die Hofburg gemächlich zu, wie
die Parteien im Reiche sich an einander zerrieben, das gegenseitige Miß-
trauen jeden Gedanken der Reichsreform im Keime erstickte, jede dem
Kaiserthum bedrohliche Macht durch andere Mächte darnieder gehalten
wurde. Die überlieferte Ehrfurcht der kleinen Fürsten vor dem Erzhause,
der Neid des Nachbars gegen den Nachbarn, der Einfluß der Beichtväter
auf die zahlreichen fürstlichen Convertiten, endlich die reichen Gnaden
und Privilegien, womit die Hofburg ihre Getreuen belohnte, sicherten dem
Kaiserhause auch an den protestantischen Höfen jederzeit einen starken
Anhang; mancher fürstliche Geheime Rath erhielt geradezu den Titel
eines kaiserlichen Ministers und damit den Auftrag, die Sache Oesterreichs
an seinem Hofe zu vertreten. Die Kaiserwürde, werthlos in der Hand
eines kleinen Herrn, bot einer Großmacht mannichfache Handhaben, den
hohen Adel deutscher Nation mittelbar zu beherrschen; und dieser mächtige
Einfluß stand einem Fürstenhause zu, das weder gewillt noch im Stande
war, sich den Gesetzen des Reichs, den Pflichten deutscher Politik zu fügen.
Ein gewandter Parteigänger des kaiserlichen Hauses, der Freiherr von
Gemmingen, schrieb in einem unbewachten Augenblicke ehrlicher Erregung
kurzab: "Das Haus Oesterreich kann nur das Oberhaupt oder der
Feind des deutschen Reiches sein." --

Neben diesen Trümmern einer verfallenen, fremden Zwecken dienenden
monarchischen Gewalt enthielt die Reichsverfassung noch die Anfänge
einer bündischen Ordnung: ein Vermächtniß jener großen Reformperiode
des Reichs, da Berthold von Mainz, Friedrich von Sachsen, Eitelfritz
von Zollern an der Spitze unseres Fürstenstandes den kühnen Versuch
gewagt hatten, das deutsche Gemeinwesen in einen kräftigen Bundesstaat
zu verwandeln. Von daher stammten die Kreisordnung und der von den
Reichsständen besetzte Bundesgerichtshof, das Reichskammergericht. Aber
wie der Kaiser die Wirksamkeit dieses ständischen Tribunals durch die con-
currirende Gewalt seines monarchischen Reichshofraths beständig schwächte,
so gelang es auch der Mehrzahl der größeren Reichsfürsten, ihre Gebiete
der Gerichtsbarkeit des Reichskammergerichts zu entziehen. In Schwaben,
Franken und am Rhein, wo ein Gewölk von Bischöfen und Reichsrittern,
Fürsten und Reichsstädten, Aebten und Grafen in wunderlichem Gemenge
durcheinander hauste, genügte das Ansehen der Kreisobersten und der
Kreistage noch zuweilen um die polizeiliche Ordnung nothdürftig aufrecht
zu halten und die winzigen Contingente der Reichsstände zu größeren
Heerkörpern zu vereinigen. Im Norden und Osten hatte die Kreis-

I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
Domcapiteln über drei Kurhüte und zahlreiche Fürſtenſtühle des Reichs
verfügte, in den Dienſten des adelsfreundlichen Erzhauſes bequeme
Verſorgung für ſeine Söhne fand. Auch die Landſtände der weltlichen
Fürſtenthümer riefen die Hilfe des Kaiſers an, wenn ſie ihre habenden
Freiheiten gegen das gemeine Recht der neuernden Monarchie vertheidigten.
Der katholiſchen Mehrheit ſicher ſchaute die Hofburg gemächlich zu, wie
die Parteien im Reiche ſich an einander zerrieben, das gegenſeitige Miß-
trauen jeden Gedanken der Reichsreform im Keime erſtickte, jede dem
Kaiſerthum bedrohliche Macht durch andere Mächte darnieder gehalten
wurde. Die überlieferte Ehrfurcht der kleinen Fürſten vor dem Erzhauſe,
der Neid des Nachbars gegen den Nachbarn, der Einfluß der Beichtväter
auf die zahlreichen fürſtlichen Convertiten, endlich die reichen Gnaden
und Privilegien, womit die Hofburg ihre Getreuen belohnte, ſicherten dem
Kaiſerhauſe auch an den proteſtantiſchen Höfen jederzeit einen ſtarken
Anhang; mancher fürſtliche Geheime Rath erhielt geradezu den Titel
eines kaiſerlichen Miniſters und damit den Auftrag, die Sache Oeſterreichs
an ſeinem Hofe zu vertreten. Die Kaiſerwürde, werthlos in der Hand
eines kleinen Herrn, bot einer Großmacht mannichfache Handhaben, den
hohen Adel deutſcher Nation mittelbar zu beherrſchen; und dieſer mächtige
Einfluß ſtand einem Fürſtenhauſe zu, das weder gewillt noch im Stande
war, ſich den Geſetzen des Reichs, den Pflichten deutſcher Politik zu fügen.
Ein gewandter Parteigänger des kaiſerlichen Hauſes, der Freiherr von
Gemmingen, ſchrieb in einem unbewachten Augenblicke ehrlicher Erregung
kurzab: „Das Haus Oeſterreich kann nur das Oberhaupt oder der
Feind des deutſchen Reiches ſein.“ —

Neben dieſen Trümmern einer verfallenen, fremden Zwecken dienenden
monarchiſchen Gewalt enthielt die Reichsverfaſſung noch die Anfänge
einer bündiſchen Ordnung: ein Vermächtniß jener großen Reformperiode
des Reichs, da Berthold von Mainz, Friedrich von Sachſen, Eitelfritz
von Zollern an der Spitze unſeres Fürſtenſtandes den kühnen Verſuch
gewagt hatten, das deutſche Gemeinweſen in einen kräftigen Bundesſtaat
zu verwandeln. Von daher ſtammten die Kreisordnung und der von den
Reichsſtänden beſetzte Bundesgerichtshof, das Reichskammergericht. Aber
wie der Kaiſer die Wirkſamkeit dieſes ſtändiſchen Tribunals durch die con-
currirende Gewalt ſeines monarchiſchen Reichshofraths beſtändig ſchwächte,
ſo gelang es auch der Mehrzahl der größeren Reichsfürſten, ihre Gebiete
der Gerichtsbarkeit des Reichskammergerichts zu entziehen. In Schwaben,
Franken und am Rhein, wo ein Gewölk von Biſchöfen und Reichsrittern,
Fürſten und Reichsſtädten, Aebten und Grafen in wunderlichem Gemenge
durcheinander hauſte, genügte das Anſehen der Kreisoberſten und der
Kreistage noch zuweilen um die polizeiliche Ordnung nothdürftig aufrecht
zu halten und die winzigen Contingente der Reichsſtände zu größeren
Heerkörpern zu vereinigen. Im Norden und Oſten hatte die Kreis-

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[16/0032] I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden. Domcapiteln über drei Kurhüte und zahlreiche Fürſtenſtühle des Reichs verfügte, in den Dienſten des adelsfreundlichen Erzhauſes bequeme Verſorgung für ſeine Söhne fand. Auch die Landſtände der weltlichen Fürſtenthümer riefen die Hilfe des Kaiſers an, wenn ſie ihre habenden Freiheiten gegen das gemeine Recht der neuernden Monarchie vertheidigten. Der katholiſchen Mehrheit ſicher ſchaute die Hofburg gemächlich zu, wie die Parteien im Reiche ſich an einander zerrieben, das gegenſeitige Miß- trauen jeden Gedanken der Reichsreform im Keime erſtickte, jede dem Kaiſerthum bedrohliche Macht durch andere Mächte darnieder gehalten wurde. Die überlieferte Ehrfurcht der kleinen Fürſten vor dem Erzhauſe, der Neid des Nachbars gegen den Nachbarn, der Einfluß der Beichtväter auf die zahlreichen fürſtlichen Convertiten, endlich die reichen Gnaden und Privilegien, womit die Hofburg ihre Getreuen belohnte, ſicherten dem Kaiſerhauſe auch an den proteſtantiſchen Höfen jederzeit einen ſtarken Anhang; mancher fürſtliche Geheime Rath erhielt geradezu den Titel eines kaiſerlichen Miniſters und damit den Auftrag, die Sache Oeſterreichs an ſeinem Hofe zu vertreten. Die Kaiſerwürde, werthlos in der Hand eines kleinen Herrn, bot einer Großmacht mannichfache Handhaben, den hohen Adel deutſcher Nation mittelbar zu beherrſchen; und dieſer mächtige Einfluß ſtand einem Fürſtenhauſe zu, das weder gewillt noch im Stande war, ſich den Geſetzen des Reichs, den Pflichten deutſcher Politik zu fügen. Ein gewandter Parteigänger des kaiſerlichen Hauſes, der Freiherr von Gemmingen, ſchrieb in einem unbewachten Augenblicke ehrlicher Erregung kurzab: „Das Haus Oeſterreich kann nur das Oberhaupt oder der Feind des deutſchen Reiches ſein.“ — Neben dieſen Trümmern einer verfallenen, fremden Zwecken dienenden monarchiſchen Gewalt enthielt die Reichsverfaſſung noch die Anfänge einer bündiſchen Ordnung: ein Vermächtniß jener großen Reformperiode des Reichs, da Berthold von Mainz, Friedrich von Sachſen, Eitelfritz von Zollern an der Spitze unſeres Fürſtenſtandes den kühnen Verſuch gewagt hatten, das deutſche Gemeinweſen in einen kräftigen Bundesſtaat zu verwandeln. Von daher ſtammten die Kreisordnung und der von den Reichsſtänden beſetzte Bundesgerichtshof, das Reichskammergericht. Aber wie der Kaiſer die Wirkſamkeit dieſes ſtändiſchen Tribunals durch die con- currirende Gewalt ſeines monarchiſchen Reichshofraths beſtändig ſchwächte, ſo gelang es auch der Mehrzahl der größeren Reichsfürſten, ihre Gebiete der Gerichtsbarkeit des Reichskammergerichts zu entziehen. In Schwaben, Franken und am Rhein, wo ein Gewölk von Biſchöfen und Reichsrittern, Fürſten und Reichsſtädten, Aebten und Grafen in wunderlichem Gemenge durcheinander hauſte, genügte das Anſehen der Kreisoberſten und der Kreistage noch zuweilen um die polizeiliche Ordnung nothdürftig aufrecht zu halten und die winzigen Contingente der Reichsſtände zu größeren Heerkörpern zu vereinigen. Im Norden und Oſten hatte die Kreis-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/32>, abgerufen am 23.11.2024.